Wolfram Weimer / 15.06.2018 / 15:00 / Foto: Reto Klar / 6 / Seite ausdrucken

Disneyland mit Todesstrafe

Er verdient 7.350 Dollar – am Tag. Kein Regierungschef der Welt bekommt ein höheres Salär als er. Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong verdient so gut wie ein Investmentbanker und ist so mächtig wie ein Diktator. Er kombiniert aus Kapitalismus und Kommunismus die besten Elemente – für sein Land und für sich persönlich. So ist Singapur ein Wohlstandsriese, aber auch eine Bonsai-Demokratie geworden – ein Disneyland mit Todesstrafe.

Der Stadtstaat gilt als Paradebeispiel für erfolgreiche Autokratien im 21. Jahrhundert. Und das Gipfeltreffen von US-Präsident Donald Trump mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un ist für Lee Hsien Loong so etwas wie der Ritterschlag der Weltöffentlichkeit.

Der Gipfel in der Autokraten-Hauptstadt hat symbolische Tiefenwirkung. Denn Singapur wird von vielen Neo-Autokraten schon lange als Modell und Ordnungsprinzip für moderne Politik gesehen. „Singapurismus“ hat auch im Westen erstaunlich viele Freunde und meint einen Polizeistaat mit Einparteienregime und Turbokapitalismus. Er erzeugt jede Menge Wohlstand und Sicherheit – freilich auf Kosten von Freiheit, Demokratie und Menschenrecht.

Für Kim hat der Gipfelort daher einen ganz persönlichen Vorteil: Singapur hat das Römische Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht unterzeichnet. Von hier aus wird also kein Diktator ausgeliefert, ein sicherer Hafen für Kim & Co. ist der Kleinstaat – ja nicht einmal Proteste oder Demonstrationen müssen Kim und Trump hier fürchten. Denn in Singapur herrscht die Ruhe eines superkontrollierten und digital hochgerüsteten Polizei- und Überwachungsstaats.

Von Kontrolle und Autorität geprägter Alltag

Hier herrschen Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit wie kaum sonstwo auf der Welt. „Die Schweiz Südostasiens“, wird gerne gesagt, doch das ist eine Beleidigung für die große demokratische Tradition der Eidgenossen. Anders als in der vielstimmigen Schweiz verantwortet dort die alles beherrschende „People’s Action Party“ (PAP) einen auf Kontrolle und Autorität geprägten Alltag.

Auf den Verkauf von Kaugummi stehen bis zu zwei Jahre Haft. Wer als Straßenmusiker „das Publikum nervt“, wer auf den Boden spuckt oder Zigarettenstummel wegwirft, wer „obszön“ singt oder Tauben füttert oder wer die Toilette nicht spült, dem drohen massive Geldbußen oder sogar Gefängnis. Zwei deutsche Graffiti-Sprüher aus Leipzig, die eine Singapurer U-Bahn verziert hatten, wurden zu Stockhieben und neun Monaten Haft verurteilt. Singapur soll eine saubere Stadt sein.

Noch ärger ergeht es Schwulen und Lesben. Homosexualität steht unter drakonischen Strafen. Artikel 377 des Strafgesetzbuches schreibt vor: „Wer freiwillig widernatürlichen Geschlechtsverkehr mit einem Mann, einer Frau, oder Tieren hat, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft und kann auch mit einer Geldstrafe belegt werden.“ Noch weniger Verständnis haben die Singapurer für Drogenkonsumenten oder Dealer. Ihnen droht die Todesstrafe, und die wird auch alle paar Wochen vollzogen.

Das rabiate Regime führt dazu, dass die Kriminalitätsrate sehr gering ist und Singapur als eine der sichersten Metropolen der Welt gilt. Seit 1965 der Vater des jetzigen Premiers die Macht an sich gerissen hat, ist die Politik durch den Lee-Clan monopolisiert, Wahlen werden manipuliert, die politische Opposition unterdrückt. Gewerkschaften, Schulen, Universitäten und Medien werden staatlich kontrolliert, die Bevölkerung sozial überwacht. Die politische Debatte wird gegängelt und mit modernsten digitalen Techniken gesteuert.

Seit langem nutzt Lee schon Big Data zur Sicherung seiner politischen Macht. Die digitale Erfassung und Beobachtung der Bevölkerung ist gewaltig – von der flächendeckenden Videoüberwachung bis zur Internetzensur reicht das Instrumentarium des leibhaftigen Big Brothers. Kritische Blogger und Journalisten werden regelmäßig verhaftet. Im Ranking der Meinungsfreiheit liegt Singapur auf einem miserablen Platz 151 von 180 untersuchten Ländern.

Lee gibt sich in der Öffentlichkeit als onkelhafter Sozialarbeiter seines Staates, aber er läßt keinen Zweifel an seinem Machtanspruch. Die gewaltsame Niederschlagung der Tiananmen-Proteste in Peking 1989 durch Chinas Militär wird vom Regime ausdrücklich gerechtfertigt.

Innen- wie außenpolitisch hat Lee Singapur hoch gerüstet. Sein Militär gilt als eines der modernsten in Asien. U-Boote aus Frankreich, amerikanische Kampfflugzeuge (F-15) und Leopard 2-Kampfpanzer aus Deutschland. Alles ist da. Die Kosten für Polizei und Armee verschlingen ein Viertel der Staatsausgaben, Singapur liegt bei Militärausgaben pro Einwohner weltweit (nach Israel) auf Platz zwei.

