Michael Ludwig, Gastautor / 08.09.2021 / 16:00 / Foto: Tomaschoff / 22 / Seite ausdrucken

Digitale Bildung

Was Deutschland und seine Kinder brauchen, sind keine iPads im Unterricht oder freies WLAN für jeden Schüler, sondern ein guter Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften.

Kinder sind toll. Zumindest als politisches Instrument. Und wo findet dieses Instrument am meisten Gebrauch? Richtig, in der Bildungspolitik. Spätestens seit dem kurzen Hype um die Piratenpartei ist Digitalisierung eines der Schlagworte, wenn Politiker und Parteien sich als „modern“, „revolutionär“ oder „zukunftsorientiert“ profilieren wollen. Davon abgesehen, dass die deutsche Infrastruktur generell, aber speziell im „digitalen Bereich“, ein Armutszeugnis ist, versuchen Politiker eine digitale Fata Morgana zu erschaffen. Diese schaut meistens so aus, dass Schulen mit iPads, Computern und WLAN beschmissen werden sollen. Denn so schüfe man das Fundament für eine digitale Lehre, wodurch hochausgebildete Schulabgänger entstünden. Den Eltern ist die beste Ausbildung ihrer Kinder natürlich gerade gut genug, sodass dieser Aktionismus in weiten Teilen befürwortet wird. Doch so einfach ist das nicht.

Die Unsinnigkeit digitaler Endgeräte in der Lehre

Aristoteles, Galileo Galilei, Newton und Albert Einstein sind nicht durch iPads, E-Learning oder WLAN in der Schule so herausragende Denker geworden. Warum sollte das jetzt aber bei den heutigen Kindern der Fall sein? Freilich hat das Internet heutzutage einen unglaublichen Vorteil, wenn es um Zugriff auf Wissen geht. Ein Schüler, der im Unterricht die Binomischen Formeln nicht verstanden hat, hat die Chance, sie zu Hause auf YouTube schnell zu lernen. Doch es ist ein Irrglaube, dass Technik allein zu einem Lernfortschritt führt. Lassen Sie sich von einem Studenten, der drei Semester coronabedingt die Universität nicht von innen gesehen hat und alles über ein MacBook erledigen musste, gesagt sein, dass der größte Lerneffekt im handschriftlichen Schreiben und der Diskussion sowie Erarbeitung im physischen Plenum liegt. Selbst vor der Pandemie war zu beobachten, dass viele Studenten mit einem digitalen Endgerät das Semester begannen, aber alsbald auf die althergebrachte Handschrift zurückgriffen. Selbst das Lesen am Bildschirm, mag er auch noch so groß sein, kann dem physischen Papier nicht das Wasser reichen. Woran das liegt, weiß ich nicht. Doch viele Studenten und auch Schüler teilen diese Erfahrung.

Das Problem sind die Anforderungen und Lehrpläne

Eine solche Digitalisierung macht keinen Sinn. Argumente wie „den Schülern spielend etwas beibringen“ sind Schwachsinn. Erstens steht in der Schule nicht Spielen im Vordergrund, sondern Lernen. Zweitens gehören Konzentration und Disziplin nun mal zum Lernen dazu. Doch das Lernen vernachlässigen viele Schüler, und so kommen wir nun zum eigentlichen Thema. Die Anforderungen sinken mit der schrumpfenden Lernbereitschaft. Das ist logisch, da kein Kultusminister einen schlechten Schnitt vorweisen will und in der Bildungspolitik wohl der Gedanke überwiegt, dass eine „Chance“ für bspw. die Hochschule gleich einen gut bezahlten Beruf bringt.

Das ist allerdings ein Trugschluss. Fächer wie Mathematik und Naturwissenschaften sind Grundlage für gewinnbringende Berufe, die gleichzeitig einen hohen Fachkräftemangel zu beklagen haben (Handwerksberufe sind beispielsweise auch für Abiturienten sehr fordernd). Auch sind diese Fächer elementar für Innovation und Fortschritt. Ich möchte Geschichte, Politik, Ethik, Deutsch und Fremdsprachen nicht kleinreden. Sie haben ihre absolute Berechtigung im Lehrplan, wenn auch hier das Lernen oft je nach Interessenlage vernachlässigt wird. Aber diese Fächer möchte ich in diesem Beitrag vernachlässigen, da es hier um digitale Bildung geht.

