Donald Trumps außenpolitische Annäherung an Russland hat weitreichende Konsequenzen. Sie stellt nicht nur die westliche Allianz mit der Ukraine infrage, sondern auch Moskaus Bündnisse. Steht die geopolitische Machtbalance vor einer grundlegenden Verschiebung?
Auf den ersten Blick erscheint das Ende der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine als pragmatische Anpassung: Die USA wollen kein Geld mehr in einen militärisch festgefahrenen Konflikt investieren. Doch diese Erklärung greift zu kurz. Tatsächlich markiert Trumps Politik einen fundamentalen Bruch mit einer jahrzehntelangen Strategie, die Russland als zentralen geopolitischen Gegner betrachtete.
Diese Politik nahm mit der von US-Präsident Harry S. Truman am 12. März 1947 verkündeten Containment-Strategie Gestalt an – einem Konzept zur gezielten Eindämmung sowjetischen Einflusses, das als Truman-Doktrin bekannt wurde. Die Gegnerschaft mit Moskau prägte den Kalten Krieg und brachte die Welt mehrfach an den Rand eines globalen Konflikts. Trotz des Zerfalls der UdSSR hielt sie bis in die jüngste Vergangenheit an.
Washington suchte nach 1991 nicht die Annäherung an Russland, sondern versuchte dessen Einfluss in Osteuropa systematisch einzudämmen. Donald Trump betrachtet diesen Kurs offenbar als Fehler – eine Haltung, die er wiederholt mit der Aussage unterstrichen hat, dass es unter seiner Präsidentschaft nie zu einer militärischen Eskalation gekommen wäre. Seine außenpolitische Strategie zielt daher auf ein neues Bündnis mit Russland ab.
Der Kreml reagiert darauf ambivalent. „Wir sehen, dass der kollektive Westen seine Einheit verliert“, äußerte Dmitrij Peskow kürzlich in Moskau. Obwohl Wladimir Putin den USA in der vergangenen Woche eine Zusammenarbeit im Rohstoffsektor in Aussicht stellte, bleibt er zugleich skeptisch. Dies liegt an einer zentralen strategischen Frage, auf die man am Roten Platz noch keine abschließende Antwort gefunden hat: Welche Folgen hätte eine Annäherung Washingtons an Moskau für Russlands bestehende Bündnisse?
Rücksicht auf die Grenzen der US-Ressourcen
Im Zentrum dieser Überlegung steht China, das als Hauptprofiteur der globalen Machtverschiebungen seit 2022 gilt. Die strategische Partnerschaft mit Russland verbindet das rohstoffreichste Land der Welt mit der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaft. Seit Jahren prognostizieren Experten, dass China die USA wirtschaftlich überholen wird – uneinig ist man sich nur über den Zeitpunkt. Eine 2018 veröffentlichte Analyse von Goldman Sachs sieht diesen Wendepunkt nicht vor 2040. Russische Rohstoffe spielen dabei eine Schlüsselrolle.
Die Zahlen sprechen für sich: Der bilaterale Handel zwischen Moskau und Peking ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Nachdem er 2022 mit 185 Milliarden US-Dollar einen Höchststand erreichte, stieg er 2023 auf 240 Milliarden und kletterte 2024 auf 244,8 Milliarden US-Dollar – ein beeindruckendes Wachstum. Parallel dazu schreitet die Energiekooperation weiter voran. Bis 2030 soll Russland mindestens 98 Milliarden Kubikmeter Gas sowie 100 Millionen Tonnen Flüssigerdgas nach China liefern.
Doch nicht nur wirtschaftliche Aspekte spielen eine Rolle. Die Allianz zwischen Russland und China basiert maßgeblich auf ihrer gemeinsamen Opposition gegen westliche Einflussnahme und einer abgestimmten Außenpolitik. Putin und Xi Jinping verfolgen das Ziel einer multipolaren Weltordnung, in der die USA nicht länger die dominante Kraft sind. Dieser Schulterschluss manifestiert sich besonders im BRICS-Format.
