Alexander Eisenkopf, Gastautor / 05.10.2018 / 06:25 / Foto: Pixabay / 53 / Seite ausdrucken

Dieselpakt: Analyse einer Bankrott-Erklärung

Von Alexander Eisenkopf.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer machte zuletzt eine ziemlich schlechte Figur. Seine jugendlich-lässige Erscheinung auf der homepage des Minsteriums, die schönen Bilder bei der Eröffnung des #Digitalacker und die Twitter-Orgien seines von der Bild-Zeitung abgeworbenen Pressesprechers konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich bei der aktuellen Diskussion um den Diesel und die drohenden Fahrverbote in mehreren bundesdeutschen Städten in eine Ecke manövriert hatte, aus der kaum herauszukommen war. Doch gilt nicht auch für ihn der Satz „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, vielleicht in Gestalt der Automobilindustrie, die ja mit der Rolle der Problembärs nicht dauerhaft zufrieden sein kann?

Zum Showdown im Dieselgate kam es für den Minister schließlich nach mehreren Anläufen im Berliner Koalitionsausschuss in der Nacht von Montag auf Dienstag. Angesichts der anstehenden Landtagswahlen und der allfälligen Koalitionskrisen zwangen blank liegende Nerven bei CDU und SPD zu einer Einigung: „Whatever it takes“. Das Thema „Diesel“ verdrängte sogar den ebenfalls in diesem Koalitionsausschuss verhandelten „Spurwechsel“ in der Flüchtlingspolitik in der medialen Wahrnehmung. Hat jetzt die SPD mit ihren Forderungen nach Hardware-Nachrüstung den solches bisher beharrlich ablehnenden Minister gezwungen, ebenfalls einen „Spurwechsel“ vorzunehmen? Bisher verwies er gebetsmühlenartig auf die Erfolge seines Sofortprogramms „Bessere Luft“ und die Risiken und Kosten von Hardware-Nachrüstungen, während das medial verstärkte Trommelfeuer von SPD, Grünen und auch der FDP den politischen Handlungsdruck ins nahezu Unerträgliche steigerte.

Die Lösung dieses eigentlich unauflösbaren Dilemmas erinnert – wie so häufig in der Politik – an die Formprinzipien des klassischen Dramas. Nach der Zuspitzung der Handlung folgt die Peripetie in Form einer nächtlichen Krisensitzung. So verabschiedeten die Koalitionsspitzen in der Nacht zum Dienstag „nach hartem Ringen“ ein „Konzept für saubere Luft und Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“. Erleichtert und mit dem Hinweis darauf, dass die Koalition handlungsfähig ist und „viel Schwung hat“, wurde die Einigung noch in der Nacht dem Publikum verkündet und später am Morgen von den Ministern der Presse vorgestellt. Leider sind nicht alle mit den Ergebnissen dieser großkoalitionären Kraftanstrengung einverstanden, und das aus guten Gründen: Es fehlt die Katharsis, die Einsicht der Politik, dass eigentlich sie etwas falsch gemacht hat.

Was ist Inhalt des Dieselpakets?

Hauptbestandteil des beschlossenen Maßnahmenpaktes sind großzügige Prämien der Autohersteller für den „Umtausch“ älterer Fahrzeuge sowie Regelungen für eine geplante Hardware-Nachrüstung von Dieselfahrzeugen, doch sind die Regelungen im Detail durchaus komplex. In allen Städten, in denen der NO2-Jahresmittelwert den Grenzwert von 40 µg je m³ Luft überschreitet, unterstützt der Bund zunächst die Hardware-Nachrüstung mit SCR-Systemen bei schweren Kommunalfahrzeugen sowie Handwerker- und Lieferfahrzeugen. Die Förderquote hierfür beträgt 80 Prozent, und die Regierung rechnet damit, dass hierdurch in Städten mit Immissionswerten von unter 50 µg der Grenzwert in Zukunft ohne Verkehrsbeschränkungen eingehalten werden kann. Unklar bleibt allerdings, wer die restlichen Kosten trägt; darüber will die Bundesregierung mit den Automobilherstellern verhandeln.

