Volker Seitz / 06.10.2024 / 11:00 / Foto: pontas-Agency.com/Verlag / 14 / Seite ausdrucken

Die wiedergefundene Sprache

Die Äthiopierin Ennatu Domingo verlor mit sieben Jahren eines der wenigen Dinge, die sie – das Waisenkind – damals hatte und die wirklich ihr gehörten: ihre Sprache. Als Jugendliche in Katalanien beschloss sie, sich diese zurückzuerobern.

Ennatu Domingos "Der Geruch von verbranntem Eukalyptus" ist ein lesenswertes Buch über ihre Herkunft, Sprache und Zugehörigkeit. Leider verhunzen die Sternchen in der Übersetzung aus dem Katalanischen die Sprache und damit das Lesevergnügen. 

Die Schriftstellerin und Kritikerin Elke Heidenreich sagt, das Gendern sei „verlogen und verhunzt die Sprache“. Das feministische Getue sei hysterisch. Ich finde auch, dass der Verlag Frau Domingo keinen Gefallen getan hat.

Die Autorin Ennatu Domingo, geboren 1996 in Äthiopien, absolvierte nach ihrem Abschluss in Politikwissenschaft an der University of Kent in Canterbury einen Master in Internationaler Konflikt- und Sicherheitsforschung in Brüssel. Als Stipendiatin der International Crisis Group hat sie in Nairobi gearbeitet. Derzeit ist sie wissenschaftliche Assistentin am Thinktank European Centre for Development Policy Management in Maastricht. Seit 2024 ist sie Abgeordnete im katalanischen Regionalparlament.

Bis zum Alter von sieben Jahren lebte sie in großer Armut und ohne Aussicht auf Schulbildung in Äthiopien. Danach wurde sie von katalanischen Eltern adoptiert.

Sie vermittelt einen sehr interessanten Einblick in die sie prägenden Kulturen und Lebensverhältnisse. Sie habe gelernt, zwischen ihrer äthiopischen und ihrer katalanischen Identität hin- und herzugleiten, zwischen ihren afrikanischen und ihren europäischen Anteilen. Mit sieben Jahren verlor sie eins der wenigen Dinge, die sie – das Waisenkind – damals hatte und die wirklich ihr gehörten: ihre Sprache. Als Jugendliche beschloss sie dann, sie systematisch wieder zu lernen, zunächst autodidaktisch, später etwas formeller in Onlinekursen. Seither ist sie in 17 Jahren noch sechsmal in ihr Geburtsland zurückgekehrt, was ihr zu soliden Kenntnissen Äthiopiens verholfen hat.

Kontraproduktive Kampagnen

„In Addis Abeba wurde ich als Europäerin betrachtet. In jeder beliebigen europäischen Stadt dagegen galt ich erst einmal als Afrikanerin. Die verschiedenen Schichten der Identität sind etwas wirklich faszinierendes, zumal wenn du bereit bist, das Thema philosophisch zu betrachten und dich nicht zu sehr zu entrüsten."

Sie schreibt über den westlichen Feminismus. „Wir haben es hier mit einem urban geprägten Feminismus zu tun, der die Beiträge und Bedürfnisse der Frauen aus dem ländlichen Raum nach wie vor kaum beachtet. Oft missversteht dieser Feminismus sie sogar: Viele seiner Kampagnen entziehen den Frauen vom Land eher ihre Entscheidungsfähigkeit, andere behandeln sie als Vertreterinnen einer idyllischen, urtümlichen Welt. Oder einer von Analphabetismus und extremer Armut geprägten Welt.“

„Analphabetismus schließt vor allem Frauen von einer aktiven Teilhabe an den Entscheidungsprozessen aus, die den künftigen Weg des Landes bestimmen. Wo es nicht einmal ausgebaute Verkehrswege zwischen den Dörfern gibt, fahren auch keine Schulbusse…. In den wirtschaftlich schwächsten Regionen gehen am wenigsten Mädchen zur Schule. Der Mangel an Bildungsmöglichkeiten und an guten Arbeitsplätzen bewirkt wiederum Stagnation und eine massive Landflucht. Die Folgen sind verheerend… Das Bildungsniveau verbessert sich, aber nur bis ins Umland der Großstädte.“

Was Ennatu Domingo oben beschreibt, gilt auch für alle anderen afrikanischen Länder, in denen ich tätig war. Bemerkenswert finde ich auch ihre treffenden Beobachtungen über den Lebensstil der Ausländer (Expats) in Nairobi. „Die Stadt war entlang der sozialen Klassen geteilt… Bald stelle ich fest, dass wir Expats eine Gemeinschaft bildeten, die weitgehend unter sich blieb. Die meisten von uns reproduzierten trotz des völlig anderen Kontexts den Lebensstil der Länder, aus denen wir kamen und schotteten sich weitgehend gegen die Wirklichkeit und den Menschen vor Ort ab.“

