Peter Grimm / 23.03.2019 / 11:57 / Foto: Beckilee / 23 / Seite ausdrucken

Diese Woche im Angebot: Guter und böser Jugendprotest

Die jungen Menschen, die freitags die Schule schwänzen um gegen den Klimawandel zu demonstrieren und ihrem Idol Greta zu huldigen, bekommen bekanntlich Unterstützung von allen Seiten. Nach der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten stellten sich auch viele Lehrer und Eltern hinter die Teilzeit-Schulverweigerer. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter gilt die Erinnerung an die Schulpflicht schon als Versuch, die Kleinen zu kujonieren und an ihrem Protest zu hindern. Dass Protest mit dem Segen der gesamten Obrigkeit eigentlich kein Protest ist, spielt keine Rolle. Wir kennen freitags keine Parteien mehr, sondern nur noch Klimaretter. Da stören nur die "Rechten". Vor allem jene, die nicht behaupten gar nicht „rechts“ zu sein. Gemeinerweise argumentieren die statt mit ideologiesatten Sprechblasen mit Zahlen, Daten und Fakten. Das Ganze gipfelt dann in dem Vorwurf, die jungen Menschen würden instrumentalisiert. Gegen solche infamen Vorwürfe nehmen all die engagierten Klimaretter aus Politik, Medien und fördermittelgenährten Organisationen die Kleinen natürlich in Schutz. Sie verträten doch nur ihre Zukunftsinteressen.

Die jungen Menschen, die  in ihrer Freizeit gegen die neue EU-Urheberrechtsverordnung protestierten, weil die de facto Nötigung zu Uploadfiltern der Internet-Zensur Tür und Tor öffnet, haben – wen wundert’s – keine Unterstützung von der Obrigkeit. Da ist also der Protest noch richtiger Protest, könnte man annehmen. Doch weit gefehlt, raunt es gerade aus den Kreisen, die die freitäglich schwänzende Klimarettungsjugend gegen jeden Instrumentalisierungsvorwurf in Schutz nimmt. Gerade diese jungen Menschen lassen sich doch von den bösen US-amerikanischen Netzgiganten instrumentalisieren, die nur verhindern will, dass die EU armen europäischen Großverlegern … äh, nein, Entschuldigung, den armen Künstlern und Autoren zu ihrem Recht verhilft.

Wie bei der Waffen-, Auto- und Tabakindustrie

Ein Beispiel für diese Weltsicht? Da gibt es ein Schmankerl aus der Süddeutschen Zeitung, die ja bekanntlich zumeist auf der richtigen Seite steht. „Ihr unterstützt datengierige US-Konzerne!“, ist der Text überschrieben. Und was lesen wir da?

„Upload-Filter“ ist genauso ein Kampfbegriff der Reformgegner wie die Floskel von der „Freiheit des Internets“. Ausgedacht haben sich das auch keine Demonstranten, sondern Lobbyisten und Netz-NGOs, die in Europa Stimmung gegen die EU machen. Der Upload-Filter ist eine Schimäre, die digitale Konzerne als Schreckensbild einer zwangsläufigen Folge der Reform in die Welt setzen. Mag sein, dass der Reformvorschlag ein juristischer Wust und nicht zu Ende gedacht ist. Von Zwangsläufigkeit kann aber keine Rede sein.“

Wenn es nicht zwangsläufig ist, dann kann das Fachblatt für die gute Weltordnung sicher mit einer Alternative aufwarten, die keine Zensurgefahren mit sich bringt:

„Andere technische Lösungen für die Durchsetzung eines Urheberrechts gäbe es sicher.“

Irgendwann vielleicht, doch das Gesetz soll jetzt in Kraft treten. Und jetzt gäbe es schon andere juristische Lösungen für die Durchsetzung des Urheberrechts. Aber statt darüber nachzudenken, wird der Protest gleich in die ganz große Achse des Bösen gestellt:

„Waffen-, Auto- und Tabakindustrie haben sich schon immer darauf verstanden, Freiheitsbegriffe und rebellische Popkulturen für sich umzumünzen.“

Die Samstagsdemonstranten sind in dieser Weltsicht, „Menschen auf die Straße gehen, um für die Rechte von Konzernen zu kämpfen, für die sie bereit sind, Bürgerrechte zu opfern. Das ist ein historischer Sieg amerikanischer Lobbyarbeit.“

Wow! Fassen wir zusammen: Wer freitags mit der Obrigkeit demonstriert, wird nicht instrumentalisiert, sondern pflegt legitimen „Protest“. Wer hingegen einen Tag später gegen ein Gesetzesvorhaben der Obrigkeit protestiert, macht sich zum willigen Werkzeug amerikanischer Lobbyarbeit.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Sanne Weisner / 23.03.2019

Echter Protest hat eben keine Freunde und Fürsprecher in der Politik oder den ihnen dienenden Medien. Somit ist es also eine Art Auszeichnung von jenen runtergeschrieben zu werden.

