Peter Grimm / 05.10.2016 / 10:21 / 6 / Seite ausdrucken

Dresden: Chefköche, die die Hitze nicht aushalten

Wenn man sich ein paar Tage nach dem 3. Oktober die Stimmen zur Einheitsfeier in Dresden und den sie begleitenden Protesten so anhört, dann wird man das Gefühl nicht los, dass sich in der allgemeinen Wahrnehmung über die Jahre schon einige Verwerfungen eingestellt haben. Früher, als sich gewählte Politiker noch des Umstands bewusst waren, dass sich jeder Verantwortungsträger in einer freien Gesellschaft auch ins Feuer der Kritik stellen muss, gehörte es zum Berufsbild des Politikers, es klaglos auszuhalten, wenn Demonstranten einen gern lautstark und wenig stilvoll aus dem Amt gejagt wünschten und beschimpften. Sollte man deshalb etwa über die Grundrechte des protestierenden Volks diskutieren? Im Volksmund hieß es dazu lapidar: „Wem es in der Küche zu heiß ist, sollte nicht Koch werden wollen“. Es wird ja schließlich niemand mit vorgehaltener Waffe oder durch existenzielle Not dazu gezwungen, Bundeskanzler oder Minister zu werden.

Erinnern Sie sich noch an den 10. Mai 1991? Damals – die deutsche Einheit war noch recht frisch – besuchte Bundeskanzler Helmut Kohl die Stadt Halle. Protestierende unzufriedene Ostdeutsche sammelten sich vor dem Rathaus. Dass sie auch „Kohl muss weg“ riefen, war völlig unspektakulär, denn an diesem Tag lieferte der Bundeskanzler in Halle vor allem ein Bild, das alles überlagerte. Der Kanzler der Einheit wurde im Osten, der ihn doch ein Jahr zuvor noch so gefeiert hatte, mit Eiern beworfen und stürmte nach einem Treffer wütend auf den Eierwerfer zu.

Die Personenschützer des Kanzlers konnten scheinbar eine Prügelei gerade noch verhindern. Kohl empörte sich über den „Pöbel“, die Presse aber mokierte sich eher über die Wut des Kanzlers. Zwar verteidigte niemand den Eierwurf, doch keiner wäre auf die Idee gekommen, diesen hochdramatisch zu einer demokratiegefährdenden Tat zu erklären. Und dass Demonstranten den Bundeskanzler mit „Kohl muss weg“-Rufen empfangen, das galt zur damaligen Zeit als normal, schließlich nahmen ja, wie gesagt, die Protestierenden nur ihre Grundrechte in Anspruch.

"Deutschland verrecke": Frau Roth marschiert auch schon mal mit dem Pöbel

Wenn heutzutage, konkret am jüngst vergangenen Tag der deutschen Einheit in Dresden beim offiziellen Festakt undankbare Ossis der Kanzlerin ein „Merkel muss weg“ hinterherrufen, dann sieht das anders aus. Eier wurden zwar nicht geworfen, weshalb kein Spitzenpolitiker wegen einer beschmutzten Garderobe wütend werden musste, aber verbal wurde gepöbelt, meldeten die offenbar geschockten Berichterstatter ganz aufgeregt aus der sächsischen Hauptstadt. Dass Grundrechte auch für Menschen gelten, die mit ihrem Protest eine feierliche Stimmung stören und deren Meinung in vielen Punkten dem widerspricht, was alle im Bundestag vertretenen Parteien derzeit an Gemeinsamkeiten hochhalten, scheint etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Man mag es manchmal bedauern, aber in einem freien Land ist selbst schlechtes Benehmen nicht strafbar.

Für Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) war der Protest ein Anlass, nach dem Tag der deutschen Einheit die Alarmglocken zu läuten: „Dieser offen gezeigte, organisierte und brutale Hass machte vor keiner Obszönität mehr Halt, und es war nur ein kleiner Schritt bis hin zur physischen Gewalt“, sagte sie dem „Spiegel“.

Eigentlich kann die Frau, die protokollarisch zu den höchsten Repräsentanten der Bundesrepublik zählt, bekanntlich gegenüber etwas derber formulierenden Demokratieverächtern auch äußerst tolerant sein. Ende letzten Jahres machte es ihr wenig aus, in einer Demonstration mitzulaufen, in der Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“ und „Deutschland verrecke“ skandiert wurde. Seinerzeit haben andere, weniger bekannte Politiker die Rolle des Geschockten und Erschütterten übernommen, wie beispielsweise Florian Herrmann, der innenpolitische Sprecher der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag. „Ich halte das für einen unhaltbaren Zustand, wenn die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags hinter Parolen wie ‚Deutschland, Du mieses Stück Scheiße‘ herläuft. Sie trägt damit zur Radikalisierung der Gesellschaft bei und macht sich mitschuldig, wenn sich das Klima in Deutschland hochschaukelt“, kommentierte er.

