Ansgar Neuhof / 04.09.2018 / 06:07 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 47 / Seite ausdrucken

Drei Jahre Grenzöffnung: Nur eine Erfindung? Und von wem?

Am 4. September jährt sich zum dritten Mal das Ereignis der Grenzöffnung durch die Bundesregierung vom 4.9.2015. Es war die wohl folgenschwerste politische Entscheidung in der bundesdeutschen Geschichte. „Grenzöffnung!?“. Was so selbstverständlich klingt, wird von manchen Medien und Politikern neuerdings in Abrede gestellt oder gar in den Bereich der Legende verwiesen. Gab es überhaupt eine Grenzöffnung? Oder ist das nur eine Verschwörungstheorie? Und wer hat diesen Begriff überhaupt in die Welt gesetzt? 

Die Suche nach den Antworten auf diese Fragen gibt Aufschluss darüber, wie versucht wird, Geschichte umzudeuten, Begriffe zu kontaminieren und die Verwender dieser Begriffe zu diskreditieren. 

Bereits im Juni dieses Jahres stellten die Fakten(er)finder der ARD-Tagesschau die Frage „Hat Merkel die Grenze geöffnet?“ und kamen zu dem Ergebnis: Die „Formulierung Grenzöffnung ist grundfalsch, weil es schon seit Jahren keine geschlossen Grenzen mehr gibt“.

Der Grünen-Politiker Konstantin v. Notz konnte kaum noch an sich halten und verstieg sich gar zu der Meinung, die Aussage, Merkel habe die Grenzen geöffnet, sei die "Dolchstoßlegende unserer Zeit, eine rechtlich wie tatsächlich abwegige rechtsreaktionäre Verschwörungstheorie.“ Diese kruden Ansichten griffen andere Medien bereitwillig auf, so zum Beispiel das Spiegel-Jugendmagazin Bento, das Neue Deutschland oder die Frankfurter Rundschau

Doch wer hat diese angebliche Verschwörungstheorie erfunden? Schenkt man Focus online Glauben, war es die AfD-Jugendorganisation. „Merkels Grenzöffnung haben wir uns ausgedacht“, so titelte Focus online vor wenigen Tagen unter Berufung auf ein ehemaliges AfD-Mitglied. Rein tatsächlich (und nur darum geht es, die rechtliche Bewertung soll hier keine Rolle spielen) soll es also die Grenzöffnung am 4.9.2015 gar nicht gegeben haben, sie soll von der AfD erfunden worden und rechtsreaktionäre Verschwörungstheorie sein.  

ARD und ORF in der ersten Reihe bei der Grenzöffnung

Was ist an dieser Bewertung richtig? Die nachfolgende kleine Internetrecherche zeigt, dass es die klassischen Print- und Funkmedien (von ARD bis Zeit) genauso wie Grünen- und SPD-Politiker waren, die den Vorgang vom 4.9.2015 als Grenzöffnung bezeichnet und beschrieben haben. 

Beginnen wir mit der ARD. Es ist der 5.9.2015, 16.26 Uhr: Die ARD schreibt: „Deutschland und Österreich haben Tausenden Flüchtlingen die Einreise erlaubt.“ Das Wort „Grenzöffnung“ fällt zwar explizit noch nicht. Doch die Worte „Tausenden die Einreise erlauben“ bedeutet nichts anderes als „Tausenden die Grenze geöffnet“. Wenige später stellt die ARD die Ankündigung für ihre Sendung „Brennpunkt“ am selben Tag um 20.15 Uhr ins Netz. Titel des „Brennpunkts“: „Flüchtlingswelle nach Grenzöffnung“.(P.S. an die political-correctness-Hörigen: Beachte das Wort: Flüchtlingswelle!)

