Gastautor / 06.04.2021 / 14:00 / Foto: Christoph Kramer / 34 / Seite ausdrucken

Dossier: Die Verheerungen geschlossener Grenzen

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer, und Prof. Dr. Wolfgang Stölzle, Universität St. Gallen sind beide langjährige Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine persönliche Meinungsäußerung der Autoren und nicht um eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Beirats.

Von Andreas Knorr und Wolfgang Stölzle.

In diesen Tagen jährt sich der Beginn des ersten Lockdowns in Deutschland und weiten Teilen der EU. Das wirft die Grundsatzfrage auf, ob sich die massiven Einschränkungen der Grundrechte von allein in Deutschland 83 Millionen Menschen überhaupt mit dem tatsächlichen Infektionsgeschehen und den gesundheitlichen Gefahren rund um COVID-19 rechtfertigen lassen. Besonderes Anschauungsmaterial hierzu bietet die erneute Schließung (nicht nur) der deutschen Außengrenzen.

Diese wurden bekanntlich bereits im ersten Lockdown ab dem 16.03.2020 bis Mai 2020 für alle Einreisen von Ausländern ohne „triftigen Grund“ geschlossen. Als besonders drastisches Beispiel sei hier nur auf den, zunächst von deutscher Seite errichteten, doppelten Grenzzaun zwischen Konstanz und Kreuzlingen in der Schweiz verwiesen. Er wurde aufgestellt, um Fußgänger am Überschreiten der Grenze zu hindern. Davon betroffen waren auch zahlreiche Paare, die dies- und jenseits der Grenze leben. Zahlreiche andere EU-Mitgliedstaaten folgten dem deutschen Beispiel nur wenig später, bevor mit dem offiziell verkündeten Rückgang der Inzidenzzahlen in der warmen Jahreszeit die Grenzen wieder schrittweise geöffnet wurden. Allerdings schloss Ungarn als erstes EU-Mitglied bereits am 01.09.2020 zum Schutz vor einer so genannten „zweiten Welle“ erneut – und bis heute – seine Grenzen.

Als Reaktion auf den starken Anstieg der offiziell positiv Getesteten in den Wintermonaten wiederholt sich nun die Geschichte. Den Anfang machte Belgien, das seinen Bürgern seit Ende Januar 2021 sogar alle „nicht wesentlichen“ Auslandsreisen rechtlich untersagt. Doch auch die Eskalationsstrategie deutscher Politiker an den Außengrenzen kennt inzwischen offenbar keine Limits mehr. Faktische Grenzschließungen ergaben sich ohnehin schon seit längerem bereits aus der Verpflichtung, Grenzübertritte vorher online anzumelden, permanent, sogar teilweise täglich, aktuelle negative Testergebnisse nachzuweisen und sich nach Rückkehr aus einem vom RKI als Risikogebiet klassifizierten Land in der Regel in Quarantäne begeben zu müssen. Aber auch innerdeutsche Reisen zu touristischen Zwecken unterbanden die seit Monaten wiederholt erlassenen Beherbergungsverbote der Bundesländer größtenteils. Einige Länder untersagten sogar den in einem anderen Bundesland lebenden Eigentümern die Nutzung der eigenen Ferienwohnung. 

Für den Normalbürger, aber auch für europaweit tätige Logistikdienstleister, ist der noch dazu häufig „mutierende“, regulatorische Flickenteppich als Ausfluss föderaler Kleinteiligkeit und mangelhafter internationaler Koordination kaum mehr zu überblicken – was das latente Risiko sanktionsbewehrter Rechtsverstöße mit sich bringt. Im Ergebnis kamen folglich seit November 2020 nicht nur die Urlaubs- und Ausflugsverkehre nahezu komplett zum Erliegen – mit den bekannt katastrophalen wirtschaftlichen Folgen für die Tourismuswirtschaft, die Hotellerie, die Gastronomie, Flughafenbetreiber sowie die öffentlichen und privaten Beförderungsdienstleister.