Bereits 2018 überholte das Bündnis die G7-Staaten beim Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt auf Basis der Kaufkraftparität. Bis 2024 hat sich dieser Unterschied weiter vergrößert: Die BRICS-Staaten halten nun 35 Prozent des weltweiten BIP, während der Anteil der G7 auf 30 Prozent gesunken ist. Diese Entwicklung verdeutlicht, dass Russland in eine wirtschaftlich aufstrebende Gemeinschaft eingebunden ist.
Die wachsende Nähe zwischen Moskau und Peking betrachten die USA als strategische Herausforderung. Trump verfolgt daher eine klassische Machtbalance-Taktik: Er will Russland aus Chinas Einflussbereich lösen. Sein Kalkül basiert auf folgender Erkenntnis: Ein gleichzeitiger Konflikt mit beiden Mächten würde die geopolitischen Ressourcen der USA überstrapazieren.
Chinas Misstrauen
Doch wie realistisch ist eine Spaltung der Allianz? Unbestritten ist, dass westliche Sanktionen Russlands Wirtschaft geschwächt und seine finanzielle Handlungsfähigkeit erheblich eingeschränkt haben. Mit über 16.000 verhängten Maßnahmen ist Russland mittlerweile das am stärksten sanktionierte Land der Welt. Rund 70 Prozent des Bankensektors sind betroffen, eingefrorene Vermögenswerte in Höhe von über 500 Milliarden US-Dollar begrenzen Moskaus finanzielle Spielräume erheblich.
Gleichzeitig treibt der eingeschränkte Zugang zu westlicher Technologie und globalen Lieferketten die Preise für essenzielle Industriegüter in die Höhe – teils um das Zehnfache des Weltmarktpreises. Inflation, Zinserhöhungen auf zuletzt 21 Prozent und ein wachsender Arbeitskräftemangel belasten die russische Wirtschaft zusätzlich. Schätzungen zufolge wäre Russlands Wirtschaftsleistung ohne die Annexion der Krim 2014 heute um 20 Prozent höher.
Trotz dieser wirtschaftlichen Schwächung besteht im Kreml kein Anlass zu überstürztem Handeln. Aus russischer Sicht erscheint weniger ein zukünftiges Bündnis mit den USA attraktiv als vielmehr die Tatsache, dass die Pax Americana – jene Nachkriegsordnung, in der die Vereinigten Staaten wirtschaftlich, kulturell und militärisch dominierten – ihrem Ende entgegengeht. Welche Konsequenzen Moskau daraus mittelfristig zieht, bleibt offen.
Peking hingegen hat seine Position klar definiert: Es betrachtet die USA als seinen größten geopolitischen Rivalen und reagiert zunehmend konfrontativ auf den Trumpschen Protektionismus. Die Spannungen sind inzwischen so weit eskaliert, dass Handelsminister Wang Wentao auf einer Pressekonferenz am Rande des chinesischen Volkskongresses betonte, China werde „Zwang und Erpressung“ nicht akzeptieren. Gleichzeitig strebt Peking eine engere Kooperation mit Europa an, um das transatlantische Bündnis zu schwächen.
Angesichts eines drohenden Handelskriegs mit den USA beobachtet China Washingtons Annäherungsversuche an Moskau mit Argusaugen. Dabei gilt jedoch, dass Xi Jinping nicht reagieren wird, solange die Kooperation zwischen Russland und den Vereinigten Staaten weniger eng ist als die Allianz mit China. Die klassische Geopolitik lehrt: In einem Mächte-Dreieck wird der schwächere Akteur oft als potenzieller Partner gegen den stärkeren betrachtet. Sollte China die USA überholen, könnte Russland seine Ausrichtung ändern.
Russland will kein Juniorpartner sein
Dass diese Überlegung nicht gänzlich aus der Luft gegriffen ist, ergibt sich daraus, dass die Allianz zwischen Moskau und Peking trotz enger wirtschaftlicher Verflechtung nicht frei von Spannungen ist. Ihre Interessen sind nicht vollständig deckungsgleich. Russland strebt nach größtmöglicher geopolitischer Unabhängigkeit und lehnt eine Rolle als „Juniorpartner“ Chinas kategorisch ab. Daher erweitert Moskau seine strategischen Beziehungen – insbesondere zu Iran, Nordkorea und Indien.
