Hansjörg Müller / 01.02.2011 / 08:12 / 0 / Seite ausdrucken

Drei amerikanische Dynastien

Nathaniel Hawthorne (http://bit.ly/esetTF) gilt als Amerikas erster großer Romancier. In seinem 1851 erschienenen Roman „Das Haus mit den sieben Giebeln“ erzählt der Neu-Engländer die Geschichte der Familie Pyncheon, besser gesagt, ihres Familiensitzes in Salem, Massachusetts. Der Erbauer des Anwesens, das dem Roman seinen Titel gab, der mächtige Oberst Pyncheon, hat sich das Land, auf dem er sein Haus errichtet, unrechtmäßig angeeignet. 1692, im Zuge der berüchtigten Salemer Hexenprozesse (http://bit.ly/e7oZXM), denunzierte der Oberst, der beste Verbindungen zu den Mächtigen der damaligen englischen Kolonie hatte, den rechtmäßigen Besitzer des Landes, einen armen Handwerker namens Matthew Maule. Maule wird zum Tode verurteilt und die Pyncheons reißen sich sein Grundstück unter den Nagel. Doch noch auf dem brennenden Scheiterhaufen schleudert der Todgeweihte dem anwesenden Oberst eine finstere Prophezeiung entgegen: „Gott wird ihm Blut zu trinken geben.“ Tatsächlich stirbt Oberst Pyncheon wenig später unter mysteriösen Umständen und auch seinen Nachkommen ist wenig Glück beschieden: in jeder Generation, so erzählt Hawthorne, gibt es einen Pyncheon, dem man zutraut, die Nachfolge des Obersten anzutreten und als Richter, Gouverneur oder Kongressabgeordenter zu glänzen, doch keine dieser Hoffnungen erfüllt sich. Der Fluch des Hexers Maule lastet unerbittlich auf den Pyncheons.

Natürlich muss man bei der Lektüre von Hawthornes Romans unweigerlich an eine andere neu-englische Dynastie denken: die Kennedys. Hat es nicht auch mit deren Hoffnungsträgern ein böses Ende genommen? John F. Kennedy und sein Bruder Robert werden ermordet und Edward, der dritte Kennedy, dem man die Präsidentschaft zugetraut hätte, muss seine Ambitionen auf das Weiße Haus frühzeitig begraben, nachdem er einen Autounfall verschuldet, bei dem seine mutmaßliche Geliebte umkommt. John F. Kennedy junior kommt 1999 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Vor wenigen Wochen hat nun der letzte Kennedy die politische Bühne verlassen: Patrick Kennedy, Mitglied des Repräsentantenhauses aus Rhode Island, kam durch freiwilligen Verzicht einer drohenden Wahlniederlage zuvor. Ein vergleichsweise unauffälliges Karriereende. Zur Tragik seiner berühmteren Verwandten fehlte Patrick freilich auch die Fallhöhe. Der spektakulärste Akzent, den er als Abgeordneter setzte, bestand darin, dass er 2006 im volltrunkenen Zustand mit seinem Auto in die Barrikaden vor dem Kongressgebäude krachte.

Die religiös geprägte Vorstellung Hawthornes, wonach ein Fluch eine Familie über Generationen hinweg wie eine Erbsünde verfolgen kann, wird sich heute niemand mehr ernsthaft zu eigen machen. Trotzdem gibt es Parallelen zwischen den Pyncheons und den Kennedys: auch die Geschichte der Kennedys weist so manche dunkle Seite auf. John F. Kennedys Vater Joseph, der Begründer der Dynastie, war ein Bewunderer der Nazis, der während der Prohibitionszeit ein Vermögen machte. Im Grunde genommen war er ein Mafioso, ein irischer Al Capone. Auch seine Söhne nahmen es mit dem Gesetz nicht allzu genau: John und Robert, der im Kabinett seines Bruders Justizminister war, ließen politische Gegner abhören, einschüchtern und erpressen – ein Vorgehen, das Richard Nixon sein Amt kosten sollte, aber das man den Kennedys nicht weiter übelnahm.