Überdies werden auch berufs- und familienbedingte Pendelverkehre in erheblichem Maße beeinträchtigt, ohne dass die Politik zunächst den politisch unpopulären Begriff „Grenzschließung“ verwenden musste. So änderte beispielsweise die Bayerische Staatsregierung trotz vorheriger, anderslautender Ankündigungen just am Heiligen Abend 2020 die Grenzübertrittspraxis von bzw. nach Vorarlberg und zerstörte damit den Wunsch vieler Menschen nach einem gemeinsamen Weihnachtsfest im Kreis der Familie oder mit Freunden. 

Etwas vorsichtiger gegenüber Frankreich

Schließlich sperrte die Bundesregierung am 14.02.2021 dann aber doch – und offenbar erneut, ohne eine vorherige Konsultation mit den Regierungen der betroffenen Länder für geboten zu erachten – auf dem Verordnungsweg zunächst die Grenzen zu Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol. Inzwischen hat die Regierung Österreichs die Abriegelung des Bundeslandes Tirol auch im Landesinneren unter Berufung auf die sogenannte südafrikanische Variante des Corona-Virus (B.1.3.5.1) angeordnet. Selbst der in den Medien omnipräsente Virologe Christian Drosten bekundete noch am 05. Januar 2021 im NDR-Podcast, dass die Corona-Varianten aus Südafrika und England nicht zu größeren Problemen führen würden. Das Verlassen des Bundeslandes durch Passieren der ersten innerösterreichischen Grenzkontrolle seit dem Ende der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist seither bis auf Widerruf nur noch bei Vorlage eines negativen Tests gestattet.

Etwas vorsichtiger agierte die Bundesregierung zunächst gegenüber Frankreich, wohl wegen deutlicher Warnungen der französischen Regierung vor einer erneuten Grenzschließung wie im Frühjahr 2020. Schließlich schloss Deutschland aber am 02.03.2021 auch die Grenzen des Saarlands und von Rheinland-Pfalz zum französischen Département Moselle für weite Teile des grenzüberschreitenden Verkehrs, was auch die formal ausgenommenen Wirtschaftsverkehre faktisch operativ und wirtschaftlich substanziell belastet.

Die neuen Grenzschließungsmaßnahmen Deutschlands wurden inzwischen mehrfach und zuletzt am 17.03.2021 erneut um weitere zwei Wochen verlängert. Ein Ende ist derzeit nicht absehbar, und auch eine Ausweitung auf weitere Außengrenzen ist in der aktuellen politischen Gemengelage keinesfalls ausgeschlossen. Last not least beschränken die Behörden mehrerer EU-Staaten, darunter wiederum Deutschland, auch den Passagierluftverkehr inzwischen massiv und berufen sich dabei auf die Gefahr des Einschleppens von Virusvarianten aus Lateinamerika, Südafrika und – bis vor kurzem – Großbritannien.

Gemäß dem historischen Spruch, dass der Sozialismus in seinem Lauf weder von Ochs‘ noch Esel aufzuhalten sei, lässt sich die Bundesregierung auch durch die von ihr selbst mit beschlossenen Empfehlungen des Rates der EU für eine „koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie“ (Amtsblatt der EU, L 036I vom 02.02.2021) in ihrem Lauf nicht bremsen. Ihnen zufolge sollen Beschäftigte im Verkehrs- und Logistiksektor nicht nur grundsätzlich von der COVID-19-Testpflicht ausgenommen bleiben. Besteht ein Mitgliedstaat gleichwohl auf einer Testpflicht, soll diese lediglich als Antigen-Schnelltest erfolgen. Bei Unterbrechungen grenzüberschreitender Transport- und Lieferketten sollte das störungsfreie Funktionieren der designierten „Green Lanes“ für Lkw an den EU-Binnengrenzen allerdings durch eine Aussetzung besagter Testpflicht sichergestellt werden. Schließlich sollten sich Lkw-Fahrer nach Überschreiten der Grenzen nicht in Quarantäne begeben müssen. Soweit die Theorie. Die Realität sieht, nicht nur an den deutschen Grenzen, freilich ganz anders aus (dazu später mehr).