Ein Blick nach Israel

Als ich mich mit einer Israelin über Politik unterhielt, war für sie ein wichtiges Thema die Bildung in Israel im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften. Sie beklagte, dass die israelische Regierung den Fokus auf diese wichtigen Fächer verliert. Ihr Grund war sinngemäß dieser: „Wir sind ein Land, das keine Schwerindustrie besitzt. Wir besitzen keine großartigen Rohstoffe. Das Einzige, das wir anbieten können, ist unser Wissen. Wir gehören zu den führenden Ländern im Bereich Software und digitale Innovationen. Wenn unsere Schüler nicht weiterhin stark in Mathematik und Informatik sind, werden wir massive wirtschaftliche und soziale Probleme bekommen. Wir leben von diesen Innovationen, etwas anderes haben wir nicht.“

Für Deutschland sehe ich das ähnlich. Noch besitzen wir unsere tolle Industrie, aber selbst wenn sie tatsächlich bestehen bliebe, werden wir abgehängt – von Google, Amazon, Microsoft, Apple, Samsung und wie sie alle heißen. Das alles kann die deutsche Wirtschaft nicht ansatzweise vorweisen. „Made in Germany“ wird vielleicht weiter für Qualität stehen, aber eventuell auch ein Symbol für „veraltet und unnütz“ werden. Wie gut Deutschland im internationalen Vergleich dasteht, lässt der „Erfolg“ der Corona-Warn-App erahnen. Wie viel Politiker von digitaler Lehre verstehen, lässt sich im Wahlkampf 2021 besichtigen. Das Besuchen von Bildungseinrichtungen ist wohl zu lange her. Fast jedes Kind (!) besitzt ein digitales Endgerät. Und sie sind in der (intuitiven) Handhabung ihren Eltern um Welten voraus. Was soll dann ein iPad in der Schule bringen? Die Gleichung „viele digitale Endgeräte in der Lehre gleich viele Informatiker und Programmierer“ ist schlichtweg falsch.

Disziplin und eine andere Atmosphäre im Unterricht

In meinem Statistikmodul im Studium war ich mathematisch überfordert. Zu weit lag das Abitur zurück. Doch war ich viel besser als einige frische Abiturienten. Ich fragte mich damals, wie man mit so einer mathematischen Unwissenheit das Abitur bestehen kann und von einem Gesellen, der über drei Jahre weg von diesem Niveau der Mathematik war, überholt werden kann. Das erklärt zumindest, weshalb auch nicht so viel von den Gesellschaftswissenschaften heutzutage zu erwarten ist.

Was Deutschland und seine Kinder brauchen, sind keine iPads im Unterricht oder freies WLAN für jeden Schüler, der damit sein Datenvolumen spart, wenn er im Unterricht heimlich auf YouTube oder Instagram ist. Wir brauchen einen guten Mathematikunterricht, der jeden Schüler mitnimmt und verdeutlicht, wie wichtig dieses Fach ist. Hinzu kommen mehr Disziplin und eine andere Atmosphäre im Unterricht. Ohne gute Mathematikkenntnisse kann kein guter Informatik- oder Physikunterricht stattfinden. Sind die Schüler schon frühzeitig in Mathe abgehängt, werden sie es in den Fächern auch schwer haben. Werden sie es generell in mathematischen Fächern nicht leicht haben, werden sie keine Berufswege wählen, die genau diese Fächer beinhalten. Werden diese Berufswege nicht eingeschlagen, wird der Wirtschaftsstandort Deutschland international abgehängt und in Abhängigkeit verfallen. Wenn uns die Köpfe fehlen, wird die mangelhafte digitale Infrastruktur das geringere Problem sein.

Michael Ludwig, geb. 1997, gelernter KFZ-Mechatroniker, studiert Politikwissenschaften und Soziologie.

Foto: Tomaschoff

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Leserpost

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Reiner Gerlach / 08.09.2021

@ Jochen Rollwagen Dabei waren die ersten Beamten in Deutschland die Lehrer. Der “alte Fritz” stellte seine abgedankten Soldaten als Beamte ein. Es gab eine gegenseitige Treueverpflichtung und das wars. Die alten, verwundeten oder anderweitig nicht mehr einsetzbaren Soldaten wurden nicht im Stich gelassen, im Gegenzug hatte der König Lehrer, die die Untertanen ganz in seinem Sinne erzogen und ausbildeten.

Hans-Peter Dollhopf / 08.09.2021

Elias Canetti würde sich von diesem Kommentarbereich hier im Grabe wegdrehen. Nebenan Hannah Arendt und George Weidenfeld ebenso. Herr Ludwig, lassen wenigstens Sie sich hier nicht aus der Ruhe bringen. Ich studierter Dipl.-Ing. Nachrichtentechnik besuchte zu meiner Zeit noch Vorlesungen von Peter Graf von Kielmansegg und stritt mich mit ihm, so lange, bis er ex cathedra den Disput beendete. Was, frage ich mich, wollen eigentlich all die Lümmel hier von Ihnen?

Marcel Seiler / 08.09.2021

Der Computer bringt (per Internet) nur denen Wissen, die schon viel Wissen haben, und zwar abrufbar im Kopf. Wer das nicht hat, weiß nicht, wo er suchen soll,, und kann zudem nicht das Plausible, Sinnvolle vom dem ganzen Unsinn unterscheiden, den das Internet so liefert. Zu denken, dass ein iPad die Dummen klug macht, ist, nun ja, dumm.

Hans-Peter Dollhopf / 08.09.2021

G. Böhm schreibt: “Wissenschaft zu studieren, die es gar nicht gibt”. Ich halte gerade ein Buch in Händen: Walter Eucken, “Die Grundlagen der Nationalökonomie”, Springer-Verlag 1965 - aus der Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft. Wenn ich Ihnen dieses Buch über Ihren Dappschädel ziehen würde, würden Sie also gar nichts davon merken? 

