Lutz Neumann, Gastautor / 03.06.2016 / 06:15 / Foto: Anonimo / 12 / Seite ausdrucken

Populismus auf katholisch (1): Wir! Betreiben! Sklavenhaltung!

Von Lutz Neumann

Eines vorweg, für den Kölner Kardinal Woelki gehört die Ausrichtung seines Denkens und Redens an Evidenz und Fakten offenbar nicht im engeren Sinne zu seiner Jobbeschreibung als steuerfinanzierter Religionsführer im rheinischen Katholizismus. Also, wenn Sie jetzt weiterlesen, bitte nicht nachträglich sagen, dass Sie sich in ihren religiösen Gefühlen beleidigt sähen...

Anlässlich des Fronleichnam-Feiertages am 28. Mai 2016 hat der Kardinal ein Flüchtlingsboot aufkaufen und von Malta nach Köln transportieren lassen. Für eine Versammlung der katholischen Kirche auf einem zentralen Platz in der Kölner Innenstadt hat er es als Rednerpult benutzt. Diesen symbolischen Akt nutzte er effektvoll für eine politische Rede („Predigt am Hochfest des Leibes und Blutes Christi“) und eine PR-Offensive. An dieser Stelle wurde bereits zu einigen seiner fragwürdigen Aussagen „Mit dem Boot bis vor den Kölner Dom“ berichtet.

Aufhorchen lässt, was er in seiner öffentlichen Rede sagte. Flankierend wurde er in der Kölner Boulevardzeitung Express zum Thema interviewt: „Welche Verantwortung Europa, der Westen, unser Leben in Wohlstand dafür haben, dass Menschen aus Syrien, Irak, Afghanistan, aus vielen afrikanischen Ländern fliehen - und was die Flüchtlinge in Europa zu finden hoffen.“

Hinsichtlich der Flüchtlinge und Asylsuchenden bringt er eine harte Anklage an die deutsche Gesellschaft hervor: „Wir leben auf Kosten dieser Menschen – und betreiben dadurch moderne Sklavenhaltung.“

Der Kirchenführer schreibt mit dieser drastischen Gesellschaftsanklage eine große Erzählung fort. Sie begann mit den Schreckensbildern des Biafra-Kriegs (Nigeria) Ende der 1960er Jahre und ergreift seitdem immer mehr Kirchenfunktionäre und Entscheidungsträger in Politik und Medien. Die große Erzählung handelt von der (Mit-)Täterschaft von einigen Gesellschaften, die sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben (vornehmlich im Norden des Globus), für die Armut und das Elend von einigen anderen Gesellschaften (vornehmlich im Süden des Globus).

Sich mit dem Wohlstand in Deutschland nicht wohlzufühlen, ist zwar Teil der beliebten Nord-Süd-Erzählung. Eine neue gesellschaftliche Dimension hat es, wie pauschalisierend bei gleichzeitiger Einstreuung von zusammenhangslosen Beispielen der Kardinal den Wohlstand hierzulande in Täterschaft für das Elend in den Herkunftsländern nimmt, den deutschen Sonderweg in der Flüchtlingskrise religiös überhöht, und dafür allseits Applaus erntet. Da der Kardinal dieses Mal konkreter als gewöhnlich geworden ist, bietet sich ein Faktencheck an. Was ist also dran an seiner Sklavenhalter-Anklage?

Wir! Betreiben! Sklavenhaltung!

Wer ist „wir“? Der Kardinal meint wahrscheinlich das Merkel’sche „Wir“ („… schaffen das“). Denn nur wenn „wir“ (Woelki) auf Kosten anderer leben und diese Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat veranlasst haben, müssen „wir“ (Merkel) die Bewältigung der Folgen schaffen.

Nun ist es tatsächlich so, dass es moderne Sklavenhalter gibt. Insbesondere auch Sklavenhalterinnen und vor allem Sklavinnenhalterinnen und Sklavinnenhalter. Das Phänomen ist besonders in religiös geprägten Gesellschaften verbreitet und vor allem in der Hausdienerschaft, Prostitution und Zwangsarbeit zu finden. Menschenrechtsorganisationen beziffern das Ausmaß der Sklaverei als zwei-bis dreimal so groß wie zu Zeiten der offiziellen Abschaffung des Sklavenhandels. Bei den Haussklavinnen und Haussklaven soll zum Beispiel Mauretanien weltweit führend sein.

Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass das Ausmaß der Haussklaverei in der Islamischen Republik Mauretanien in einem Zusammenhang mit dem Wohlstand in Deutschland steht. Und unser Einfluss auf die Verhältnisse in diesem Land, auf den dortigen religiösen Glauben und die Gesellschaftsordnung, ist eher gering. Der Kölner Kirchenführer redet daher irrational, wenn er die deutsche Gesellschaft als die von Sklavenhaltern kategorisiert und handelt verantwortungslos, auf dieser Fehleinschätzung Empfehlungen für die deutsche Asyl- und Einwanderungspolitik, und sogar für die Außen-, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik zu geben.

Deutscher Sonderweg mit falschen Fakten moralisch überhöht

Die Top 3 der Herkunftsländer der antragstellenden Asylanten und Flüchtlinge in Deutschland sind laut amtlicher Statistik Syrien, Albanien und Kosovo. Von den Zehntausenden, die aus den beiden letztgennannten Ländern nach Deutschland einreisten, erhielten im kompletten Jahr 2015 insgesamt zwanzig (20) Personen einen Schutzstatus, was zu einer Anerkennungsquote von 0,2 Prozent aller Antragssteller führte. Unter den Top 10 der Herkunftsländer sind ferner Afghanistan, Irak, Serbien, Eritrea, Mazedonien, Pakistan und dann noch die Gruppe der Ungeklärten, deren Papiere entweder nicht als authentisch anerkannt, diese Papier nicht mehr verfügbar oder die sich speziell auf die Entscheidung der Bundeskanzlerin Mitte 2015 eingestellt hatten und zur Erleichterung der Einreise in Deutschland ihre Papiere entsorgten.

Der Kardinal sieht eine „Pflicht, ihnen zu helfen, ihnen ein Leben in Frieden, eine Perspektive zu bieten“. In der deutschen Gesellschaft ist es breiter Konsens – innerhalb und außerhalb der Kirchen – Menschen in Not aus humanitären Gründen zu helfen. Das ist gelebter Humanismus, für Bedürftige einzustehen. Nur, jetzt kommt der Kardinalsfehler. Woelki bietet als Begründung: „Weil unser Wohlstand für das Elend anderswo in der Welt in höchstem Maße mitverantwortlich ist.“ 

Tatsächlich? Sind „Syrien, Irak, Afghanistan“ und die „vielen afrikanischen Länder“ der Ursprung unseres Wohlstandes? Dann müsste es hierfür Belege geben. Sind diese Länder die Hauptdestinationen einer deutschen oder europäischen Ausbeutung? Stehen sie bei den deutschen Auslandsinvestitionen und des deutschen Außenhandels ganz oben?

Mitnichten. Selbst unter den Top 10 Handelspartnern der deutschen Importe und der Exporte findet sich keines der Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge. Bei Auslandsinvestitionen ebenso. Der Wohlstand in Deutschland soll auf der Ausbeutung dieser Länder aufgebaut sein?

Der Anteil von Subsahara-Afrika am deutschen Gesamtaußenhandel hat in den letzten Jahren abgenommen und liegt laut Statistischem Bundesamt bei 1,24 Prozent, wobei der Großteil auf die Republik Südafrika entfällt. Aus diesem Land ist kein Flüchtlingsstrom bekannt – jedenfalls kein schwarzafrikanischer Exodus.  

Wenn es schon keinen Bezug zu Handel und Investitionen gibt, kommen vielleicht weitere Pfeiler des deutschen Wohlstandes als Schuldfaktoren in Frage. Sind Bildung, Innovationen, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit in „höchstem Maße“ für das Elend in Syrien, Irak, Afghanistan oder Afrika verantwortlich? Absurd. Ein solcher Zusammenhang – sogar als Superlativ – kann wohl nur der Imagination des Kardinals vorkommen.

