Thomas Rietzschel / 17.07.2018 / 06:25 / Foto: Library of Congress / 52 / Seite ausdrucken

Die Würde des Amtes ist die Würde des Amtes

Werden einzelne Worte oder sprachliche Wendungen unerwartet häufig gebraucht, gerät nicht selten in Vergessenheit, was sie aussagen. Oftmals können sie überhaupt nur so in Mode kommen. Sinnentleert klingen sie bedeutend und vielversprechend; sie vernebeln, was genauer nicht erklärt werden soll. Einschüchternd wirkt das Pathos, das den Phrasen anhaftet. Wer sich damit hervortut, hat nichts zu sagen, vielleicht etwas zu verbergen, immer aber redet er Stuss – wie Wolfgang Schäuble in der abgelaufenen Woche.

In einem Gespräch mit Redakteuren der Funke-Mediengruppe erläuterte er, dass Angela Merkel gezwungen gewesen wäre, Horst Seehofer zu entlassen, wenn er seiner Ankündigung, schon anderswo registrierte Zuwanderer an den deutschen Grenzen abzuweisen, hätte Taten folgen lassen. Und das nicht wegen des Innenministers Aufsässigkeit, sondern weil „die Würde des Amtes der Kanzlerin“ dadurch beschädigt worden wäre.

Die Wendung ist derzeit im Schwange. Sobald einem oder einer die sachlichen Argumente ausgehen, wird damit emotional aufgetrumpft. Denn wer würde es schon wagen, etwas in Frage zu stellen, bei dem es um die Wahrung der „Würde“ geht. Dieser Stich sitzt immer, auch wenn das Ganze bloß einen Bluff ist, von dem sich niemand ins Bockshorn jagen lassen müsste.

Behörden haben keine Würde

Ist doch die Würde kein Merkmal, durch das sich irgendeine Behörde auszeichnen könnte, sondern die Eigenschaft des Menschen, „eine einzigartige Bestimmung“ zu besitzen, eines seiner „Wesensmerkmale“, wie es bei Immanuel Kant heißt. Auch Tieren gebührt die Respektierung ihrer Würde. Gleiches gilt für natürliche oder menschliche Schöpfungen, etwa für Kunstwerke, nicht aber für Einrichtungen der staatlichen Verwaltung, zu denen das Kanzleramt an vorderster Stelle zu zählen ist.

Selbst bei Wikipedia, wo sonst nahezu alles, und sei es noch so versponnen, erklärt wird, selbst da findet sich kein Eintrag zu der „Würde des Amtes“. Schäuble indes ficht das nicht an. Inquisitorisch diktiert er: „Die Würde des Amtes ist die Würde des Amtes“. Eine Beweisführung, die an den ontologischen Gottesbeweis des Mittelalters erinnert. Gott sollte danach Gott sein, weil er Gott war, der, über den hinaus nichts Größeres vorstellbar ist.

Wenig anders denkt es heute vermutlich im Präsidenten des Deutschen Bundestages, da er angesichts des Streites zwischen Merkel und Seehofer zu dem Schluss kommt: „Wenn … ein Mitglied der Bundesregierung exakt das Gegenteil von dem tut, was die Bundeskanzlerin vertritt, dann kann sie aus der Würde des Amtes heraus nicht anders handeln, als das Kabinettsmitglied entlassen.“ – Ehre sei der Kanzlerin in der Höhe!

Schäuble, wie hälts du’s mit der Demokratie?

Wir könnten das Geschwurbel mit einem Achselzucken übergehen, müssten uns nicht weiter mit dem Mumpitz befassen, wäre Wolfgang Schäuble nicht der zweite Mann im Staate. Da er nun aber Präsident des Parlaments ist, das die Arbeit der Regierung kontrollieren soll, drängt sich die Frage auf: Schäuble, wie hälts du’s mit der Demokratie? Wozu brauchen wir einen Bundestag, wenn ein „offener Konflikt gegen die Meinung der Kanzlerin“ die Würde des Kanzleramtes verletzt. Hat Angela Merkel, als sie das Amt übernahm, den Thron bestiegen? Sitzt sie auf dem Heiligen Stuhl, gedeckt vom Dogma der Unfehlbarkeit bei allem, was sie vorgibt, veranlasst und anrichtet?

Welchen Bären will uns ihr getreuer Eckart hier eigentlich aufbinden? Hinter welche Fichte will er die Bürger führen mit dem Fake von der „Würde des Amtes“? 

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Leserpost

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Dr. Stiehler / 17.07.2018

Schäuble ist mir auch in einem anderen Zusammenhang sehr negativ aufgefallen, wie verschwurbelt und absichtlich falsch er uns von der grenzenlosen Einwanderung überzeugen will. Er sagte, dass unser Volk degenerieren würde, wenn es nicht Fremde aufnehmen würde. Was für einen Unsinn schamlos er da redet. Er unterstellt damit, dass die kleinen Völker wie die Ungarn, Tschechen, Slowaken,Schweden usw. degeneriert seien.

