Es gibt eine Sache, die man erst verstehen wird, wenn man selbst einmal die Erfahrung gemacht hat, einen geliebten Menschen zu verlieren. Es ist die Erkenntnis, dass das Schlimme am Verlust nie nur der Verlust an sich ist, sondern auch immer die Reaktionen Außenstehender, die auf diesen Verlust folgen und die nicht selten jedes bisschen Anstand vermissen lassen.
„Empathie gibt es nicht im Appstore“ las ich einmal vor Jahren auf einem Graffiti auf einem Bild bei Instagram. Eine Klage über den Mangel an Empathie in der Gesellschaft. Das Paradoxon, dass diese mit der Schrecklichkeit des Schicksals sogar noch abnimmt, ist vielleicht die wichtigste Lehre, die man ziehen muss, um der Verletzung durch grobschlächtige Menschen irgendwann zu entgehen.
Ob heutige Politiker von Natur aus grobschlächtiger sind als andere Menschen, oder ob ihre Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber den Schicksalen anderer Menschen durch den öffentlichen Fokus nur mehr zu Tage tritt, weiß ich nicht. Feststeht in jedem Fall, dass, wenn dieser Personenkreis überhaupt in der Lage ist, Mitgefühl zu zeigen, dieses sehr ungleich verteilt ist und vermutlich auch nur aus opportunistischen Erwägungen erfolgt. Gemeinhin gemäß den Regeln der political correctness beziehungsweise gemäß der Unterscheidung zwischen „Vorfällen“, bei denen es kein Problem darstellt, sich klar zu positionieren – und die deshalb stets eine angenehme Möglichkeit bieten, den eigenen Gratismut wie eine Monstranz vor sich her zu tragen und ein bisschen „Haltung“ zu zeigen und solchen, bei denen man schon durch bloße Anteilnahme und klare Verurteilung der Täter in den Verdacht gerät, irgendwie rechtsradikal zu sein. Jedenfalls erklärt sich so, weshalb Angela Merkel unmittelbar nach dem Anschlag auf eine Moschee in Dresden, bei dem zum Glück keiner verletzt wurde, ein persönliches Treffen mit der Familie des Imam arrangierte, während sie bei den Überlebenden und Angehörigen des Terroranschlags vom Breitscheidplatz ein ganzes Jahr verstreichen ließ, bis sie sich mit ihnen traf, und auch das wohlgemerkt nur nach massivem öffentlichen Druck, wobei nicht zu vergessen ist, dass sie die Sprecherin der Hinterbliebenen, Astrid Passin, im selben Jahr aus der ZDF-Sendung „Klartext“ ausladen ließ.
So erklärt sich auch, weshalb es führende Politiker seit Jahren nicht im Geringsten tangiert, wenn Juden in Berlin und andernorts angegriffen und angepöbelt werden. Dass man den grassierenden Antisemitismus in Deutschland erst zu dem Zeitpunkt als geeignetes Thema zum „Haltung zeigen“ wiederentdeckte, nachdem ein rechtsextremer Deutscher versucht hatte, eine Synagoge in Halle zu stürmen und dabei zwei arglose Passanten erschoss, nicht aber, als nur tags zuvor ein syrischer Asylbewerber mit einem Messer und den Worten „Allahu Akbar“ und „Fuck Israel“ auf die Neue Synagoge in Berlin Mitte zulief. Genauso verhält es sich mit dem jährlichen Al Quds-Tag bei dem israelhassende Muslime ihrem Judenhass jedes Jahr auf’s Neue freien Lauf lassen. Oder als mehrere arabische Männer ein schwules Pärchen mit Gürteln am Kottbusser Tor vorbeijagten oder wenn Juden sich nicht mehr mit Kippa nach Neukölln trauen All das eignet sich eben nicht zum Zeigen von Haltung und Anteilnahme, wenn die Täter-Opfer-Konstellation nicht stimmt.