Ist es Ignoranz oder haben die Unwahrheiten und Desinformationen des Kardinals Methode? Die kirchlichen Sozialkonzerne mit ihrem selbstdefinierten, verfassungswidrigen Arbeitsrecht erhalten Milliarden aus dem Steueraufkommen und gehören zu den größten Arbeitgebern des Landes. Der Umsatz von Bistümern, Sozialkonzernen wie der Caritas und Unternehmen im Großraum der Kirchen ist mit 129 Mrd. Euro um zwei Milliarden höher (!) als der Inlandsumsatz der gesamten deutschen Automobilindustrie (Carsten Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, S. 60-61). Dreistellige Millionenbeträge aus dem Bundeshaushalt (Einzeltitel 23) gehen Jahr für Jahr in einem exklusiven Sonderverfahren an die Auslandshilfswerke der beiden christlichen Großkirchen.

Die Aussagen des Kardinals müssen also nicht zwingend seiner Ignoranz zugeschrieben werden. Ein Motiv ist vorhanden.

Morgen in der nächsten Folge: Heucheln und das Wort "Islam" vermeiden.

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Leserpost

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Sönke Joachim Peters / 04.06.2016

Mit den “Flüchtlingen” (von denen speziell letztes Jahr die Allermeisten aus Österreich nach Deutschland kamen - in Österreich herrschen demnach also wohl Elend, Chaos und Krieg) kochen die aberwitzigsten Figuren ihre eigenes Süppchen. Um z. B. der politisch verordneten Klimahysterie noch weiter Vorschub zu leisten, sprachen erlauchte Kreise auch schon davon, dass nun Klima-Flüchtlinge gekommen wären und weiter kämen. In gewisser Weise läuft diese steile These ja konform mit den Behauptungen des Kardinals Woelki, denn “unsere Ausbeutung” hat nicht nur diese Sklaven geschaffen, “wir” heizten ihnen auch durch “unsere” böse Industrie ausgestoßenes “Giftgas CO²” so mächtig ein, dass sie aus der durch “uns” verursachten Hitze nun fliehen müssten (wobei die Hitze also offensichtlich auch schon in Österreich unerträglich hoch sein muss; und gemäß der nach Schweden drängenden Klima-Flüchtlinge ist demnach selbst Dänemark eine Hitze-Hölle). —- Dieses Geschwätz; und ich nehme hier gleich noch “Atom”, “Gen” und “erneuerbare Energien” - ohne die Absicht auf Vollständigkeit- mit dazu; ist für mich der Rückfall in voraufklärerische Zeiten und teilweise schon weniger rational als etwa mittelalterliches Flagellantentum.

Hans-Jörg Jacobsen / 03.06.2016

Herr Woelki wird die Konsequenzen seines Geplappers selbst ja nicht erfahren, denn er wird, sicher und wohlbeschützt, sein feistes Prälatenleben weiterführen,  wenn es sein muss, dann halt im Hochsicherheitstrakt des Vatikan. Das Schlimme ist, dass kein Politiker es wagen wid, die mächtige NGO KathKirche herauszufordern. Die haben mit ihrer Ignoranz schon ganz andere Stürme abgewettert. Der Menschheit ist das aber nie gut bekommen.

Claudia Dorfner / 03.06.2016

Haarsträubender Unsinn “Wir sind reich, weil Afrika arm ist” Und was war 1946? Da waren wir arm, aber Afrika auch! Oder vor 300 Jahren? Da waren wir auch arm, aber wer war damals denn an Afrikas Armut schuldig? Dazu fällmt mir eine Passage aus “Das Heerlager der Heiligen” ein, in der ein aus Sri Lanka stammender, aber integrierter Franzose die Panik über die eine Million Inder bekommt. Er sagt so etwas wie “Dieser Aberglaube, dieser Fatalismus, ” und noch ein paar weitere Dinge, die die Armut der 3. Welt weit plausibler begründen!