Die Forderung Feuer mit Benzin zu löschen

Der Mann könnte sich jetzt bestätigt fühlen, denn viele der obszönen Beschimpfungen, unter denen Claudia Roth so gelitten hat, bezogen sich auf dieses Ereignis. Dass sie solche Hass-Sprüche nicht selbst skandiert hatte, hilft hier zur Entlastung wenig. Wer in einem solchen Amt ein solches Umfeld unterstützt und – falls sie es tatsächlich zuvor nicht absehen konnte – sich hinterher nicht wenigstens klar davon distanziert, muss sich auch Reaktionen darauf gefallen lassen.

Aber sie fordert stattdessen empört „eine ernst gemeinte, dauerhaft finanzierte und massiv organisierte Demokratie-Offensive in Sachsen und an allen anderen Orten, an denen sich dieser Hass zeigt oder ankündigt.“ Bei wem wohl diese dauerhafte Finanzierung dann landen soll? Auch bei den „Antifaschisten“, die gern „Deutschland verrecke“ rufen, aber doch im Kampf gegen rechts immer zur Stelle sind? Das ist nun wirklich die Forderung danach, das Feuer mit Benzin zu löschen. Manchen scheint die Polarisierung noch nicht weit genug gediehen zu sein.

Helmut Kohl in Halle sehen Sie hier.  Was Claudia Roth in Dresden erleiden musste, sehen Sie hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier.

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Leserpost

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P. Müller / 05.10.2016

Ich muß gestehen, daß mich die Äusserungen ggü. Frau Roth, Herrn Lammert und Frau Merkel, selbst als Akademiker, mit einem gewissen Mass von Genugtuung erfüllen, zeigen sie doch, daß diese Damen und Herren offensichtlich auf einem anderen Planeten leben. Allein die Aussage, daß man doch Kuchen essen solle, wenn einem hungrig zu mute ist, fehlte noch. Offensichtlich ist Frau Roth zu benebelt um die Realität der Menschen, die sie remunerieren zu erkennen. Bei Herrn Lammert sind es wahrscheinlich die getönten Scheiben seiner Limousine, die ausserhalb keine Kontouren erkennen lassen. Bei Frau Merkel tippe ich auf die “ideologische Vorprägung” (sensu Erich H.) und den unbedingen Wunsch diese durchzusetzen, die zur vollständigen Abkehr von den Interessen des Bürgers (der für den ganzen Spass aufkommen muss) und zu völligem Realitätsverlust geführt haben.

J. Pottiez / 05.10.2016

Ich erinnere mich noch an verbale Schlachten zwischen z.Zb. F.J. Strauß u. H. Wehner, das waren keine Weicheier

Bernhard Freiling / 05.10.2016

Danke, Herr Grimm, für die Auffrischung der Erinnerung. Dabei fiel mir dann auch noch Joschka Fischers Äusserung: “Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch” ein. Gemeint war der Präsident des deutschen Bundestages, seiner Zeit Richard Stücklen.  Der nicht gerade zimperliche Umgang mit Andersdenkenden hat gerade bei den Grünen Tradition. Claudi passt insofern sehr gut ins Bild, weil sie sich auch gerne in der weinerlichen Opferrolle präsentiert. Fischer muss man andererseits zu Gute halten, dass er in seinem Buch “Risiko Deutschland” aus dem Jahr 1994 meinte: “Gewalt, die befreiende Gewalt des Volkes gegen die innere und/oder äußere Unterdrückung, dies ist der Urstoff aus dem die modernen Demokratien ihre Legitimität bilden und mittels ihrer Traditionsbestände bewahren” (sic!) Diese gedrechselte Ausdrucksweise ist Originalton Fischer und so auch im Internet nachzulesen. Kann es sein, dass sich Teile der Bevölkerung mittlerweile sowohl von innen als auch von aussen unterdrückt fühlen?

