Was meinte Angela Merkel mit „einer Situation“ im Dezember 2016? Sie versicherte ihrem Parteitag, dass die Lage von 2015 mit einem Ansturm von Flüchtlingen an Deutschlands Grenzen nicht noch einmal vorkommen soll. Es ist nun, vier Monate später, leider nahezu unmöglich, fundierte Zahlen über die gegenwärtige Immigration nach Deutschland zu finden. Zu viele Nebelbomben werden geworfen. So prüft niemand nach, ob es stimmt, was die Kanzlerin versprochen hat: „Eine Situation wie im Sommer 2015 wird sich nicht wiederholen.“ Das Mosaik aus den zugänglichen Informationen spricht da eine andere Sprache.
Über das Osterwochenende wurden nach Zeitungsmeldungen Tausende Migranten aus Afrika auf dem Mittelmeer gerettet. Es war ruhiges Wetter, der Sommer kommt und damit ein Anstieg der Migrantenzahlen. Ein NGO-Schiff war mit 400 Flüchtlingen derart überfüllt, dass es in Seenot geriet und von FRONTEX-Schiffen gerettet wurde – die Retter retten sich gegenseitig. Die Schiffe der NGO’s und von FRONTEX brachten die Migranten, wie stets, nach Italien. FRONTEX ist eigentlich da, um die Seegrenzen zu schützen. Jetzt haben sie mit den NGO-Schiffen gemeinsam einen Abholservice organisiert. Laut eigenen Angaben retteten die NGO’s in diesem Jahr bereits 27.000 Menschen von meist seeuntüchtigen überfüllten Booten.
Zu den Zahlen der nach Italien Geretteten kommt die Zahl derer hinzu, die es übers Mittelmeer schafften. Wenn die Schleuser weiter so erfolgreich sind, kann man sich leicht die Zahl von einer Million Immigranten pro Jahr vorstellen - denn es kommt ja auch der Familiennachzug und illegale Immigration über Land hinzu. Nachzuprüfen ist das nicht. Man versteht nicht einmal mehr die Zahlen. Wie weit ist das BAMF eigentlich mit der Registrierung derjenigen, die „erst vor Kurzem zu uns gekommen sind“ und wie viele sind es?
Der Schleppermafia wird ein neues Geschäftsmodell geliefert
Das Geschäftsmodell der Schleppermafia hat sich verändert. Für die Seenot-Rettung braucht es heute keinen Sturm mehr, Seenot wird organisiert. Die Schleppermafia stopft für viel Geld eine Unzahl migrationswilliger afrikanischer junger Menschen, meist junge Männer, auf provisorisch zusammengepfuschte Schlauchboote oder hölzerne Bootswracks. Wer schon bezahlt hat und nicht einsteigen will, wird erschossen. Die Boote werden vor die Küste Libyens geschleppt. Dort setzt die Schleppermafia sie aus, das spart Sprit. Die Boote treiben völlig überladen und oft hilflos auf dem Meer. Mit etwas Glück werden die Menschen von den privaten Hilfsorganisationsbooten oder den Grenzschutzschiffen von FRONTEX gerettet und nach Italien gebracht.
Diejenigen, die weniger Glück haben, ertrinken. Über 600 Migranten sollen auf See gestorben sein. Den Schleusern ist das nur recht, denn es erhöht den moralischen Druck auf die Retter. Und je mehr gerettet werden, desto mehr werden diejenigen in Afrika ermutigt, die sich auf den Weg nach Europa machen wollen. Und „Europa“ heißt für die allermeisten Deutschland, das Land wo die Mutter aller Gläubigen Milch und Honig fließen lässt.
Derweil wächst der Bevölkerungsdruck in Afrika weiter. In manchen afrikanischen Ländern ist der „Kriegsindex“ bei über fünf, das heißt: auf einen älteren Mann der in Rente geht, kommen fünf junge Männer, die den Lebenskampf aufnehmen. Vier von ihnen sind naturgemäß chancenlos, wenn die Wirtschaft nicht wächst. Der höchste Wunsch dieser Chancenlosen ist es, in die reichen Länder auszuwandern. Der Rest geht in die Kriminalität oder wird Krieger. In den Kriegen sinkt dann der Kriegsindex, weil neben der Zivilbevölkerung auch viele Krieger umkommen. Deutschland hat nach 60 Jahren Frieden einen Kriegsindex von 0,66. Das heißt, diese alternde Gesellschaft ist nicht einmal fähig, sich zu verteidigen.
Enttäuschung und Frust sind vorprogrammiert
Wie geht es nun weiter mit denen, die "kürzlich zu uns gekommen" sind? Sie merken bald, das Milch und Honig relativ rar sind. Ihre Chancen sind auf einem hochindustrialisierten Arbeitsmarkt auf Grund ihrer mangelnden Sprachkenntnisse und ihrer mangelnden Qualifikation de facto gleich null. Nur sind sie jetzt in einer Umgebung, wo viele Einheimische einen vergleichsweise hohen Lebensstandard haben. Sie finden schwer Anschluss beim anderen Geschlecht, hunderttausendfacher sexueller Notstand ist die Folge. Sie fühlen sich womöglich verpflichtet, ihre zurückgelassenen Familien zu unterstützen. Dazu kommen religiöse und ethnische Probleme. Das alles erzeugt unsäglichen Frust. Der wird verstärkt, weil durch die rapide ansteigende Zahl der Leistungsempfänger die Sozialsysteme an ihre Belastungsgrenze gelangen. Kein Mensch weiß derzeit, wann es zu ersten Leistungskürzungen kommt.
Wenn sich Konflikte mit den Migranten im gleichen Tempo weiter steigern wie in diesem Jahr, dann sieht das Land schweren Zeiten entgegen. Der Aufstieg der AfD, die Proteste von Pegida, das Aufbegehren von Lokalpolitikern und schüchterne Widerrede sogar in der Regierungspartei sind Symptome der Unzufriedenheit einer tief gespaltenen Gesellschaft. Die Regierung schafft irreversible Tatsachen. Die Flüchtlingskrise wird von den etablierten Parteien mit allen Mitteln aus dem Wahlkampf herausgehalten. Es ist aber nicht weg, sondern gärt weiter und führt ein fürchterliches Eigenleben, das mehr und mehr an die Oberfläche drängt.
Die Wahlkampfthemen 2017 muten angesichts der Situation im Lande nachgerade grotesk an: die Grünen ziehen mit der Abschaffung des gelben Sackes in die Schlacht, die FDP will die Geschwindigkeit des Internets erhöhen, die SPD mehr Umverteilen und die CDU irgendwas von allem – in leichter Sprache.
Manfred Haferburg ist Autor des autobiografischen Romans „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann