Joe Zammit-Lucia, Gastautor / 28.02.2022 / 16:00 / Foto: Flickr / 18 / Seite ausdrucken

Dies ist doch kein James Bond-Film

Der Westen hat den Zusammenbruch der Weltordnung zugelassen. Wir werden abwarten müssen, wie die neue Welt aussehen wird. Aber eines scheint sicher: In ihrer jetzigen Form wird sie wohl kaum vom Westen gestaltet werden.

Für Diktatoren, Autoritäre und Imperialisten ist jetzt überall die Jagdsaison eröffnet. Ihr könnt mehr oder weniger tun, was ihr wollt", lautet die Botschaft, die die sogenannte westliche Allianz aus ihrem Megaphon schreit.

Russland hat 2014 die Krim überfallen und annektiert. Der Westen hat sich entschieden, völlig untätig zu sein. Abgesehen von viel Blabla wurde nichts unternommen, da die territoriale Integrität der Ukraine verletzt wurde. Kein Wunder, dass sich Präsident Putin ermutigt fühlte und sich auf weitere Angriffe auf die Ukraine vorbereitete. Er hätte mit einem weiteren kleinen Bissen beginnen können – dem Donbas. Aber als er sah, wie schwach, zahnlos und gespalten der Westen war, schien er der Meinung zu sein, dass er sich vielleicht das ganze Land auf einmal einverleiben könnte. Und er könnte Recht haben. Die Krim könnte durchaus als das Sudentenland des 21. Jahrhunderts enden.

Diese Ereignisse folgten auf die öffentlichen Misserfolge im Irak und in Afghanistan, auf Putins Erfolg und das Versagen des Westens in Syrien und auf den schrittweisen Rückzug des Westens aus Teilen der Sahelzone angesichts von nur 1.000 russischen Söldnern. Zu den Misserfolgen gesellten sich weitere destruktive Aktivitäten. Präsident Macron erklärte die NATO öffentlich für "hirntot". Das transatlantische Bündnis wurde durch eine Kombination aus Präsident Trumps kämpferischem Ansatz und der Forderung einiger Europäer nach einer wahnhaften "strategischen Autonomie" zerbrochen. Einige der reichsten Länder der Welt, wie Deutschland, Italien und Spanien, kommen ihren NATO-Verpflichtungen in Bezug auf Verteidigungsausgaben und Kampfbereitschaft weiterhin nicht nach.

Eine fehlgeleitete Politik, die von einem simplistischen Denken der Umweltaktivisten gefördert wurde, hat Europa dazu gebracht, aktive politische Entscheidungen zu treffen, die Russland eine mächtige Waffe in die Hand gegeben haben – einen enormen Einfluss auf die Gasversorgung und die weltweiten Energiepreise. Wir befürchten nun, dass jede Maßnahme die Energiekosten weiter in die Höhe treiben wird.

Wir scheinen zu glauben, dass dies ein James-Bond-Film ist

Überrascht das, was in der Ukraine geschieht, vor diesem Hintergrund wirklich jemanden? Glaubt irgendjemand wirklich, dass dies dadurch aufgehalten werden kann, dass sich Präsidenten, Premierminister und die Leiter von Organisationen wie der NATO und der UNO hinstellen und scheinheilige, verurteilende Reden halten.

Jetzt bleiben nur noch die Wirtschaftssanktionen. Und auch diese zeigen, wie wenig der Westen gewillt ist, sich auf einen Kampf für seine Prinzipien und die Erhaltung einer Weltordnung einzulassen. Jede Art von vorgeschlagenen Sanktionen ist Gegenstand endloser Diskussionen. Da wir nicht bereit sind, selbst negative wirtschaftliche Auswirkungen zu erleiden, werden einige der Sanktionen, die tatsächlich greifen könnten, auf Eis gelegt.

Wir scheinen zu glauben, dass dies ein James-Bond-Film ist. In dem der Held einen Nahkampf mit dem Bösewicht austrägt, ihn entscheidend besiegt und wieder auftaucht, ohne dass ihm auch nur ein einziges Haar auf dem Kopf gekrümmt wurde.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten gab es viele Geschichten, Artikel und Bücher über den fortschreitenden Niedergang des Westens. Ein Großteil davon konzentrierte sich auf den relativen wirtschaftlichen Niedergang angesichts eines wieder erstarkenden Asiens. Weniger erforscht wurde der moralische Niedergang des Westens. Sein völliger Verlust an Zielstrebigkeit. Seine mangelnde Bereitschaft, für seine Prinzipien einzutreten, wenn dies auch nur das geringste Unbehagen hervorrufen könnte. Und wenn er interveniert hat, versucht hat, Nationen aufzubauen und so weiter, ist er nicht als geeint, kompetent und effektiv aufgetreten, was die verbleibende Energie für künftige Kämpfe weiter verringert hat.