Für 14 besonders belastet Städte, die Jahresmittelwerte von über 50 µg NO2 je m³ Luft aufweisen, sieht das Papier besondere Regelungen vor. So soll das Bundesimmissionsschutzgesetz geändert werden, damit Fahrzeuge der Euroklassen 4 und 5, die weniger als 270 mg/km Stickoxid ausstoßen, in Zukunft auch bei Vorliegen von Verkehrsbeschränkungen einfahren dürfen. Für Fahrzeuge, die diesen Grenzwert überschreiten, werden zwei alternative Angebote gemacht.

Zum ersten stellt der Verkehrsminister eine „Umtausch-Aktion“ vor. Die deutschen Automobilhersteller haben zugesagt, betroffenen Dieselfahrern großzügige Umtauschangebote zu machen, um Fahrzeuge zu erwerben, die nicht von Verkehrsbeschränkungen betroffen sind. Dies können auch Gebrauchtwagen sein. Zweitens werden Rahmenbedingungen für Hardware-Nachrüstungen in Form genehmigungsrechtlicher Voraussetzungen geschaffen. Für den Fall, dass Hardware-Nachrüstungen von Euro V-Dieseln technisch möglich und verfügbar sowie geeignet sind, den Stickoxidausstoß auf unter 270 mg/km zu reduzieren, erwartet der Bund, dass der jeweilige Automobilhersteller die Kosten für den Einbau übernimmt. Die Haftung liegt beim Nachrüster.

Diese Regelungen sollen auch für Bewohner angrenzender Landkreise und Pendler aus anderen Herkunftsgebieten gelten. Außerdem sollen im Falle von Verkehrsbeschränkungen die Verkehrsüberwachungsbehörden auf die Daten des Zentralen Fahrzeugregisters zugreifen können, um fahrzeugindividuell die Einfahrberechtigung überprüfen zu können. Es wird also keine „blaue Plakette“ geben.

Was ist die Vorgeschichte?

Seit langem wird in einer überschaubaren Zahl deutscher Städte an einzelnen Messstellen der seit dem 1. Januar 2010 gültige Jahresmittelwert von 40 µg NO2 je m³ Luft überschritten. Die EU erlaubte großzügigerweise eine Fristverlängerung für die Einhaltung der Grenzwerte bis 2015, was aber die Politik nicht zu angemessenen Reaktionen anspornte. Man spielte auf Zeit, lediglich die Exekutive vor Ort war in der Verpflichtung, sich in Form von Luftreinhalteplänen des Problems anzunehmen. Das „auf Zeit spielen“ schien keine schlechte Strategie zu sein. Bereits 2017 ist die Zahl der Kommunen mit Grenzwertüberschreitungen von 90 auf 65 zurückgegangen.

Sogar das Umweltbundesamt schätzt, dass mittelfristig nur noch rund 20 Städte von der Problematik betroffen sein werden. In der Landeshauptstadt Stuttgart, deren Luftreinhalteplan Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht war, geht es vor allem um die Messstellen Neckartor (73 µg je m³ in 2017), Hohenheimer Straße (69 µg) und Arnulf Klett-Platz (56 µg). In München liefern allein die Messpunkte Landshuter Allee und Stachus Grenzwertüberschreitungen, wobei die Landshuter Allee mit 78 µg je m³ im letzten Jahr das berühmt-berüchtigte Neckartor als Hot-Spot abgelöst hat. In Frankfurt a. M. wurde allein an der Messstelle Friedberger Landstraße mit 47 µg NO2 ein erhöhter Wert gemessen – was bekanntlich zu einer gerichtlichen Androhung von Fahrverboten in der gesamten Umweltzone Frankfurt a. M. führte.

Angesichts der von vielen Medien reißerisch begleiteten Kampagne der Deutschen Umwelthilfe, nach der deutsche Großstädte eine einzige Stickoxidhölle seien, an der Mensch und Tier litten und zugrunde gingen, nimmt sich die reale Gefährdung allerdings relativ bescheiden aus. Zwar sekundierte das Umweltbundesamt seinerzeit die Berichterstattung mit einer epidemologischen Studie, nach der 6.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen seien, die von Stickoxiden ausgelöst würden, doch finden solche Schreckensszenarien bei Medizinern und Toxikologen nur wenig Widerhall. Man muss sich zudem vor Augen führen, dass z.B. für Büroarbeitslätze deutlich höhere Grenzwerte festgesetzt sind (60 µg je m³), ganz zu schweigen von Arbeitsplätzen in der Produktion (950 µg). Und in den USA, wo der Dieselskandal seinen Ausgangspunkt genommen hatte, liegt der entsprechende Grenzwert für den Verkehr bei 100 µg je m³. 

Warum ist es überhaupt so weit gekommen?

Im Jahr 1999 wurde von der EU ein Grenzwert von 40 µg je m³ NO2 im Jahresmittel festgesetzt; eine Richtlinie, die von allen Mitgliedstaaten getragen und im Jahre 2002 vom deutschen Gesetzgeber in nationales Recht umgesetzt wurde. Angesichts der angesprochenen Regelungen in andere Sektoren ist allerdings zu vermuten, dass es sich bei den damals vereinbarten 40 µg um einen rein politisch gesetzten Wert handelt, der sehr bequem mit einem entsprechenden Report der Weltgesundheitsorganisation WHO zu begründen war: in jedem Fall ein für alle gesichtswahrender Kompromiss nach einer langen Brüsseler Verhandlungsnacht. Dass für die Umsetzung Andere verantwortlich sein würden, machte einen solchen Beschluss für die bereits damals umwelt- und klimabewegten Politiker einfach. Keiner hatte auch nur den Hauch einer Ahnung, wie man diesen Grenzwert erreichen wollte oder konnte.

Tatsächlich hat die Politik es anschließend nicht geschafft, die anspruchsvollen Immissionsstandards aus der EU-Regelung in eine sinnvolle Emissionsgesetzgebung zu übersetzen. Dazu muss man auch wissen – und hierauf weist der Motorenentwickler Thomas Koch vom KIT Karlsruhe immer wieder hin –, dass es einen Trade-off zwischen der Minderung der Partikelemissionen (Feinstaub) und den Stickoxidemissionen gibt. Mit der seinerzeit verfügbaren Technologie war es nicht möglich, beide Emissionen gleichzeitig stark zu reduzieren. Im Vordergrund stand aber klar die Reduktion des gesundheitsschädlichen Feinstaubs, und ein Grenzwert für Realbetriebsemissionen wurde von der Politik niemals definiert – dies übrigens auch nicht für den Emissionsstandard Euro 6a. Faktisch hat also vor allem die Regulierung seitens der Politik versagt und nicht (nur) die Automobilindustrie, welcher der Schwarze Peter in der Diskussion regelmäßig zugeschoben wird. Doch zu den Versäumnissen der Autoindustrie später, damit kein falscher Zungenschlag aufkommt. 

Jetzt wird dieses offensichtliche Regulierungs- und Politikversagen in einem unwürdigen Geschachere durch hektischen Aktionismus und ein politisches Possenspiel kompensiert, mit dem sich die Parteien profilieren wollen, während sich andere an der Sprachlosigkeit einer waidwunden Automobilindustrie laben, die sie aus ihrer Ideologie heraus ohnehin zum Feindbild Nr. 1 im anstehenden Klimakrieg erkoren haben und nur als ökologisch korrekte Elektroautos erzeugende Branche überhaupt überleben lassen wollen. Wie gut muss es einem Land (noch) gehen, das mit einem solchen Scheinriesen wie dem NO2 kämpft und dabei eine seiner für Wachstum und Wohlstand zentralen Industrien zum „Abwracken“ frei gibt.

Welche Rolle spielt die Automobilindustrie?

Offensichtlich ist die Politik derzeit nicht mehr in der Lage, nach vernünftiger Abwägung adäquate Lösungen für ein drängendes Problem zu formulieren und durchzusetzen, ohne sich dabei von Institutionen, die niemand gewählt hat, wie zum Beispiel die Deutsche Umwelthilfe, nachgeordneten Behörden mit einem beachtlichen Eigenleben wie dem Umweltbundesamt und insbesondere auch den skandalisierenden Medien treiben zu lassen. Dieses Politikversagen wird dann mit der Einsetzung von Expertenkommissionen, Gipfelrunden („Diesel-Gipfel“) sowie völlig intransparenten Hinterzimmergesprächen mit der Industrie kompensiert. Spontan wird man in dieser Konstellation an Donald Trump und sein „Drain the swamp!“ erinnert.

