Ihr Geld ist wertlos. Gut, die Scheine in ihrem Portemonnaie könnten Sie anzünden und damit kurz ihre Adventskerzen oder die Heizung ersetzen. Aus den Münzen könnten Sie vielleicht schöne Bilder kleben. Dennoch, abgesehen von diesen beschränkten Freizeitaktivitäten und Dekorationsideen bleibe ich dabei: ihr Geld ist nichts wert. Einzig die Güter und Dienstleistungen, die eine Volkswirtschaft produziert, schaffen Wohlstand. Mit dem Buchgeld auf ihrem Girokonto könnten Sie weder heizen noch basteln. Es hat nur dann einen Wert, wenn Sie es gegen Waren oder Dienstleistungen eintauschen. Der DDR mangelte es nicht an Geld – nur an Waren.
Ich bin kein Untergangsprophet, obwohl ich durchaus überrascht bin, dass alles sich immer noch dreht – an der Uni habe ich das anders gelernt. Was ich anspreche, ist nichts Neues und hat auch nichts mit dem Ankündigen eines Crashs im Jahr 20xx zu tun. Ihr Geld war noch nie etwas wert. Das Zeitalter von Goldmünzen und Golddeckung ist längst vorbei – und auch damals hat so mancher Staat an dem Edelmetallgehalt seiner Münzen oder dem Wechsel in Gold gedreht. Geld ist lediglich eine Forderung gegenüber der ausgebenden Stelle – meist der Zentralbank, bei Giralgeld auch gegenüber ihrer Geschäftsbank. Der Wert der Währung bestimmt sich allein dadurch, dass sie als Zahlungsmittel allgemein akzeptiert wird. Und jeden Abend gehen wir ins Bett und vertrauen darauf, dass das, wenn wir aufwachen, immer noch so ist. Egal ob Target Salden oder Ihr 10er im Portmonnaie – das entscheidende Gut, welches die EZB bewahren muss, ist nicht eine abstrakte Preisstabilität. Die EZB handelt mit Vertrauen.
Und das mit dem Vertrauen ist so eine Sache. Die regelmäßigen Anhörungen des EZB-Präsidenten Draghi im Europäischen Parlaments haben mich immer beeindruckt. Wie oft habe ich bei Vorträgen mal einen flapsigen Satz fallen lassen, den ich mir im Nachhinein lieber verkniffen hätte. Einem Zentralbankchef darf so etwas nicht passieren, sonst geht mal eben das Vertrauen flöten und Panik bricht aus. Diesen enormen Druck hat man dem Italiener nie angemerkt – aber vielleicht kommt diese Gelassenheit auch einfach mit dem Alter und der richtigen Gehaltsstruktur. Dass aber Draghi und Lagarde zwar beeindruckend abgekochte Profis, aber bei Weitem keine selbstlosen Heiligen sind, die einzig dem Allgemeinwohl oder eben der Preisstabilität verpflichtet sind, weiß auch die Wirtschaftswissenschaft. Wir haben es hier mit dem Problem der Zeitinkonsitenz zu tun, das sich nicht nur einer Zentralbank, sondern jeder Institution stellt, die sich Regeln auferlegt.
Es gibt gewisse politische Maßnahmen, die, langfristig betrachtet, objektiv schädlich sind – Staatsverschuldung für konsumtive Ausgaben zum Beispiel. Es ist eine absolute Ungerechtigkeit, wenn die heutige Generation von dem Geld der nachfolgenden lebt. Aber es ist nicht nur ungerecht und undemokratisch – no taxation without representation – es ist auch ineffizient. Denn diese Art des Haushaltens führt zu einer übermäßigen Verschuldung, kann man doch die Zeche einfach auf die noch nicht Geborenen abwälzen. Da bestellt man auch noch die dritte Flasche Rotwein. Nicht umsonst formulierte Artikel 115 des Grundgesetzes bis 2009 sehr klar die goldene Regel der Finanzwissenschaft: der Staat darf nur Kredite zu Investitionszwecken aufnehmen. Von der Brücke profitieren auch noch nachfolgende Generationen. Die Party von heute bringt den morgen Geborenen allerdings gar nichts und sollte aus den laufenden Einnahmen oder einer Steuererhöhung beglichen werden. Obwohl die goldene Regel also objektiv richtig ist – daran gehalten hat man sich nicht. Ist man nämlich mittendrin, haben doch wieder alle Beteiligten genügend Argumente, sich eben doch nicht an die vorher festgelegten Regeln zu halten. Eine enorme Bedrohung für das Vertrauen in Institutionen.