Innerhalb kürzester Zeit ebenso spektakulär gescheitert

Ganz abgesehen von ihrer fatalen Symbolwirkung – immerhin wird seit Jahrzehnten in politischen Sonntagsreden das „vereinte Europa ohne Grenzen“ als Fundament und vorgeblicher Raison d‘être des politischen Konstrukts EG/EU unermüdlich beschworen – war auch der epidemiologische Nutzen der Grenzschließungen von Anfang an höchst umstritten. Offiziell begründet wird die Notwendigkeit massiver Beschränkungen grenzüberschreitender Verkehre nach wie vor fast gebetsmühlenartig mit der pandemiebedingten Ausnahmesituation. Wahlweise werden dann die im Vergleich zu Deutschland weit höheren ausländischen Inzidenzwerte, unzureichende Maßnahmen bei der Pandemiebekämpfung in den Nachbarstaaten und neuerdings vor allem das momentan besonders populäre Narrativ der angeblich dringend notwendigen Eindämmung deutlich „ansteckenderer“ und „gefährlicherer“ Virusvarianten angeführt. 

Logisch nachvollziehbar waren und sind diese nur bei oberflächlicher Betrachtung sachlich vorgetragenen Rechtfertigungsgründe freilich nicht. Dafür spricht nicht nur das Fehlen komplementärer Beschränkungen für die innerdeutschen Wirtschaftsverkehre trotz der offiziell bekundeten, anhaltend hohen Varianz der offiziellen 7-Tage-Inzidenzwerte im Bundesgebiet. Hinzu kommt deren teilweise enorme Volatilität binnen kurzer Zeit an ein und demselben Ort. Als Beispiel mag die kreisfreie Stadt Speyer dienen, der Wohnsitz eines der Autoren (17.12.2020: 522,1; 30.12.2020: 191,8; 12.03.2021: 15,8; 30.03.2021: 199,8).

Noch fragwürdiger ist die Einstufung eines Landes oder einer ausländischen Region als Risiko- oder Hochinzidenzgebiet samt aller daraus folgenden Restriktionen selbst dann, wenn die dortige 7-Tage-Inzidenz – mitunter deutlich – unter dem deutschen Wert liegt. Dass eine intelligentere Lösung zur Ausweisung von Risikogebieten durchaus möglich ist, beweist die Schweiz. Sie verfolgt einen flexiblen Ansatz mit klarem Fokus auf die Dynamik der epidemiologischen Lage anderer Länder und ausländischer Regionen: Als Risikogebiete mit „erhöhtem Ansteckungsrisiko“ gelten dort nur diejenigen Staaten oder Regionen, deren 14-Tage-Inzidenz den Schweizer Wert um mindestens 60 übertrifft oder in denen sich eine „ansteckendere oder gefährlichere“ Virusvariante besonders stark ausgebreitet hat. Allein durch Umstellung auf das Schweizer Modell ließen sich also weit weniger Einschränkungen grenzüberschreitender Verkehre politisch rechtfertigen.

Ohnehin ist der epidemiologisch naive Versuch der Bundesregierung, durch ihr neues Grenzregime die flächendeckende Verbreitung der neuartigen Virusvarianten im Inland zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, innerhalb kürzester Zeit ebenso spektakulär wie erwartbar gescheitert. So dominiert laut RKI die „hochansteckende“ britische Virusmutation inzwischen auch in Deutschland das Infektionsgeschehen.

Die Frage nach der Effektivität der Grenzschließungen als Instrument der Pandemiebekämpfung muss daher mit „nein“ beantwortet werden. Eine aktuell veröffentliche epidemiologische Studie stützt diese Einschätzung. Den Modellrechnungen ihrer Autoren zufolge war das Ansteckungsrisiko innerhalb der zuerst vom Corona-Virus betroffenen großen EU-Mitgliedstaaten Italien, Frankreich und Deutschland bereits zehn Tage vor den erstmaligen Grenzschließungen am 17.03.2020 mindestens ebenso hoch wie die Ansteckungswahrscheinlichkeit durch Kontakt mit infizierten Einreisenden.