"Ich habe den Eindruck, dass wir den Behörden zu teuer werden. Ich möchte die Ordner eigentlich gerne schließen, den ständigen Rechtsstreit endlich beenden. Wir sind diesen LKW nicht gefahren, wir sind doch die Opfer“. Es sind die Worte von Sieglinde Heinemann, eine der Überlebenden des Terroranschlags vom Breitscheidplatz. Wie andere Angehörige und Überlebende auch, kämpft sie bis heute mit Versicherungen und Behörden. Obwohl ein Gutachter die Posttraumatische Belastungsstörung und die Depression bestätigt und von einem Grad der Behinderung von 50 bis 80 Prozent ausgeht, billigt ihr das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) nur 40 Prozent zu.
202 Euro Opferrente monatlich
Für sie heißt das, sie klagt, weil ihre Opferrente nur 202 Euro monatlich beträgt. Zusätzlich erhielt sie bis Oktober 2018 von einer Versicherung noch eine sogenannte Verdienstausfallzahlung von gut 300 Euro. Danach musste sie einen neuen Antrag stellen – beim LaGeSo. Bis heute wartet sie auf einen Bescheid. Einmal pro Woche fährt sie nach Berlin zur Therapie, jedes Mal eine Herausforderung. "Wenn die S-Bahn zu voll ist, muss ich rausgehen und warten, bis eine kommt, die leerer ist. Das ist alles furchtbar anstrengend." Auch die Fahrtkosten muss Sieglinde Heinemann selbst zahlen.
Es sind Worte, die umso wütender machen angesichts der Tatsache, welche therapeutische Rundumversorgung Straftäter mitunter in diesem Land erhalten. Dazu gehören nicht zuletzt Täter wie der Somalier, der in Offenburg den Rentner Detlef Janetzky zum Pflegefall geprügelt hat und dessen Söhne nun schauen müssen, wie sie die Kosten für die Pflege stemmen, während dem Täter durch einen Gutachter eine Schuldunfähigkeit attestiert wurde, die ihm eine staatliche Rundumversorgung garantiert. Es ist derselbe Gutachter, der auch schon im Falle des in seiner Praxis ermordeten Allgemeinmediziners Joachim Tüncher eine Schuldunfähigkeit beim Täter feststellte. Auch hier handelte es sich einen Somalier. Auch diese Tat ereignete sich in Offenburg. Wie Frau und Kind den Verlust – auch den finanziellen – kompensieren, dafür interessiert man sich in der Politik wenig.
Für körperlich unversehrt gebliebene Ersthelfer wie Gerhard Zawatski sieht es noch schlechter aus. Zawatzki hatte sich schon wenige Augenblicke, nachdem der Laster zum Stillstand kam, um die Verletzten gekümmert. Weil er in seiner Jugend als Rettungssanitäter tätig war, wusste er, was zu tun ist. In seinen Armen stirbt eine junge Frau. Dann stößt er auf einen Mann, der eine schwere Kopfverletzung hat. "Meine Aufgabe war es dann, diesen Mann über eine Stunde lang wachzuhalten, bis er mit einem Krankenwagen abtransportiert werden konnte. Wäre er eingeschlafen, wäre er gestorben, hat mir der behandelnde Arzt später gesagt.“
Für Ersthelfer wie ihn gilt: Sie sind zwar über die Unfallkasse versichert. Aber, weil er dazu in der Lage war, zu helfen, gilt er nicht als Opfer des Terroranschlags, auch wenn er bis heute unter den Folgen des Attentats leidet. Hätte er damals nicht geholfen, bekäme er heute eine Opferentschädigung. Ersthelfer wie er fallen einfach durchs Raster.
Der 55-Jährige war lange selbstständig und hat in der IT-Branche immer gut verdient. Nach dem Anschlag konnte er nicht mehr arbeiten. Seitdem lebt er vor allem von seinen Ersparnissen. In diesem Jahr hat er von der Unfallkasse Berlin noch einige Monate ein Verletztengeld in Höhe von 1.200 Euro monatlich erhalten. Doch das läuft Ende des Jahres aus, denn nach einer nur acht Wochen langen Therapie in einer Tagesklinik gilt er als gesund.