Verwöhnt vom langjährig problemlosen und direkten Zugang zur Politik – der frühere VDA-Vorsitzende Wissmann war ja in grauer Vorzeit einmal Verkehrsminister – hat sich aber auch die Automobilindustrie gnadenlos verzockt. Man glaubte, aufgrund der volkswirtschaftlichen Relevanz politisch sakrosankt zu sein. Doch die Zeiten haben sich geändert – der „Kanzler aller Autos“ ist längst passé. Zumindest einige ihrer politischen Patrone wandten sich nach dem Dieselskandal bei Volkswagen von ihren Schützlingen ab. Auch der versuchte Schulterschluss mit den Grünen (siehe Zetsches Auftritt auf deren Parteitag 2016) half der Autoindustrie letztendlich nicht.

Wegen der schleichenden Annäherung an den politisch korrekten Zeitgeist hatte man es umgekehrt wohl versäumt, klar zu sagen, was technisch und ökonomisch machbar ist und was nicht, und damit die Konsequenzen überzogener Regulierungsvorgaben aufzuzeigen. Jetzt, wo die Interventionsspirale sich weiter dreht, wie zum Beispiel bei den geplanten prohibitiven CO2-Flottengrenzwerten, den am Horizont drohenden Quoten für Elektroautos und angesichts der Hybris einer Politik, die wissen will, was der Autoindustrie im internationalen Wettbewerb gut tut (Grüne) oder den Bau von Batteriefabriken in Deutschland für alternativlos hält (Kanzlerin Merkel), muss man zu Kreuze kriechen, um das Schlimmste zu verhindern. Doch ist der Kredit verspielt, das Vertrauen zerstört. Nach dem Tenor der öffentlichen Meinung trägt die Autoindustrie ohnehin die Alleinschuld an Chaos, Wertverlust und drohenden Fahrverboten. Als korrupte, verlogene und moralisch verwahrloste Hure der Politik muss sie jetzt einfach für ihre Sünden büßen. 

Der umwelt-klimapolitische Komplex dieser Gesellschaft steht dabei und reibt sich feixend die Hände, dass sich die ungeliebte, einst so stolze und mächtige Industrie sozusagen selbst zur Strecke gebracht hat, weil ihre bedenkenlose Anbiederung an die alternativlosen Vorgaben der Politik nur über ein Handeln im Graubereich der Regulierung operativ umsetzbar war. Eine kleine, aber schlagkräftige Organisation wie die Deutsche Umwelthilfe treibt die Bosse der Autoindustrie und die Politik vor sich her – ohne demokratische Legitimation zwar und mit einer zweifelhaften Finanzierungsstruktur, jedoch auf der Woge des grünen Zeitgeistes davoneilend und das Repertoire der politischen Kommunikation meisterhaft beherrschend.

Das muss bitter sein, nicht nur für Herrn Stadler, der schon monatelang in Untersuchungshaft sitzt und nun auch seinen Vorstandsjob los ist. Der „Vorsprung durch Technik“ und der politische Goodwill sind wohl beide aufgezehrt. Vorsicht aber, auch über eine Erzwingungshaft gegen Mitglieder der bayerischen Landesregierung wird im Kontext der sogenannten „Luftreinhaltung“ schon diskutiert.

„People only do, what they are measured to do”, dieser bekannte Satz aus der Organisationstheorie gilt auch für die Akteure im Dieselskandal: Thermofenster und Abschalteinrichtungen waren für die Automobilindustrie der Weg, das Unmögliche möglich zu machen und weiterhin dem Glauben an ein praktisch abgasfreies Auto anhängen zu können. Schlechte und zwangsläufig unvollständige Regulierung eröffnete Handlungsspielräume, die bekanntermaßen nicht nur aus- sondern auch überreizt wurden – und dies in skandalöser Weise in einem Unternehmen mit 20 Prozent Staatsbeteiligung und extrem starkem Gewerkschaftseinfluss. Diesen Schlamassel muss die Automobilindustrie jetzt ausbaden – aus Sicht der Politik natürlich alleine, denn sie selbst hat ja in der Selbstwahrnehmung keine Schuld. Aus den Reihen der Politik kann leider niemand zur Verantwortung gezogen werden für eine schlechte Regulierung.

