Von Andreas Marquart.
Auf der Europa-Konferenz vor wenigen Wochen in München empfahl EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den EU-Partnern, „verteidigungspolitisch“ näher zusammenzurücken - es ließen sich durch Synergieeffekte auf dem Kontinent bis zu 100 Milliarden Euro gewinnen. Außerdem warnte Juncker: „Wir gehen in dieser militärischen Kleinstaaterei unter“.
So langsam wagen sich Zentralisierungspolitiker wieder aus ihren Verstecken. Interessanterweise war es nach dem unerwarteten Wahlsieg von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA zunächst sehr still geworden in Brüssel. Und auch aus den einzelnen EU-Staaten war – jedenfalls zum Thema EU – nicht allzu viel zu hören. Lediglich höchst undiplomatische Äußerungen waren zu vernehmen.
Besonders hervorgetan hatten sich dabei Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, inzwischen Bundespräsident und Außenminister. Sie sandten ausgesprochen unfreundliche Signale in Richtung USA und deren neuen Präsidenten. Hatte Gabriel Donald Trump im Vorfeld bereits als „Vorreiter einer neuen autoritären und chauvinistischen Internationalen“ bezeichnet, schlug Steinmeier nach Trumps Wahlsieg gar ein Sondertreffen der EU-Außenminister in Brüssel vor.
Mit etwas Abstand auf das Geschehen der letzten Monate – und auch mit Blick auf die Entscheidung der Briten, die EU verlassen zu wollen – drängt sich der Eindruck auf, die EU-Oberen würden gerade verzweifelt versuchen, das Projekt EU zu retten. Der Wahlsieg Trumps stand jedenfalls nicht auf dem Plan von Europapolitikern. Aber langsam berappelt man sich. Mit der Begründung, auf die USA wäre kein Verlass mehr und Europa müsse nun eine Führungsrolle übernehmen, werden Forderungen nach einer gemeinsamen europäischen Armee immer lauter. Damit aber würden weiteren Zentralisierungsbemühungen neue Wege geöffnet. Vor allem Frankreich dürfte daran Interesse haben, ließen sich mit der Vergemeinschaftung des wichtigen Bereiches „Verteidigung“ die Verhältnisse in der EU weiter zementieren, wobei wohl einmal mehr Deutschland als Zahlmeister im Visier steht.
Großstaaten haben den Menschen keinen Frieden gebracht
Würde Europa künftig militärisch als Einheit auftreten, gäbe es eine Großmacht mehr auf der Nordhalbkugel. Stieße man einen Globus an, würden erkennbar nur noch die USA, China, Russland und Europa an einem vorbeiziehen. Ein Blick in die Geschichte aber zeigt, dass Großstaaten es gerade nicht waren, die den Menschen Frieden gebracht haben. Und Frieden ist doch allem Vernehmen nach Ziel jeglicher Bemühungen unserer Politiker. Überdies lassen die keine Gelegenheit verstreichen, mit erhobenem Zeigefinger ihre Bürger an vergangene Kriege zu erinnern, stets ohne zu erwähnen, dass es nicht die Bürger waren, die diese Kriege begonnen haben. Die mussten „nur“ ihr Leben lassen. Millionenfach.
Friedlich waren in der Vergangenheit vor allem Klein- und Kleinststaaten. Die Schweiz oder Liechtenstein beispielsweise haben sich in beiden Weltkriegen neutral verhalten und haben beide Kriege unbeschadet überstanden. Ein Grund hierfür liegt zweifelsohne in der Tatsache, dass ein Kleinstaat niemals alle Güter und Dienstleistungen, die seine Bürger benötigen, selbst herstellen kann. Freier und unbeschränkter Handel mit anderen Nationen ist unabdinglich und so sind Kleinstaaten auf ungestörten Warenfluss angewiesen. Streit mit anderen Ländern oder gar Krieg mit ihnen stört diesen Warenfluss. Autarkie, Abschottung und Protektionismus sind für einen Kleinstaat daher kein gangbarer Weg. Anders Großstaaten, denen das eher möglich ist, wenn ihnen die Selbstversorgung auch mehr schlecht als recht gelingt, wie uns die frühere Sowjetunion deutlich vor Augen führte.