Für China hingegen bleibt die Allianz mit Russland essenziell – vor allem aufgrund der Energiepartnerschaft. Die günstigen russischen Rohstoffe sind ein wirtschaftliches Fundament für Peking. 2021 importierte China monatlich rund 83,6 Millionen Tonnen Rohöl, wobei Russland als größter Lieferant fungierte. Bereits 2014 sicherte sich Peking durch einen 30-jährigen Vertrag mit Gazprom die Lieferung von bis zu 38 Milliarden Kubikmetern russischem Gas pro Jahr.
Trotz der US-Sanktionen auf russisches und iranisches Öl, die seit Oktober den Handel erschweren und zu Lieferengpässen nach China und Indien führten, haben sich Chinas Rohölimporte zuletzt wieder erholt. Am 10. Januar 2025 sanktionierten die USA 140 Öltanker – rund 42 Prozent der russischen seegestützten Rohölexporte –, was die Frachtraten in die Höhe trieb. Die Transportkosten für ESPO-Rohöl von Russlands Fernost nach Nordchina stiegen auf 4 bis 4,5 Millionen US-Dollar pro Reise. Dennoch konnten mindestens 17 nicht sanktionierte Tanker zwischen dem 11. Januar und dem 20. Februar ESPO-Lieferungen nach China transportieren.
Im Februar erreichte das Exportvolumen für ESPO-Rohöl mit 920.000 Barrel pro Tag (bpd) wieder den Jahresdurchschnitt, nachdem es im Januar auf 860.000 bpd gesunken war. Dennoch fielen die gesamten russischen Rohöllieferungen nach China auf den niedrigsten Stand seit Dezember 2022. Parallel dazu wurden Schiff-zu-Schiff-Transfers (STS) von Sokol-Rohöl in der Hafenstadt Nachodka registriert. Der Supertanker VLCC „Daban“ lud 2 Millionen Barrel Sokol-Rohöl von drei kleineren Tankern und befindet sich nun auf dem Weg nach China. Um die Entladung sanktionierter Schiffe zu erleichtern, wurden zudem neue Terminals in Dongying und Zhoushan in Betrieb genommen.
Eine geopolitische Abkehr Moskaus wäre für Peking ein erheblicher strategischer Verlust. China würde in seinem Konflikt mit Washington isolierter dastehen und müsste sich verstärkt auf eigene wirtschaftliche und militärische Ressourcen verlassen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat Peking in den vergangenen Monaten verstärkt diplomatische Signale an Moskau gesendet. Gemeinsame Militärübungen, die Betonung historischer Verbundenheit sowie eine intensivierte wirtschaftliche Kooperation sollen verhindern, dass Russland seine strategische Ausrichtung überdenkt.
Was wird aus dem Iran?
Aber auch ein weiterer Akteur spielt in dieser Betrachtung eine entscheidende Rolle: Für den Iran, Russlands letzten Verbündeten in Vorderasien, wäre eine Annäherung Moskaus an Washington noch bedrohlicher. Obwohl beide Staaten seit zwei Jahrzehnten eine strategische Partnerschaft verbindet, ist diese weit weniger gefestigt, als im Westen oft angenommen wird.
Der am 17. Januar 2025 unterzeichnete Russland-Iran-Vertrag wurde als bedeutender Durchbruch präsentiert, bedeutet jedoch keine strategische Neuausrichtung. Vielmehr kodifiziert er die enge Zusammenarbeit, die sich seit der russischen Invasion in die Ukraine 2022 entwickelt hat – ohne dass beide Seiten verbindliche Verpflichtungen eingehen.
Während das Abkommen die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kooperation bekräftigt, enthält es keine gegenseitige Beistandsklausel wie das 2023 geschlossene Russland-Nordkorea-Abkommen. Moskau macht damit deutlich, dass es Iran in einem möglichen Konflikt mit den USA oder Israel nicht militärisch unterstützen wird. Die sicherheitspolitischen Bestimmungen unterscheiden sich kaum von jenen des Iran-Russland-Abkommens von 2001.