Drohender Verkehrs- und Wirtschaftsinfarkt an den Grenzen

Der sichtbarste Effekt des neuen deutschen Grenzregimes war sicherlich die extreme Staubildung auf einer Länge von anfangs bis zu 25 Kilometern an mehreren deutschen Außengrenzen. Ursächlich ist die Einrichtung stationärer Kontrollstellen der Bundespolizei an den deutschen Grenzübergängen zu Tschechien und Tirol sowie die Öffnung von Testzentren für Lkw-Fahrer und Grenzpendler, damit sie den verschärften Testpflichten vor Ort nachkommen können. Der deutschen Öffentlichkeit vorenthalten wurde demgegenüber die noch erheblich heiklere Situation auf der für Nord-Süd-Verkehre besonders wichtigen Brennerroute, die täglich in beide Richtungen von etwa 7.000 Lkw befahren wird. Diese Strecke wurde und wird von der italienischen Polizei auf Anweisung der dortigen Regierung für Transitverkehre via Tirol nach Deutschland teilweise bereits ab Verona gesperrt, was seither für Fahrer und Transportunternehmen zeitraubende und kostentreibende Umwege bedeutet und damit auch das reibungslose Funktionieren der Lieferketten – auch bei verderblichen Gütern wie Lebensmittel – stark gefährdet.

Noch prekärer entwickelte sich die Lage über die Weihnachtstage 2020 bis zum Jahresanfang 2021 an den Fährhäfen Großbritanniens sowie am Ärmelkanaltunnel durch das zeitliche Zusammenfallen des Brexit mit dem Erlass neuer französischer Einreisebeschränkungen zur Abwehr der britischen Virusvariante B.1.1.7. Diese sicherlich nicht nur epidemiologischen Erwägungen folgende, sondern auch von dem politischen Wunsch getragene Entscheidung, der britischen Regierung einen Denkzettel für den Austritt des Landes aus der EU zu verpassen, erfolgte ohne jede Vorankündigung. Sie zwang somit tausende gestrandeter Lkw-Fahrer, mehrere Tage in eilig eingerichteten Wartezonen im Süden Englands unter teilweise menschenunwürdigen Umständen, d.h. ohne ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und sanitären Anlagen, verbringen zu müssen. Wenig überraschend blieben Fehlereingeständnisse des politischen Establishments beiderseits des Ärmelkanals ebenso aus wie Rücktritte der Verantwortlichen. 

Allerdings warfen die zuvor beschriebenen Ereignisse zumindest ein kurzes mediales Schlaglicht auf die oft ausgesprochen schwierigen Arbeitsbedingungen der (überwiegend männlichen und häufig osteuropäischen) Lkw-Fahrer. Ohne sie wäre die Aufrechterhaltung grenzüberschreitender Produktionsprozesse nicht zu realisieren. Auch eine zuverlässige Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und sonstigen Gütern des täglichen Bedarfs wäre ohne ihre Arbeitsleistung absolut undenkbar. Dennoch wurde diesen Menschen bislang trotz ihrer keinesfalls geringeren „Systemrelevanz“ etwa im Vergleich zu Krankenschwestern und Verkäuferinnen im Lebensmittelhandel die politische, mediale und öffentliche Anerkennung als „Corona-Helden“ bis heute verweigert.

