Lisa Marie Kaus, Gastautorin / 24.06.2020 / 11:00 / Foto: Pixabay / 43 / Seite ausdrucken

Die Würde des Menschen ist unauffindbar

Links sein ist eine einzige kognitive Dissonanz. Wer gestern noch gegen Hate-Speech wetterte und Black Lives vor Mikroaggression schützen wollte, sieht heute bei dem polit-taktischen Manöver Horst Seehofers der Ankündigung einer Strafanzeige gegen die taz-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah die Pressefreiheit in Gefahr. Jetzt gibts schon aufgeregte Unterschriftensammlungen der üblichen Verdächtigen.

Natürlich ist dieser Personenkreis deckungsgleich mit jenem, der Akif Pirinçcis Bücher nach seiner Pegida-Rede 2015 am liebsten in einem Verwaltungsakt hätte verbrennen lassen. Links sein bedeutet Freiheit für alle, aber nur zur Bedingung der herrschenden Meinung. All animals are equal, but some animals are more equal than others. Nur wer diese Dissonanz ignoriert oder, noch besser, wem sie gar nicht erst auffällt, kann links sein oder überhaupt irgendwie Ideologe, egal welcher Richtung. 

Zunächst einmal eins. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgend jemanden da draußen gibt, der glaubt, dass auch nur einer derer, die die Stuttgarter Innenstadt auseinandergenommen und die Polizisten zusammengetreten haben, morgens, bei Kaffee und Croissants, die von ihnen abonnierte taz lasen und sich dann dachten: „Recht hat sie, die Hengameh! Setzen wir ihre Worte in Taten um! Quasi wie bei Faust I, Bruder! Im Anfang war die Tat!“ Nein. Stuttgart ist nicht Hate-Speech. Stuttgart ist Multikulti, Stuttgart ist bunt. Deutschland ändert sich. Freuen sie sich nicht? 

Der Ausschluss von Meinungen

Die noch größere Gefahr für unsere Demokratie sehe ich allerdings in einem anderen Aspekt. Die taz-Kolumne treibt nur etwas auf die Spitze, was längst öffentlich-rechtlicher, politischer, gesellschaftlicher Alltag ist: Der Ausschluss von Meinungen. Statt des „Sapere aude“ der Aufklärung haben wir es wieder mit Propheten der Wahrheit zu tun, denen es nicht zu widersprechen gilt. Nur 30 Jahre nach dem Fall des letzten großen totalitären Regimes wird damit Schippchen für Schippchen die Freiheit begraben.

Die Errungenschaft der Aufklärung Kants ist die Autonomie des Einzelnen. „Sapere aude“ bedeutet, dass keine externe Autorität, egal ob göttlich oder hochherrschaftlich, als moralische Instanz fungieren kann. Wir sind einzig uns selbst und unserem Gewissen verpflichtet. Aus diesem Verständnis heraus, ist jeder Einzelne und seine Meinung zu respektieren. Kant würde sagen, nur so erkennt man die Würde der menschlichen Person an. Man kann sich vorzüglich über jede einzelne propagandistisch-einseitige Berichterstattung des 8-Milliarden-Rundfunks aufregen und bekommt Bluthochdruck oder man blickt auf die darunter liegende Menschenverachtung und bekommt Gänsehaut. 

Die pejorative Berichterstattung über Pegida, die bevorzugte Fotografie des AfD-Politikers oder Trumps immer von unten und mit verzerrtem Gesicht. „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern!“ in Dauerbeschallung. Diese Einteilung des Diskurses in legitime und illegitime Wortmeldungen hat sich längst in alle Bereiche der Gesellschaft ausgebreitet. Das Private ist sowas von politisch. Auch die Wissenschaft nimmt sich da nicht raus. Wer ein wenig Sowjetunion der 1920er Jahre light erleben will, der kann auf Twitter die Jagd auf den Ökonomen Harald Uhlig, der (noch) an der Chicago University lehrt, verfolgen. Es geht nirgends um das Austauschen von Argumenten, es geht um die Zerstörung der öffentlichen Persona. Oft wird in solchen Fällen entgegnet – gerne mit einem spöttischen Lächeln um die Mundwinkel – man könne doch alles sagen, man müsse nur auch mit den Konsequenzen rechnen. Das stimmt natürlich. So gesehen konnte man auch unter Stalin und Hitler alles sagen. Aber dieser Typus des beflissentlich an die Behörden Meldenden, der dabeisteht und sich an dem Bild ergötzt, wenn der Mob tobt, kommt mir in diesem Zusammenhang sowieso bekannt vor.