Die militärische Bedeutung Irans für Russland hat zudem spürbar abgenommen. Während iranische Drohnen 2022 noch eine entscheidende Rolle auf dem Schlachtfeld spielten, hat Moskau inzwischen seine eigene Drohnenproduktion massiv ausgeweitet und ist weit weniger auf iranische Waffenlieferungen angewiesen. Teheran hingegen zeigt wachsendes Interesse an russischem Kriegsgerät, da es in der Region mit militärischen Rückschlägen konfrontiert ist. Doch Moskau zögert, Iran umfassend aufzurüsten – insbesondere, um seine Beziehungen zu Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten nicht zu gefährden.
Auch wirtschaftlich bleibt die Partnerschaft begrenzt. Trotz politischer Annäherung liegt das bilaterale Handelsvolumen nur bei 4 bis 5 Milliarden US-Dollar pro Jahr – weit unter dem Niveau der russischen Handelsbeziehungen mit der Türkei oder den VAE. Eine Freihandelszone zwischen Iran und der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion soll 2025 in Kraft treten und Zölle auf 90 Prozent der Güter senken. Doch Irans isolierte Wirtschaft und technologische Rückständigkeit verhindern eine tiefere Integration.
Die Rolle Israels
Letztlich ist die Zusammenarbeit zwischen Russland und Iran keine ideologisch gefestigte Allianz, sondern eine pragmatische Zweckpartnerschaft, die sich aus geopolitischen Notwendigkeiten ergibt. Der neue Vertrag dient vor allem dazu, die bestehende Kooperation offiziell zu dokumentieren und nach außen Stabilität zu demonstrieren.
Andererseits spielt der Iran als Rohstofflieferant eine entscheidende Rolle für China. Seine Ölexporte erholten sich im Februar deutlich und erreichten 1,4 Millionen Barrel pro Tag (bpd), nachdem sie im Januar auf unter 800.000 bpd gefallen waren. Besonders stark stiegen die Lieferungen in die ostchinesische Provinz Shandong, wo sie mit über 1,1 Millionen bpd den Jahresdurchschnitt von 2024 übertrafen.
Um diese Exporte trotz Sanktionen aufrechtzuerhalten, setzt Teheran verstärkt auf Schiff-zu-Schiff-Transfers. Seit Ende Januar wurden mindestens acht Very Large Crude Carriers (VLCCs) für den Transport zwischen Malaysia und China eingesetzt.
Während die wirtschaftliche Partnerschaft mit China für Teheran essenziell ist, bleibt Israel Irans zentraler Feind. Im April 2024 kam es erstmals zu offenen militärischen Konfrontationen, die jedoch ein gravierendes Ungleichgewicht offenbarten: Während Israel mit gezielten Angriffen auf die iranische Flugabwehr die Lufthoheit über Iran errang, blieben Irans Raketenangriffe auf israelisches Territorium weitgehend wirkungslos.
Zudem haben verdeckte Operationen des Mossad in Teheran, Syrien und dem Libanon Irans Schwächen und die seiner Verbündeten schonungslos offengelegt. Weder die Hamas noch die Hisbollah oder die Revolutionsgarden konnten Israels militär-technologischer Überlegenheit etwas entgegensetzen. Im Ergebnis ist die gegen Israel gerichtete Nahostpolitik der Mullahs auf ganzer Linie gescheitert, ihre Netzwerke sind zerrissen.
Das Atomwaffenprogramm
Die ohnehin dominante Stellung Tel Avivs wurde durch Washingtons jüngste Unterstützung weiter gefestigt. Am 5. März 2024 kündigte Präsident Trump an, Israel mit allen erforderlichen Mitteln auszustatten, um die Hamas endgültig zu vernichten. Diese Aussage war an die Herausgabe der noch in Gaza befindlichen Geiseln geknüpft.
Für Teheran erscheint die Entwicklung einer eigenen Atombombe zunehmend als strategische Option. Zwar hat der Iran sein Atomwaffenprogramm offiziell seit 2003 gestoppt, doch verfügt das Land über die technischen Fähigkeiten zur Herstellung solcher Waffen. Laut US-Geheimdiensten unternimmt Teheran derzeit keine entscheidenden Schritte zur Produktion einer testfähigen Nuklearwaffe.