Die vielfältigen Schikanen, denen sich die im grenzüberschreitenden Verkehr beschäftigten Lkw-Fahrer bereits vor der Pandemie ausgesetzt sahen, nahmen seither nochmals erheblich zu, ohne dass öffentlich darüber berichtet wird. So mussten und müssen beispielsweise Lkw-Fahrer, die Sammelgut-Verteilerverkehre von Deutschland ins österreichische Vorarlberg durchführen, täglich einen negativen Corona-Test für die Erlaubnis zur Einreise nach Österreich nachweisen. Bei ihrer Rückkehr nach Deutschland werden diese Fahrer an den Rampen deutscher Firmen den Vorgaben der deutschen Anti-Corona-Politik entsprechend nicht selten als potenzielle „Superspreader“ abgewiesen und teilweise von den Behörden sogar direkt in Quarantäne geschickt. So verschärft die Abschottungspolitik Deutschlands indirekt auch den ohnehin chronischen Fahrermangel bei den Speditionen, wodurch die verfügbaren Transportkapazitäten künstlich weiter verknappt werden. 

Versorgungsengpässe der Bevölkerung könnten bevorstehen

Neben den unmittelbaren Folgen der Grenzschließungen für die Fahrer als schwächstes Glied transnationaler Lieferketten wirkt sich das Durchregieren an den Grenzen ebenfalls direkt oder indirekt auf das Transport- und Logistikgewerbe und schließlich auf Industrie und Handel auch weit jenseits der Tourismuswirtschaft aus. So erzwingen die politisch gesetzten Hürden im operativen Transportgeschäft Lieferverspätungen durch kostenbelastende Umwegfahrten und Lieferausfälle, die von den Empfängern der Waren regelmäßig mit Konventionalstrafen geahndet werden. Mittlerweile vermelden bereits einige Logistikverbände wie etwa der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), dass auch Versorgungsengpässe der Bevölkerung wie bereits im letzten Frühjahr bei einigen Produkten unmittelbar bevorstehen können. 

Des Weiteren gelangen Pendler mit Wohnsitz jenseits der Grenze nicht selten gar nicht mehr zu ihren Arbeitsplätzen, was – wenn die Tätigkeit keine Home Office-Lösung erlaubt – im günstigsten Fall Lohnausfälle nach sich zieht, im Worst Case aber auch den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten kann. Eng definierte Ausnahmen gelten zwar für die sehr überschaubare Gruppe der von der jeweiligen Landesregierung als „systemrelevant“ eingestuften Grenzpendler. Diesen ist zwar die Einreise erlaubt, wie jedoch bereits erwähnt unter deutlich erschwerten Bedingungen wie Testungen in kurzen zeitlichen Abständen und meist auf eigene Kosten. 

Je intensiver, kleinteiliger und länger die Politik unter dem Banner der Pandemiebekämpfung in den Grenzverkehr und damit in hochspezialisierte transnationale Produktionsprozesse und deren Lieferketten eingreift, desto höher sind naturgemäß die betriebs- und volkswirtschaftlichen Folgekosten dieser Maßnahmen – so wie bei jeder anderen protektionistisch wirkenden Politik auch. Unstrittig verteuert das derzeitige Grenzregime alle Produktionsprozesse in Deutschland, die in oft hoch spezialisierte grenzüberschreitende Wertschöpfungsketten integriert sind. Das betrifft so wichtige deutsche Schlüsselindustrien wie die Automobilwirtschaft, den Maschinenbau und die chemische Industrie ebenso wie die Herstellung und den Vertrieb von Pharmaprodukten. Können beispielsweise als Konsequenz temporär ausbleibender oder verzögerter Vorleistungslieferungen Produktionskapazitäten nicht mehr ausgelastet werden, werden die betroffenen Unternehmen zunächst typischerweise Schichten ausfallen lassen und ggfs. Kurzarbeit ausrufen.

Dauert dieser Zustand länger an, werden sich angesichts der äußerst schwierigen Wirtschaftslage  die ganz wesentlich auf die ergriffenen Anti-Corona-Maßnahmen, insbesondere die andauernden Lockdowns, zurückzuführen ist – Werksschließungen und sogar Insolvenzen oft nicht vermeiden lassen. Die bekannten makroökonomischen Multiplikator- und Akzeleratoreffekte führen dann tendenziell zu einem weiteren Rückgang von Wirtschaftsleistung, Beschäftigung und Steueraufkommen. Denn Kurzarbeitende und Arbeitslose verfügen nicht nur über absolut weniger finanzielle Mittel für Konsumausgaben, sondern schränken ihren Konsum aus Vorsichtsgründen tendenziell noch weiter ein. 

