Rainer Bonhorst / 08.02.2020 / 12:00 / 14 / Seite ausdrucken

Drei politische Entertainments

Zu den vornehmsten Aufgaben der Politik gehört bekanntlich die, unsere Medien und das Publikum bei Laune zu halten. Das kann durch brillante Entscheidungen geschehen, aber auch durch komödiantische Aufführungen. Diese meist unfreiwillige Aufheiterung des Publikums war in letzter Zeit auf der Weltbühne gleich in mehreren Präsentationen zu erleben. Ich möchte drei davon kurz ansprechen: die Brexit-Debatte im Unterhaus, die Vorwahl der Demokraten im US-Bundesstaat Iowa und das Lustspiel im Freistaat Thüringen.

Da ich nicht entscheiden möchte, welche Komödie die kurioseste war, folge ich einfach dem historischen Ablauf. London also, House of Commons, Brexit-Debatte. Über dreieinhalb Jahre hinreißende Monologe, Dialoge und Multiloge, im House selbst und über den Kanal hinweg. Ein Erlebnis von Seltenheitswert. Mit zwei running gags. Speaker Bercow: Oooordeeer! Und Premier Johnson: Let's get Brexit done! Schließlich sorgte Strubbel-Boris mit Hilfe seiner Wortgewalt tatsächlich dafür, dass der Vorhang fiel und, was schon keiner mehr glaubte, die Komödie ein Ende fand.

Eine Komödie ganz anderer Art fand in Des Moines, Iowa statt. Iowa ist ein Flächenstaat, auch in dem Sinne, dass er zur flachen Mitte der Vereinigten Staaten gehört. Also zu jenem Teil des Landes, den die Snobs beider Küsten nur vom Flugzeug aus „kennen“. Wer hätte gedacht, dass dort ein Entertainment inszeniert werden würde, das die ganze Nation tagelang in Bann hielt.

Niemand hätte es gedacht, aber es gelang dank der modernen Technik. Eine nicht funktionierende App, also eine der digitalen Applikationen, wie sie uns zur Zeit überschwemmen, sollte die Vorwahl-Entscheidung der Demokraten zum perfekten Ereignis machen. Man wollte unter allen Umständen eine Florida-Blamage vermeiden. Der Sunshine State wurde berühmt dafür, dass er mit einem innovativen Low-Tech-Wahl-Verfahren die Präsidentschaftswahl zwischen George W. Bush und Al Gore vermasselt hat. Damals gewann, wer sich als erster zum Sieger erklärte. Das war Bush. Gore, das Weichei, in Amerika wimp genannt, traute sich nicht.

Anzeigetafel bis tief in der Nacht überall auf Null

Und siehe da: Iowa übertraf Florida im Blamage-Wettberwerb, allerdings in einem weniger entscheidenden Szenario. Es ging ja nur darum, festzustellen, wer aus dem großen Feld der demokratischen Präsidentschaftskandidaten als schnellster aus den Startlöchern kam. Aber es war schon ein Kunststück, tagelang kein Ergebnis zusammenzubringen. Vor allem am Wahl-Abend taten mir die verzweifelten Fernsehkollegen leid, denen die tollen Analysen im Hals stecken blieben, weil die Anzeigetafel bis tief in der Nacht überall eine Null zeigte. 

Dass am Ende ein Mann die Nase vorne hatte, dessen maltesischen Name kein anständiger Amerikaner aussprechen kann, sei nur am Rande erwähnt. Pete Buttigieg musste Piktogramme zu seinem Namen liefern, die seinen Landsleuten beibrachten, wie er gerne gesprochen werden möchte: Boot Edge Edge. Na also, geht doch. Trotzdem: Der Germane Trump macht es seinen Mitamerikanern und sich selbst phonetisch leichter. Aber auch Boot Edge Edge trug zum Unterhaltungswert der Iowa-Show bei.

Wer aber hätte gedacht, dass unser politisch so trockenes Deutschland in dem internationalen Entertainment-Wettbewerb mithalten kann. Tja, man soll eben die Rechnung nicht ohne Thüringen machen. Ein Ministerpräsident, dessen Partei gerade mal fünf Prozent geschafft hat – das würde nicht mal George W. Bush gelingen. Aber so kann es kommen, wenn Laienschauspieler die große Bühne betreten. Womit ich keinen Laienschauspieler beleidigen möchte. Die machen es meistens besser als die schwarz-gelbe Slapstick-Truppe in Erfurt. Die hätten es natürlich allein gar nicht geschafft. AfD? Ja, die hat auch mitgeholfen, und zwar gerne und gemein grinsend. Aber ebenso kräftig hat der mit eisernen Ketten aneinander geschmiedete Block der auf ewig treuen Dreieinigkeit aus Linken, Sozialdemokraten und Grünen zur Farce beigetragen. Mit ihrem sturen njet zu einer Ramelow-Alternative haben die Dreieinigen dem Thüringer Kasperletheater den Weg auf die Bühne frei gemacht.

Also, ich muss sagen: Mir hat die Politik in letzter Zeit viele unterhaltsame Stunden geschenkt. Darum ein herzliches Dankeschön von meiner Seite. Und ein fröhliches: Weiter so.

Der Fasching beziehungsweise der Karneval erreicht in Kürze seinen diesjährigen Höhepunkt. Ob bis dahin dem einen oder anderen von der politischen Zunft noch was Lustiges einfällt? Sagen wir es mit dem Humoristen Franz Beckenbauer: Schau'n mer mal, dann seh’n mer scho. 

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Leserpost

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Gereon Stupp / 08.02.2020

Zur Komödie gehört künstlerischer Tiefgang. Was in Thüringen geboten wird nennt sich Hanswurstiade.

Frank Holdergrün / 08.02.2020

Heute show auf allen Kanälen, auch im Parlamentsfernsehen: unter-Haltung vom Feinsten. Was würden Journalisten ohne das ganze Theater schreiben können? Am Ende sogar Sachliches? Abwägendes? Skeptisches? Aufklärendes?

Rudhart M. H. / 08.02.2020

Herr Bonhorst, ich bin begeistert !

Volker Kleinophorst / 08.02.2020

Wo bleibt das Positive? Immerhin: Ramelow tritt noch mal an. Aber nur wenn vorher klar ist, dass er dieses Mal auch gewählt wird. Demokratie also gerettet. PUh. Das war knapp.

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