Seit den blutigen Kämpfen im syrischen Suweida, die brutalen Angriffen sunnitischer Beduinen folgten, sind die Drusen Gesprächsthema. Auch in Deutschland werden sie aktuell von gewaltbereiter syrischer Islamisten angegriffen. Aber wer sind die Drusen eigentlich?
Die Drusen (nach einer Bezeichnung ihrer religiösen Lehre ad-Darziya) sind ein über mehrere nahöstliche Länder verstreutes Volk, das sich im 11. Jahrhundert während der Herrschaft des Kalifen al-Hakim, eines Fatimiden, durch Abspaltung vom shiitischen Islam herauszubilden begann. Drusen leben heute vor allem in Syrien (etwa 700.000), im Libanon (300.000), in Israel (150.000) und Jordanien (rund 20.000).
Die religiöse Lehre der Drusen weicht erheblich von anderen muslimischen Richtungen ab, weshalb viele – vor allem fundamentalistische – Muslime die Drusen nicht mehr zu den islamischem Völkern zählen. Von daher besteht die ständige Gefahr aggressiver Übergriffe gegen Drusen von Seiten strikt religiöser Muslime sowohl des sunnitischen wie schiitischen Lagers. In der Tat beginnen die Abweichungen bereits an der Basis der koranischen Lehre und erlauben es den Drusen, im Unterschied zu den meisten religiösen Muslimen, andere Religionen zu akzeptieren, etwa Christentum, Buddhismus, Hinduismus und Judentum, auch philosophische Richtungen wie den Platonismus, und mit „Andersgläubigen“ – welchen Begriff der Koran nicht kennt – in Frieden zusammen zu leben.
Ihre Toleranz geht so weit, dass sie es – ähnlich dem religiösen Judentum – ablehnen, zu missionieren, überhaupt ihre Lehre zu propagieren oder öffentlich zu machen, um Andersgläubige nicht in Konflikte zu stürzen. Auch eine Konversion zum Drusentum ist schon seit längerem nicht mehr möglich, Drusen leben seit Jahrhunderten in abgeschlossenen Gemeinschaften und heiraten in der Regel nur unter sich.
Zweifel an der göttlichen Offenbarung
Hamza ibn-Ali ibn-Ahmad, der Begründer der drusischen Lehre, ein persischer Koran-Gelehrter, galt gläubigen Muslimen schon zu seinen Lebzeiten als „Ketzer“ und wurde nach 1021, bald nach dem Tod des ihn duldenden Kalifen al-Hakim, in Mekka hingerichtet. Er lehrte seine Schüler, der Text des Koran sei nicht wortwörtlich, sondern allegorisch zu verstehen – für viele strikte Muslime auch heute eine Ungeheuerlichkeit. Er ging noch weiter, indem er die göttliche Offenbarung dieser Schrift – angeblich durch den Erzengel Gabriel gegenüber Mohammed – generell bezweifelte. Zum Zeitpunkt seines Todes erst Mitte oder Ende Dreißig, hatte er dennoch zahlreiche Schüler, die ihn dazu bewogen, ab 1017 Sendschreiben zu verfassen, die seither das elementare Schrifttum des Drusentums bilden. In seiner Lehre lassen sich Einflüsse griechischer Philosophie oder des rabbinischen Judentums ausmachen, etwa das Konzept der Seelenwanderung oder messianische Tendenzen wie die Inkorporation Gottes in einem Menschen.
Islamische Drusenverfolgungen begannen bereits um 1021, nach dem Tod des Hamza gewogenen Kalifen, und haben sich seither immer wieder ereignet. Schon der nachfolgende Kalif az-Zāhir verbot während seiner Herrschaft (1021–1036) die drusische Lehre und ließ ihre Anhänger verfolgen. Die Drusen bevorzugen daher hohe Gebirgszüge als Wohnorte, von wo aus sie sich gut verteidigen können. Im Süden Syriens gibt es ein ganzes Gebirge, das nach ihnen benannt ist, Dshebel ad-Daruz, das „Drusengebirge“ mit Gipfeln bis 1.800 Metern. Auch im Libanon oder in Israel bewohnen sie gebirgige Gegenden, etwa das Chouf-Gebirge oder die Golanhöhen.