Obwohl transnationale Wertschöpfungsketten empirisch eine erstaunlich hohe Stabilität aufweisen, müssen zu den betriebswirtschaftlichen Zusatzkosten der aktuellen operativen Beschränkungen auch die möglichen Langfristeffekte von Grenzschließungen in Gestalt etwaiger künftiger Produktionsverlagerungen in andere (Welt-)Regionen gesehen werden. Diese könnten erfolgen, um die Abhängigkeit der Unternehmen von grenzüberschreitenden Transporten und Lieferketten zu reduzieren. Für die deutsche Volkswirtschaft als eine der am stärksten in die internationale Arbeitsteilung eingebundene und damit von offenen Grenzen existenziell abhängigen Ökonomien in der EU wäre das jedoch fatal.

Drehen an der Abwärtsspirale

Ein Strategiepapier einer interdisziplinären Gruppe deutscher Wissenschaftler vom 18.01.2021 mit dem Titel „Eine neue proaktive Zielsetzung für Deutschland zur Bekämpfung von SARS-CoV-2“ propagiert faktisch eine Perpetuierung strikter Grenzregime zum Schutz „Grüner Zonen“, also von Regionen mit einer sogenannten Risikoinzidenz von 0. Diese gilt als erreicht, sobald dort für die Dauer von 14 Tagen und bei Anwendung einer ebenfalls vorgeschlagenen neuen Teststrategie keine Corona-Infektion unbekannten Ursprungs mehr festgestellt werden kann. Liegt die Risikoinzidenz jedoch höher, muss die Region als „Rote Zone“ eingestuft werden. Eine rigide „Track-Trace-Isolate“-Strategie soll danach verhindern, dass von außen neue Infektionsfälle in eine „Grüne Zone“ hereingetragen werden – was sich in der Praxis nur durch eine nahezu komplette Abriegelung der Zonen realisieren ließe.

Reisen wären dann nur noch zwischen „Grünen Zonen“ uneingeschränkt zulässig. Propagiert mit dem an Orwellschen Neusprech erinnernden Slogan „Mit Grünen Zonen zu dauerhaften Lockerungen“, beschwört der Ansatz für jeden noch freiheitlich denkenden Menschen die Dystopie eines totalitären Überwachungsstaates herauf. Das neue deutsche Grenzregime ist somit wohl nur die Spitze des Eisbergs. Das für einen ungestörten und freien Grenzverkehr neben dem federführenden BMI mit zuständige BMVI ist im Lichte der aktuellen Entwicklungen offenbar vollkommen abgetaucht – und lässt die Logistik- und Transportbranche damit sehenden Auges „absaufen“.

Nachtrag:

Ein aktueller Bericht über eine grenzüberschreitende Geschäftsreise (übermittelt aus dem Bekanntenkreis):

