Und noch eine Ergänzung zu Herrn Hellerbergers Kommentar: es ist der Panarabismus, der historisch völlig ungegründet ist. Herrn Helds Ausführungen über die gescheiterten Versuche arabischer Staatenbünde belegen dies u.a. Tatsächlich ist der Panarabismus das arabische Äquivalent der deutschen völkischen Ideologie zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die ja ebenfalls jahrhundertelang gewachsene Nationsgesellschaften und Nationalstaaten zugunsten einer nur verschwommen definierten “Rasse”-Kategorie zu überwinden suchte. Zu erwähnen wäre auch, dass schon der Ansatz einer großarabischen Lösung unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg, durch eine monarchische Verbündung durch die Hashemiten-Dynastie durch innerarabische Konflikte und Ablehnung scheiterte. Die Unterschiede zwischen den arabischen Küstenländern mit ihren reichen Handelsstädten, ihrer Handwerks- und Händlerkultur und den rückständigen allein von Beduinen- und Nomadenstämmen beherrschten Wüstengebieten war zu groß. Und noch eine wichtige Ergänzung fehlt: nämlich der Saudi-Wahabitische Expansionismus, der den Sturz des türkisch-osmanischen Kalifats zum Vorwand nahm sein altes Ziel (schon Anfang des 19. Jahrhunderts versucht), die heiligen Stätten des Hedschas (Mekka und Medina) und damit gewissermaßen die Legitimation einer Deutungshoheit über den Islam zu erreichen. Es ist dieser saudische Expansionsmus der ebenfalls wesentlich eine gesamtarabische Lösung zumindest für die arabische Halbinsel inklusive Jordaniens und Syriens verhinderte. Der IS steht in der Tat in der Tradition dieses unhistorischen “völkischen” Panarabismus, wobei statt “Rasse” eben “Religion” steht (d.h. der sunnitische Islam), mit zivilisatorischen Schadensfolgen, die der deutschen völkisch begründeten Expansionspolitik Mitte des 20. Jahrhunderts in nichts nachstehen werden., ja diese sogar noch weit übertreffen werden, schon allein aufgrund der kulturellen und wirtschaftlichen Regenerationsschwäche islamischer Gesellschaften. Endlich wegzukommen von einer öden und historisch falschen Opferlitanei wäre eine weitere Voraussetzung zur Emanzipierung der arabischen Welt. Doch auch dies scheint unmöglich, nicht zuletzt aufgrund der falschen Freunde der Araber im Westen…..
Als Antwort auf Herrn Hellerberger: nein, ihre Ausführungen sind schlicht falsch. Zwar stimmt, dass Clan-, Sippen- und Stammesdenken das Ausbilden von Nationsgesellschaften und Nationalstaaten im arabischen Raum schier unmöglich machen. Aber es stimmt nicht, dass die heutige arabische Staatenwelt willkürlich - schon gar einseitig durch den Westen - geschaffen wurde. Die meisten dieser Länder haben als wie auch immer gestaltete und organisierte politische Territorien eine lange Tradition. Ägypten steht dabei natürlich besonders heraus, aber auch Syrien wie auch der Libanon sind alles andere als Kunstprodukte. Die meisten Staaten hatten Vorformen zumindest als Verwaltungseinheiten des osmanischen Reiches, wobei auch das osmanische Reich in seiner erobernden Eingliederung dieser Gebiete auf ältere landschaftliche Organisationsformen Rücksicht nahm. Selbstverständlich haben auch diese Territorien über die Jahrhunderte gewisse Grenzverschiebungen und wechselnde Gebietszuweisungen erlebt, ganz so wie selbstverständlich auch die europäische Staatenwelt. Aber die Rede von den willkürlichen Grenzen der arabischen Welt ist eine bequeme Legende einer ratlosen westlichen Liberalismus…..