Herbert Müller / 17.07.2018

Wolfgang Schäuble redet Stuss, was hier treffend dargelegt wird. Und diese Stussanhäufung hat in letzter Zeit deutlich zugenommen. Wer von den Muslimen Toleranz lernen will, kann nicht mehr recht bei Trost sein. Wenn Herr Schäuble so weiter redet, wird ihm in der Geschichte ein würdiger Platz neben Lübke sicher sein.

Manfred Kulla / 17.07.2018

Ein ganz feiner Beitrag, Herr Rietzschel: schlau auf den Punkt und ein echter Denkanstoß. Da fragt man sich doch auch gleich, warum größere Summen in schwarzen Koffern keine Würde eines Amtes beschädigen. Aber so ist das eben mit der Moral - sie ist immer eine Sache der anderen.

Rudolf George / 17.07.2018

Jeder, der in einer größeren Organisation tätig ist oder war, kennt das. Es gibt Menschen, die natürliche Autorität haben. Das sind solche, die ihre Aufgabe beherrschen und ihre Untergebenen mit Argumenten von der Richtigkeit der von ihnen gesetzten Leitlinien überzeugen können. Kurz: die „guten“ Chefs. Und es gibt Menschen, denen es an Überzeugungskraft fehlt und die sich deshalb auf ihre Amtsautorität berufen müssen, nach dem Motto: „ich bin der Chef, und darum tun Sie jetzt, was ich Ihnen gesagt habe“. Kurz: die „schlechten“ Chefs.

Dietmar Blum / 17.07.2018

Wenn ich von der “Würde des Amtes” schwadronieren höre, hinterfrage ich automatisch, ob der Amtsinhaber sich des Amtes würdig erweist. Ich schaue ich mir seine Vita an und stelle des öfteren fest, beispielsweise bei einer gewissen Claudia Roth, dass alleine ihre Biographie, auch die des 100.000-DM-Schäuble, bereits eine Verhöhnung des Amtes darstellt.

Gerhard Heiden / 17.07.2018

Herr Schäuble verdankt es vermutlich nur der Würde seines damaligen Amtes, dass seine Bemerkungen im Juni 2016 zu der drohenden Degeneration durch Inzest in Deutschland nicht zu einer beladenen Diskussion geführt haben. Er kann doch nur kulturellen Inzest gemeint haben. Was sollen z. B. die Isländer jetzt machen? Mit den alten Wikingerschiffen Jagd auf z. B: Buddhisten, Moslems u. s. w. machen?

Fritz kolb / 17.07.2018

Früher einmal habe ich den Herrn Schäuble für einen schlauen Fuchs gehalten, der sich trotz eines groben Schnitzers in der Vergangenheit, lange Jahre in einem Spitzenamt der deutschen Politik etablieren konnte. Ein kleines Fragezeichen blitzte auf, als er vor laufenden Kameras einen Mitarbeiter brutal niedergemachte. Ein großes Fragezeichen indes, als er uns 2015 allen Ernstes im Angesicht der eklatant hohen Kosten der Migration erklärte, keinem Deutschen Bürger würde dadurch etwas weggenommen werden. Bei damals schon geschätzten mindestens 25 Milliarden Euro zusätzlicher Merkelmigrationslasten. Nach seinen neuerlichen verbalen Auswürfen sehe ich nur noch einen alten Mann, der den Automatismus der Altersweisheit gründlich widerlegt. Und der dringend in den Ruhestand versetzt gehört.

Helge-Rainer Decke / 17.07.2018

Widerspruch! Herr Rietzschel, Sie behaupten, sogar Wikipedia würde nichts über die Würde des Amtes aussagen. Diese Behauptung ist zwar eine Behauptung, trotzdem ist sie falsch. Ich zitiere aus Wikipedia: „Würde (lat. dignitas) ist die Eigenschaft, eine einzigartige Seinsbestimmung zu besitzen. Sie kann einem Lebewesen, einem System von Lebewesen, aber auch einer natürlichen oder menschlichen Schöpfung zugesprochen werden. Zumeist wird die Seinsbestimmung von Menschen in einem moralischen Sinne verstanden oder als ein in einer Wertehierarchie hoher Rang bzw. eine Vorrangstellung von Personen. Traditionell wurde der Ausdruck auch auf politische oder soziale Einheiten angewandt, etwa auf den römischen Staat und seine Bürger oder auf gesellschaftliches Ansehen bzw. Stellung, wie sie etwa dem erblichen Adel zukamen. In jüngerer Literatur wird auch von einer Würde der Natur oder sogar jeden Lebewesens gesprochen. Mit dem Begriff der Menschenwürde wird die besondere Seinsbestimmung bezeichnet, die jeden Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet.[1] Die Tätigkeit, einer Person die Würde zuzusprechen oder diese anzuerkennen, wird als (das) Würdigen oder (die) Würdigung bezeichnet. Von Würde wird auch im Zusammenhang mit einem Titel, bestimmten Ehren und/oder hohem Ansehen verbundenen Ämtern gesprochen. So die „Würde des Amtes“, etwa des Bundespräsidenten, die nicht beschädigt werden darf. Dementsprechend werden besonders im gehobenen Sprachgebrauch die Träger besonderer weltlicher wie geistlicher Ämter als Würdenträger bezeichnet.“ Somit hat Schäuble mit seiner Aussage recht. Zu den weltlichen Amtsträgern gehört auch die Kanzlerin.☝️

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