Angriff auf den präzisen Schreibstil der Autorin

Aber auch: „In Nairobi büßte ich, gewöhnt an die allgemeine Sicherheit Europas, meine Eigenständigkeit ein: Nichts konnte ich alleine unternehmen… Als Frau unterwegs zu sein, kam nicht infrage. Auf der Straße hielten Männer mich an, um ein Gespräch zu beginnen… Ich konnte die Aufdringlichkeit nie gut ertragen, dass man mich so gar nicht respektierte, war für mich sehr erschreckend. Eine Mahnung, wie prekär doch die Gesellschaft war, in der ich mich bewegte.“

Es ist ein gutes Buch, das zum Nachdenken anregt. Die Autorin schreibt unaufgeregt, präzise, mit Sinn für Details und Nuancen. Was den Verlag freilich veranlasst hat, im Übermaß Gendersternchen einzusetzen, obwohl Umfragen zufolge eine große Mehrheit in Deutschland gegen eine Verwendung sogenannter gendergerechter Sprache ist, bleibt unverständlich.

Die Befürworter des Genderns behaupten, Sprache erschaffe Wirklichkeit. Das ist absurd: Ein von Verlagen verordneter Sprachwandel wird zur Gleichstellung der Geschlechter nichts beitragen, eher werden leider weniger Leser dieses Buch kaufen. Sprache ist fließend. Aber beim Gendern handelt es sich nicht um einen natürlichen Sprachwandel, sondern um einen Sprachaktivismus, durch den der Leser moralisch erzogen werden soll.

Ennatu Domingo, Der Geruch von verbranntem Eukalyptus: Über Herkunft, Sprache und Zugehörigkeit. Orlanda-Verlag, 2024

 

Volker Seitz, ist Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert, dtv, 2021 (11. aktualisierte Auflage)

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Leserpost

netiquette:

Gustav Kemmt / 06.10.2024

Vielen Dank! Hinsichtlich der verharmlosend bezeichneten “Gendersternchen” hier Aufklärung: Es handelt sich in Tatwirklichkeit um das Ausstellen von Geschlechtsorganen. Es ist also als obszön zu bezeichnen, was hier geschieht. Eine Widerwärtigkeit, Zivilisationsverfall. Wer so etwas tut, ist durch und durch Barbar.

R.Weber / 06.10.2024

Wer von Sprachverhunzung spricht, sollte Katalonien nicht Katalanien nennen. Jörg Hilbert hingegen darf dies aufgrund künstlerischer Freiheit. *** /Der Prinz von Katalanien (lalala lala)/ /Der schenkte nur Geranien (lalala lala)/ /Der Prinz von Patagonien/ /Verführte mit Begonien/ /Doch Ritter Rost, der war nicht ganz bei Trost/ /Er schenkte Bö eine Rose in der Dose/

Roland Stolla-Besta / 06.10.2024

Mir fällt bei diesem Artikel gerade ein und auf, daß man alle Berufsbezeichnungen auf Teufel*in komm raus gendert, allerdings etwa nicht die Müllmänner oder die Straßenkehrer, ist das nicht diskriminierend? Aber auch die Hebamme gibt es nicht als den Hebammer! Diskriminierung wohin man auch schaut. Da hat der/die/das Diskriminierungsbeauftragte (m/w/d) noch allerhand zu tun!

Bernd Büter / 06.10.2024

Produkte in DEPPENDEUTSCH - braucht kein Mensch. ..und es ist zu vermuten, das die Autorin davon nicht mal etwas weiß. Denn Deppenkatalanisch gibt es nicht.

Peter Zinga / 06.10.2024

Mich würde interrersieren, ob Autorin selbst Sternchen benutzt oder normall schreibt…

Anna Hegewald / 06.10.2024

Ich habe gerade den Orlanda Buchverlag gegoogelt. Das steht auf der Homepage: „ Frauen – Weltkultur – Bewegung: Wir wollen mit unserem Programm dem Diskurs für eine gerechtere Weiterentwicklung der Gesellschaft und der Welt ohne Vorurteile und vorgefertigte Meinungen eine freie Bühne geben und laden ein, neue Perspektiven kennenzulernen.“ Und ein Stück weiter unten: „Verlage gegen rechts“. Da steht NICHT „Verlage gegen rechtsextrem“ oder „Verlage gegen rechtsradikal“ - sondern gegen rechts. Dort muss ich nichts kaufen. Wer einerseits gegen Vorurteile und vorgefertigte Meinungen zu Felde ziehen will und andererseits gegen rechts mobil macht - der kann mir gestohlen bleiben.

Sam Lowry / 06.10.2024

Dann hätte man sich einen anderen Verlag suchen können. War das nicht möglich? Sowas könnte ich nicht lesen ohne zu k@tzen…

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