Was ist vom „Dieselpaket“ zu halten?

Politik und Automobilindustrie haben sich nach monatelangem völlig hilflosem Agieren – sogar kostenloser ÖPNV in den Städten war ja einmal auf der Agenda – auf einen Kuhhandel verständigt, der das Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt ist. Zwar kommt die Automobilindustrie nach Einschätzung ihrer Gegner zu gut weg, da es keine flächendeckende Verpflichtung zur Hardware-Nachrüstung gibt. Doch wo ist die rechtliche und ökonomische Handhabe dafür? Jenseits der Thematik bei VW gab es für alle Fahrzeuge gültige Typgenehmigungen, und sie waren ordnungsgemäß nach geltendem Recht zugelassen. Niemand kann heute wegen unzureichender Regulierungsvorgaben seitens der Politik dazu gezwungen werden, Maßnahmen zu ergreifen, die aus technischer, rechtlicher und ökonomischer Perspektive höchst zweifelhaft sind und zudem einen Eingriff in die Vermögenssphäre der Unternehmen bedeuten, der unweigerlich zu Regressansprüchen führen würde.

Hardware-Nachrüstung ist zudem kein so einfaches Unterfangen, wie es das Kraftfahrzeuggewerbe – welches selbstverständlich an diesem Zusatzgeschäft höchst interessiert ist – oder auch die FDP darstellen. Letztere fordert sogar einen Fonds für die Nachrüstung von Dieselfahrzeugen sowie eine „Mobilitäts- und Wertgarantie für alle Euro V-Diesel“: Der ordnungspolitische Kompass scheint den Nachwuchskräften dieser Partei mittlerweile völlig abhandengekommen zu sein.  

Insofern ist die entsprechende Maßnahme im Konzept des Verkehrsministers zwar eine Nullnummer, da Nachrüstung unter diesen Voraussetzungen wahrscheinlich nur in homöopathischen Dosen stattfinden wird – Autohersteller wie BMW und Opel haben bereits abgelehnt und VW macht nur mit, wenn alle mitmachen –, das ist aber durchaus zu begrüßen. Dass die SPD sich in diesem Punkt gegen Scheuer nur auf dem Papier durchsetzen konnte, ist eine der ganz wenigen Stärken des Konzeptes, wie auch die geplante Nachrüstung von schweren Kommunalfahrzeugen mit SCR-Katalysatoren. Angesichts deren Fahrleistungen in Städten und Ballungsräumen dürften die entsprechenden Mittel zumindest nicht verschwendet sein.

Die geplanten Umtauschprämien für Dieselfahrzeuge der Euronorm 4 und 5 sind dagegen ein Fanal und eine Bankrotterklärung der Politik: Deren Handlungsfähigkeit manifestiert sich darin, dass sie vorher mit der Industrie im Hinterzimmer verhandelte Rabatte für den „Umtausch“ von Fahrzeugen verkündet. Der Überbietungswettbewerb der Autohersteller im Hinblick auf die Nachlässe sollte nicht den Blick darauf versperren, dass Neuwagenkäufer heute regelmäßig von sehr hohen Rabatten auf die Listenpreise profitieren und die in der Presse genannten Zahlen daher ohne jeden ökonomischen Aussagewert sind.

Die Kursentwicklung der Autoaktien nach der Verkündung der Entscheidung zeigt ja auch, dass der Kapitalmarkt keinerlei Belastung der Unternehmen durch dieses „großzügige“ Angebot sieht, zumal auch Gebrauchtwagen Teil des Angebots sein sollen, die derzeit also kaum verwertbaren und damit ökonomisch wenig werthaltigen Flotten von Euro VI Leasing- oder Mietwagenrückläufern wieder in den Markt eingespeist werden können. Hoffentlich ergeht es den Autofahrern bei dem von Minister Scheuer favorisierten „Umtausch“ nicht wie Hans im Glück.

Aus volkswirtschaftlicher Sicht kritisch zu bewerten ist zudem eine mögliche Verschrottung durchaus noch viele Jahre voll funktionsfähiger Fahrzeuge als staatlich incentivierte Vernichtung von Volksvermögen – nicht zuletzt aufgrund der Ressourcenbeanspruchung bei der Produktion der neuen Autos. Oder dürfen diese Diesel dann in anderen EU-Ländern weiterfahren, bevorzugt in Osteuropa, wo die Gesundheitsgefahren durch NO2 als nicht so dringlich angesehen werden?

