Der deutsche Militarismus hat ausgedient, er kommt nicht wieder. Die Zukunft gehört dem deutschen Pazifismus, einem nahen Verwandten seines Vorgängers.
Wenn Sie schon lange nicht mehr im Kino waren und Lust auf einen richtig megageilen Horrorfilm haben wie „Das Dorf der Verdammten", „The Shining" oder „Halloween – Die Nacht des Grauens", dann schauen und hören Sie sich den Auftritt des Theologen Eugen Drewermann auf einem von der Linkspartei organisierten Anti-NATO-Tag an. „Eugen who?“ werden jetzt einige fragen, die unter dem Sternzeichen „Greta" sozialisiert wurden. Wir Älteren aber, die sich noch an Dorothee Sölle, Uta Ranke-Heinemann und Friedrich Schorlemmer erinnern können, haben auch Eugen Drewermann nicht vergessen, den noch nie jemand lachend oder heiter erlebt hat, sondern immer nur hochgradig betroffen, säuerlich und verzweifelt. Drewermanns Küchenuhr ist eine Minute vor zwölf stehengeblieben. Verglichen mit ihm sind Heinrich Bedford-Strohm und Rainer Maria Woelki Botschafter der guten Laune, echt.
Drewermanns „Rede gegen den Krieg" dauert etwas mehr als eine Stunde. Er spricht frei, denn er hat die Rede schon öfter gehalten, bei wechselnden Anlässen. Am 11. September 2001, als in New York dreitausend Menschen pulverisiert wurden, saß er in einem Hörfunk-Studio des SFB und moderierte die „Nachtgespräche mit Eugen Drewermann", eine Art Selbstgespräch, an dem auch Hörer teilnehmen durften. Dabei sagte er u.a.: „Terror ist die Ersatzsprache der Gewalt, weil berechtigte Anliegen nicht gehört wurden, es ist die Sprache der Ohnmächtigen, der Selbstmörder..."
Zwanzig Jahre danach
Gute 20 Jahre später hielt Terrorversteher Drewermann die gleiche Rede in einem Hörsaal der Humboldt-Uni, diesmal nicht über die Ursachen und Folgen eines Terroranschlags, sondern den Krieg in der Ukraine, für den Drewermann den Westen, die USA und die NATO verantwortlich machte. Das hörte sich so an: „Wir werden nicht von Russland bedroht, es wird uns eine Gefahr halluziniert, die zu keinem anderen Zweck als der strategischen Geopolitik der USA und ihrer Machtausdehnung dient."
Die amerikanische Propaganda, so Drewermann, sage uns, immer und an allem sei „der Russe“ schuld, aber: „Er war es nie, im ganzen 20. Jahrhundert, aber er hatte es zu sein“, weil wir verhindern wollten, „dass sich Westeuropa und Russland verbünden zu einem Wirtschaftsraum von Lisboa bis Wladiwostok, Eurasien als geschlossener Wirtschaftsraum“, das „wäre das Ende der amerikanischen Weltmachtillusion“ gewesen. Deshalb dürfe „Nordstream 2 nicht gebaut werden, deshalb müssen wir Flüssiggas aus Fracking teuer anlanden, damit Amerika sich durchsetzt...“
Holodomor nicht gegeben?
Dümmer und schlichter kann „Antiamerikanismus“ nicht sein. Die Herrscher in Moskau waren im ganzen 20. Jahrhundert nie an etwas schuld? Waren all die Massenmorde, die Okkupationen und Kriege der Sowjetunion – der Wladimir Putin bekanntlich hinterhertrauert – also nur amerikanische Propaganda? Hat es den Holodomor in der Ukraine, den mit Hitler verabredeten Einmarsch in Ost-Polen, die Besetzung des Baltikums und nach dem Zweiten Weltkrieg den Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn und der Tschechoslowakei nicht gegeben?
Natürlich verliert Drewermann auch kein Wort über die russischen „Spezialoperationen“ in Grozny, Aleppo und Georgien, über die Anschläge auf Oppositionelle im In- und Ausland, über Nowitschok und Polonium. Drewermann schwebt über den euroasiatischen Wolken, irgendwo auf halbem Wege zwischen Lisboa und Wladiwostok. Seine „Rede gegen den Krieg“ ist eine Rede über das neualte Thema „Amerika ist unser aller Unglück“.
Drewermann nimmt übel
Vor allem nimmt er den Amerikanern übel, dass sie einen Krieg gegen Deutschland geführt und gewonnen haben. Er sagt es nicht, aber mit ein paar eingestreuten Sotissen wie „God's own country" führt er seine Zuhörer auf die richtige Spur. Amerika habe es nach 9/11 versäumt, sich die Frage zu stellen: „Warum hassen sie uns so, welche Gründe haben sie?" Die Deutschen müssten sich Amerika verweigern und aufhören, Amerikas Kolonie zu sein. „Das sollten wir werden, 1949, aber nun ist Feierabend damit!" Beifall im Saal. „Und wir sind es leid, eure Fußtruppe bei euren Machtspielen zu sein.“
Zum Schluss wiederholt Drewermann seine Zauberformel vom „Frieden durch Handel", von Lisboa bis Wladiwostok. „Wir müssten nur Nein sagen zur Imperialpolitik der USA und der NATO, raus aus der NATO, mit ihr ist kein Frieden möglich, weil er nicht sein soll.“ Starker Beifall. Dann macht Drewermann den Amerikanern ein generöses Angebot: „Wir könnten uns die Hand über den Atlantik reichen zum Frieden. Aber wenn ihr weitermachen wollt wie bisher, machen wir nicht länger mit und sagen: Raus aus der NATO, Verantwortung für die Welt, Nein zur Rüstung, Ja zu einer universellen Menschlichkeit.“
Vom Militarismus zum Pazifismus
Wenn Sie bis dahin durchgehalten haben, worum ich Sie bitten möchte, haben Sie sich nicht nur für die Teilnahme am nächsten Dschungelcamp qualifiziert, Sie werden auch bemerkt haben, dass der Theologe Drewermann so gut wie nichts über den Krieg in der Ukraine gesagt hat, außer dass man ihn „ein Verbrechen“ nennen könnte. Kein Wort darüber, dass Russland die Ukraine „entnazifizieren“ will, mit Methoden der Nazis. Die Idee einer universellen Menschlichkeit kommt im Falle der Ukraine nicht zum Zuge. Ist doch irgendwie seltsam, oder?
Der deutsche Militarismus hat ausgedient, er kommt nicht wieder. Die Zukunft gehört dem deutschen Pazifismus, einem nahen Verwandten seines Vorgängers.