Dennoch bleibt die Urananreicherung ein zentraler Risikofaktor. Während der Iran betont, dass sein Programm ausschließlich friedlichen Zwecken dient, ermöglichen seine Gaszentrifugen theoretisch auch die Produktion von hochangereichertem Uran (HEU) für militärische Zwecke. Hinweise deuten zudem darauf hin, dass Teheran seine Forschung an Sprengkopf-Designs und Zündmechanismen wieder aufgenommen haben könnte.
Offizielle Stellen sehen derzeit jedoch keine eindeutigen Beweise für ein geheimes Atomwaffenprogramm. Experten betonen, dass ein verdecktes Programm zur Herstellung spaltbaren Materials deutlich länger dauern würde als ein offener „Breakout“ in bestehenden Anlagen. Im Falle einer nachhaltigen Annäherung an Washington hätte Moskau kein Interesse, den Iran nukleartechnologisch zu unterstützen.
Trotz enger bilateraler Beziehungen zu Russland und dem Iran vermeidet China eine offene strategische Allianz mit diesen Staaten. Peking profitiert wirtschaftlich von der Kooperation mit Moskau und Teheran, agiert jedoch vorsichtig, um seine internationalen Spielräume nicht unnötig einzuschränken. Besonders skeptisch steht es einer verstärkten militärischen Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea gegenüber. Ein aufgerüstetes und selbstbewusstes Nordkorea könnte Chinas regionale Stabilität gefährden und seine strategische Kontrolle über die koreanische Halbinsel schwächen.
Die tektonische Verschiebung
Auch gegenüber Iran verfolgt Peking eine differenzierte Politik. Während die wirtschaftlichen Beziehungen eng sind, hält sich China sicherheitspolitisch auf Distanz. Eine direkte Konfrontation mit dem Westen wird vermieden, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass Peking bereit wäre, Teheran uneingeschränkte militärische Unterstützung zu gewähren. Diese pragmatische Haltung reflektiert Chinas übergeordnetes Ziel: geopolitischen Einfluss zu sichern, ohne sich in Konflikte hineinziehen zu lassen, die seine strategischen Interessen gefährden könnten.
Ob Trumps Annäherungspolitik an Moskau Erfolg haben wird, bleibt ungewiss. Die Annahme, dass Russland allein durch geopolitische Zugeständnisse an Washington seine Beziehungen mit China aufgeben würde, könnte sich als Fehleinschätzung erweisen. Die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen, die Moskau und Peking verbinden, sind zu stark.
Die Abkehr von der Truman-Doktrin markiert einen geopolitischen Paradigmenwechsel, der Washington neue strategische Optionen eröffnet. Die USA betrachten das transatlantische Bündnis zunehmend als ein Relikt des 20. Jahrhunderts, das den heutigen Herausforderungen nicht mehr gewachsen ist. Dabei verfolgt Präsident Trump keine kurzfristige Diplomatie, sondern das langfristige Ziel, Russland als Gegengewicht zur aufstrebenden Supermacht China zu gewinnen. Gleichzeitig sucht Moskau nach größerem diplomatischen Spielraum, ohne seine strategische Bindung an Peking zu gefährden.
Für China ist die Lage klar: Eine langfristige Allianz mit Russland ist keine Selbstverständlichkeit, sondern erfordert kontinuierliche diplomatische und wirtschaftliche Anstrengungen. In einer Welt, die sich zunehmend auf eine bipolare Ordnung zwischen den USA und China zubewegt, wird Moskau zum entscheidenden Faktor. Wer Russland als Partner gewinnt, sichert sich in der geopolitischen Architektur des 21. Jahrhunderts einen strategischen Vorteil.
Die tektonische Verschiebung geopolitischer Bündnisse vollzieht sich, während Europa abseits steht – blind für den Wandel. Seine politischen Eliten taumeln wieder als Schlafwandler durch eine Zeitenwende.
Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.