Mag der Lack bei den Kennedys auch ab sein – eine Restfaszination für politische Dynastien wird wohl immer bleiben. Offenbar brauchen die Amerikaner Clans, die ihnen die Königsfamilien der Alten Welt ersetzen. Nach der Abdankung der Kennedys scheint die Zeit des „Ostküsten-Adels“ endgültig vorbei zu sein. Doch bei näherem Hinsehen gibt es noch eine neu-englische Großfamilie, mit der man politisch rechnen kann, die aber freilich kaum mehr als solche wahrgenommen wird: die Bushs. Ihr Stammsitz liegt im neu-englischen Connecticut. George Herbert Walker Bush, der 41. Präsident der Vereinigten Staaten, verpflanzte seine Familie nach Texas. Von Haus aus ein neu-englischer Patrizier, reüssierte er als klassischer selfmade-man im texanischen Ölgeschäft. Er steht, bildlich gesprochen, mit einem Bein in Houston, Texas, mit dem anderen jedoch im vornehmen neu-englischen Seebad Kennebunkport, Maine, bis heute Ort der traditionellen Sommerfrische der Bushs. Sein Sohn, George Walker Bush, hat die Wandlung vollends geschafft: als Sprössling der traditionellen upper-class nimmt ihn niemand mehr wahr, vielmehr gilt er als Cowboy und einfacher Mann aus der Prärie – eine Wahrnehmung, die ihm in den USA mindestens so sehr geholfen haben dürfte, wie sie ihm in Europa geschadet hat. Sein 34-jähriger Neffe, George Prescott Bush (http://bit.ly/cG9n2p), könnte die Transformation der Familie noch ein Stück weiter führen: er ist Halb-Mexikaner und spricht fließend Spanisch. Damit haben sich die Bushs selbst neu erfunden – von einer weißen, angelsächsischen, protestantischen Dynastie zu einem politischen Clan, der für die demographischen Umwälzungen des nächsten Jahrhunderts bestens gerüstet ist.

Dass die Bushs die Kennedys ersetzen können, ist dennoch unwahrscheinlich. Für eingefleischte Demokraten muss es ein furchtbarer Gedanke sein, dass der republikanische Clan den Platz der immerwährenden first-family von den Kennedys übernehmen könnte. Abgesehen davon fehlt den Bushs, im Gegensatz zu unseren anderen beiden Dynastien, der fiktiven der Pyncheons und der realen der Kennedys, die dunkle Seite. Dass sich jemals ein Bush – wie der alte Oberst Pyncheon – hoch zu Ross am Scheiterhaufen stehend an der Verbrennung eines Feindes geweidet hätte, ist jedenfalls nicht bekannt. Und während die Kennedys stets notorische Schwerenöter waren, führen die meisten Bushs ein vergleichsweise langweiliges Familienleben an der Seite biederer Ehefrauen. Es fehlt den Bushs also ein wenig an Glamour – aber auch an Tragik.

Muss man das Ende der Kennedys als politische Dynastie bedauern?  Die Antwort auf diese Frage hängt letzten Endes vom politischen Standpunkt des Betrachters ab. Vielleicht wird der Rückzug aus dem Rampenlicht die Familie ja auch von ihrem Fluch befreien, wer weiß? Die Geschichte der Pyncheons jedenfalls nimmt ein versöhnliches Ende: der skrupellose Richter Jaffrey Pyncheon, der letzte ehrgeizige Mann seiner Familie, stirbt wie sein Stammvater, der Oberst, einen rätselhaften Tod. Damit sind alle Ambitionen der Familie begraben: bis zum Tod des Richters hatten alle Pyncheons danach gestrebt, das sagenhafte „Land im Osten“ in Besitz zu nehmen, ein riesiges, waldreiches Gebiet, „größer als manches europäische Fürstentum oder Königreich“, im Gebiet des Staates Maine, auf das die Familie aufgrund eines obskuren, längst vergessenen Rechtstitels Anspruch erhob. Den letzten beiden Pyncheons, einer vertrockneten alten Jungfer mit dem schönen Namen Hepzibah und ihrem schwachsinnigen Bruder Clifford, zwei harmlosen alte Leuten, ist es vergönnt, einen ruhigen, unspektakulären Lebensabend zu verbringen. Der Rückzug ins Private befreit die Pyncheons endlich vom Fluch des armen Matthew Maule.   

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, eine kolumbianische Online-Zeitschrift (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/       

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