Droht eine Konfrontation zwischen USA und Türkei?

Von Michael Rubin.

Die Aktivitäten der Türkei haben in Sachen Syrien bereits den Rubikon überschritten und bedrohen die amerikanischen Streitkräfte und Interessen.

Die Feierlichkeiten, womit das Ende der mehr als ein halbes Jahrhundert andauernden Tyrannei der Familie Assad in Syrien zelebriert wurde, sind vorbei. Kurzfristig sind Russland und Iran die Verlierer, die Türkei ist der Gewinner, schließlich war die Türkei der wichtigste Unterstützer der Rebellengruppe Hay'at Tahrir al-Sham, die Syrien erobert hat.

In der US-Regierung sitzen immer noch viele Türkei-Freunde. Die vermeintliche Stärke der Türkei zieht diejenigen an, die in ihrem Windschatten segeln oder von ihr profitieren wollen. So wie US-Beamte im späten 20. Jahrhundert ihre Arbeitserfahrung in Saudi-Arabien in goldene Fallschirme ummünzen konnten, so tun dies auch amerikanische Beamte, die in der Türkei tätig waren. Denkfabriken und Universitäten versuchen ebenfalls, davon zu profitieren, während sie vorgeben, dass ihre Arbeit über Kritik erhaben ist und sie sich nicht selbst zensieren oder Forschungsthemen auswählen, damit die Gelder weiter fließen.

Viele Verteidigungsexperten sind immer noch von der Türkei überzeugt wegen ihrer Rolle innerhalb der NATO. Während des Kalten Krieges war das Land eines von nur zwei NATO-Ländern, die an die Sowjetunion grenzten, und es verfügt über die zweitgrößte Armee aller NATO-Länder. Truppenstärken sind jedoch ein bedeutungsloser Maßstab; wichtiger ist das Potenzial, sie für NATO-Missionen einzusetzen.

Während die strategische Bedeutung des Luftwaffenstützpunkts Incirlik mit der Eröffnung von Alternativen in Griechenland und Rumänien sowie moderneren amphibischen Angriffsschiffen, die F-35-Bomber fast überall auf der Welt transportieren können, abgenommen hat, besteht im Pentagon weiterhin eine bürokratische Dynamik, die es ablehnt, auf den Zugang zu einem Stützpunkt zu verzichten. Tatsächlich nutzt die Türkei, wie Katar mit dem Luftwaffenstützpunkt al-Udeid, den Luftwaffenstützpunkt Incirlik als Freikarte, um sich der Verantwortung für eine Reihe bösartiger Verhaltensweisen zu entziehen. Verteidigungsexperten argumentieren, dass die türkische Frühwarnradarstation in Malatya unerlässlich ist, um den Abschuss einer potenziellen iranischen Atomwaffe zu erkennen.

Ein Extremismus hebt die Bedrohung durch einen anderen nicht auf.

Zu viele westliche Beamte und Analysten machen im Bezug auf die Türkei zwei grundlegende Fehler: Erstens sehen sie die Türkei, wie sie war oder wie sie sein sollte, und nicht, wie sie ist. Zwei Jahrzehnte Erdoğanismus haben das Land aber unumkehrbar verändert. Zweitens glauben sie, dass die Türkei eine positive Kraft darstellt, weil sie weder Iran noch Russland ist.

Irans Beziehung zu Bashar al-Assad stellte eine Bedrohung dar. Die Islamische Republik hat die Aleviten in Syrien als einen Teil ihres eigenen revolutionären Exports betrachtet. Aber ein Extremismus hebt die Bedrohung durch einen anderen nicht auf. Die Unterstützung der Türkei von radikalen sunnitischen Bewegungen ist gut dokumentiert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan spricht offen über seine Sympathie für die Hamas, aber es gibt Beweise für seine diplomatische und wirtschaftliche, wenn nicht gar militärische Komplizenschaft mit den radikalsten Elementen der sunnitischen islamistischen Opposition, bis hin zu Al-Qaida und sogar mit dem Islamischen Staat verbundenen Gruppen.

Es ist schlichtweg falsch, dass die Türkei, eine irredentistische Macht, eine Kraft der Stabilität in der Region ist. Die Türkei destabilisiert Zypern, liefert Drohnen und andere Waffen an Islamisten in Libyen und setzt dann Libyer als Söldner in ihren anderen Kriegen ein. Die Unterstützung der Türkei für islamistische und undemokratische Gruppierungen in Somalia gefährdet zunehmend die fragile Situation am Horn von Afrika. Ihre Unterstützung für die Hamas hat einer Gruppe, die allein für die Gräueltat vom 7. Oktober 2023, das größte Massaker an Juden an einem einzigen Tag seit dem Holocaust, verantwortlich ist, einen Rettungsanker zugeworfen.

