Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 08.06.2007
Statt in ein Protestcamp vor Heiligendamm haben wir auf eine Party der Münchner Kulturszene gewagt. Das kommt allerdings auf das gleiche raus. Und man kann immer was lernen. Zum Beispiel, wie Kinder durch ein Geheimabkommen von Disney und McDonald’s verführt werden: „Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass das goldene ‘M‘ genauso aussieht wie die Augenbrauen von Donald Duck?“
Das Gemunkel von der Amerikanisierung der Welt gehört von der Ostsee bis an die Alpen zum geistigen Grundrauschen. Dabei war es noch nie so falsch wie heute. Vor einem halben Jahrhundert hätte der Begriff Amerikanisierung noch eine gewisse Berechtigung gehabt. US-Soldaten brachten Cola, Kaugummi, Jeans und Elvis Presley. Allerdings war das damals - zumindest beim jüngeren Teil der Bevölkerung - hoch willkommen. Auch zwei Jahrzehnte später wurden amerikanische Trends noch sehr erfolgreich exportiert: Ziviler Ungehorsam, Anti-Rassismus, Hippies, Umweltbewegung, Feminismus und Gay-Rights krempelten die politische Kultur Europas um (siehe Heiligendamm).
Aber heute? Wo sind die amerikanischen Trendsetter? Es ist geradezu rührend, dass Kreuzberger Kiezkämpfer sich über eine geplante McDonald’s Filiale aufregen. Die dortige Schnellküchenkultur mag türkifiziert (Döner), italisiert (Pizza), belgisiert (Fritten) oder indisiert (Curry-Wurst) sein - von Amerika keine Spur. Und das ist nicht nur in Kreuzberg so. Deutschlands Frühstück wurde erfolgreich schweizerisiert: Müsli ist bei weitem populärer als amerikanische Eier mit Speck. Coole Jugendliche kleiden sich nach japanischen Vorbildern und rauchen arabische Schischa. Donald Duck wurde durch Mangas abgelöst. Oberbekleidung und Elektronik kommen aus Fernost, die Inneneinrichtung aus Schweden. Indischer Bollywood-Dance erobert die Tanzböden, brasilianische und jamaikanische Lässigkeit die sommerlichen Boulevards. Einzig die Jeans sind vom US-Kulturimperialismus übrig geblieben (aber die hat ja eigentlich ein jüdischer Oberfranke erfunden).
Selbst die amerikanische Unterhaltungsindustrie ist aus dem Tritt gekommen. Hollywood steckt in der Sinnkrise. Die größten Erfolge feiern die „Wir-sind-schuld-Amerikaner“ wie Michael Moore und Al Gore. Schade, dass John Wayne nicht mehr lebt. Was würde der Hundertjährige wohl zu all den zerknirschten Hollywood-Produktionen sagen, bei denen der Zuschauer immer schon vorher weiß, dass CIA-Agenten, Generäle oder Regierungsleute die Bösen sind.
Kein Anlass ist zu läppisch, um nicht einen Seitenhieb gegen die Amis daraus zu basteln. Kürzlich meldete sich ein Münchner Wirtschaftshistoriker zu Wort. Er wartete mit einer bemerkenswerten Erklärung auf, warum Europäer die Amerikaner in der durchschnittlichen Körpergröße überholt haben: „Wie vermuten, dass die Gesundheitssysteme und die hohe soziale Sicherheit der Europäer günstigere Bedingungen für Heranwachsende schaffen.“ Das klingt genauso überzeugend wie die Disney-McDonald’s-Verschwörung.
Es ist schon merkwürdig: Je mehr der American Way zur Nischenkultur schrumpft, desto lauter regen sich immer mehr Leute über die kulturelle Vorherrschaft der USA auf. Wobei für jeden was dabei ist. US-Kultur ist wahlweise zu pornografisch oder zu prüde, zu oberflächlich oder zu religiös, zu traditionell oder zu wurzellos. In unserer Münchner Partyrunde war es der protestantische Fundamentalismus aus dem mittleren Westen, der die Welt bedroht.
Vielleicht sind die Amerikaner aber noch viel raffinierter als alle denken. Sie haben uns auf dialektischer Weise eine neue Einheitskultur übergestülpt: Die Norm Amerika zu verachten. Mit ein paar flotten Sprüchen gegen Bush, Bulettenbrötchen und die Nichtunterzeichnung des Kiotoprotokolls kann man heute nicht nur in Heiligendamm oder auf Münchner Parties punkten. Dieses Gedankengut ist fast überall auf der Welt kompatibel. So findet man sofort Freunde und kann sich gegenseitig zur tadellosen Gesinnung gratulieren. Die Anti-US-Kultur ist unwiderstehlich.