A. Ostrovsky / 08.09.2021

Noch ein Hinweis, Herr Ludwig: Die Digitalministerin Dorothe Baer vom Flugtaxi-Hyperloop zweiten Grades, ist als eine von wenigen Personalien im Team von Armin Laschet bekannt geworden. Sie hätte eigentlich besser Geheimdienst-Koordinatorin werden sollen, weil es ihr vier Jahre lang erfolgreich gelungen ist, jeden auch noch so kleinen Hinweis darauf, was sie denn eigentlich in der Position der Digitalministerin gemacht hat, geheim zu halten. Sie ist vielleicht aber auch nur eine noch konsequentere Aussitzerin, als Merkel. Sie hätte das Zeug zur Kanzlerin oder zur Religionsführerin des Großen Dau De Djing vom chinesischen Gelehrten Lao Tse. Wäre mal ein Forschungsthema, wie gut ihr Chinesisch ist. Wenn Sie das beobachten können, was erwarten Sie dann von den nächsten vier Jahren? Vielleicht wird sie aber auch Staatssekretärin im Klimaministerium der Annalena, zuständig für die Buchung der CO2-Zertifikate und für Passierschein 38A, wenn sie noch ein bischen bei Disziplin und Fleiß zulegt. Dann entsteht sofort die Frage, wer dann das Flugtaxi-Geschäft übernimmt. Sehen Sie da irgendwen? Wer solls denn sonst machen? Dann wird Deutschland auch noch die führende Rolle bei virtuellen Flugtaxis verlieren.

A. Ostrovsky / 08.09.2021

Hallo Herr Ludwig, ich stimme Ihnen weitgehend zu, mit einer Einschränkung: Die Lehrinhalte in Mathematik, Physik, Chemie oder gar Biologie führen junge Menschen nicht da hin, dass Sie die Anforderungen einer modernen Wirtschaft, die wesentlich von Software und Hardware beherrscht wird, auch nur ansatzweise erfüllen können. Als ich Anfang der 80-er Jahre nach einem naturwissenschaftlichen Studium in der Wirtschaft den ersten Job hatte, hat mir die Mathe- und Physikausbildung zwar geholfen, aber in Wahrheit habe ich sehr viel neu lernen müssen, von dessen Existenz in Schule und Studium noch nicht mal eine Ahnung aufkam. Auf der anderen Seite habe ich gut 80% dessen, was ich unter Anstrengung lernen musste, niemals, auch nicht ein einziges Mal im Beruf verwenden können. Ich habe in der Wirtschaft, in einer sich rasend schnell entwickelnden Technologie an der Vorderfront der Entwicklung der Technologie hinterher hasten müssen, immer mit Unbekanntem konfrontiert. Ich habe drei Mal einen neuen Beruf erlernt, aber eigentlich war es immer der selbe, der nur mit der Technologie-Entwicklung ständig seine Gestalt und seine Bezeichnung gewechselt hat. Wir haben 1985 gewusst, dass um die Jahrtausendwende drei von vier Arbeitsplätzen mit einem Computer zu tun haben, konnten aber nicht ahnen wie sehr der Computer, den man Smarphone nennt, das gesamte Leben, die Kommunikation, die Gesundheit, bis in die Freizeit auf Bergtouren unser Leben beeinflusst. Ich habe festgestellt, dass ich so ab 2010 von vielen Entwicklungen nicht mehr das Konzept und die Funktionsweise verstehe. Wenn ich mir dabei die bleiernen Lehrpläne meiner Kinder angesehen habe, das Festhalten am alten Zopf, das Lernen von Ballast, das man nicht verweigern darf, ohne dass einem ein ansprechender Beruf verwehrt würde, kommt mir die Verzweiflung. Nein es hängt nicht am iPad, aber auch ohne iPad ist das STAATLICHE Bildungssystem der größte Hemmschuh der Entwicklung dieses Landes. Und es gibt keine Besserung!

Elias Schwarz / 08.09.2021

Irgendwann (aber sehr bald) werden wir in Deutschland, wie im alten Ägipten, in Bildungsschichten geteilt. Und das schöne dabei, diese Schichten werden nicht mehr durchlässig. Wer dem Pharao eine Pyramide konstruieren kann (oder dem lenin sein Mausoleum) wird immer belohnt und sein Wissen übergibt er weiter an eine Kinder. Na ja, vielleicht auch an die Fremden, aber für eine entsprechende Belohnung. Es lebe das Kapitalismus!!!

Hans-Peter Dollhopf / 08.09.2021

Herr Jakob und K.Richter, jetzt geht das hier wieder los. Sie beide haben doch überhaupt keine Ahnung von Politikwissenschaft oder Soziologie! Dem Autor wollen Sie aber erklären, er habe falsche persönliche Lebensentscheidungen getroffen. Ich finde das nur noch peinlich und lächerlich von Ihnen.

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