Ohne freien Gedankenaustauch gibt es keine politische Freiheit 

Die Würde des Menschen ist längst angegriffen. Die Antwort darauf wäre: keine weitere Einschränkung der Meinungsfreiheit, egal ob nun die von Hengameh Yaghoobifarah oder die von Björn Höcke, sondern eine absolute Verbreiterung des Diskurses. Denn ohne freien Gedankenaustausch kann es keine tatsächliche Gedankenfreiheit geben und ohne freien Gedankenaustauch gibt es keine politische Freiheit. 

Zu einer solchen Reform wird es nicht kommen. Die Gräben sind zu tief, als das die Herrschaftsmeinung in einer kritischen Diskussion – zu der es seit Jahren nicht mehr kommt – angegriffen und verändert werden könnte. Überhaupt, wie soll man mit jemandem einen Diskurs führen, der für sich in Anspruch nimmt, Meinungen in richtige und falsche zu unterteilen und damit deren Vertreter nach Menschen und Unmenschen kategorisiert? Auch noch so gute Wahlergebnisse der AfD werden daran nichts ändern – wenn es denn überhaupt zu renitentem Verhalten in der Wahlkabine kommt. Die wenigsten Bürger entsprechen wohl dem mündigen Citoyen der Aufklärung. Die meisten lassen sich durch den Meinungskorridor, an dessen Rändern die Aussätzigen lauern, folgsam leiten und sind stets darauf bedacht, bloß nicht vom Weg abzukommen. 

Heinrich Heine hat die Vorboten totalitärer Herrschaft in seinem oft zitierten Satz so zusammengefasst: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Wie Kant verweist er auf die Negierung der Menschenwürde, die einer solchen Handlung innewohnt. Man muss nicht mal so symbolträchtig Handeln und Meinungen den Flammen übergeben. Es reicht bereits, sie offiziell auszuschließen und zu ächten. Manchmal frage ich mich, wie lange man noch sicher sein kann, dass es der DHL-Mann ist, wenn es klingelt. Um bei Heine zu bleiben: Deutschland 2020 bringt mich um den Schlaf.

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Rolf Lindner / 24.06.2020

Keine voreiligen Befürchtungen, Frau Kaus. Vor den Besuch eines Nicht-DHL-Mannes haben die Meinungsterroristen bekanntlich ein anderes Repertoire an Maßnahmen, um einen Journalisten von der richtigen Haltung zu überzeugen. Solange z.B. ihr Auto, wenn sie eins besitzen, noch nicht abgefackelt wurde (siehe Gunnar Schupelius), brauche Sie sich überhaupt keine Sorgen zu machen.

Gudrun Meyer / 24.06.2020

Bereits um 1970 gab es Versuche, Konrad Lorenz, Irenäus Eibl-Eibesfeldt und Monika Meyer-Holzapfel für “rechts” zu erklären, weil sie als Humanethologen nicht an die behavioristische Doktrin glaubten (“alles ist gesellschaftlich konstruiert, jedes unerwünschte Merkmal des Menschen ist korrigierbar!”). Die richtige Haltung gab es also schon, aber sie konnte den genannten und weiteren Forschern egal sein, weil nicht nur “Rechte” die inquisitorischen Tendenzen ablehnten. Der Meinungskorridor hörte erst im Übergang zu tatsächlichen Extremen auf, nicht einen halben Schritt rechts vom Kanzleramt. Eine Verteidigung der “Pressefreiheit”, die darauf angelegt ist, einen großen Teil derselben stillzulegen, wäre durchschaut worden, egal, ob der Angriff von links oder rechts gekommen wäre. In der dt. Bevölkerung ist bekannt, dass die Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit inzwischen bei manchen Themen (darunter auch Korruption) erlaubt ist, bei anderen jedoch strengstens verboten. Laut einer Allensbach-Umfrage vor 1 Jahr sind 82% der Befragten der Meinung, dass es Themen gibt, über die man privat sprechen kann, nicht aber öffentlich. Die AfD hätte beinahe gewonnenes Spiel, wenn sie nicht sehr erfolgreich als im Ganzen rechtsradikal bis -extrem gezeichnet würde. Sofort, nachdem Kalbitz verdientermaßen ´rausgeflogen war, verkündete der SPIEGEL, der “Flügel” übernehme die AfD, was laut dem Sturmgeschütz der Demokratie alle paar Wochen geschieht. Das Cover zeigte Kalbitz als Repräsentanten der AfD, obwohl sein Rausschmiss noch vor der Drucklegung datierte. So geht erfolgreiche Propaganda! Mengen und Massen von Wählern werden den Mainstramparteien treu bleiben, nicht weil sie sie für fähig hielten, sondern weil sie glauben, die AfD sei restlos von extremen Rechten übernommen worden. Dass es einen rechtsradikalen Rand der AfD gibt, wird sehr erfolgreich genutzt. Was übrigens Akif Pirincci angeht, ist er schon vor seiner Pegida-Rede mit der Peitsche nach rechts getrieben worden.