Wiebke Lenz / 23.03.2019

Ganz abgesehen davon, dass die zwei letzten zitierten Sätze (wie lange darf man das noch?) anti-US-amerikanisch wie aus dem Bilderbuch daherkommen, so ist es mein gutes Recht, für US-amerikanische Konzerne zu kämpfen. Und eben nicht für die armen europäischen Verlage, die am Hungertuche nagen, allein dadurch, dass das Internet mit seiner Vielfalt existiert. Wenn man diese These denn einfach als gegeben aufgreift. Im “realen” Leben verstehe ich nicht, warum nicht zitiert werden soll und darf. Eine bessere Werbung können sich z.B. Zeitungsverlage doch gar nicht wünschen. Vielfach wird ein kostenloses Probe-Abonnement zur Generierung von zahlenden Kunden angeboten. Und - wer möchte sich anmaßen, alle Zeitungen aus D. zu kennen? Um nur bei den Zeitungen zu bleiben. Quelle und Zitat bzw. Link sollten genügen. Und “Journalist” ist kein geschützter Beruf - diesen kann jeder ausüben. Er muss keine Journalistenschule besucht haben. Und was ist mit den zahlreichen Buchautoren? Wer Schriftsteller ist, weiß um die Ungleichverteilung zwischen Gewinn des Verlages und bei dem, was bei einem selbst “rumkommt”. Aber es wird enden wie bei der GEMA - selbst Musiker, die ihre Musik kostenlos veröffentlichen möchten, dürfen es nicht. Sie werden von der GEMA “geschützt”: Ob sie nun wollen oder nicht. So wird es zahlreichen kleinen Zeitungen und “Ein-Mann-Bloggern” (Achtung: nicht gendergerecht!) ergehen. Und die Informationsfreiheit gibt es nicht mehr nach diesem “Machwerk des Schutzes des geistigen Eigentums”. Aber an sich doch clever gedacht, die Hoheit nicht nur über den Kinderbetten, sondern auch über alle anderen Bürger zu erlangen - man entzieht schlicht Wissen. Insofern gibt es später nur noch eine blökende, folgende Herde. Haben aber schon andere versucht ...

Lars Schweitzer / 23.03.2019

Wow, das ist selbst für SZ-Verhältnisse bizarr.

Paul Siemons / 23.03.2019

Ich sage nur “Freitagsgebet”. Die noch nicht so lange hier lernen verbrüdern sich mit denen, die noch nicht so lange hier leben. Ein guter Zwischenschritt im Dienste unser aller Debilisierung. “Oh heilige Greta, die du uns rettest vor Wind, Wetter und Wirklichkeit, bewahre uns von dem Übel! Lass uns glauben und nicht wissen, denn Wissen ist Dummheit. Doch dein ist die Infantilität und das Grüne zwischen den Ohren! Skol!”

Wolfgang Kaufmann / 23.03.2019

Wir könnten auch den Freitag zum Feiertag erklären und dafür am Samstag und Sonntag Schule abhalten. Alle erfolgreichen Länder der Welt machen das so.

Rolf Lindner / 23.03.2019

Wenn sich solche Fachjournale für Freiheit, Demokratie und Sozialismus für oder gegen etwas einsetzen, “da weiß man, woher der rotgrüne Wind dann wirklich weht.” (Zitat leicht geändert)

Johannes Schuster / 23.03.2019

Die Jugend selber protestiert nicht, sie erhebt sich gegen die Eltern und sucht hierfür stellvertretend den Ausdruck mit dem politischen Objekt. Wer gerade einmal in der Schule Brecht in zwei Pointen versteht kann gar keine Meinung haben , wenn er sie zuhause nicht schon bilden konnte, dann liest man aber schon lange nicht mehr Brecht. Die deutschen Elternhäuser sind die treibende Kraft hinter allem, sie und der repräsentative deutsche Erwartungshorizont an das Funktionieren. Das ist alles im Sozialinstitut zu Frankfurt längst erhoben worden. Warum habt ihr - das Unbestimmte - alles nur so rasch vergessen ?

Rolf Menzen / 23.03.2019

Wie in der DDR. Mit der Obrigkeit für Frieden, Völkerfreundschaft und Sozialismus “demonstrieren” war gut, demonstrierte man aber gegen das SED-Regime, bekam man es mit Stasi und VP zu tun.

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