Selbstverständlich ist das „Konzept für saubere Luft und Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten“ auch handwerklich mit heißer Nadel gestrickt. Warum sollen nur Kfz-Halter in den NO2-Hotspots und deren Umgebung von der Umtausch-Aktion oder der Hardware-Nachrüstung profitieren? Was ist mit Bürgern, die nicht regelmäßig in eine der betroffenen Städte fahren und von Verkehrsbeschränkungen betroffen sind? Wie werden „Handwerker-Fahrzeuge“ definiert? Wie stellt man sich das operative weitere Vorgehen bei der Hardware-Nachrüstung und die insbesondere die Einbeziehung ausländischer Hersteller vor? Glaubt man wirklich, dass ein Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregister aus der Perspektive des strengen deutschen Datenschutzrechts Bestand hat? 

Diese und zahlreiche weitere Fragen bleiben unbeantwortet und werden sich in den nächsten Wochen und Monaten umso drängender stellen, damit das Ziel der Vermeidung von Fahrverboten vielleicht doch noch erreicht werden kann. Zudem wird die kontroverse und für den Verkehrsminister unangenehme politische Diskussion weitergehen, wie sich in den letzten beiden Tagen bereits gezeigt hat.

Koalition erhalten – Whatever it takes

Flächendeckende Fahrverbote wären wahrscheinlich der Supergau der deutschen Politik, kollektive Gehorsamsverweigerung die absehbare Folge. Man wagt es sich kaum vorzustellen, welche Schlagzeilen produziert würden, wenn die staatliche Ordnungsmacht diese Fahrverbote konsequent gegen die schon länger hier lebenden Bürger durchsetzen müsste. Dann geht es nicht mehr um eine Tempo 30-Zone oder eine schlichte Ordnungswidrigkeit, sondern ums Eingemachte: Den alltäglichen Lebensvollzug, den Weg zur Arbeit oder die stille Genugtuung, dass man ein mühsam erworbenes Auto bei guter Pflege noch einige Jahre nutzen kann.

Wahrscheinlich liegt es uns Deutschen nicht, mit solchen Regelungen im „Italian Style“ umzugehen, obwohl einige sich das gerade bei diesem Thema manchmal wünschen: Man könnte ja auch darüber nachdenken, Messstationen ein wenig von der Straße weg zu versetzen, um das Problem zu lösen, was nach EU-Recht durchaus machbar wäre. Denkbar wäre zudem der Versuch, bei der EU-Kommission um einen temporären Aufschub ihrer kritikwürdigen Grenzwertsetzungen nachzusuchen. 

Über solche Fragen wurde allerdings gar nicht diskutiert. Anscheinend gab es in Deutschland nur den Weg, die Auseinandersetzung um den Diesel und mögliche Fahrverbote in einer Kombination ideologischer Verbohrtheit und deutscher Gründlichkeit zu führen, allerdings nicht so gründlich, dass auch eine wirkliche ökonomische Nutzen-Kosten-Analyse der Situation und der zur Verfügung stehenden Maßnahmen vorgenommen wurde – im Sinne der seinerzeit vom Bundesverwaltungsgericht betonten Verhältnismäßigkeit. Die entstandene Dilemmasituation war wohl angesichts drohender Landtagswahlen für die Politik nicht anders lösbar, denn die Koalition stand wieder einmal auf dem Spiel. Sie wurde zwar gerettet – „whatever it takes“, aber das zu diesem Zweck vereinbarte Konzeptpapier ist nichts als eine verkehrspolitische Bankrotterklärung.

Professor Dr. Alexander Eisenkopf ist Wirtschaftswissenschaftler, Professor an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.

