Von Marei Bestek.
Nächstenliebe, genau wie bürgerliche Freiheiten allgemein, sind die höchsten Errungenschaften der Sozialisation und des individuellen Geistes, die einem niemals von außen befohlen werden können, wenn sie wahrhaftig bleiben wollen. Wirkliche und wertvolle Nächstenliebe ist die, die aus dem eigenen Inneren kommt; ein eigenständiger Prozess, den jedes Individuum nur selbst durchlaufen kann. Moralisches Verhalten, das einem von außen diktiert wird, ist gleichsam vergiftet und verliert all seinen Wert. Es ist nichts als das stumpfe Handeln nach einer Anweisung anstatt aus eigener Erkenntnis und Demut. Moralische Werte dürfen niemals befohlen, aufgetragen, als unumgänglich und schließlich als Gesetz angesehen werden. Wie unterscheidet man sonst die wirklich guten Absichten eines Menschen von der heuchlerischen Absicht anderer?
Zurzeit ein fast unmögliches Unterfangen. Denn plötzlich ist das Land voll von Weltverbesserern und Moralaposteln, die einem unaufhörlich ihre immer länger werdenden Zeigefinger entgegenstrecken, um einen zurechtzuweisen. Moral verkommt hier zu einer Farce und die Idee der Hilfeleistung wird mehr und mehr zur eigenen Selbsttherapie: Durch die unaufhörliche Bemutterung von angeblich Schwächeren soll das eigene Dasein gerechtfertigt werden. Ein ganzes Volk, das mehr und mehr seine Identität im dekadenten Wohlstandsdschungel verloren hat, versucht nun durch die Flüchtlingshilfe seine Sinngebung wiederzuerlangen. Die Befriedigung des eigenen Gewissens und schlussendlich die Aufpolierung des eigenes Selbstwerfgefühls, ersetzen die Echtheit der moralischen Hilfe. Der schönste Rausch scheint das Besäufnis am eigenen Gutsein. „Ich handele nicht, um anderen zu helfen, sondern um durch die Ankündigung selbst gut dazustehen“ - so könnte wohl der Leitspruch eines ganz neu entstandenen Moralkultes sein. Moral verkommt hier zu einem egoistischen Interesse, bei dem die eigene Psyche und das eigene Wohlbefinden stets im Vordergrund stehen, sodass am Ende genau das Gegenteil von wirklicher Moral übrig bleibt.
Morgen in Teil 8: Erst ein gefährlicher Gegner macht das eigene Gutsein perfekt
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Marei Bestek (25) wohnt in Köln und hat Medienkommunikation & Journalismus studiert.