Henryk M. Broder / 06.06.2022 / 14:00 / Foto: Amrei-Marie / 84 / Seite ausdrucken

Drewermann auf halbem Wege zwischen Lisboa und Wladiwostok

Der deutsche Militarismus hat ausgedient, er kommt nicht wieder. Die Zukunft gehört dem deutschen Pazifismus, einem nahen Verwandten seines Vorgängers.

Wenn Sie schon lange nicht mehr im Kino waren und Lust auf einen richtig megageilen Horrorfilm haben wie „Das Dorf der Verdammten", „The Shining" oder „Halloween – Die Nacht des Grauens", dann schauen und hören Sie sich den Auftritt des Theologen Eugen Drewermann auf einem von der Linkspartei organisierten Anti-NATO-Tag an. „Eugen who?“ werden jetzt einige fragen, die unter dem Sternzeichen „Greta" sozialisiert wurden. Wir Älteren aber, die sich noch an Dorothee Sölle, Uta Ranke-Heinemann und Friedrich Schorlemmer erinnern können, haben auch Eugen Drewermann nicht vergessen, den noch nie jemand lachend oder heiter erlebt hat, sondern immer nur hochgradig betroffen, säuerlich und verzweifelt. Drewermanns Küchenuhr ist eine Minute vor zwölf stehengeblieben. Verglichen mit ihm sind Heinrich Bedford-Strohm und Rainer Maria Woelki Botschafter der guten Laune, echt.

Drewermanns „Rede gegen den Krieg" dauert etwas mehr als eine Stunde. Er spricht frei, denn er hat die Rede schon öfter gehalten, bei wechselnden Anlässen. Am 11. September 2001, als in New York dreitausend Menschen pulverisiert wurden, saß er in einem Hörfunk-Studio des SFB und moderierte die „Nachtgespräche mit Eugen Drewermann", eine Art Selbstgespräch, an dem auch Hörer teilnehmen durften. Dabei sagte er u.a.: „Terror ist die Ersatzsprache der Gewalt, weil berechtigte Anliegen nicht gehört wurden, es ist die Sprache der Ohnmächtigen, der Selbstmörder..."

Zwanzig Jahre danach

Gute 20 Jahre später hielt Terrorversteher Drewermann die gleiche Rede in einem Hörsaal der Humboldt-Uni, diesmal nicht über die Ursachen und Folgen eines Terroranschlags, sondern den Krieg in der Ukraine, für den Drewermann den Westen, die USA und die NATO verantwortlich machte. Das hörte sich so an: „Wir werden nicht von Russland bedroht, es wird uns eine Gefahr halluziniert, die zu keinem anderen Zweck als der strategischen Geopolitik der USA und ihrer Machtausdehnung dient." 

Die amerikanische Propaganda, so Drewermann, sage uns, immer und an allem sei „der Russe“ schuld, aber: „Er war es nie, im ganzen 20. Jahrhundert, aber er hatte es zu sein“, weil wir verhindern wollten, „dass sich Westeuropa und Russland verbünden zu einem Wirtschaftsraum von Lisboa bis Wladiwostok, Eurasien als geschlossener Wirtschaftsraum“, das „wäre das Ende der amerikanischen Weltmachtillusion“ gewesen. Deshalb dürfe „Nordstream 2 nicht gebaut werden, deshalb müssen wir Flüssiggas aus Fracking teuer anlanden, damit Amerika sich durchsetzt...“

Holodomor nicht gegeben?

Dümmer und schlichter kann „Antiamerikanismus“ nicht sein. Die Herrscher in Moskau waren im ganzen 20. Jahrhundert nie an etwas schuld? Waren all die Massenmorde, die Okkupationen und Kriege der Sowjetunion – der Wladimir Putin bekanntlich hinterhertrauert – also nur amerikanische Propaganda? Hat es den Holodomor in der Ukraine, den mit Hitler verabredeten Einmarsch in Ost-Polen, die Besetzung des Baltikums und nach dem Zweiten Weltkrieg den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn und der Tschechoslowakei nicht gegeben?

Natürlich verliert Drewermann auch kein Wort über die russischen „Spezialoperationen“ in Grozny, Aleppo und Georgien, über die Anschläge auf Oppositionelle im In- und Ausland, über Nowitschok und Polonium. Drewermann schwebt über den euroasiatischen Wolken, irgendwo auf halbem Wege zwischen Lisboa und Wladiwostok. Seine „Rede gegen den Krieg“ ist eine Rede über das neualte Thema „Amerika ist unser aller Unglück“.

