Quentin Quencher / 31.08.2018 / 14:30 / Foto: Ildar Sagdejev / 10 / Seite ausdrucken

Die Zerstörungswut und ihre Freunde

„Mach kaputt, was dich kaputt macht“, so war einst aus Spontikreisen zu vernehmen, „kreative Zerstörung“ wird es heute eher genannt. Damit verwandt ist dieses neue Modewort „disruptiv“. Kontinuierliche evolutionäre Entwicklung war der Weg in eine Sackgasse, aus der es nun nicht mehr weitergeht. Manche, wie die Katastrophisten, sind gar der Meinung, entscheidende Entwicklungsschritte werden erst durch Katastrophen ausgelöst. Aus dem, was war, hätte nie das entstehen können, was es heute ist.

Die Zerstörungswut gegenüber dem Bestehenden, ohne eine schlüssige Antwort auf die Frage zu haben: „Wie geht es weiter?“ ist nicht ein Mangel an politischen Ideen, sondern den Wunsch nach Auflösung von Abhängigkeiten geschuldet. Das Neue, wie es die Zerstörer haben wollen, kann nicht aus dem Alten entstehen, dies muss erst weg. Es spielt dann auch keine Rolle mehr, ob das Alte sich im Laufe der Zeit bewährt hatte, ob es als Lösung für Probleme oder Aufgaben taugt – es muss weg!

Warum aber ist die Zerstörung des Bestehenden so wichtig? Auch ist diese heute allerorten zu beobachtende politische Zerstörungsabsicht nicht mit einer emotionalen Entladung zu vergleichen, wie sie beispielsweise bei Aufständen, Revolutionen oder Demos vorkommt, wo Autos und Häuser angezündet werden, oder Scheiben zu Bruch gehen, sondern mit dem geplanten Abbruch eines Hauses. Der Akt der Zerstörung geschieht nicht in einem emotionalen Ausnahmezustand, sondern ist kühl kalkuliert, „Das Neue kann nicht aus dem Alten erwachsen“.

Es werden Kräfte frei, die schwer zu kontrollieren sind

Ulrike Guérot, Politikwissenschaftlerin und gern gesehener Gast im Talkshowzirkus der Medien, meinte denn auch in einer SWR-Sendung, in der es hauptsächlich um die EU ging: „Die EU kann strukturell die Krise nicht lösen, weil sie strukturell entscheidungsunfähig ist (ab Min. 16:40)“ und weiter: „Es geht mir um den Hegelianischen Punkt, dass das Neue nicht aus dem Alten werden kann (ab Min. 27:35) … Mit Hegel würde ich sagen: Es muss erst etwas sterben, damit das Neue wachsen kann (ab Min. 30:00).“

Freilich ist es nun hier eigentlich notwendig, nachzufragen, von welchem „Neuen“ sie spricht, was nicht werden kann, ohne dass das „Alte“ zerstört wird? Doch das soll nicht Gegenstand dieses Textes sein, der dann in der Tagesaktualität aufgehen und den Blick auf die prinzipiellen Vorgänge verlieren würde. Soviel nur, Guérot schwebt eine EU-Republik vor, und damit diese entstehen kann, muss eben die EU, wie sie jetzt ist, vergehen, die Nationalstaaten natürlich auch.

Geradezu etwas verschämt erwähnt sie, fast so nebenbei, Antonio Gramsci und seine Theorie zum Interregnum, ging dann aber darauf nicht mehr weiter ein. Genau dieser Punkt ist es, der einer besonderen Betrachtung würdig ist. Denn, so Gramscis Theorie, im Zustand des Interregnums – in dem das Alte vergeht, das Neue aber noch nicht herausgebildet ist – werden Kräfte frei, die schwer zu kontrollieren sind, weshalb die Linke unbedingt die Deutungshoheit über eben die Krise besitzen muss.

Hier kommt dann Gramscis Hegemoniebegriff zur Anwendung, in der die Medien eine herausragende Stelle einnehmen. Oder wie Pankraz einmal schrieb: „Antonio Gramsci (1891–1937), der Großideologe der italienischen KP, …, erfand die Theorie von der ‚kulturellen Hegemonie‘ – und erwies sich damit als ein fast genialer Vorwegnehmer unseres heutigen medialen Zeitalters. Entscheidend für den Sieg im Klassenkampf, so lehrte er, sei die Besetzung der „Schaltstellen“ in den großen Zeitungen und Radiosendern mit eigenen Leuten. Darauf müsse sich alle ‚fortschrittliche‘ Politik konzentrieren.“

Die Krise ist für die im evolutionären Sinne Denkenden immer auch die Chance, aus einer verfahrenen Situation herauszukommen, das Wörtchen „Disruptiv“ vereint sie dann mit den Katastrophisten, welche eben meinen, für entscheidende Weiterentwicklungen sind Krisen notwendig. Sie sind so etwas wie eine Unterbrechung im Spiel, die Karten werden neu gemischt.