Die Bürger vertrauen den Zentralbankern nicht
Eine inflationäre Geldpolitik kann einen Wachstumsimpuls an die Wirtschaft geben, wenn sie überraschend kommt und somit die Inputfaktoren der Produktion verbilligt. Wissen das die Bürger, so werden sie niemals an das Versprechen der Zentralbank glauben, die Preise stabil zu halten, denn es würde sich ja für die Institution lohnen, von dieser Politik abzurücken. Die Bürger vertrauen den Zentralbankern nicht. Eine Währungsunion kann sich ein Bailout-Verbot für in finanzielle Schieflage geratene Mitgliedstaaten in die Verträge schreiben. Der Finanzmarkt preist dennoch ein, dass in Wahlperioden denkende Politiker eher den sofort wirksamen Crash als das langfristige Siechtum scheuen. Das Problem ist also, dass Kosten und Nutzen der Regel zu unterschiedlichen Zeiten auftreten. Das ist wie guten Vorsätzen: Kurzfristige Vorzüge der Missachtung der Regel werden den langfristigen Einbußen vorgezogen. Da ist es doch eigentlich ein Wunder, dass wir Institutionen überhaupt und dann auch noch in diesem Umfang vertrauen.
Dennoch, unsere gesamte Marktwirtschaft – jede menschliche Interaktion – basiert auf Vertrauen. Bei jeder Transaktion müssen beide teilnehmenden Parteien ausreichend davon überzeugt sein, dass sich der jeweils Andere an die Regeln halten wird, oder dass eine zentrale Stelle angerufen werden kann, wenn dem nicht so ist, die die Regeln durchsetzt. Schwindet das Vertrauen, gehen auch Transaktionen zurück. Unser Wirtschaftssystem ist ein Kartenhaus, das nur durch Vertrauen zusammengehalten wird. Und es hält aktuell, obwohl ein scharfer Wind weht. Ja, die Rule of Law ist die normativ beste Self fulfilling prophecy, die mir einfällt.
Doch der Kitt des Kartenhauses kann brüchig werden und das ganze Konstrukt in sich zusammenfallen lassen. Wann das passiert, weiß niemand. Jeder, der eine Jahreszahl für den nächsten Crash nennt, handelt unseriös. Der Kipppunkt des Vertrauens lässt sich nicht bestimmen, und nur im Nachhinein wird alles ganz stringent, offensichtlich und zwangsläufig erscheinen – auch wenn es immer Zufall war. Wenn man mittendrin steckt, sieht man nur die einzelnen Pixel, nur aus der Ferne ergeben sie ein vermeintliches Bild. Natürlich kann man Zahlen betrachten und daraus Schlüsse über die Tragfähigkeit der Verschuldung ableiten. Aber auf die genauen Ergebnisse und die Nachkommastelle würde ich nicht viel geben. Ökonomen können hier immer nur eine Richtung anzeigen, in die es gehen könnte.
Wann die Stimmung kippt und das Vertrauen schlagartig dem Markt entzogen wird, lässt sich zwar nicht vorhersagen, wieso es geschieht, ist aber simpel. Eine Erklärung für die Etablierung des Anstoßens mit Gläsern ist die Angst vor Giftattentaten im Mittelalter. Glaubt man den Gerüchten, so wäre es bei einem Umtrunk bei Papst Alexander VI. ratsam gewesen, kräftig mit ihm anzustoßen, umso das eigene Getränk mit dem des Borgia zu mischen. Er hätte im Vorfeld noch so oft betonen können, dass die Sache mit den toten Kardinälen bedauernswerte Zufälle gewesen seien. Erst wenn er – trotz des neuen Mischverhältnisses seines Weines – einen kräftigen Schluck genommen hätte, hätten Sie ihm vertraut. Vertrauen basiert auf Verantwortung. Wenn der Papst den Kelch zum Mund führt und trinkt, haftet er für seine warmen Worte – im schlimmsten Fall mit dem Tod durch Borgia-Gift.