Drewermann nimmt übel 

Vor allem nimmt er den Amerikanern übel, dass sie einen Krieg gegen Deutschland geführt und gewonnen haben. Er sagt es nicht, aber mit ein paar eingestreuten Sotissen wie „God's own country" führt er seine Zuhörer auf die richtige Spur. Amerika habe es nach 9/11 versäumt, sich die Frage zu stellen: „Warum hassen sie uns so, welche Gründe haben sie?" Die Deutschen müssten sich Amerika verweigern und aufhören, Amerikas Kolonie zu sein. „Das sollten wir werden, 1949, aber nun ist Feierabend damit!" Beifall im Saal. „Und wir sind es leid, eure Fußtruppe bei euren Machtspielen zu sein.“

Zum Schluss wiederholt Drewermann seine Zauberformel vom „Frieden durch Handel", von Lisboa bis Wladiwostok. „Wir müssten nur Nein sagen zur Imperialpolitik der USA und der NATO, raus aus der NATO, mit ihr ist kein Frieden möglich, weil er nicht sein soll.“ Starker Beifall. Dann macht Drewermann den Amerikanern ein generöses Angebot: „Wir könnten uns die Hand über den Atlantik reichen zum Frieden. Aber wenn ihr weitermachen wollt wie bisher, machen wir nicht länger mit und sagen: Raus aus der NATO, Verantwortung für die Welt, Nein zur Rüstung, Ja zu einer universellen Menschlichkeit.“  

Vom Militarismus zum Pazifismus

Wenn Sie bis dahin durchgehalten haben, worum ich Sie bitten möchte, haben Sie sich nicht nur für die Teilnahme am nächsten Dschungelcamp qualifiziert, Sie werden auch bemerkt haben, dass der Theologe Drewermann so gut wie nichts über den Krieg in der Ukraine gesagt hat, außer dass man ihn „ein Verbrechen“ nennen könnte. Kein Wort darüber, dass Russland die Ukraine „entnazifizieren“ will, mit Methoden der Nazis. Die Idee einer universellen Menschlichkeit kommt im Falle der Ukraine nicht zum Zuge. Ist doch irgendwie seltsam, oder? 

Der deutsche Militarismus hat ausgedient, er kommt nicht wieder. Die Zukunft gehört dem deutschen Pazifismus, einem nahen Verwandten seines Vorgängers.

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giesemann gerhard / 06.06.2022

@Horst J.: Sie sagen es. Putin ist der beste Mitarbeiter der US-Administration. Ohne sein “grundlos die UA” hätten die ihm schon lange gekündigt - wegen Unfähigkeit.

Max Wedell / 06.06.2022

Ja, der Antiamerikanismus Drewermanns ist schlimm, aber er ist auch Antischwede und Antifinne. In diesen Ländern hat man sich für ein Mitmachen im westlichen Verteidigungsbündnis entschieden, gegen den Rat Drewermanns. Er ist Anti-Pole, Anti-Tscheche, Anti-Ungar, Anti-Este, Anti-Lette, Anti-Litauer, Anti-Slowake, Anti-Rumäne, Anti-Bulgare, Anti-Slowene… alles Bevölkerungen von Ländern, in denen demokratisch gewählte Regierungen in den letzten 25 Jahren ein Mittun in unserem und jetzt auch ihrem Verteidigungsbündnis erbeten und erhalten haben. Es gibt keinen Anlaß, zu glauben, in diesen Ländern wäre ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung (gerade jetzt!) darauf versessen, das gemeinsame Verteidigungsbündnis zu verlassen. Gerade jetzt, mehr denn je zuvor, ist unsere Verteidigungsgemeinschaft angesichts des russischen Angrifsskriegs notwendiger denn je, um die Russen von weiteren Abenteuern abzuhalten. Unser Verteidigungsbündnis verhindert somit Kriege, was die ganz große Mehrheit der Menschen in unserem Verteidigungsbündnis versteht. Auch Drewermann müsste es wissen, aber er wünscht sich offensichtlich, Bürger eines großrussischen Reiches zu werden. Oder er gehört zu jenen, die glauben, alle nicht stattgefundenen Kriege mit verteidigungsstarken Ländern hätten auch nicht stattgefunden, wenn die betreffenden Länder ohne nennenswerte Verteidigung gewesen wären. Aber das sind Naivlinge, man muß es leider so deutlich sagen.