Für immer in einer Art Kumbaya-Love-In

Keine Gruppe, Organisation, Koalition oder Allianz kann ohne effektive Führung überleben und effektiv sein. In den letzten Jahren hat Amerika seine eigene moralische Führung in der Welt geschwächt – und tut dies weiterhin, während seine eigene Politik so stark polarisiert bleibt –, während einige europäische Länder es zunehmend ablehnten, als Gefolgsleute der US-Führung in geopolitischen Angelegenheiten angesehen zu werden, und sich selbständig machen wollten, während sie versuchten, den Rest Europas mitzunehmen. Diese Kombination hat sich als katastrophal erwiesen.

Der Einmarsch in die Ukraine ist ebenso deprimierend, weil er den Ukrainern Leid zufügt, wie er ein grelles Licht auf die Ohnmacht, Verwirrung und Ziellosigkeit des Westens wirft. Die Angehörigen meiner Generation haben ein goldenes Zeitalter mit minimalen Konflikten erlebt, von denen die meisten nicht in unserem Hinterhof stattfanden. Wir haben wachsenden wirtschaftlichen Wohlstand erlebt.

Das hat uns dazu gebracht, alles für selbstverständlich zu halten. Dies führte dazu, dass die Bevölkerung und insbesondere die jüngere Generation, für die die Dinge nicht ganz so rosig sind, die Verteidigungsausgaben als unnötige Geldverschwendung ablehnte. Als ob die Welt für immer in einer Art Kumbaya-Love-In der 1960er Jahre zusammenleben würde. Als ob es Menschen wie Putin nicht gäbe, oder wenn doch, dann wären sie immer höflich, würden alles auf zivilisierte Weise über den UN-Sicherheitsrat verhandeln oder sich von dem einen oder anderen Premierminister, der sich hinter ein Rednerpult stellt und ihn anprangert, zur Untätigkeit zwingen lassen.

Das Ergebnis: Die Regeln der Nachkriegsweltordnung, wie wir sie kannten, sind vorbei. Wir werden abwarten müssen, wie diese neue Welt aussehen wird. Aber eines scheint sicher: In ihrer jetzigen Form wird sie wohl kaum vom Westen gestaltet werden.

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Arne Ausländer / 28.02.2022

Doch mal zum Krim-Referendum: Die westlichen Vergleiche liefern Schottland und v.a. Katalonien, wo aber kein übermächtiger Nachbarstaat expandieren wollte, das Referendum dennoch massiv kriminalisiert und unterdrückt wurde. Auf der Krim herrschte damals die Drohkulisse der bereits stationierten russischen Armee. Man schaue das Video “Putin schenkt den Nachtwölfen ein Heim in Sewastopol” vom 30.1.2014: Während der Propagandatext rezitiert wird, übt im Hintergrund ein Schlägertyp mit Hanteln. Man war wohl von Monty Python inspiriert. Die Nachtwölfe sind die russische Variante von Hell’s Angel, der mit Putin befreundete Anführer heißt “Chirurg” - ich will die Details seiner Skalpellbenutzung lieber nicht wissen… Seit Ende Februar Verstärkung der russischen Truppen durch abzeichenlose “Grüne Männer”. Es wurde - anders als behauptet - sehr wohl geschossen (z.B. in Belbek), nur mit Glück gab es (wohl) keine Toten. Vor dem Parlament in Simferopol sammelten russische Agenten Freiwillige. Es wurde massiv geprügelt, putintreue Polizei griff nur ein, damit niemand ganz totgeschlagen wurde. Der krimtatarische Regionalsender wurde beim Versuch, von putinistischen Aufmärschen zu berichten, tätlich attackiert. Auf diesem Hintergrund dann das “Referendum”. Beobachter der deutschen NPD bestätigten: “Alles korrekt abgelaufen.” (Ach ja, Nazis sind immer die anderen…) Angeblich hätten sogar die - wie vielfach geäußert - neue Vertreibung befürchtenden Krimtataren mit großer Mehrheit für Rußland gestimmt. So glaubhaft wie die “Wahl” des dementen, kriminellen und sexuell übergriffigen Biden. - Der tatarische Kanal wurde dann verboten, dieses Volk zwar nicht vertrieben, nur einige Anführer (sofern sie nicht ermordet wurden). - Alles zeitnah von mir beobachtet nach Videos aus diversen Quellen (bei Sprach- und Ortskenntnis meinerseits).