Wenn Menschenrechtler wütend werden, verweist Lee gerne auf die Erfolge seines Singapurismus. Aus einem kleinen Handelsaußenposten des British Empire sei unter der Ägide seiner Familie einer der reichsten Staaten der Welt geworden. Die Wolkenkratzerkulisse, Luxushotels, Freizeitparks und die supermoderne Infrastruktur (Singapur betreibt den größten Hafen der Welt) zeugen vom Wirtschaftswunder, das tatsächlich alle Einwohner, auch die unteren Schichten, erfasst. Das fördert sozialen Frieden. Der Bildungsstand ist enorm, das soziale Netz beachtlich, die Lebensstandards vom Gesundheitswesen bis zur Altersversorgung herausragend in Asien. Lee setzt dabei – wie sein Vater – auf das kapitalistische Prinzip, dass möglichst jeder Singapurer Wohneigentum haben soll, Kapitalgewinne sind steuerfrei, Aktienbesitz und Unternehmertum sind hoch willkommen.

So wird Lees Singapurismus auch als Singapur AG bezeichnet. Und in der Familie Lees leitet den Staatsfonds Temasek, der ein Vermögen von 300 Milliarden Dollar verwaltet, inklusive der Aktienmehrheit an Singapore Airlines. Mit Temasek ist Singapur sichtbar eine Staats-AG, die auf Gewinnmaximierung bei maximaler innerer Ruhe setzt.

Doch Lee droht nun Ärger von überraschender Seite. Die eigene Familie macht ihm das Leben schwer. Ausgerechnet seine Schwester Lee Wei Ling, eine bekannte Neurochirurgin, sowie Lee Hsien Yang, sein jüngerer Bruder, der früher dem Telekomkonzern Singapore Telecommunications (SingTel) vorstand, werfen Lee in einem offenen Brief Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und Populäritätssucht vor. Sie erklären, dass sie das Vertrauen nicht nur in ihren Bruder, sondern auch in Singapurs Zukunft verloren hätten. In Wahrheit geht es um die Frage, wer die Macht Lees einmal erben soll, Lees Sohn Li Hongyi oder der Sohn des Bruders namens Li Shengwu. Der Erbfolgestreit ist das politische Gesprächsthema in Singapur. Die beiden rebellierenden Geschwister verfügen zwar über keine direkte politische Macht. Der Familienzwist erschüttert aber ein System, das seit Jahrzehnten auf dem Charisma, der Macht und der Unantastbarkeit der Lee-Familie beruhte. Lee muss also um seine Macht und die Erbfolge kämpfen – und um sein Gehalt. Denn schon einmal war er nach öffentlicher Kritik an seinem üppigen Gehalt unter Druck geraten und musste es um ein Drittel kürzen – doch mit den 7.350 Dollar am Tag liegt er ja immer noch an der Weltspitze der Regenten. Und der Gipfel mit Trump und Kim festigt seine Position.

Dieser Artikel erschien zuerst auf The European

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Leserpost

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Gerd Koslowski / 15.06.2018

Ordnung, Sauberkeit, Pünktlichkeit und geringe Kriminalität, davon könnte Deutschland eine ordentliche Portion vertragen. Die Abwesenheit von Grafitti könnte ich verschmerzen.

Rolf Menzen / 15.06.2018

Also so eine Art DDR mit dem Lebensstandard der Schweiz. Würde auch hier vielen Leuten gefallen. Und man kann sogar jederzeit ausreisen, weil mehr rein als raus wollen. Und Genosse Xi will da wohl ne Riesenkopie von bauen.

Lars Jährling / 15.06.2018

Kleine Korrektur: Die U-Boote kommen (noch) aus Schweden und die nächste Generation aus Deutschland (4 Typ 218SG).

Stefan Riedel / 15.06.2018

Vielleicht habe ich ja etwas verpasst. Wo sind all die Boatpeople aus Singapur auf der Flucht aus dieser Hölle.

Martin Bachmann / 15.06.2018

In Ihrer Auflistung der Besonderheiten fällt noch, dass es in Singapur ein spezielles Heiratsrecht für Moslems gibt, das eine Kontrolle insbesondere über Konversionen (nicht moslemische Frau heiratet Moslem) erlaubt. Weiterhin sind die Moscheen unter strenger Kontrolle, und die Inhalte der Predigten werden überwacht. Und man sollte erwähnen, dass jeder Malaie, Indonesier oder Phillipino mit Ausbildung irgendwie versucht nach Singapur zu kommen um dort arbeiten zu dürfen - weil es trotz der angesprochenen Mängel eine Oase der Rechtsstaatlichkeit in Südostasien ist. Regelkonformität in Singapur geht nämlich auch positiv - wer eine Leistung bezahlt, darf sie auch beziehen. In Südostasien nicht gerade alltäglich, wo die Einwohner sonst oft der Willkür ihrer Gegenpartei ausgeliefert sind.

Georg Dobler / 15.06.2018

Da ich nie auf den Boden spucke, keine Zigaretten wegwerfe, das Klo immer spüle, und nicht mit Drogen handle hätte ich keine strafrechtlichen Probleme in Singapur. Neulich las ich auf der Achse, wie sich ein iranischer Blutrichter in Deutschland in der Klinik behandeln ließ. Also ist die rücksichtsvolle Behandlung von Dikatoren und Gefolge nicht nur in Singapur gegeben.  “Die politische Debatte wird gegängelt und mit modernsten digitalen Techniken gesteuert.”? ...die haben unser Netzwerkdurchsetzungsgesetz geklaut!

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