A. Ostrovsky / 06.06.2022

@giesemann gerhard : Schön. Aber in welchem Paralleluniversum sind Sie gerade? Wenn es von Hitler bis zu Merkel eine Kontinuität gibt, dann ich das die schlecht versteckte Wissenschaftsfeindlichkeit. Was meinen Sie, was Einstein heute in DE zu leiden hätte, wenn er sich erlaubt, nicht das selbe zu sagen, wie alle 99% der “Wissenschaftler”. Die Narren haben das Rathaus besetzt und die Idioten die Hörsääle. Was soll da noch passieren? Die Zeit ist stehen geblieben, bevor wir wirklich verstanden haben, was Zeit ist. Aus diesem erstarrten Zustand ist nur noch die Explosionskraft der Spaltung in winzige Fraktionen möglich. Nur eine Explosion kann den Zustand Deutschlands noch ändern. Alle friedliche, gewaltlosen Mittel sind mit Panzertape blockiert. Da bewegt sich nichts mehr und selbst Broder redet nur noch im Kreise. Das ist das ewige Himmelreich, das Tausendjährige. Da kommt nie wieder frische Luft rein und der Fäulnisprozess wird nur dadurch verlangsamt, dass aller Sauerstoff verbraucht ist. Aber alles drängt auf eine Explosion hin, und dann werden sich wieder Kleinstaaten bilden, die gegeneinander mit dem Knüppel kämpfen. Berlin-Mitte gegen Köpenick, Württemberger gegen Badenser, Sachsen gegen Preußen, Schwaben gegen Neukölln. Nur in den Niederungen des Altmühltales wird noch etwas anderes passieren, Kaspar Hauser, Analphabet, schwachsinnig, wird erscheinen und alle werden sich die Mäuler zerreißen, ob er ein illegitimer Sproß von Hillary Clinton, von Putin oder von Erdogan ist. Er ist keins von alledem. Er ist der verblödete deutsche Michel der in einem Biolabor in Reinform gezüchtet wird. Aber niemand hat die Absicht, ein Biolabor ... Herr Ober, ein Bier! Biermann! Wir singen! WAAAS Sing-Leugner! Na wartet, EUCH WERDE ich ... Ja, was denn? WAAAS? Was labberschtu? Und wenn dann Deutschland wieder in die Kleinstaaten zerfallen ist, in Schnipselchen, dann kommt der CSU-Weber und erklärt, dass die nun nicht in die EU dürfen. ENDLICH! Es gibt immer eine Lösung.

Walter Ernestus / 06.06.2022

Ich weiß nicht was ich von Broder und anderen hier halten soll, es scheint ja so zu sein, das es immer nur eine Meinung geben darf. Einen Voltaire haben hier einige nicht verstanden und es es wird immer schlimmer, Verächtliche und niederträchtige Kommentierungen gibt es scheinbar nicht nur bei den Linken. Nochmals, ich teile die Meinung von Eugen Drewermann nicht, aber ich bin froh das er sie sagen darf ! (Zitat angepasst Voltaire). Dies sollten einige hier sich mal hinter die Ohren schreiben.

Werner Arning / 06.06.2022

Ich bin mit dem Aburteilen nicht so schnell bei der Hand. Diese Rede enthält Hörenswertes. Nach dem Zuhören kann man sich immer noch ein Urteil bilden.

giesemann gerhard / 06.06.2022

Wer glaubt, wir, als das Land mit den meisten Nachbarn weltweit, könnten in einem geopolitisch luftleeren Raum existieren, dem ... , auweija. Das gibt und gab zumeist Haue, wie wir bis 1945 ständig erleben durften. Autarkie is’ nicht, auch wenn es manche glauben - ist nur dummes Zeug. Denken wir nach, es hilft manchmal. Immerhin haben wir den letzten Feind jetzt hinterm Bug, das ist der Grenzfluss Polens zu Belarus. Der Russen-Russe ist aber stets dahinter, keine Bange. Da müssen wir dran arbeiten, oder? Aber die Polen und Konsorten helfen dabei wenigstens mit und kiebern nicht auch noch gegen uns. DAS ist ein echter Fortschritt, Was wir machen könnten, das wäre, an die Zeiten vor den Nazis an zu knüpfen, als DE DAS Zentrum für Naturwissenschaften war, Berlin, Göttingen etc. Stichwort “Apotheke der Welt”. Bis die Deppen alles zerstört haben. Einen Einstein als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aus dem Land treiben - und mit ihm zahlreiche andere cracks. Unglaublich, provinzielle Idioten, abscheulich. Aber als das Land inmitten der innovativsten Region weltweit - das ist Europa - könnten wir das erreichen, wieder aufleben lassen, zudem touristisch interessant, gastronomisch wie eine größere Schweiz - wär das was? Die Herstellung von Halbzeug aller Art könnten wir getrost anderen überlassen. (Gehe davon aus, dass jeder hier weiß, was “Halbzeug” ist, sonst wiki gucken). So könnte auch das gemeine Volk davon profitieren. Usw.

Frances Johnson / 06.06.2022

Das Einzige, das bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass eine 96jährige Frau, darüber hinaus Staatsoberhaupt und Königin, eine ganze Nation 2,5 Minuten zum Lachen bringen konnte und darüberhinaus vermutlich den Commonwealth, indem sie sich selbst persifliert. Das meiste sonst, worüber wir zu heftig streiten, ist doch unterirdisch. God Save the Queen.

Burkhard Mundt / 06.06.2022

Wer etwas über die US-Amerikaner lernen will, der besuche den den amerikanischen und den deutschen Soldatenfriedhof in der Norman, Colleville sur Mer. Und achte auf das Alter der Gefallenen. Passend zum D-day heute, dem 06.06.  

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