Eine Gruppe mit nationalistischem Mantel

Das Ziel der Türkei in Syrien ist nicht die Stabilität Syriens oder ein Syrien, das mit sich selbst und seinen Nachbarn in Frieden lebt. Vielmehr hetzt die Türkei syrische Islamisten gegen Minderheitengruppen, insbesondere armenische Christen in Aleppo und syrische Kurden im Nordosten Syriens auf. Erdoğan weigert sich aus offensichtlich ebenso irrationalen wie rassistischen Gründen schlichtweg, die syrische Selbstverwaltung und die Existenz der Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens zu tolerieren. Diejenigen in der Washingtoner Think-Tank-Gemeinschaft, die die türkischen Argumente über die Region als terroristische Basis der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die die Türkei bedroht, oder als pro-iranische Satrapie nachplappern, sind ausschließlich diejenigen, die die Region nicht besucht haben und sich oft weigern, Nachforschungen vor Ort anzustellen.

Während Abu Muhammad al-Dschaulani (der Anführer der Hay'at Tahrir al-Sham und der neue starke Mann in Syrien, Anmerkung der Redaktion) von Toleranz und sogar von Wahlen spricht, verlangt die Türkei, dass Hay'at Tahrir al-Sham ihre Befehle zur Bekämpfung der Kurden befolgt. Im Wesentlichen sieht die Türkei Hay'at Tahrir al-Sham so, wie der Iran die Hisbollah sieht: Als eine Gruppe, die lokale Legitimität beansprucht und sich einen nationalistischen Mantel umhängt, in Wahrheit aber als Stellvertreter einer ausländischen Macht agiert. Erdoğans stellt seinen Wunsch, bewaffnete Kurden zu töten – dieselbe Gruppe, die sich mit den Vereinigten Staaten verbündet und mit ihnen zusammenarbeitet, um den Islamischen Staat einzudämmen und zu besiegen – über das Risiko, die Amerikaner zu töten, die mit ihnen zusammenarbeiten.

 Als im April 2023 eine türkische Drohne General Mazloum Abdi, den Kommandeur der Syrischen Demokratischen Kräfte, am internationalen Flughafen Sulaymaniyah im irakischen Kurdistan erfolglos traf, rettete nur der regendurchweichte Boden die begleitenden Amerikaner vor dem Tod, da sich die Rakete noch tiefer in den Boden bohrte, bevor sie explodierte.

Ein schwieriges Unterfangen

In den darauffolgenden Wochen, als die Türkei ihre Luftangriffe auf kurdische Gebiete in Syrien verstärkte, kam es zu mehreren Beinaheunfällen, bei denen türkische Angriffe leicht amerikanische Soldaten oder Hilfskräfte hätten töten können.

Unterdessen schleust die Türkei ihre eigenen Spezialkräfte und Geheimdienste in Hay’at Tahrir al-Sham und andere Stellvertretergruppen ein, was praktisch der Rolle der vielen iranischen Berater entspricht, von denen Teheran behauptete, sie hätten in Syrien keine Kampfrolle gespielt.

Es mag diplomatisch unklug sein, dies direkt zu sagen, aber wenn von der Türkei unterstützte Kräfte den Terrorismus fördern und weiterhin eine Bedrohung für die amerikanischen Streitkräfte darstellen, die in der Region gegen den Islamischen Staat kämpfen, sollten die Vereinigten Staaten eine Diskussion darüber beginnen, ob es notwendig werden könnte, türkische Terrorunterstützer in der Region anzugreifen. Die Türkei ist NATO-Mitglied, aber ein Angriff auf ihre Streitkräfte außerhalb der türkischen Grenzen würde nicht die Selbstverteidigungsklauseln der NATO auslösen. Auch sollte es über eine solche Diskussion keinen Aufruhr geben, insbesondere wenn die Aktionen der Türkei bereits den Rubikon überschritten haben und amerikanische Streitkräfte und Interessen in Gefahr bringen.