Es fehlt das Prinzip Haftung
Würden Sie jemandem vertrauen, der keine Verantwortung übernimmt? Genau das tun wir, jeden Tag. Wir haben keine Wahl. Christine Lagardes Gehalt ist nicht an die Stabilität des Euros gekoppelt. Mario Draghi haftet nicht persönlich für die negativen Effekte der quantitativen Lockerung der EZB. In der Kommission haftet niemand für die Nichteinhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch die Haushaltspolitik der Euroländer. Die EU hat überhaupt ein großes Problem mit Haftung, da diese unter anderem auch monetär spürbar sein muss. So sieht man in Brüssel unterschiedliche Zinssätze in unterschiedlichen Ländern als etwas, was es zu bekämpfen gilt. Dabei zeigen diese nur unterschiedliche Risikobewertungen des Marktes. Sei es nun die gemeinsame Einlagesicherung, die Letztsicherung des Bankenrettungsfonds durch den ESM, oder die Beurteilung von staatlicher Neuverschuldung – die EU scheut Haftung und Verantwortung, weil sie deren Kosten nicht tragen könnte. Aber auch in Deutschland, dem Land der sozialen Marktwirtschaft des Ordoliberalismus, fehlt das Prinzip Haftung. Die Bundestagsabgeordneten haften nicht persönlich für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen, Martin Winterkorn erhält 3.100 Euro Rente – pro Tag. Für den BER haftet niemand.
Vieles davon ist weder EU- noch deutschlandspezifisch. Die wirtschaftswissenschaftliche Public Choice Theorie beschäftigt sich eingehend mit dem Dilemma von fehlender Haftung. So beobachtet man einen „Deficit Bias“ bei Staaten, da für die Schulden, die die Regierung macht, letztlich die Steuerzahler und nicht die Volksvertreter haften. Die Ebenen von Entscheidung und Verantwortung fallen nicht nur zwischen Politikern und Bürgern, sondern auch zwischen unterschiedlichen Fiskalebenen eines Staates auseinander. Sobald man sich zu einer Gemeinschaft zusammenschließt, wird es immer den Anreiz geben, sich auf dieser auszuruhen. Die Eurozone ist wie eine WG, die beschlossen hat, dass niemand aus dieser WG rausfliegen darf. Natürlich ist es in dieser Situation aus Sicht des Einzelnen rational, wenn er die Mietzahlung einstellt. Die WG hat ja versichert, sie wird ihn dennoch nicht vor die Tür setzen. Blöd wird es, wenn der Vermieter nicht mehr an die Solvenz der WG glaubt. Dann sitzen alle auf der Straße. Um das zu verhindern, haben die restlichen WG-Mitbewohner immer einen Anreiz, die Miete des Säumigen zu übernehmen. Das Signal eines Zahlungsausfalls eines Mitbewohners wäre viel zu fatal. Das Ganze wird so lange gut gehen, wie das Vertrauen des Vermieters hält.
Kommen wir von den Mietnomaden der EU-WG zu den tatsächlichen Euro-Mitgliedsländern, so handelt es sich hier keinesfalls um kriminelle Asoziale. Der Preis für eine heterogene Währungsunion ist hoch. Denken Sie nur mal an den Länderfinanzausgleich. In manchen Ländern manifestierten sich die Kosten früher, in anderen, wie in Deutschland, schlagen sie sich subtiler nieder, oder werden erst in der nächsten Krise fällig. Wir haben es nicht mit unzuverlässigen Südländern und verlässlichen Deutschen zu tun, die brav die Miete der anderen übernehmen. Alle Regierungen der Eurozone sind in ein Penthouse in London gezogen, rechnen aber ihren Wählern den Mietpreis für eine Einzimmerwohnung in Chemnitz vor.
Aber die attraktive Lage gibt es nicht umsonst, auch wenn der moderne Wohlfahrtsstaat uns gerne das Gegenteil glauben machen möchte. Aber dieser Bluff der Regierungen funktioniert, denn das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen ist riesig. Man hat sich so an Vater Staat gewöhnt, dass man mittlerweile der Meinung ist, die Verantwortung läge längst nicht mehr beim Einzelnen. Dass dieses Gefühl allerdings zum größten Teil auch die Gegenwart beschreibt, lässt sich an der Entwicklung von öffentlicher und privater Verschuldung in Wirtschaftskrisen ablesen. Krisen folgen meist auf Boomphasen mit Blasenbildung. In der Euphorie des Aufschwungs werden Kredite aufgenommen und Projekte auf Pump finanziert. Schwindet das Vertrauen in die Zukunftsaussichten einzelner Unternehmungen, verlieren mehr und mehr Anleger ihr Vertrauen, ziehen ihr Geld ab und der Dominoeffekt der Krise kommt in Gang. Die Blase platzt, die Preise korrigieren sich, die Vermögen werden neu verteilt. You win some, you lose some.