Etwa zur gleichen Zeit, um 17.38 Uhr, meldet die Nachrichtenagentur Reuters: „Flüchtlinge strömen nach Grenzöffnung nach Deutschland.“ 

Man kann also mit Fug und Recht behaupten, daß die ARD zu den „rechtsreaktionären Verschwörern“ der ersten Stunde gehörte, die das Geschehen am 4.9.2015 als Grenzöffnung bezeichnet und dies einer breiten Öffentlichkeit vermittelt hat. Ob die ARD allerdings als Erfinder des Begriffs „Grenzöffnung“ anzusehen ist, ist nicht ganz klar. Eventuell muß sie den Ruhm den Medien aus dem Geburtsland des allgegenwärtigen Sozialistenführers überlassen. In Österreich schreibt die Tageszeitung Krone am 5.9.2015 schon um 14.46 Uhr: „Balken auf für die Menschlichkeit als Devise für die Öffnung der Grenzen“. Auch der österreichische Staatsfunk ORF schreibt am 5.9.2015, Zeitpunkt unbekannt: „Amnesty International bedankte sich für die rasche humanitäre Lösung einer Grenzöffnung für aus Ungarn kommende Flüchtlinge.

Steinmeier als Verschwörungstheoretiker?

Zu den „rechtsreaktionären Verschwörungstheoretikern“ dürfen sich auch viele deutsche Presseorgane zählen. Vermutlich jedes Nachrichtenmedium hat diesen Begriff genutzt. Schon unmittelbar nach der Grenzöffnung verwendete beispielsweise der Tagesspiegel den Begriff „Grenzöffnung“ in einem Newsblog am 5.9.2015 oder Die Welt gleich mehrfach in einem Artikel am 6.9.2015. 

Die Verwendung des Begriffs „Grenzöffnung“ beschränkte sich auch nicht auf den unmittelbaren Zeitraum nach selbiger. So titelte beispielsweise die Wochenzeitung Die Zeit mehr als ein halbes Jahr später, am 4.5.2016, in einem Beitrag über die Geschehnisse um den 4.9.2015: „Grenzöffnung für Flüchtlinge. Was geschah wirklich?“ Und Spiegel Online titelte am 22.9.2017: „Regierung verteidigt Grenzöffnung.“ Auch die SPD-Zeitung Vorwärts schrieb am 15.9.2016: „Warum die Grenzöffnung 2015 juristisch korrekt war“.

Als einer der ersten „rechtsreaktionären Verschwörertheoretiker“ unter den Politikern outete sich der SPD-Politiker und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er sagte bereits am 5.9.2015: „Grenzöffnung nicht zur Praxis machen“. Da wollte der Grünen-Politiker Volker Beck nicht zurückstehen. Er machte gar den Bundestag zur Bühne seiner „rechtsreaktionären Verschwörungstheorie“ und fragte die Bundesregierung: „Ist die Bundesregierung zurückblickend der Meinung,dass die verkündete Grenzöffnung für Flüchtlinge durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vom 4.9.2015 rechtlich gesehen Unrecht war, …?“ (siehe S. 45 des Bundestag-Plenarprotokolls vom 17.2.2016). 

Selbstredend ist die Einreisegestattung der Bundesregierung am 4.9.2015 als Grenzöffnung zu bezeichnen. Die Bundesregierung selbst erklärte auf eine kleine Anfrage hin (siehe BT-Drucksache 18/7311, Frage 1), dass im Zusammenhang mit der vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen die Entscheidung getroffen worden sei, Drittstaatsangehörigen auch ohne aufenthaltslegitimierende Dokumente (z.B. Visum) die Einreise zu gestatten, wenn sie ein Asylbegehren vorbringen. In dem Begriff „Grenzöffnung“ drückt sich somit die aktive Mitwirkung der Bundesregierung an der Einreise ungezählter, grundsätzlich nicht einreiseberechtigter Migranten aus. Es war nicht nur ein rein passives Hinnehmenmüssen wie etwa bei einer Naturkatastrophe. 

„Grenzöffnung“ oder als „Nichtschließung der Grenze"?

Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Grenzen im Schengen-Raum grundsätzlich seit langem offen waren und insofern der Vorgang auch als Nichtschließung der Grenze bezeichnet werden kann, wie es die Frankfurter Rundschau vorschlägt. Wer Fremden den Zutritt in in sein Haus gestattet, der öffnet es ihnen, auch wenn es zuvor nicht abgeschlossen war. Zudem waren für Drittstaatsangehörige ohne Visum die Grenzen eben gerade nicht uneingeschränkt offen, sonst hätte es dieser Gestattung seitens der Bundesregierung nicht bedurft.  

Vor allem aber ist es für die politische Bewertung gänzlich irrelevant, ob man das Geschehen als „Grenzöffnung“ oder als „Nichtschließung der Grenze“ bezeichnet. Mehr egal geht nicht. Warum dennoch darüber ein Beitrag auf Achgut? Weil gerade wieder einmal versucht wird, Geschichte zu verdrehen, indem man die (Mit-)Verantwortung der Bundesregierung für die Geschehnisse seit 4.9.2015 leugnet. Weil hier wieder einmal versucht wird, bestimmte Begrifflichkeiten zu kontaminieren, nicht genehme Wahrheiten unsagbar zu machen und aus dem öffentlichen Diskurs zu verbannen und Menschen als reaktionär, Verschwörungstheoretiker oder dergleichen zu diskreditieren, die mittels dieser Begriffe die Wirklichkeit beschreiben. 

Die Ironie an der Geschichte: Es waren die Medien, allen voran die ARD, und Politiker wie der heutige Bundespräsident Steinmeier selbst, die den Begriff „Grenzöffnung“ zur Beschreibung des Geschehens am/seit 4.9.2015 gewählt und benutzt haben. Sie waren die Erfinder dessen, was Teile von Medien und Politik jetzt als grundlegend falsch und reaktionäre Verschwörungstheorie bezeichnen. 

Foto: Bildarchiv Pieterman

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Walter Neumann / 04.09.2018

Sehr gute Recherche. Und da schreien die Rechten immer von “Lügenpresse”, wo die doch so korrekt berichtet haben.  Aber die “Dolchstoßlegende” geht natürlich weiter. Ich schätze mal, in zehn Jahren heißt es, es gab gar keine Migranten- bzw. Flüchtlingswelle, das waren alles Deutsche, die einfach heim ins Reich pardon in den Nachfolgestaat wollten,

André Dreilich / 04.09.2018

Es gab da schon einmal einen deutschen Staat, dem die unbedachte Äußerung eines Spitzenfunktionärs in Sachen “Grenzöffnung” den Todesstoß versetzte: “Das tritt, nach meiner Kenntnis, sofrot in Kraft.”

Gerhard Berger / 04.09.2018

Freut mich das sich die Achse der orwellchen Sprachumdeutung angenommen hat. Aber was die können, können wir schon lange :-) Ein Aktivist für Freiheit und Demokratie :-)

Ibrahim Jonas / 04.09.2018

Dieser gut recherchierte Artikel zeigt einmal mehr wie deutsche Medien und Politiker, dem Zeittrend folgend, versuchen, den mündigen Bürger zu indoktrinieren. Die Indoktrination geht sogar so weit, dass man auf den Regionalsendern (TV und Radio)  von SWR, HR und anderen von Frühmorgens an schon seit Monaten, täglich die Sichtweise von Ereignissen aus rot-grüner Wahrnehmung eingebläut bekommt. Da bekommt man Sonntagsmorgen stundenlang Geschichten über Flüchtlinge und deren strapaziösen Weg nach Deutschland erzählt um dann Reportagen aus Flüchtlingsheimen anzuhören. Kein Wort über kaputte Straßen, Schulen und Schwimmbäder in Deutschland, kein Wort über das schwere Leben von Alleinerziehenden Müttern, kein Wort über kranke und arme Rentner, kein Wort über die niedrigen Löhne und deren Empfänger die sich damit durchs Leben wurschteln müssen und, und, und… Am schlimmsten sind die linken Moderatoren des SWR 1 RP.  Da wird bei jeder Gelegenheit indoktriniert was das Zeug hält. Als ob die alle mit Schaum vor dem Mund am Mikrofon sitzen und um die Wette sich gegenseitig übertreffen wollen den Hörern ein X für ein U vorzumachen.  Schauen Sie sich mal den Kinderkanal im Fernsehen an und vor allem “LOGO”. Nicht nur da gibt es jeden Tag die massenhafte “Grenzüberschreitung”.