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Sepp-Michael Andreas / 05.10.2018

Solange der weltweit einmalige Grenzwert von 40 Mikrogramm nicht hinterfragt wird und ins Verhältnis gesetzt wird mit Arbeitsstätten und Büros und der Schweiz und USA und außerdem die Markenrechte von AdBlue nicht hinterfragt werden ist der komplette Artikel langweilig und gegenstandslos

Bernhard Freiling / 05.10.2018

Bei TE fand ich zu einem sehr ähnlichen Thema folgenden Kommentar eines Lesers mit dem Nick “Talleyrand”, den ich Ihnen nicht vorenthalten möchte : “Bin grade mal draußen gewesen, mir war sofort asthmatisch zumute und meine neue NO2 Sensor- DHU-App hat über 45 µg NO2 gemeldet mit Alarmgedudel. Habe mich gerade noch rechtzeitig und japsend ins Haus zurück geschleppt und mir damit wohl das Leben gerettet. Drin waren es zwar 200 µg, ich rauche halt gerne, aber im Innenraum ist das praktisch Luftkurortqualität. Erst bei 950 µg fängt da laut offizieller Vorschrift das Kratzen im Halse an. Ich habe mich sofort sauwohl gefühlt. Idee: wir fahren Diesel nur noch in Innenräumen.”

N. Randolph / 05.10.2018

Frage an Prof. Dr. Eisenkopf: Wenn im Drama um den Verbrennungsmotor neue Grenzwert-Schildchen auf die Bühne geworfen werden, um das Feuer der Subventionsmilliönchen anzufachen, könnten Sie, als wissentschaftlicher Beirat des Bundesministeriums, denn dann nicht mal einen Feuerlöscher holen?

Axel Heinz / 05.10.2018

Ich habe einen klitzekleinen Punkt in dem hervorragenden Beitrag zu bemängeln: “Nach dem Tenor der öffentlichen Meinung trägt die Autoindustrie ohnehin die Alleinschuld …”, schreibt Prof.Eisenkopf. Zweifellos gibt es jede Menge Mitmenschen, die sich Meinung gerne vorkauen lassen und diese aus einer Mischung aus Infantilität & Bequemlichkeit vollkommen unreflektiert wiederkäuen. Aber es gibt sie gücklicherweise dennoch, diejenigen, die ihren Kopf zum (nach)Denken benutzen und die dem Mainstream die kritiklose Gefolgschaft verweigern. Daher sollte es heißen: “Nach dem Tenor der VERöffentlichTen Meinung trägt die Autoindustrie ohnehin die Alleinschuld …”. Nachdem es nun an des Michels liebstes Kind geht, hege ich die Hoffnung, dass sich mehr Menschen als sonst, diesem Politikversagen entschieden entgegenstellen werden.

R. Nicolaisen / 05.10.2018

Dummheit, Willkür und Hysterie - der Deutschen Haupt- und Lieblingseigenschaften.

Werner Holterbach / 05.10.2018

Wenn Fahrverbote kommen, wird die deutsche Autoindustrie (ca. 600.000 direkt betroffene Arbeitsplätze?!) das schwerlich überleben. Vielleicht werden ein paar Hersteller im Luxussegment (für den Export) überstehen, aber zigtausende Familienväter bei VW, Opel u.a. werden erst den Job und dann das unbezahlte Haus verlieren. Auch Beamtenpensionen sind betroffen, weil der Staat oft Teilhaber verschiedener Autokonzerne (z.B. bei VW) ist. Das Ausmaß der dann drohenden Verwerfungen kann man kaum überschätzen: Armut, Hunger, Seuchen. Weit radikalere Parteien und Forderungen als heute könnten entstehen. Mitleid ist dennoch fehl am Platze: Die Wähler hätten es noch verhindern können, wenn sie neuen Parteien wenigstens eine Chance gegeben hätten. Jeder sollte wissen, dass Umweltprobleme gleich welcher Art niemals das mörderische Zerstörungspotential sozialer Unruhen hätten. Auf einen Klimawandel kann man sich vorbereiten, auf einen Bürgerkrieg nicht.

M.Roll / 05.10.2018

Hat der Diesel fertig, kommt der Benziner dran und schwups ist die Mobilität von 0ttonormalverbraucher begrenzt und es gibt freie Fahrt für alle Politiker*innen und evtl noch für Kulturschaffer*innen.

Stefan Leikert / 05.10.2018

Daß dieses Regierungssystem einmal wegen Verstößen gegen die Gesetze der Physik zusammenkrachen würde, ist wirklich ein schöner Regieeinfall - guter Film!

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