Aus ihrem allgemeinen Toleranzbedürfnis heraus bemühen sich Drusen um Loyalität zur jeweiligen Landesregierung. Sie exerzieren diese Loyalität in verschiedenen, auch untereinander verfeindeten Staaten, etwa im Libanon und in Israel gleichzeitig, wodurch es zu einander widersprechenden politischen Statements drusischer Politiker kommt. Während der französischen Mandatszeit in Syrien (1922–1946) gab es einen eigenen Drusenstaat im Süden Syriens um die alte Nabatäerstadt as-Suweida nahe der jordanischen Grenze (französisch État Souaida, später État de la Montagne druze), dessen die Drusen jedoch durch ihre führende Beteiligung am Arabischen Aufstand gegen die französische Mandatsmacht (1925–1927) verlustig gingen. Sie ließen sich also die Solidarität mit den sunnitischen Landsleuten ihren eigenen Staat kosten, ein Zeichen ihrer Bereitschaft zur Integration.
Die Haltung des Mainstream-Islam zu ihnen bleibt jedoch nach wie vor ablehnend, zu Zeiten bedrohlich. Als Minderheit, zudem im Ruf religiöser Häresie stehend, bleiben die Drusen besonders verletzlich. 2018 wurden aus der Stadt as-Suweida von Massakern durch Verbände des „Islamischen Staats“ berichtet, bei denen Dutzende Drusen gekidnappt und getötet wurden. Dieser Tage ist die Drusenregion um as-Suweida erneut in den internationalen Schlagzeilen, weil es zu gewalttätigen Übergriffen syrischer Beduinenstämme gegen die drusische Minderheit kommt, denen die derzeitige Regierung in Damaskus, ohnehin schwach und ungewiss in ihren Intentionen, nicht wehrt oder deren sie nicht Herr wird.
Israel als Schutzmacht
In diesem Augenblick fühlt sich die israelische Regierung verpflichtet, die Drusen zu schützen. Premier Netanyahu nannte sie jüngst „unsere Brüder“ und erklärte, seine Regierung werde nicht dulden, dass Drusen verfolgt würden. Zunächst nützt das seinem guten Ruf bei den etwa 150.000 Drusen auf israelischem Staatsgebiet, die hierzulande seit Jahrzehnten zu den zuverlässigen und loyalen Minderheiten gehören. Etwa 80 Prozent der drusischen Männer leisten Wehrdienst in der israelischen Armee, etliche bringen es in Offiziersränge bis zum General. Es gibt drusische Politiker, Parlamentarier und Richter. Doch die Fürsorge der Regierung Netanyahu dehnt sich auf die jenseits der Grenze lebenden Drusen aus, was problematisch ist. Nicht zuletzt aus geopolitischen Gründen liegt Israel daran, in der süd-syrischen Drusen-Region einen guten Stand zu haben: Sie bildet das Hinterland der Golan-Höhen.
Die jetzige Eskalation darf nur von kurzer Dauer sein. Sie bedeutet ein Abstecken der Claims, allerdings in recht massiver Form, wie die Bombardements der israelischen Luftwaffe gegen Ziele in Damaskus zeigen. Auf den ersten Blick sieht es aus, als riskiere die israelische Regierung den Drusen zuliebe die sich anbahnende Kooperation mit der derzeitigen syrischen Regierung des Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa, der erklärt hatte, den „Abraham-Accords“, den Staatsverträgen arabischer Staaten mit Israel, beitreten zu wollen. Doch ein ernsthaftes Zerwürfnis ist kaum wahrscheinlich. Israel genügt es, auf die syrische Regierung Druck auszuüben, um den Übergriffen militanter Beduinenstämme in Grenznähe zu wehren und die Lage unter Kontrolle zu bringen, und die syrische Regierung sitzt nicht fest genug im Sattel, um sich auf Konflikte mit Nachbarländern einzulassen.