Die beste Möglichkeit, einen direkten Konflikt zu vermeiden bestünde darin, den Verlauf der türkischen Aggression außerhalb ihrer Grenzen und die Auswirkungen ihrer Salamitaktik, die Amerikaner gefährden könnten zu erkennen; die Türkei im Interesse der Konfliktvermeidung wissen zu lassen, was die Vereinigten Staaten bereit sind zum Schutz ihres eigenen Personals zu tun. Wenn die Türkei bereit ist, Amerikaner zu töten, die im Rahmen der offiziellen amerikanischen Politik in Syrien tätig sind, dann sollten die Vereinigten Staaten die gleiche Politik verfolgen und bereit sein, Türken außerhalb der türkischen Grenzen zu töten. Es ist ein schwieriges Unterfangen, aber es ist zunehmend notwendig.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Middle East Forum.

 

Michael Rubin ist Direktor für politische Analysen beim Middle East Forum und Senior Fellow am American Enterprise Institute.

Foto: Office of the President of the United States - https://twitter.com/POTUS/status/1678885629587750912, Gemeinfrei, via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Lutz Herzer / 20.12.2024

Warum blendet der Autor die Interessen Israels in Bezug auf Syrien aus? Israel unterstützte die Islamisten genauso wie die Türkei, allein indem es jahrelang Assads Armee bekämpfte, die jedoch nie eine Bedrohung für Israel dargestellt hatte. Der Plan der USA und Israels basierte wohl auf dem Kalkül, dass Russland Assad in Syrien Schutz vor HTS etc. bieten würde. So hätte man Russland in einen zweiten aufreibenden Stellvertreterkrieg hineinziehen können, in welchem die Erfolgsaussichten, anders als beim Ukrainekrieg, äußerst gering wären. Die Herren Putin und Assad scheinen den Plan jedoch durchschaut zu haben und vollführten einen klugen Schachzug, nämlich das Feld den Stellvertretern zu überlassen und deren Strategie ins Leere laufen zu lassen. Jetzt hat Israel ihm wohlgesinnte Dschihadisten als neue Nachbarn, denen es wie der Zauberlehrling gegenübersteht.

Wolfgang Richter / 19.12.2024

“die Türkei im Interesse der Konfliktvermeidung wissen zu lassen, was die Vereinigten Staaten bereit sind zum Schutz ihres eigenen Personals zu tun. Wenn die Türkei bereit ist, Amerikaner zu töten, die im Rahmen der offiziellen amerikanischen Politik in Syrien tätig sind,”—So wie die “Türken” kein Problem damit hatten, einen Jagdbomber des in Syrien tätigen “Kooperationspartners” Rußland abzuschießen, sich dann wortreich zu entschuldigen, wird es auch mit den USA laufen, denn auch die werden kein Interesse daran haben, sich im Sinne des Bestandes der NATO und der operativen und geografischen Stellung der Türkei im System mit diesen ernsthaft anzulegen. Sie werden “verstehen”, man wird wie üblich hinter verschlossenen Türen Vereinbarungen treffen und gut ist. Erinnert sei zB an die plötzliche Weigerung der Türken, den US-Flugplatz -ich glaube- Incirlik im Rahmen des schon angelaufenen Krieges gegen den Irak entgegen vorangegangener Zusagen, zu nutzen. Auch das ein Affront gegen die USA mit ggf. zusätzlichen Opfern auf US-Seite infolge nicht mehr “passender” Strategie.

Wolfgang Richter / 19.12.2024

Ein Verlierer des “Syrien-Schachs” ist ganz sicher festzustellen: die Kurden, wieder mal. Grandios auf die falsche Karte “USA” gesetzt. Auch wenn ein kleiner Trupp GIs sein Fähnchen in den Ruinen von Kobane -manche erinnern sich noch an die dortige Schlacht gegen den IS undc das Nichteingreifen der an der Grenze aufgefahrenen türkischen Panzer- aufgepflanzt hat, wird das “Erdolf den selbsternannten Prächtigen” nicht davon abhalten, das von ihm und seinen “Al-Kaidas” in Syrien geschaffenen militärischen Vakuums derart zu nutzen, eine geschlossene kurdische Region, gar einen Staat, militärisch zu verhindern. Warum auch, wo er mit der jahrelangen Unterstützung der “Islamisten” entsprechend zielgrichtet investiert hatte. Jetzt kommt das Finale - und die USA werden -wieder mal- einen ihrer “an sie glaubenden Idioten” für ihre übergeordneten Interessen im Stich lassen.—Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis auch die Ukrainer das verstehen. Dabei hat ein gewisser Senator Lindsey Graham sich schon mehrfach entsprechend geäußert, in etwa “genial einen Krieg zur Schwächung Rußlands zu führen, ohne einen GI geopfert zu haben”. Soll also keiner sagen, es war keine Verarsche ohne Ansage,

