Um den anschwellenden Strom der Touristen zu drosseln, will Dresden seinen eigenen Weg gehen. Während Reisende demnächst drei Euro Eintritt zahlen müssen, wenn sie Venedig besuchen wollen, man sich in Salzburg und Prag mit ähnlichen Gedanken trägt, setzen die Sachsen auf Abschreckung. Statt sich organisatorisch mehr Arbeit zu machen, indem sie die Gäste (2,2 Millionen im Jahr 2018) zur Kasse bitten, haben die Dresdner Stadträte in der vorigen Woche den „Nazi-Notstand“ ausgerufen. Mit 39 gegen 29 Stimmen wurde die „Grundsatzerklärung“ beschlossen.
Am Erfolg dieser besonderen Form der Touristenabwehr ist nicht zu zweifeln. Zumal die von weither Kommenden sich fragen mögen, ob sie nicht lieber einen weiten Bogen um die Kunstmetropole machen. Sollen sie sich noch in den Zwinger, die Frauenkirche, die Semperoper wagen, wenn dort „menschenfeindliche, extrem rechte Einstellungen und Taten bis hin zur Gewalt immer stärker offen zutage treten“?
Patrouillieren schon wieder Schlägertrupps wie Hitlers SA über den Altmarkt und auf der Brühlschen Terrasse, dem einstigen „Balkon Europas“? Müssen die Fremden fürchten, angepöbelt, bespuckt, womöglich verprügelt zu werden?
Für die Stadträte scheint das keine Frage zu sein. Sie halten das Schlimmste für möglich. Damit es den kunstsinnig verträumten Dresdnern und ihren Gästen endlich wie Schuppen von den Augen fällt, haben sie den „Nazi-Notstand“ konstatiert. Denn ist das Wort erst einmal in der Welt, der Begriff geprägt, muss sich das Weitere finden.
Ohne Not kein Notstand
Gibt es doch keinen Notstand, erst recht keinen politischen ohne eine Not, die zum Handeln zwingt. Ihre Ursachen oder Verursacher sind auszuschalten. Niemand weiß das besser als jene, die den Notstand feststellen. Mit seiner Ausrufung beanspruchen sie politische Handlungsfreiheit jenseits der demokratischen Spielregeln. Im Laufe der Geschichte kam das öfter vor. Hitler tat es 1933 mit dem „Ermächtigungsgesetz“, angeblich „zur Behebung der Not von Volk und Reich“.
Nun ist das Dresdner Stadtparlament nicht das, was der Reichstag war. Auch ist es kein maßgeblicher Politiker gewesen, der sich den „Nazi-Notstand“ ausdachte, sondern ein gewisser Max Aschenbach, seines Zeichens Komiker und Abgeordneter einer Spaßpartei, die sich schlicht „Die Partei“ nennt. Stark gemacht hat er sich zunächst für ein „Schnarchverbot im Rat“; außerdem stellte er den Antrag „Sächsisch als Amtssprache“ einzuführen.
Beides konnte noch als Witz durchgehen. Für dumme Späße war der Narr immer gut. Ernstgenommen wurde er nicht. Erst mit seiner nächsten Posse, der Initiative zur Ausrufung des „Nazi-Notstands“, brachte er die Mehrheit der Abgeordneten hinter sich. Tagelang diskutierten sie darüber, um sich schließlich auf ihre „Grundsatzerklärung“ zu verständigen.
Weg mit den Gefährdern!
Eine Provinz-Klamotte, über die wir ungläubig den Kopf schütteln würden, würde dabei nicht mit Worten gespielt, die zu Taten anstiften. Schließlich sind politische Tendenzen keine Naturkatastrophen. Sie fallen weder mit dem Regen vom Himmel noch werden sie vom Sturm angeweht. Sie sind allemal das Werk von Menschen.
Und das wiederum heißt, wer gegen politische, in dem Fall „rechte Tendenzen“ vorgehen will, muss deren Verursacher „verfolgen“, wie es in der „Grundsatzerklärung“ heißt. Zumal dann, wenn sich die Gesellschaft bereits im Notstand befindet, sind ihre Gefährder auszuschalten. Das ist die logische Konsequenz des Verfahrens.
Ob sich der Dresdner Stadtrat dessen bewusst war, ob Grüne, Linke, SPD und FDP auch nur ahnten, welche Büchse der Pandora sie aufmachten, als sie sich verführen ließen, mit der Warnung vor dem „Nazi-Notstand“ auf die Propaganda-Pauke zu schlagen, wissen wir nicht. Auf jeden Fall aber sind sie damit selbst in die den sprachlichen Duktus und die totalitäre Denkweise der Nationalsozialsten zurückgefallen. Und darin allein besteht denn auch die Gefahr: in der fortwirkenden Faszination eines politischen Totalitarismus, dem die Androhung der Gefahr genügt, um sich selbst über die Regeln der Demokratie hinwegzusetzen.
Dummdreist tappten die sächsischen Antifaschisten in die Falle, die sie sich selbst stellten. Mehr als ihren eigenen, den Dresdner Notstand konnten sie nicht ausrufen. Immerhin genug, um die Touristen zu vergraulen.