Selbstverständlich sind alle Staaten Arabien Kunststaaten. Kein einziger wurde von Arabern geschaffen oder geformt. Die Grenzen sind sinnlos und widersinnig, daher schon bei kleinsten Krisen nicht merh zu halten, weswegen auch nach und nach alle diese Staaten zerfallen, zuletzt ganz offen Lybien, Syrien und Jemen. Der Irak und Saudiarabien werden folgen. Neben seiner Brutalität ist eines der provoziereden Elemente des IS ja, daß er den Europäern das Recht auf Grenzziehung im Orient rundweg bestreitet. So grausam es im IS zugeht – wenn man ehrlich istk, ist er seit Saladins Kalifat das erste als staatlich zu nennende Gebilde in Arabien, das von Arabern selbst errichtet wurde. Egal, was die „eigentlichen“ Intentionen dahinter sein mögen. In Arabien, unter Arabern existiert kein Nationalbewußtsein. Kein Araber ist gegenüber einem Nationalstaat loyal. Selbst in Ägypten mit seiner langen Geschichte und geographischen Identifzierbarkeit über den Nil ist dies prekär und oberflächlich, was klar wird, wenn man sich folgendes vergegenwärtigt: Die arabische Gesellschaft organisiert sich schon seit 3000 Jahren in Clans oder Stämmen. Nur gegenüber diesem Clan empfindet der Araber eine aus sich selbst heraus gerechtfertigte Loyalität. Die Nation als Großgemeinschaft europäischer Definition und Kultur ist ihm fremd und bleibt es. Und zweitens: In Arabien ist der Islam, die „Umma“, die Nation. Das hat mit der Sprache nichts zu tun, marrokanisches und irakisches Arabisch sind ähnlich verschieden wie Norwegisch und Deutsch. Da der Islam jedoch eine weltlich-staatliche Autorität überhaupt nicht zuläßt – es sei denn als dem Kalifat oder der Gewaltherrschaft a la Saddam oder Assad – sind Nationen für Araber (und letztlich alle Muslime) irrelevant. Konkludent anerkennen sie auch als Auswanderer nicht die Autorität ihrer neuen Gastländer. Wohin man schaut in der islamischen Welt: Pakistan, Afghnaistan, Nigeria, Türkei - gescheiterte oder prekäre Nationen. Sie funktionieren einfach nicht. Die rechtfertigende Verteidigung der heutigen Staatsgrenzen in Arabien durch Europäer hat daher immer zwei Aspekte: Pazifistisch-ängstliches Appeasement und Überheblichkeit. Zum erstem Apekt möchte ich hier nicht eingehen, das führte zu weit. Dennoch: Die Nationen Europas definieren sich überwiegend ethnisch. Sind sie nicht ethnisch definierbar oder negieren sie ihren ethnischen Charakter (wie Deutschland seit den späten 1990ern) so können sie nur in der Form der Monarchie (Spanien, Belgien, Großbritannien) existieren oder der Transzendenz zu einem „europäischen Bundesstaat“ wie es die Eliten in Deutschland für diesen Land durchsetzen wollen. Damit geben diese Nationen aber nicht nur ihre Identität, sondern auch ihre Grenzen auf und werden beliebig und verlieren endlich ihre Rechtfertigung und Legitimation. Daher auch die Gleichmütigkeit, mit der die millionenfache Grenzverletzung seitens der deutschen Regierung toleriert wurde – sie ist bereits postnational determiniert. Nicht das Schicksal Deutschlands, die Situation, die Folgen für ihr eigenen Land standen im Vordergrund, sondern die von “Europa”, wobei es der Arcana imperii vorbehalten bleibt, dies zu definieren. Das offensichtliche Appeasement in der Ukraine (als Beispiel) hat jedoch nur oberflächlich mit einem Zurückweichen vor Rußland zu tun oder mit der Angst vor einem Krieg, zu dem letztlich auch Rußland nicht greifen würde. Es geht darum, die Fiktion, das Leitbild der multikulturellen, nicht mehr ethnisch determinierten Nation aufrecht zu erhalten. Ließe man in der Ukraine zu, daß sich dort, wie 1990 in Mittelosteuropa, erneut eine Zweitstaatenlösung entlang der Sprachgrenze Russisch/Ukrainisch ausbildete, so wäre dies eine Bankrotterklärung für das Ansinnen, die EU zu entnationalisieren und überall „bunte“, multidiversitäre Gesellschaften zu schaffen. Wie sollte man die multikulturelle Transformation Deutschland rechtfertigen können, wenn man sie in der Ukraine nicht erzwänge? Der Bürgerkrieg in der Ukraine ist genauso Widerstand dagegen (natürlich nicht nur) wie die Weigerung Unganrs oder der Slowakei, muslimische Einwanderer aufzunehmen. Dieses Ansinnen treibt derzeit auch Politiker wie Steinmeier an, den Arabern die Sinnlosstatten Syrien und Irak weiterhin aufzuschwatzen oder weiter aufzuzwingen. Um Arabien geht es dabei am allerwenigsten –so wie 1916, als Sykes und Picot die Grenzen am Konferenztsich zogen.
Eine gute, übersichtliche Herleitung zur heutigen, territorialen Situation. Zur Begründung und Erklärung der heutigen, gewaltsamen Auseinandersetzungen taugt das aber nicht. Und, Schuld ist nur ein brauchbarer Arbeitstitel zwischen Vertragspartnern. Schuld, religiös konnotiert, ist hier sinnlos. Ich habe noch nie von einer erfolgreichen Klage gegen Gott, Erbsünde oder Ähnlichem gehört…
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.