Rainer Bonhorst / 12.03.2010 / 21:05 / 0 / Seite ausdrucken

Don’t mention the Völkermord

Waren es 200 000 oder waren es eineinhalb Millionen Armenier? Man weiß es nicht genau. Die Türken haben bei ihrem Völkermord nicht so gut Buch geführt wie wir ordentlichen Deutschen bei unserem.

Und anders als wir geben sie nichts zu. Das hat ja durchaus etwas für sich: Schon als vollkaskoversicherter Autofahrer lernt man für den Fall eines Unfalls: Nichts zugeben. Sonst zahlt die Versicherung nicht.

Ob die Türken aus versicherungsrechtlichen oder aus anderen Gründen ihren Völkermord auch nach fast hundert Jahren nicht zugeben -  die Folgen sind leider unschön: Immer wenn westliche Politiker oder Institutionen offiziell sagen, der Mord an den Armeniern sei ein Völkermord gewesen, ist die offizielle Türkei beleidigt. Es werden Botschafter abgezogen, böse Worte werden ausgetauscht, und einige westliche Realpolitiker blicken betreten zu Boden. Denn die halten es bekanntlich mit der Devise: Don’t mention the genocide.

Dieses ungute Hin und Her wird es so lange geben, wie nicht genau geklärt ist, was der Mord an den Armeniern nun eigentlich war.

Nehmen wir mal zu Gunsten der Türken an, dass es kein Völkermord war. Was war es dann? Und selbst wenn es einer war, die Türken dies aber nicht gerne hören - das politische Problem bleibt das gleiche: Wie kann man etwas Entspannung in die angespannte Lage bringen.

Diplomatie ist im Kern Sprachkunst. Könnte man möglicherweise eine Formulierung finden, mit der beide Seiten leben können? Eine Art versöhnliche Mordformel?

Vielleicht. Aber welche? Die Armenier sind tot. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Wie also soll man zur beidseitigen Zufriedenheit die gehäuften Todesfälle nennen? Ja, wie wär’ es damit: gehäufte Todesfälle! Eine schöne Formulierung, aber vielleicht doch ein wenig zu diplomatisch.

Oder könnte man von einem Kriegsversehen sprechen? Bei dieser Wortwahl könnte die türkische Seite Verwechslungsprobleme geltend machen, da die Armenier damals tendenziell russenfreundlich waren, im Zweifel also für Russen gehalten werden konnten.

Aber auch hier begegnen wir Problemen. Einem ethischen: Der Mord an vermeintlichen Russen wäre nicht viel positiver einzustufen als der an echten Armeniern. Hinzu kommen gleich zwei sprachliche Probleme: Das Wort Kriegsversehen würde in westlichen Ohren wohl doch etwas zu verharmlosend klingen, während es für türkische Ohren akustisch dem Begriff Kriegsverbrechen peinlich nahe käme.

Was wäre die Alternative? Käme das Wort Massen-Ehrenmord in Frage? Nein, auch nicht. Der Begriff Ehrenmord hat in den letzten Jahren sehr gelitten und dürfte in der Türkei nicht als eine Wortwahl mit Vermittlungspotenzial empfunden werden.

Nein, es sieht nicht gut aus. Auch sprachdiplomatisch scheint sich das Armenier-Problem nicht lösen zu lassen. So wird es wohl dabei bleiben: Die Türken werden auch in den nächsten hundert Jahren beleidigt sein müssen, wenn einer im Westen sagt, der Völkermord an den Armeniern war ein Völkermord. 

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