  • Anlass: Persönliches Dienstgespräch zwischen einem Geschäftsleitungs-Mitglied eines süddeutschen Logistikunternehmens (wohnhaft in Vorarlberg, Österreich) mit einem Geschäftsleitungsmitglied eines Ost-Schweizerischen Logistikunternehmens an einem Freitagabend im März 2021 in der Schweiz.
  • Bereits das „Mitbringsel“ aus Deutschland in Form einer kleinen Aufmerksamkeit war rechtlich eigentlich illegal, da man aus Österreich nicht zum Einkaufen nach Deutschland fahren darf.
  • Der Geschäftsreisende nahm auf die abendliche Dienstreise seine Gattin mit, auch um die nächtliche Rückfahrt nicht alleine bestreiten zu müssen.
  • Beide Reisenden unterzogen sich dann pflichtgemäß nachmittags in Vorarlberg einem Corona-Test (negativ).
  • Beide registrierten sich außerdem pflichtgemäß auf einer österreichischen digitalen Plattform, mussten dort viele Seiten elektronisch ausfüllen sowie alle persönlichen Daten angeben (sowie zum Besuch und den Besuchten). Von den „zugelassenen Reisegründen“ passte zwar „Dienstreise“ für den Besucher selbst, nicht aber für seine Ehefrau, die ihn begleitete, aber nicht in seiner Firma beschäftigt ist. Private Treffen mit Freunden sind derzeit nicht als Grund vorgesehen. „Ausführungsbestimmungen“ zu den Paragraphen zu den zulässigen Reisegründe fanden sich auf der Plattform nicht.
  • Das Ehepaar gab schließlich den Besuch ihres in der Schweiz lebenden, erwachsenen Kindes als Grund an.
  • Während des abendlichen Besuchs erhielt das Ehepaar mehrfach von der Plattform automatisch generierte Emails als Aufforderung zu einer pünktlichen Rückkehr.
  • Beim Aufbruch zur Rückreise gegen 23.00 Uhr wurde ihnen bewusst, dass für den letzten Teil der Rückfahrt durch Vorarlberg dort ab 20.00 Uhr Ausgangssperre herrschte.
  • Fazit: Grenzüberschreitende Dienstreisen werden von der Politik faktisch unmöglich gemacht. Will man sie absolut rechtskonform durchführen, stößt man auf schier unüberwindbare Barrieren.

Die Autoren:

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland.

Prof. Dr. Wolfgang Stölzle ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Supply Chain Management an der Universität St. Gallen (Schweiz) und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland.

Foto: Christoph Kramer

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Leserpost

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Harald Unger / 06.04.2021

Berichte dieser Art lösen in Berlin, Brüssel, Davos, Silicon Valley und Beijing allergrößte Zufriedenheit aus. Die Konditionierung des Maskenviehs, mit der großflächigen Zerstörung seiner Lebensgrundlagen, läuft wie am Schnürchen. - - - Bereits in 30 bis 50 Jahren werden erste Wissenschaftler bemerken, daß in Nordamerika und Westeuropa die selbe Regie am Werk war, mit den selben Methoden der Zurichtung (CorrectnessGenderKlimaInvasionRassismusVirus) das selbe Ziel zu erreichen. Und schon in 100 bis 150 Jahren wird man erforscht haben, was der Zweck der Übung war: Das größte Erfolgsprojekt der Menschheit, das Nordamerikanische und Europäische Bürgertum, aus der Geschichte zu katapultieren. Bis erforscht ist, wer die treibenden Kräfte und Kriegsgewinnler waren, deren Motivation, werden allerdings noch weitere Jahrhunderte nötig sein. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut.

Ernst-Friedrich Siebert / 06.04.2021

Vorzuschlagen, unnötige Maßnahmen besser zu machen, ist unnötig.

Rudolf Dietze / 06.04.2021

Schönes Beispiel. Was mache ich nun? Melde ich die Firmenfahrzeuge ab? Am 15.01. sollte es weitergehen, nun ist bald der 15.04. und weiterhin keine Planungssicherheit. 10 tausende Kleinbetriebe zahlen Versicherung für nichts, wie ich für die drei Kleintransporter, husch, sind da und dort ein paar Tausend fällig. Man stottert die Versicherung nur 4tel jährlich ab. Die Schlinge um den Hals wird enger. Von Verdienst ist nicht mehr zu reden. Und das Geschwätz von rückzahlungsfreien Ausgleich ist genau so wahrheitshaltig wie: “Nur noch einen strengen Lockdown.”

Cornelia Ehreiser-Schmidt / 06.04.2021

Der Irrsinn hat Methode. Fragt sich, wie lange die beiden Autoren ihre persönliche Meinungsäußerung UND ihre Funktionen beibehalten werden. Aber vielleicht sehen sie das rettende Pensionsufer ja schon im Morgenrot liegen….

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