Dieter Bohlen geriet wegen seiner Zweifel an der Wirksamkeit der Russland-Sanktionen in die Kritik. Die medialen Beißreflexe auf recht vorsichtig formulierte politische Sätze des Showbiz-Vertreters zeigen in erster Linie eine hysterische Republik.
Dieter Bohlen geriet in die Kritik, weil Äußerungen zu den Sanktionen gegen Russland bekannt wurden, die er im Rahmen des diesjährigen „Founder Summits“, nach eigenen Angaben „Deutschlands größter Gründer- und Unternehmerkonferenz“, Ende August in Wiesbaden getätigt hat. Im Rahmen des Programms wurde der als „Poptitan“ gefeierte Bohlen auf der Bühne über den Verlauf seiner Karriere interviewt sowie nach Erfolgstipps befragt.
Der Moderator beginnt das Gespräch mit dem Hinweis, dass Bohlen ursprünglich BWL studiert hätte. Daraufhin muss der Musikproduzent lachen und entgegnet:
„Das stimmt schon auch wieder nicht, was du sagst. Ich habe das nicht studiert, sondern ich hab auch ein Examen gemacht und ich bin Diplom-Kaufmann, so viel Zeit muss sein (…) Studiert haben viele (…) Heutzutage kann sich ja fast jeder auf die Uni einschreiben und dann sagen, er hat studiert. Das nützt natürlich nix. Wenn, dann muss man das zu Ende machen.“
An diese Aussage scheint er anzuknüpfen, als er später gefragt wird, ob nicht auch Politik etwas für ihn wäre. Zunächst scheint die Frage den sonst so meinungsstarken Bohlen plötzlich sprachlos zu machen. Nach einem Moment des Zögerns sagt er:
„Ihr könnt mich ruhig ausbuhen, aber ...“
„Ich bin echt fertig. Ich habe nichts gegen die Grünen (…) Aber die meisten Grünen, ich weiß nicht, ob ihr das wisst, aber diese ganze Führungsriege hat ja weder einen Berufsabschluss noch wer weiß was. Und wenn die dann von Fachkräftemangel reden, dann wird mir so’n bisschen sauer im Magen.“
Für diese Aussage erntet er Applaus und fügt anschließend hinzu:
„Politik ist ja immer so’n Ding, vor allem, es gibt ja immer verschiedene Meinungen, man kann alles immer verschieden sehen. Aber ich bin eben der Meinung, ihr könnt mich ruhig ausbuhen, aber wenn die diese Sanktionen zum Beispiel nicht gemacht hätten und man hätte sich vernünftig an einen Tisch gesetzt, dann bräuchten die Leute jetzt nicht den ganzen Firlefanz machen. Jetzt müssen wir frieren, jetzt müssen wir dies und das, das ist doch alles scheiße. Aus meiner Sicht (…)
Applaus aus dem Publikum.
„Und dass Russland jetzt für viel, viel mehr Geld Gas nach Asien verkauft, das versteh ich alles nicht mehr. Dass der Rubel steigt, der Euro fällt (…) Ich mache mir um Deutschland und Europa extremste Sorgen (…) Früher hatten wir immer ein Ding: Wie kann es Deutschland besser gehen? Jetzt sagen die Politiker nur noch: Wir müssen den Gürtel enger schnallen (…) Warum ist das so? Das haben die uns alles wirklich, ganz ehrlich, eingebrockt und das sollen wir jetzt ausbaden. Und das verstehe ich persönlich jetzt nicht mehr.“
Reflexartige Medienhysterie
Als besagter Ausschnitt, vor allem die Passage über die Russland-Sanktionen, in der letzten Woche größere Aufmerksamkeit erhielt, reagierten die Medien gewohnt hysterisch. Die BILD-Zeitung schrieb, Dieter Bohlen hätte gegen die Ukraine „geätzt“, ein Verb, das angesichts des Inhalts der Aussage des Musikproduzenten am Thema vorbei geht. In einem weiteren BILD-Artikel mit dem Titel „Dieter, du laberst Sch…“ liefert Autor Hans-Jörg Vehlewald vor allem Polemik:
„Wenn Du, lieber Dieter, jetzt sagst: ‚Die Politiker‘ hätten sich bloß ‚an einen Tisch setzen müssen“, um Russlands Annexion zu stoppen, dann erklär das mal den Angehörigen ukrainischer Soldaten, die seit Februar durch Russlands Angriff gefallen sind. Oder den TAUSENDEN Familien der Frauen und Kinder, die im Bombenhagel von Putins Terroranschlägen starben.“
Dies beantwortet definitiv nicht die Frage, warum der real-politische Nutzen der Sanktionen nicht infrage gestellt werden darf. Denn nichts anderes hat Bohlen getan. Zweifel und Hinterfragen sind immer der mögliche Beginn einer Erkenntnis. Es wäre beispielsweise sinnvoller gewesen, den „lieben Dieter“ zu fragen, mit wem er sich denn „vernünftig an einen Tisch“ hätte setzen und worüber konkret verhandeln wollen?
Ein Kommentar für t-online mit dem Titel „Dieser Mumpitz kann nicht sein Ernst sein“ nennt es „zynisch, wenn Dieter Bohlen sich offenbar mehr darum sorgt, dass Menschen hierzulande frieren, als über die Toten in der Ukraine“. Bohlen wird auch noch die Fürsprache seitens des AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla („Dieter Bohlen vertritt den Standpunkt der AfD“) angekreidet.
„Während im Ukraine-Krieg täglich Tote zu beklagen sind, geht ein Video-Mitschnitt im Netz viral, in dem Dieter Bohlen die EU-Sanktionen kritisiert. Das ruft die AfD auf den Plan“, heißt es sehr zugespitzt beim Merkur.
Die FAZ veröffentlichte einen weitgehend neutralen Bericht zur Causa und überliefert, dass die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken Bohlens Äußerungen „moralisch verkommen“ genannt hat.
Wie RND empört berichtet, blieb Dieter Bohlen am Donnerstag auf Anfrage immer noch bei seinem Standpunkt „und nahm auch seine ablehnende Haltung gegenüber den Russland-Sanktionen nicht zurück“. Mehr noch: „Und auch Bohlens Haussender RTL bleibt in einer Stellungnahme vage – eine deutliche Distanzierung gibt es nicht.“
Ein weiterer t-online-Bericht bemüht sich immerhin, mittels eines „Faktenchecks“ die Sanktionen auf der Sachebene zu rechtfertigen, was die normale Form der politischen Auseinandersetzung bei einer solchen Debatte sein sollte.