In der Krise die Deutungshoheit haben

Linksideologisch und in Gramscis Sinne geschulte allerdings – Ingo Lauggas spricht davon, dass man als linker Intellektueller an Gramsci nicht vorbei kommt – geht es darum, in der Krise die Deutungshoheit zu haben. Aufs Kartenspiel übertragen heißt das: falsch spielen, mit gezinkten Karten. Wer die Hoheit, über die zu vergebenden Karten besitzt, gewinnt das Spiel.

Aber, egal was auch immer diese Gesellschaftstransformierer vorhaben, immer geht die Zerstörung des Bestehenden voraus. Eine Öko- oder Nachhaltigkeitsgesellschaft kommt nicht von allein und ist auch nicht durch Argumente und politischen Wettstreit mittels Argumenten herbeizuführen. Zuerst braucht es die Krise, das Interregnum, in der dann mittels errungener Hegemonie in den Medien, der Politik, den Verwaltungen die entscheidenden Weichen gestellt werden können. Es müssen Bedingungen geschaffen werden, die eine Transformation möglich machen, was eben nicht geht, wenn das Alte noch lebt, noch gelebt wird.

Wer sich wundert, woher diese Zerstörungssucht am Bestehenden kommt, egal ob es sich um Nation, EU, Energieversorgung, ja selbst solche Dinge wie Familie oder Identität handelt, der muss sich mit den Linksintellektuellen beschäftigen. Sie beschreiben ja, was sie tun und warum. Auch Ulrike Guérot verriet sich in einem Nebensatz. Nur den alten Spontispruch: „Mach kaputt, was dich kaputt macht!“ sagt heute keiner mehr, er müsste heute so lauten: „Wir machen kaputt, was dich im alten Leben hält! Denn dies muss vergehen, damit du zum neuen Menschen werden kannst!“ Nur darum geht es ihnen: die Schaffung des neuen Menschen! 

Zuletzt von Quentin Quencher erschienen: Mein Ausreiseantrag

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Wolfgang Kaufmann / 31.08.2018

Die neuesten Verordnungen rücken die Zucht von neuen Pflanzen und Tieren in die Nähe der verbotenen Gentechnik. Für die Zucht neuer Menschen hingegen braucht es keine Zulassung. Nun gut, es ist der dritte Versuch in 85 Jahren. Jedes Mal erlaubt sich eine noch ungebildetere Intelligenzia, die Zukunft über die Bürger hinweg zu planen. Demokratie liegt offenbar immer noch nicht in der kulturellen Genetik unseres Volkes.

Alexander Brandenburg / 31.08.2018

Das Denken in Prozessen der Zerstörung ist ein unmittelbares und auch infantiles Denken. Es verneint die geschichtliche Entwicklung der Menschen und ihrer Kultur, der Art ihres Zusammenlebens und der Formen der Herrschaftsausübung. Es hat in unseren Breitengraden oft spannungsreiche Jahrhunderte und katastrophale Zeiten gedauert, bis sich neue demokratische Lebensformen und entsprechende staatliche Gemeinschaften bildeten und verfestigten, die den Menschen Schutz in Not, Recht im Alltag, Sicherheit bei Krankheit und Behinderung, religiöse und andere Freiheiten und einen angemessenen Gestaltungsraum für Arbeit und Leben bieten konnten. Voraussetzung dieser Entwicklung, die nun erst über ein halbes Jahrhundert andauert, waren arbeitsintensive Anstrengungen und Opfer, die sich über Generationen hinweg verteilten. Will man die Gegenwart verstehen und weiterentwickeln, ist man auf ein geschichtliches Verständnis und eine sensible und realistische Betrachtung der Gegenwartspotentiale angewiesen. Nur wenn man einen Nullpunkt konstruiert und gleichsam das Vorher wegradiert und ein leeres Blatt zum Ausgangspunkt nimmt, bleibt die Möglichkeit der freien und in diesem Falle willkürlichen Konstruktion einer “Wirklichkeit” und eines voraussetzungslosen abstrakten Menschenbildes. Ein gedanklicher und praktisch-aggressiver Irrationalismus wird der Reflexion auf die conditio humana vorgezogen. Ein solcher Ansatz heißt grün-bunt-links und ermöglicht die islamische Masseninvasion, den Genderwahnsinn, die absichtliche Zerstörung aller Bestände und Gegebenheiten, den Neuen Menschen, die Experimente mit Energie, Klima und anderen Formen der uferlosen Verschleuderung und -was das Widerlichste ist- das Experiment mit den hier schon länger Lebenden.

