Werden einzelne Worte oder sprachliche Wendungen unerwartet häufig gebraucht, gerät nicht selten in Vergessenheit, was sie aussagen. Oftmals können sie überhaupt nur so in Mode kommen. Sinnentleert klingen sie bedeutend und vielversprechend; sie vernebeln, was genauer nicht erklärt werden soll. Einschüchternd wirkt das Pathos, das den Phrasen anhaftet. Wer sich damit hervortut, hat nichts zu sagen, vielleicht etwas zu verbergen, immer aber redet er Stuss – wie Wolfgang Schäuble in der abgelaufenen Woche.
In einem Gespräch mit Redakteuren der Funke-Mediengruppe erläuterte er, dass Angela Merkel gezwungen gewesen wäre, Horst Seehofer zu entlassen, wenn er seiner Ankündigung, schon anderswo registrierte Zuwanderer an den deutschen Grenzen abzuweisen, hätte Taten folgen lassen. Und das nicht wegen des Innenministers Aufsässigkeit, sondern weil „die Würde des Amtes der Kanzlerin“ dadurch beschädigt worden wäre.
Die Wendung ist derzeit im Schwange. Sobald einem oder einer die sachlichen Argumente ausgehen, wird damit emotional aufgetrumpft. Denn wer würde es schon wagen, etwas in Frage zu stellen, bei dem es um die Wahrung der „Würde“ geht. Dieser Stich sitzt immer, auch wenn das Ganze bloß einen Bluff ist, von dem sich niemand ins Bockshorn jagen lassen müsste.
Behörden haben keine Würde
Ist doch die Würde kein Merkmal, durch das sich irgendeine Behörde auszeichnen könnte, sondern die Eigenschaft des Menschen, „eine einzigartige Bestimmung“ zu besitzen, eines seiner „Wesensmerkmale“, wie es bei Immanuel Kant heißt. Auch Tieren gebührt die Respektierung ihrer Würde. Gleiches gilt für natürliche oder menschliche Schöpfungen, etwa für Kunstwerke, nicht aber für Einrichtungen der staatlichen Verwaltung, zu denen das Kanzleramt an vorderster Stelle zu zählen ist.
Selbst bei Wikipedia, wo sonst nahezu alles, und sei es noch so versponnen, erklärt wird, selbst da findet sich kein Eintrag zu der „Würde des Amtes“. Schäuble indes ficht das nicht an. Inquisitorisch diktiert er: „Die Würde des Amtes ist die Würde des Amtes“. Eine Beweisführung, die an den ontologischen Gottesbeweis des Mittelalters erinnert. Gott sollte danach Gott sein, weil er Gott war, der, über den hinaus nichts Größeres vorstellbar ist.
Wenig anders denkt es heute vermutlich im Präsidenten des Deutschen Bundestages, da er angesichts des Streites zwischen Merkel und Seehofer zu dem Schluss kommt: „Wenn … ein Mitglied der Bundesregierung exakt das Gegenteil von dem tut, was die Bundeskanzlerin vertritt, dann kann sie aus der Würde des Amtes heraus nicht anders handeln, als das Kabinettsmitglied entlassen.“ – Ehre sei der Kanzlerin in der Höhe!
Schäuble, wie hälts du’s mit der Demokratie?
Wir könnten das Geschwurbel mit einem Achselzucken übergehen, müssten uns nicht weiter mit dem Mumpitz befassen, wäre Wolfgang Schäuble nicht der zweite Mann im Staate. Da er nun aber Präsident des Parlaments ist, das die Arbeit der Regierung kontrollieren soll, drängt sich die Frage auf: Schäuble, wie hälts du’s mit der Demokratie? Wozu brauchen wir einen Bundestag, wenn ein „offener Konflikt gegen die Meinung der Kanzlerin“ die Würde des Kanzleramtes verletzt. Hat Angela Merkel, als sie das Amt übernahm, den Thron bestiegen? Sitzt sie auf dem Heiligen Stuhl, gedeckt vom Dogma der Unfehlbarkeit bei allem, was sie vorgibt, veranlasst und anrichtet?
Welchen Bären will uns ihr getreuer Eckart hier eigentlich aufbinden? Hinter welche Fichte will er die Bürger führen mit dem Fake von der „Würde des Amtes“?