Richard Loewe / 24.06.2020

Liebe Achse, druckt doch Kants Was ist Aufklaerung einfach nochmal hier ab. Aufklaerung ist, wenn alle ihre Meinung oeffentlich sagen koennen. Eine Gruppe, die gesellschaftlichen Autoritaetstraeger, muessen sich selbst einschraenken, damit der Buerger keine Angst hat. Friedrichs Mueller halt. Kants Ethik ist diskussionswuerdig, aber in einem hat er der Welt den Gold-Standard gegeben. Er hat die Wuerde definiert: Menschen werden mit Wuerde geboren und sterben mit derselben Wuerde; sie ist die Anerkenntnis des Werts des Menschen an sich. In einem selbst wie im Gegenueber. Menschenwuerde ist absolut, Menschenrechte sind es nicht. Nichts, was Menschen machen, zerstoert ihre Wuerde, aber wenn Menschen morden, stehlen, etc, dann nehmen wir ihnen Freiheit und manchmal das Lebensrecht.

Jörg Klöckner / 24.06.2020

Es steht zu befürchten, dass Besserwisserei, sowie Ausgrenzung und Verfolgung anderer Meinungen schon immer das Erfolgsrezept der Linken war. Es steht sogar zu befürchten, dass es außer dieser Borniertheit kein anderes Mittel zur Machterlangung gibt - weil die Menschen geführt werden wollen; die Deutschen mehr als alle anderen!

Burkhard Mundt / 24.06.2020

Die volle Härte des Rechtsstaates nur gegen “rechtes Gedankengut und Hetze”. Nur Links ist im Besitz des Wahren, Schönen, Guten. Und Hetze heisst dort “Satire”

K.Kling / 24.06.2020

Als 1933 mit Hitler die Nazis an die Macht kamen, wußte man, daß eine neue Phase, eine Diktatur begonnen hatte. Aktuell ist es so, daß der Wandel sich mit dem gleichen politischen und medialen Personal vollzogen hat. Als Merkel vor anderthalb Jahrzehnten an die Macht kam, waren ihre Äußerungen zu Zuwanderung und Integration so, wie sie heute nur noch von der völlig verfemten AfD zu hören sind. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist nicht mehr gegeben, wenn die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, gesellschaftliche Ächtung oder Angriffe auf Person und Eigentum durch die inoffizielle Schlägerhilfstruppe Antifa drohen. Es herrschen krasseste Doppelstandards und Doppelmoral und eine wirkliche gesellschaftliche Debatte findet nicht mehr statt. All dies hat sich schleichend in den letzten anderthalb Jahrzehnten, insbesondere in den letzten 5 Jahren vollzogen. In der Demokratie eingeschlafen, in der Diktatur aufgewacht. Fehlen nur noch Gestapo und Dachau.

Carlos Redder / 24.06.2020

Guten Tag Frau Kaus. Ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Mehrheit der DHL Zusteller Zustellerinnen sind - und *innen sind laut neudeutscher Lesart höchstvermutlich Frauen. Der Aggressor ist immer masc.? Ich habe mittlerweile im aggressiven Polit-Matriarchat dieser Berliner “Republik” eher Angst davor, dass um 4 Uhr morgens, anstelle einer grünroten Gestapo oder Stasi Furie, eine staatlich alimentierte, angesoffene AntiFa-Kampfbraut vom Kommando Esken “58 und Antifa. Selbstverständlich” meine Bude abfackelt.

A. Klingler / 24.06.2020

Es hilft nichts, der Bürger ist gefragt. Nur der Bürger kann den Spuk beenden, wenn er es denn will. Alles Andere ist “Reden um den heißen Brei”. Spuk beenden heißt, auf die Straßen gehen, ja, und wenn es sein muss auch mit dem Risiko, sein Leben, für Artikel 1 des Grundgesetzes, aufs Spiel zu setzen. Es wird sich nämlich Nichts ändern. Im Gegenteil, der geenterte Parteienstaat, wird die Restriktionen immer weiter ausbauen. Was muss denn noch passieren, damit die autochthonen Bewohner ihre Menschenwürde wiederfinden? Deutschland, wenn es Deutschland als Staatsform noch geben sollte, ist zum Gespött der ganzen Welt geworden, denn was sich hier abspielt, ist gelinde gesagt “nicht gesund”.

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