A.W. Gehrold / 05.10.2016

Eine große Lippe riskiert Frau R. schon gerne in abgeschiedenen Fernsehstudios bei Talkrunden. Da muss der Bürger dann vor seinem Bildschirm auch stillhalten, maximal kann er sein TV-Gerät stellvertretend zertrümmern. Dass ihr in Dresden keiner zuhören wollte, kann wohl auch darin begründet gewesen sein, dass man ihre “Sprechblasen” und die ihrer vielen Mitstreiter zur Genüge kennt. Von einem nur noch kleinen - fehlenden - Schritt zur physischen Gewalt ist auf dem im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigten Ausschnitt auch nicht annähernd etwas zu erkennen. R. war durch mindestens 4 Polizisten in ihrer unmittelbaren Nähe abgesichert. Da überschätzt sie sich und ihre Bedeutung halt auch wiedermal massiv. Nebenbei: Der Anschlag auf die Moschee in Dresden, wer auch immer dafür verantwortlich ist, möge strafrechtlich geahndet werden. Wenn Bundeskanzlerin Merkel sich bemüßigt fühlte, dem Imam ihre Anteilnahme wegen einer etwas verrußten Hauswand auszusprechen, so müssen wir das hinnehmen. Wichtigeres hat sie derzeit und noch dazu an einem freien Tag vielleicht nicht zu tun. Eher schon, denke ich, aber: wenn man seine Politik stets als alternativlos preist, dann heißt das in klarem Deutsch: Was anderes ist mir nicht eingefallen. Und dann ist so ein Imambesuch ja fast schon als bahnbrechende Idee zu werten. Bleibt meine Frage: Hab ichs übersehen, hab ichs vergessen, hat mans mir verschwiegen??? Wann war Frau Merkel bei einem der Opfer von Heidingsfeld, bei einer der Frauen aus der Silvesternacht in Köln, bei den Hinterbliebenen der in Bad Friedrichshall ermordeten 70-jährigen? Es folgt wieder der Spruch mit den vielen Eimern…...

Karla Kuhn / 05.10.2016

Herr Grimm, danke für den sehr sachlichen Artikel. Was Frau Roth betrifft, ich ignoriere diese Frau. Eine Person, die nach einem halben Jahr ihr Studium abbricht, danach eine Band “managt” (mit welchen Kenntnissen eigentlich?), als das schief ging in die Politik gegangen ist, kann ich nicht für voll nehmen. Ich frage mich auch, wer sie in das Amt der Bundestagsvizepräsidentin gewählt hat.  Ich war der Ansicht, daß man für so ein Amt ganz besondere Voraussetzungen mitbringen muß.  Zu Dresden kann ich nur sagen, die Feier war überflüssig wie ein Kropf, vor allem der Besuch von Frau Merkel und Gauck. Wenn ich im Vorfeld lesen muß, daß 2600!! Beamte im Einsatz sein werden, sehe ich diesen Besuch als Provokation. Wie Sie schreiben, Kohl ist damals dem Eierwerfer beherzt hinterher gelaufen. Und heute, oh Graus, das Ende der Demokratie naht wegen “Merkel muß weg” Sprüchen. Die Leute haben nur ihre Wut über Merkels unsägliche Flüchtlingspolitik und ihren anderen Fehlleistungen zum Ausdruck gebracht. Das nenne ich Meinungsfreiheit und die im Grundgesetz verankert aber vielleicht kennt C. Roth diesen Paragraph nicht ? Ihre Forderung nach Geld für eine “Demokratie-Offensive in Sachsen” ist an Witz nicht mehr zu überbieten. Demokratie heißt, die Herrschaft geht vom Volk aus.  “Danke Frau Roth, daß Sie der gesamten sächsischen Bevölkerung mehr Geld zukommen lassen möchten, damit diese mehr Demokratie leben darf. D,h. endlich wird in Sachsen die Meinungsfreiheit akzeptiert, Menschen, mit anderer Meinung als die der Politiker werden nicht mehr verleumdet und als Nazis bezeichnet. Die Polizei darf auch ihre Meinung laut äußern, ohne Konsequenzen zu fürchten. Sachsen wird ein Paradies, dank Ihrer großzügigen finanziellen Dauerunterstützung.”  Endlich ein hervorragender Vorschlag von C. Roth.  Danke.

Werner Liebisch / 05.10.2016

Da sieht man, wie sehr sich diese Politiker von ihren Bürgern entfernt haben. Anstatt ein paar Montblanc Kugelschreiber zur Besänftigung zu verteilen, jammern diese wie Kleinkinder wegen der paar lauten Protestbürger herum. Man oh man, wie jämmerlich und beschämend wenn diese Demokraten sowas nicht aushalten.

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