Leo Hohensee / 31.08.2018

Sehr geehrter Herr Quencher, ich erinnere noch ein Zitat (aus einem alten Lehrbuch für Erziehung (?)). Zitat: “wer die Welt heil läßt wie sie ist, der wird sie nicht verändern können.” Da ist was dran, das kann man nicht bestreiten. Allerdings muss man auch fragen, sind Formen wie “Verbesserung, Weiterentwicklung und Umgestaltung” nicht auch schon “Veränderungen”? Ich meine - ja - und die Welt ließe sich mit solchen Zielen vor Augen in friedlicher Weise verändern. Bestehendes erst einmal zerstören ... ? Ideologen mögen das präferieren. Ich meine, man hat so leicht und so schnell etwas zerstört (z.B. durch Krieg) und wie schwer ist es, Ersatz zu schaffen und etwas sinnvoll Neues aufzubauen?! Wer natürlich nichts davon weiß, wie schwer es ist, sinnvolles aufzubauen und wer Entbehrungen nicht kennt, die für Normal-Menschen damit zusammenhängen, wer nicht weiß, dass Zerstörung bei Betroffenen auch Leid erzeugt - der fühlt sich einfach stark. Solche Leute werden zu Ideologen oder auch zu gewissenlosen Zerstörern.  Für beide Formen gibt es Beispiele - aus der Vergangenheit und aus der Gegenwart!

Detlef Wilke / 31.08.2018

vielen Dank für diesen sehr erhellenden Beitrag. Normalerweise befaßt man sich ja mit solchen Schwachmaten nicht, aber das war wohl der Fehler, möglicherweise sogar ein Kardinalfehler mit weitreichenden Folgen. Erst im Herbst 2015 ist mir klar geworden, daß Demokratie und soziale (!) Marktwirtschaft keine Selbstläufer sind. Bis dahin habe ich gedacht, daß die nach dem zweiten Weltkrieg erkämpften Freiheitsrechte und der relativ ausgeglichene Wohlstand so überzeugend sind, daß sie quasi von allein und ohne viel politisches Zutun am Leben bleiben (also nicht unter ständiger enormer Anstrengung erhalten werden müssen). Welch ein Irrtum. Heute würde ich das so formulieren: So wie uns von der Werbung und den Medien über Jahrzehnte eingeflößt worden ist, daß es eine ewige Jugend gibt (und unbegrenztes Wachstum sowieso), gibt es auch keine gesellschaftspolitische Stabilität oder ewig währende soziale Schönwetterlage. Das ist einfach eine Illusion. Was Evolution ausmacht, ist Kampf, Wettbewerb um Plätze, Ressourcen, Vormachtstellung - so wie Sie es gerade beschrieben haben. Also ist die derzeitige Spaltung der Gesellschaft, die keiner so erwartet hat, ganz normal, und unnormal war nur die Illusion von Friede, Freude, Eierkuchen. Logisch, daß es jetzt hart zur Sache geht. Der größere Teil der Wählerschaft hat das aber wohl noch nicht geschnallt. Kommt aber noch.

Bernhard Freiling / 31.08.2018

Meine Rede ;-) Dem hier muß ich aber entschieden widersprechen: “...Eine Öko- oder Nachhaltigkeitsgesellschaft.” Das liest sich so “niedlich”, so anheimelnd grün, so, als ob das ein anzustrebender Zustand sei. Das liest sich so, daß viele Leute mangels Hintergrundwissen oder mangels Phantasie dies als tatsächlich erstrebenswert ansehen könnten. Eine Nachhaltigkeitsgesellschaft: wie wunderbar - die will ich auch!  Es geht hier knallhart um Sozialismus. Knallhart um die Umsetzung des sozialistischen Traums einiger Weniger zu Lasten Vieler. Knallhart darum, einer Clique von Räten zu einem Wohlleben wie den Maden im Speck zu verhelfen, alldieweil die nachhaltig Produzierenden an 6 Tagen der Woche Veggie-Day zelebrieren. Wie unser Bundesterminator schon sinngemäß sagte: “Unser Wohlstand wird sich ändern, aber so, daß wir das nicht als Verzicht erleben werden”.  Das gewünschte Ziel als “...Eine Öko- oder Nachhaltigkeitsgesellschaft” zu bezeichnen spricht der zu erwartenden Wirklichkeit hohn. Alle sozialistischen Gesellschaften, ausnahmslos, bestätigen dies. Die Worte folgen den Gedanken. An der Verfolgung und Umsetzung dieser Idee ist nichts, aber auch überhaupt nichts, Erstrebenswertes. Drum: bitte so bezeichnen, was es ist: eine Form des Sozialismus/Kommunismus.

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