Holger Kammel / 19.12.2024

Ich kann mich natürlich irren, aber ich bin der Meinung, daß der Krieg der USA und seiner Verbündeten gegen die Türkei im finanziellen und wirtschaftlichen Bereich schon lange läuft. Man kann natürlich die gegenwärtige politische Führung der Türkei ablehnen, aber wenn man eine derartige Figur an die Wand drückt, wird sie im Allgemeinen noch radikaler. Wie weit geht man? Unvergessen die Äußerung von Madeline Albright, der Tod von 500.000 irakischen Kindern wären die Sanktionen gegen den Irak wert. Angeblich Holocaust-Überlebende. Mir ist der Tod auch nur eines Kindes, egal welcher Nationalität keinen politischen Vorteil wert.

Roland Völlmer / 19.12.2024

Erdogan kann sich nur halten, solange er mit diesen Auslandseinsätzen von seinen inneren Problemen ablenkt: Sehr hohe Inflation, Arbeitslosenquote, Millionen syrische Flüchtlinge, wirtschaftliche Abhängigkeit. Daher muss er in Syrien loslegen und damit sein Volk hinter sich scharen. Die USA kann ihm durch wirtschaftliche Maßnahmen absetzen. Russland kann das Gas sperren, und seine Bevölkerung wird noch ärmer. Kein Bedarf an direkter Konfrontation.

Else Schrammen / 19.12.2024

Langer Rede kurzer Sinn: Erdogan, der Despot, Islamist, Terroristenunterstützrt, von sich selbst maßlos überzeugter Egomane und, und, und. Er spielt die “diplomatische” Klaviarur hervorragend: Ein Freund Putins, Freund/Feind der USA und Europas, fest verankert im System der NATO, F16 von den USA kaufen, andererseits aber russische Raketenabwehr. Erdogan ein Betrüger, Trickser Lügner, alles andere als ein verlässlicher Bündnispartner, außen hui, innen pfui! Seine großen Ziele in Syrien, deren Erreichung in unmittelbare Nähe rücken: Die neuen islamistischen Herrscher unter seine Kontrolle bringen, was nicht so schwer sein dürfte unter Brüdern im Geiste. Dann die Beseitigung der Kurden: Da schlägt er zwei Fliegen mir einer Klappe, einmal die verhassten Kurden - und verbliebenen Armenier - weg und die armen von den Kurden inhaftierten IS-Kopfabschneider sind wieder frei und können mit ihrem mörderischen Tun da weitermachen, wo sie aufgehört haben. Und der Westen bzw. die NATO können das nicht sehen? Oder wollen sie nicht?!

Barbara Strauch / 19.12.2024

Ich setze auf Trump, der kennt solche Typen wie Erdogan und weiß, wie man sie in die Schranken weist. Die Kurden sind ein Riesenvolk, verteilt über Türkei/Iran/Irak/Syrien, und jedenfalls absolut keine Islamisten. Man sollte unbedingt mit ihnen zusammenarbeiten, auch im Interesse der dortigen Christen, die von allen übrigen Kräften dort nichts Gutes zu erwarten haben (Assad hat sie immer geschützt). Sehe es ähnlich wie Marc Greiner, war selbst (mit meinem Berliner Autokennzeichen) in Aleppo (vor seiner Zerstörung) und habe dort mit Christen aus dem Libanon gesprochen, die dort Verwandtschaft besuchten. Außerdem gibt es den großen arabischen Stamm der Schammar in Nordsyrien, der über eine Million Mitglieder hat (bis weit nach Nordafrika hinein). Ihr Scheich Al Hadi sitzt in einem kleinen nordsyrischen Dorf und betrachtet vergnügt, daß Israel die Hisbollah lahmgelegt hat. Syrien ist eine totale Blackbox für unsere ahnungslosen “Politiker” hier. @Thomas Meier: Da das Arabische keine Vokale hat, sind die Umschriften “Aleviten” und “Alawiten”  für dieselbe Gruppe völlig gebräuchlich (daher haben auch “Mohammed”, “Mahmut”, “Achmet”  und “Mehmet” z.B. dasselbe arabische Schriftbild).

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