Werner Pfetzing / 03.06.2016

Hallo ! Ausgerechnet der Woelki !  Bis zum Herbst 2014 besaß die katholische Kirche in Berlin-Charlottenburg ein (verwahrlostes, aber bebautes) Grundstück, was dann aber (vermutlich über) einen Strohmann an einen russischen Investor verhökert wurde. Dieser neue Bauherr errichtete dann ein großzügig ausgestattetes Hotel (er brauchte nur zu sanieren), was aber leersteht. Der Verdacht der Geldwäsche besteht da nicht grundlos. Woelki (der zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin Kardinal war)  hätte doch dieses Haus zu einem Zufluchtsort für Flüchtlinge umwidmen können. Aber er hat dies nicht getan.  Am mangelhaften Geld kann es wohl nicht gelegen haben. Der Vatikan ist ja nicht arm. Mit freundlichen Grüssen ! Werner Pfetzing

Anja Krupop / 03.06.2016

Merkwuerden Woelki ist auch der Meinung, wir liessen Gott ertrinken im Mittelmeer. Fur ihn sind Flüchtlinge Gott gleich. Dieser Logik folgend, wollte Gott sich demnächst in Düsseldorf in die Luft sprengen. Wir haben diesen Plan Gottes vereitelt, auweia.

Rudi Knoth / 03.06.2016

Ich geben Ihnen recht. Diesen Satz “Wir leben auf Kosten der Flichtlinge” Hab ich schon woanders gehört. Die Beweise für seine These sind für mich aber recht schwach. Denn die Billigtextilien werden herher in Ländern wie Bagladesch produziert, aus denen es aber keine Flüchtlinge gibt.  Das billige Öl kommt daher, weil sich die Förderländer nicht einigen können. Allenfalls aus dem Iran, der seine Fördermenge nicht drosseln will, kommen einige der Flüchtlinge, Auch aus Katar gibt es keine Flüchtlinge. Und in Bürgerkriegsländern wie Syrien und Irak ist der Handel wohl recht riskant.

Wolfgang Richter / 03.06.2016

“Hinsichtlich der Flüchtlinge und Asylsuchenden bringt er eine harte Anklage an die deutsche Gesellschaft hervor: „Wir leben auf Kosten dieser Menschen – und betreiben dadurch moderne Sklavenhaltung.“ Wenn der Herr Kardinal mit solchen Aussagen für die Willkommenskultur gegenüber sog. Schutzsuchenden wirbt, hat er bei der Wahl der Begrifflichkeit offenbar übersehen, daß es laut aktuellen Zahlen weltweit ca. 46 Millionen “echter” Sklaven geben soll, die meisten im asiatischen Raum und wohl überwiegend Kinder, die zur Abzahlung der Schulden ihrer Eltern den Gläubiern überlassen wurden. In dem Zusammenhang wurde nach den Veröffentlichungen der letzten Tage in der Presse “hoch gerechnet” auf die diversen Länder, wobei auf Deutschland dann auch ca. 14000 dieser Sklaven entfallen sollen. Leider wurde nicht ausgeführt, wo und von wem diese ausgebuetet werden, vorstellbar wäre der Bereich Prostitution und dem dazu gehörenden Frauenhandel. Diese Ausgebeuteten hat der Herr Kardinal aber offenbar in seiner politisch korrekten Rede zur Förderung der Akzeptanz der ungebremsten Flüchtlingsaufnahme nicht gemeint, genauso wie er meines Wissens bisher kein Wort zu seinen drangsalierten Glaubensbrüdern weltweit in den vom Islam dominierten Ländern, wie auch in den hiesigen Unterkünften verloren hat. Insofern paßt er ins Bild der hier tätigen Gut- und Politikglaubigen, die mindestens auf einem Auge von vollständiger Blindheit befallen sind. Und noch als Anmerkung zu dem Bötchen: Mit dem Geld, das dieser Aufwand gekostet hat, hätte man sicher zum Wohle von Bedürftigen Sinnvolleres veranstalten können als diese persönlich-populistische Aktion zum heischen um Aufmerksamheit. Denn es war bisher nicht zu Hören oder Lesen, daß er sein (staatlich) aufgefülltes Gehaltskonto dafür angezapft haben sollte.

Martin Altmann / 03.06.2016

Aus besagter Republik Suedafrika ist sehr wohl ein Fluechtlingsstrom bekannt, der aber in das Land hineinfuehrt. Auch die RSA ist ein Zielland der Migration, was bei der dortigen Bevoelkerung nicht auf Gegenliebe fuehrt, wie meldungen von auslaenderfeindlichen Unruhen bestaetigen.

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