Schlimmer noch, Großstaaten haben sich in der Menschheitsgeschichte nicht nur anderen Nationen, sondern auch ihren eigenen Bevölkerungen gegenüber aggressiver gezeigt. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Rummel (1932-2014) hat in seinem Werk Death by Government aufgezeigt, dass im 20. Jahrhundert etwa 170 Millionen Menschen durch ihre eigenen Regierungen ums Leben kamen. Und wer steht auf den traurigen Ranglisten der schrecklichsten Regime ganz oben? Richtig: Großstaaten. Kleine Nationen können sich solche Schreckensherrschaften nicht leisten, sonst flüchten ihre Bevölkerungen, oder man muss sie mit Zäunen und Mauern davor hindern.
Europa zeichnet Kleinheit und Vielfalt aus
Sollte ein Kleinstaat dennoch einmal aus dem Tritt geraten und seine Nachbarn überfallen, dann richtet er jedoch vergleichsweise nur geringen Schaden an. Aber wie könnte Liechtenstein beispielsweise in die Schweiz oder in Österreich einmarschieren. Liechtenstein hat nicht einmal eine Armee, seit dem Jahr 1868 nicht mehr.
Wenn Juncker bei vereinten europäischen Streitkräften von zu erwartenden Synergieeffekten ausgeht, dann sollte er sich einmal mit den Verteidigungsausgaben von Großstaaten beschäftigen und er wird feststellen, dass die ansonsten bei zunehmender Größe auftretenden Skaleneffekte bei Verteidigungsausgaben interessanterweise ausbleiben. Größer heißt hier nämlich meist auch höhere Militärausgaben pro Kopf der Bevölkerung. Und dass ein großer und teurer Militärapparat von Zeit zu Zeit einen Einsatz braucht, damit keine Fragen nach seiner Sinnhaftigkeit aufkommen, dürfte auf der Hand liegen. Da wird aus einem Militäreinsatz auch schon mal eine „friedensstiftende Mission“.
Die Zukunft Europas liegt nicht in der Größe. Sie findet sich in der Kleinheit und in der Vielfalt. Die Zukunft Europas, das sind viele kleine, miteinander kooperierende und zeitgleich miteinander konkurrierende Liechtensteins. Daher sind die wahren Europäer nicht in Brüssel und nicht in den Regierungsgebäuden der Europäischen Hauptstädte zu finden. Die wahren Europäer sind Europas 500 Millionen Bürger, die in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben wollen - nicht mehr und nicht weniger. Diese Ziele jedoch lassen sich nur erreichen – und erhalten-, wenn politischer Macht enge Grenzen gezogen werden. Und das wiederum ist nur im Wettbewerb politischer Institutionen möglich. Eben durch „Kleinstaaterei“. Wohl deshalb ist sie Jean-Claude Juncker ein Dorn im Auge.
Andreas Marquart ist Vorstand des Ludwig-von-Mises-Institut Deutschland. Nach dem Abitur absolvierte er eine klassische Bankausbildung, machte sich 1998 nach 15 Jahren als Banker in der Finanzdienstleistung mit dem Schwerpunkt Vermögensanlage selbstständig und ist als Honorar-Finanzberater tätig. Er orientiert sich bei der Beratung an den Erkenntnissen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie.
Nächste Woche erscheint von ihm das zusammen mit Philipp Bagus verfasste Buch "Wir schaffen das – alleine". In der Verlagsankündigung heißt es: " 'Nur die Vereinigten Staaten von Europa werden es den Europäern ermöglichen, im Wettbewerb mit Asien und Amerika bestehen zu können!'" Diese These ist zum zentralen EU-Glaubenssatz ohne Alternative geworden und wird ohne jede Rücksicht auf Kosten oder den Widerstand der Bevölkerung verfolgt. Tatsächlich aber, so zeigen die beiden Bestsellerautoren Andreas Marquart und Philipp Bagus, gedeihen in riesigen, zentralistisch organisierten Staatsmolochen weder Innovation noch Freiheit, sondern Bevormundung, Korruption und Verschwendung."