Marc Greiner / 28.02.2022

@Hans Reinhardt—-Soviel Selbsthass. Klingt wie “Deutschland, du Stück Scheisse”. Das es nicht mehr so gut läuft heisst nicht, dass man alles über Bord werfen muss. Es genügt die Linken und Grünen im Zaum zu halten und das Rad zurück zu drehen. Aber wenn Sie sich gleich selbst abschaffen wollen, bitte sehr, aber ohne mich.

Paul Sperling / 28.02.2022

Wir erleben keine neue Weltordnung oder einen Niedergang des Westens, sondern nur ganz normale Geopolitik. So wie sie immer war und immer sein wird. Verschiedene Kräfte ringen miteinander, wechseln Bündnisse, manipulieren Medien und öffentliche Meinung, verbreiten Siegesmeldungen oder Schauergeschichten. Egon Bahr sagte irgendwo sinngemäß, es gänge nie um Demokratie oder Menschenrechte sondern nur um die Interessen von Staaten. Putin war nun dumm genug, den Aggressor zu geben. Aber NATO und USA sind keinen Deut besser; so ist es leider. Deutschland wird kein besseres Land und setzt sich stärker für Menschenrechte ein, wenn es 100 Mrd. mehr für Rüstung ausgibt. Vielleicht könnte es das werden, wenn es die 100Mrd zum Wohle der eigenen Bevölkerung einsetzte.

Holger Lundstrom / 28.02.2022

“Der Westen hat den Zusammenbruch der Weltordnung zugelassen.” Falsch! Erstens hat der Westen niemals die Weltordnung bestimmt; das ist ein feuchter Wunschtraum von USophilen. Wir haben lediglich unsere eigenen Ländereien ausgeschlachtet, ein paar andere Völker unterdrückt und in ausgewählte nationale Vorgärten gekackt. Zweitens hat der Westen ausschließlich seinen eigenen Zusammenbruch verursacht, und zwar sehr aktiv. Selbst wenn das ein James Bond-Film wäre, wäre Putin nicht der Bösewicht, denn er schützt nur sein eigenes Volk. Und vom Format eines James Bond ist auf unserer Seite niemand mehr übrig. Putin hat lange genug versucht zu verhandeln, wenn Sie dem Weltgeschehen auch nur 5% Aufmerksamkeit geschenkt hätten, dann wüssten Sie, dass Russland seit Jahrzehnten für Aktionen sanktioniert wird, derer die USA in zahlreicherer und schlimmerer Form schuldig sind. Dieses Putin-Bashing ist so lächerlich, man merkt richtig wie der neue Nachrichtenzyklus den Leuten ins Hirn steigt. Der Fehlschlag der westlichen “Interventionen” ist übrigens nicht Inkompetenz geschuldet, sondern vielmehr der Tatsache, dass der militärisch-industrielle Komplex nach einem kleinen, mehrjährigen Scharmützelchen mit Regime-Change vollständig befriedet ist. Wieso, denken Sie, bemühen sich die westlichen Hobbypolitiker gerade, den Ukraine-Konflikt möglichst lange auszudehnen? Sapere aude.

Rainer Mewes / 28.02.2022

Das Putin-Bashing ist völlig normal und völlig verständlich. Denn zum Glück lebe ich ja in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der ich seit 2 Jahren ausgegrenzt, bevormundet, beschimpft und permanent zur Körperverletzung genönigt werde.

Helmut Bühler / 28.02.2022

Das kommt ja wie aus dem Speiteufel. Kleine Anmerkung am Rande: “Die Regeln der Nachkriegsweltordnung, wie wir sie kannten, sind vorbei.” In der Tat, das sind sie, wenn auch ganz anders, als der Autor meint. Die “Nachkriegsweltordnung” war nämlich bipolar: Kommunismus gegen Kapitalismus, UDSSR gegen USA, Böse gegen Gut. Das ist zum Glück schon seit mindestens 1990 vorbei und soll gefälligst auch vorbei bleiben.

Thomas Baader / 28.02.2022

Die Welt ist kein James Bond-Film, aber leider ist Putin ein James Bond-Schurke.

sybille eden / 28.02.2022

” Weniger erforscht wurde der moralische Niedergang des Westens…....” Doch, dass wurde er, schon lange ! Der Mann hieß Oswald Sprengler und sein epochales Werk ” Der Untergang des Abendlandes”. Einfach mal reinlesen.

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