Und die Drusen selbst haben in ihrer langen wechsvollen Geschichte zu viel Auf und Ab erlebt, um durch die derzeitigen Zusammenstöße in Panik zu geraten. Die Unruhen werden hoffentlich bald beigelegt sein – sie haben jedoch ein Schlaglicht auf eine der interessantesten Minderheiten im Nahen Osten geworfen: auf die Drusen, die wohl offensten und tolerantesten Abkömmlinge des Islam.
Dieser Text ist zuerst in der NZZ erschienen.
Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Sein Vater war der Schriftsteller Dieter Noll. Er studierte Kunst und Kunstgeschichte in Ostberlin, bevor er Anfang der 1980er Jahre den Wehrdienst in der DDR verweigerte und 1983 nach Westberlin ausreiste, wo er vor allem als Journalist arbeitete. 1991 verließ er mit seiner Familie Deutschland und lebte in Rom. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. 1998 erhielt er die israelische Staatsbürgerschaft. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland.
In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen: Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel.

@P. Bruder, Sie schrieben, „...im schlimmsten Fall zu Verschwörungstheorien über die Drusen“ - - oder man spricht in Journalistenkreisen, die es eigentlich besser wissen müssten, von „christlichen Drusen“, die vom syrischen Regime angegriffen werden. Nun wissen wir alle besser Bescheid. Danke, Chaim Noll.
@M. Grau, ja ganz genau, »Welch göttliches Paradies wäre die Welt ohne die Religionen.« - - Ach, wenn doch nur der Atheismus endlich die Weltherrschaft erringen könnte! Marxismus, Kommunismus, Stalinismus, Hitlerismus, Maoismus, PolPotismus, Kimismus, Castroismus und viele Heil und Segen bringende Derivate derselben würden die Erde in einen vor Glückseligkeit taumelnden Planeten verwandeln, wenn nur „die Religionen“ nicht wären, allen voran das elende Christentum mit seinen ganz und gar entgegenstehenden Heilszusagen. Aber warten wir nur noch ein kleines Weilchen, dann ist das BVerfG auch fest und vollständig in sozialistischen (=atheistischen) Händen, hebelt die letzten Reste von natürlichen Rechten aus und schmiert den Weg der runderneuerten SED in die herbeigesehnte Tyrannei. Dann werden alle, wirklich alle, nur noch glücklich sein. - - - PS: Ich halte Atheismus für eine extrem gestrenge, intolerante und Realitäten verweigernde Religion.
Was geht uns das an? Religionen, Sekten,Klimawandel….läßt uns in Ruhe mit diesen Wahnvorstellungen.
@M. Grau: “Welch göttliches Paradies wäre die Welt ohne die Religionen.” - “Imagine there’s no countries / It isn’t hard to do / Nothing to kill or die for / And no religion, too”, auch damit irrte weird John. Wir werfen einen Blick in die Länder, in denen Religion unterdrückt, verfolgt und/oder abgeschafft werden soll, in Gegenwart und Vergangenheit, NS-Staat inklusive. Wir blicken in die Jahre 1793 bis 1796 in Frankreich, als die aufgeklärten gottlosen Zipfelmützenträger ca. 300.000 Katholiken ermordeten (Aufstand der Vendée), bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von 28 Mio. (Jahr 1792). Dieses Massaker gilt den meisten Historikern als Völkermord.
Danke , Chaim Noll. Hochinteressant !
Welch göttliches Paradies wäre die Welt ohne die Religionen.
ja, die Götter. Guter Artikel von Herrn Noll, der - so ist zu hoffen - nicht an höhere Wesen glaubt.