„Schnell und unbürokratisch“
Ebenso sprachlos macht der Fall Stefan W., der bereits Ende vergangenen Jahres ans Tageslicht kam. Dessen Antrag auf Arbeitslosengeld nach Reha und Co. wurde damals zunächst abgelehnt. Immer wieder neue Sachbearbeiter, die sich erst in den Fall einarbeiten mussten und dann noch ein Formular, in dem er Ansprüche gegen den Terroristen Anis Amri an die Arbeitsagentur abtreten sollte.
Die Dienstaufsichtsbeschwerde, die Stefan W. an den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, gerichtet hatte, wurde damals wie folgt beantwortet: „Zunächst möchte ich mich bei Ihnen bedanken, dass Sie sich erneut die Zeit genommen haben, Ihre Meinung mitzuteilen“, schrieb ein untergeordneter Mitarbeiter der Agentur, „insofern werde ich Ihre ergänzenden Hinweise gerne zum Anlass nehmen, die entsprechenden Prozesse zu überprüfen.“
„Schnell und unbürokratisch“, wollte man den Opfern helfen. Das hatte der Bundesinnenminister noch im August versprochen. Angesichts der Faktenlage, die sich an diesem dritten Jahrestag des Anschlags vom Breitscheidplatz präsentiert, glaube ich, anders als Sieglinde Heinemann, nicht nur, dass Überlebende und Angehörige den Zuständigen „zu teuer“ werden, sondern, dass sie ihnen schlicht egal sind. Islamistischer Terror ist in Zeiten, in denen man lieber für die „bunte Vielfalt“ auf die Straße geht, eben nichts, mit dem es sich gut „Gesicht“ zeigen lässt. Nichts, was in Zeiten, in denen der Schutz des Fremden ohnehin mehr gilt als die Sicherheit des Einheimischen, das spärlich mit Empathie ausgestattete Gemüt in Wallung bringt.
Und so ist es nur konsequent, dass es in diesem Jahr von Seiten der Berliner Regierung keine Einladung für die Überlebenden und Angehörigen des Breitscheidplatz-Anschlags zum Gedenken gab. Auf Anfrage ließ der regierende Oberbürgermeister Berlins, Michael Müller, auf Twitter dazu verlauten, dass sich die „Zentrale Anlaufstelle nach Gesprächen mit Trauma-Experten und reiflicher Abwägung darauf verzichtet“ hat, „Opfer und Hinterbliebene mit einem persönlichen Anschreiben einzuladen, um Wunden nicht aufreißen zu lassen.“ Gleichwohl hätten einige Betroffene das Bedürfnis geäußert, an dem Gedenken teilzunehmen, was ihnen natürlich ermöglicht werde. „Die Zentrale Anlaufstelle sowie Seelsorger werden sie dabei begleiten und ansprechbar sein.“
Das kann natürlich so sein. Die Frage ist nur, weshalb es den Angehörigen in den letzten zwei Jahren zuvor anscheinend zumutbar war, eine Einladung zum Gedenken zu erhalten und weshalb man sich ebenso keine Gedanken über das eventuelle Aufreißen von Wunden machte, als man hierzu 2017 den radikalen Imam Mohamed Matar als Redner einlud. Petr Cizmar, der damals seine Frau verlor, hält die Begründung jedenfalls für Quatsch. „Vielleicht sollten sie lieber schreiben, dass ihr Hund die Unterlagen gefressen hat“, schrieb er auf Facebook. Er wird mit seinem inzwischen achtjährigen Sohn trotzdem anreisen.
Es war Henryk Broder, der nach der Gruppenvergewaltigung von Freiburg über den Oberbürgermeister der Stadt, Martin Horn, sagte: „Einer, der so etwas von sich gibt, hat entweder den IQ einer Mausefalle, das Gemüt eines Fleischwolfs oder die Mitleidsfähigkeit einer Rohrbombe. Oder von allem was.“
Ich denke, dass sich das ohne Probleme auch auf Michael Müller, Angela Merkel und viele andere Politiker ausdehnen ließe.