Jörg Werda / 04.09.2018

Der Artikel veranschaulicht deutlich, wie dringend wir ein Wahrheitsministerium (Minitrue) benötigen das die Vergangenheit regierungsgerecht aufbereitet, denn: “Unwissenheit ist Stärke“

Andreas Rühl / 04.09.2018

Man sollte eine Liste der sprachlichen und semantischen Verzerrungen aufstellen, der Halbwahrheiten und offenen Unwahrheiten, die von staatlichen Organen oder Ihren ör Handlangern taeglich verbreitet werden, um den Überblick zu behalten. Ich fange mal mit Venezuela an. Die sprachregelung lautet mittlerweile (im bayerischen Rundfunk) ‘Misswirtschaft und Korruption’ - warum nicht sozialistische Diktatur? Wer wirtschaftsliberal denkt, ist ein Neoliberaler (warum neu?). Wer die Kontrolle von zuwanderung fordert, ist rechtspopulist. Klimawandelleugner heißen Menschen, die manipulierten Statistiken misstrauen und den Unterschied zwischen Wetter und Klima kennen. Eine Verspätung eines Zuges heißt bei der Bahn jetzt ‘nicht fahrplangerecht’. Die Zwangstötung eines Menschen nennt man jetzt Organspende. Aus 5 Wochen Sommer wird die Klimakatastrophe. Wen wundert, dass eine grenzoeffnung so heißen darf?

Peter Wachter / 04.09.2018

“Wer Fremden den Zutritt in sein Haus gestattet, der öffnet es ihnen, auch wenn es zuvor nicht abgeschlossen war.” Da fiel mir spontan eine Parallele ein: Sicherung des Fahrzeugs gegen unbefugte Nutzung gemäß § 14 StVO Dies ist ein Tatbestand, der vielen Autofahrern nicht geläufig ist. Laut aktuellem Verkehrsrecht ist die Sicherung von Fahrzeugen gegen unbefugte Nutzung Pflicht für jeden Fahrer. Dafür muss das Fahrzeug nach dem Verlassen immer abgeschlossen werden, sonst droht laut § 14 StVO ein Bußgeld von 15 €. Darüber hinaus erlischt oftmals der Versicherungsschutz gegen einen Diebstahl, falls das Auto nicht abgeschlossen war. Hat aber nix mit der Nicht-Grenzschließung / Nichtschließung der Grenze zu tun !?

Axel Heinz / 04.09.2018

Das Leugnen der Grenzöffnung ist genauso abwegig, infam und abscheulich wie die das Leugnen des Holocaust. Der Versuch diese einsame Entscheidung Merkel’s umzuinterpretieren ist geradezu lächerlich, demonstriert aber sehr anschaulich für wie blöd und unterbelichtet man die Bürger hält. Die ganze Verachtung und Arroganz einer abgehobenen unappetitlichen “Elite” aus Journalisten und Politiker wird hier deutlich. Bekanntlich ist ja nichts so schlecht, als dass es nicht für irgendetwas gut sein könnte: So hoffe ich also, dass diese Kaste mit ihren infantil anmutenden Versuchen weitermacht und so noch vielen weiteren Menschen in Deutschland die Augen öffnet.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen

Es wurden keine verwandten Themen gefunden.

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com