Daddy Staat zahlt
So war das, zum Beispiel, beim Gründerkrach 1873, aber auch bei der Pleite von Lehman Brothers 2008. Lehman war jedoch eine Ausnahme in der heutigen Zeit. AIG wurde nur wenig später gerettet. Die Verluste, die eigentlich jene, die die Wette mit AIG eingegangen waren, hätten tragen müssen, übernahm der amerikanische Steuerzahler. Anleger in Deutschland, denen der nette Sparkassen-Finanzberater Lehman-Aktien empfohlen hatte, sahen die Verantwortung nicht bei sich, sondern beim Bankangestellten und – in der letzten Konsequenz – bei den staatlichen Institutionen, die sie nicht richtig aufgeklärt hätten. Die Hypo Real Estate wurde 2009 verstaatlicht, Landesbanken gerettet, die Commerzbank erhielt einen Kredit vom Steuerzahler. Heute übernimmt der Staat die Kosten der ausgefallen Urlaube von Thomas Cook Kunden. Die eigentlich privaten Verluste werden stets zur staatlichen Verschuldung. Krisen tun nicht mehr weh. Daddy Staat zahlt.
So führt das absolute Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zu einer nie dagewesenen Abhängigkeit. Wir sind zum Vertrauen verdammt. Wenn morgen die Supermärkte nicht mehr öffnen würden, hätte ich ein großes Problem. Wer kann heute noch separat heizen, oder baut Kartoffeln im Garten an? Wenn der Klebstoff des Kartenhauses brüchig wird, sind wir aufgeschmissen. Während der Großen Depression der 30er Jahre verschwanden etwa 9.000 amerikanische Banken vom Markt. Die Wucht der Krise, die sozialen Verwerfungen und das Elend waren enorm – in den USA und in Europa. Das Schicksal Johannes Pinnebergs in „Kleiner Mann, was nun“, welches in den Jahren 1930 bis 32 spielt, ist brutal.
Dennoch wären die Konsequenzen einer solchen Krise heute ungleich verheerender. Wir leben im „besten Deutschland aller Zeiten“. Nichtsdestotrotz beträgt der Anteil der Sozialausgaben an der wirtschaftlichen Gesamtleistung des Landes 30 Prozent. Zum Vergleich, 1927, kurz vor der Großen Depression und nur vier Jahre nach der Hyperinflation, also keinesfalls in wirtschaftlich rosigen Zeiten, gab der Staat 10 Prozent des BIP für Sozialleistungen aus. Als die Große Depression dann mit voller Wucht aus den USA nach Europa überschwappte, steigerte der Staat den Anteil der Leistungen auf 20 Prozent. Johannes Pinneberg kommt nicht auf die Idee, nach dem Staat zu rufen. Zum Stempeln anstehen, ist sowieso nicht von Erfolg gekrönt. Er muss sich aus eigener Kraft über Wasser halten, sei es durch die Selbstversorgung im Schrebergarten. Heute sind Millionen von Menschen auf Transfers des Staates angewiesen. Und bei dieser Betrachtung sind noch nicht einmal jene berücksichtig, deren Gehalt der Staat zahlt. Ohne den Wohlfahrtsstaat in seiner heutigen Ausgestaltung, brächen millionenfach Lebensgrundlagen weg.
Die westlichen Demokratien konnten seit den 1970er Jahren bis heute die verheerenden Konsequenzen der privaten Entschuldung in Wirtschaftskrisen durch öffentliche Verschuldung verhindern. Der Wohlfahrtsstaat – und damit der Steuerzahler, der sich dessen wohl nur in den seltensten Fällen bewusst ist – übernimmt immer wieder Bürgschaften, die das Eintreten von Verlusten durch das Vertrauen in die staatlichen Institutionen immer weiter in die Zukunft verschiebt. „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein.“ „Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the euro. And believe me, it will be enough." Unsere staatliche Ordnung und unser Wohlstand hängen am seidenen Faden Vertrauen. In der Geschichte waren die Zugkräfte immer mal wieder zu groß, und der Faden riss. Es ist nur eine Frage der Zeit. Solang die dicke Frau noch singt, ist die Oper nicht zu Ende.