Rainer Grell / 17.11.2019 / 13:00 / Foto: RU / 17 / Seite ausdrucken

Die Wiedergutmacher

Sensible Zeitgenossen, die unter dem „Novemberblues“ leiden, sollten sich vielleicht überlegen, ob sie sich „im traurigen Monat November“ mit Raymond Unger auf die Reise durch Deutschland begeben oder ob sie die Lektüre seines Buches „Die Wiedergutmacher“ lieber in eine freundlichere Jahreszeit verschieben. Lesenswert ist das 2018 im Europaverlag erschienene Buch mit dem Untertitel „Das Nachkriegstrauma und die Flüchtlingsdebatte“ auf jeden Fall. Zur Aufheiterung trägt diese Analyse der politischen Landschaft in Deutschland allerdings ebenso wenig bei wie seinerzeit Heines Wintermärchen – egal, ob die Misere nun in Versen oder in Prosa beschrieben wird.

Die Entstehung dieses Buches verdanken wir dem Umstand, dass das Gefühl des Verfassers, der sich als „klassisch ‚links‘ sieht“ (S. 10) eines Tages seinem Intellekt nicht mehr folgte (S. 94), ein Erweckungserlebnis lutherischen Ausmaßes, das den Fußtruppen von Merkel und Co. bisher verwehrt blieb. 

Unger, Jahrgang 1963, ist in mehrfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher Mensch. Nicht nur dass er Maler und Buchautor ist; er hat auch Psychologie studiert und als Psychologe und Therapeut gearbeitet. Außerdem stammt er aus einer fundamental-religiösen Familie, die mütterlicherseits bis 1940 „in einer deutschen Enklave Bessarabiens, dem heutigen Moldawien“ lebte (S. 244). In den 1920er Jahren wurde seine Herkunftsfamilie von einem Missionar einer amerikanischen Freikirche missioniert. Im Werte- und Glaubenssystem dieser Familie waren Frauen den Männern untergeordnet und Homosexualität galt als Krankheit. Weitere Elemente waren „ein subtiler Antisemitismus“ sowie die Weltuntergangserwartung im Sinne des Harmagedon (Armageddon) der Johannes-Offenbarung, alles streng buchstabengetreu – dem orthodoxen Islam nicht unähnlich (S. 248). Die „Chronik seiner eigenen Familie und ... [die] Ursachen für den tragisch-frühen Tod vieler Familienmitglieder infolge untauglicher ‚Selbst-Reparationsversuche psychischer Schräglagen‘ in der Nachkriegszeit“ (Joachim Süss) behandelt Unger in seinem autobiographischen Roman „Die Heimat der Wölfe“ (2016, ebenfalls im Europaverlag).

Sein Buch „Die Wiedergutmacher“ ist ein derart fakten- und facettenreiches Werk, dass ich mich hier auf Kernaussagen beschränke, die übrigens von den wenigen Fehlern unberührt bleiben, die ich entdeckt habe (weswegen ich sie hier unerwähnt lasse). Meine Auswahl ist notgedrungen subjektiv, so dass bei eigener Lektüre durchaus Raum für andere Schwerpunkte bleibt.

„Babyboomer“ nicht erwachsen geworden

Ich wusste schon vor Beginn meiner Lektüre, dass es Unger um „transgenerationale Traumata“ geht, unter denen der größte Teil der „Kriegsenkel“ leidet. Da ich meine zweifellos vorurteilsbehaftete Einstellung gegenüber allem „Psychologischen“ schon in zwei Achgut.com-Beiträgen über mein eigenes Schicksal als „vaterloses Kriegskind“ und als „Flüchtling, der schon länger hier lebt“ zum Ausdruck gebracht habe, setze ich lieber bei einem anderen Aspekt an, der mir näher liegt.

Unger schreibt (S. 346): „Unreife Persönlichkeiten können es kaum ertragen, dass die menschliche Existenz widersprüchlich, endlich, ungerecht, ausgeliefert, machtlos und polar angelegt ist.“ Aber: „Die Annahme der Machtlosigkeit gegenüber dem Schicksal bedeutet jedoch keineswegs, depressiv und passiv sein Leben zu fristen oder Ungerechtigkeiten für sich selbst oder andere klaglos hinzunehmen. Das große Rätsel des Lebens ist der Widerspruch bezüglich der Akzeptanz von Machtlosigkeit vs. Selbstverantwortung und dem Auftrag, handeln zu müssen, um sein Leben und seine sozialen Räume zu gestalten“ (S. 368). Eine Maxime, die für alle gelten dürfte, die auf Achgut.com publizieren.

Erst mit diesen grundlegenden Sätzen im Hinterkopf eröffnete sich mir das Verständnis für die Ausführungen des Eingangskapitels über „Psychologische Grundlagen“, bei denen es um „Misslungene Triangulierung“, „Parentifizierung“ und „Doppelbindung“ geht. Ergebnis: Die Generation der Babyboomer, in Deutschland also „die Geburtenjahrgänge von 1955 bis 1970“ (S. 42), ist überwiegend dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht erwachsen geworden ist (S. 53). Sie verharren vielmehr in einem Zustand „moralistische[r] Infantilisierung“ (S. 13 unter Verweis auf Rüdiger Safranski in der „Weltwoche“ 52/2015).

Transgenerational statt individuell?

Verantwortlich für diese Entwicklung ist der „Mechanismus der ‚transgenerationalen Weitergabe kriegsbedingter Belastungen‘, der in vielen Fachbüchern beschrieben wurde“ (S. 53). „Gemeint ist eine unbewusste und trotzdem wirkmächtige Weitergabe von Affekten und Verhaltensweisen, Depressionen, seelischen und physischen Schmerzen, aber auch von Gefühlen wie Hass, Groll, Scham, Schuld und Wut an kommende Generationen.“ Als ob er meinen skeptischen Blick und meine Vorbehalte gespürt hätte, schreibt Unger (S. 45): „Nur zögerlich setzt sich die Erkenntnis durch, dass viele der früher für individuell gehaltenen Probleme in Wirklichkeit gewaltige, kollektive, transgenerationale Hintergründe haben“ (kursiv von mir).

Mögen auch Zweifel an dieser These bleiben, so liefert sie auf jeden Fall eine plausible Erklärung für sonst schwer erklärliche Phänomene wie die Flüchtlingspolitik, die Klima- und Energiepolitik sowie die Verteidigungspolitik und weitere Charakteristika der vier Kabinette Merkel.

„Die ‚mächtigste Frau der Welt‘ hat ihre Macht nur, weil sie ihr von einem ganz bestimmten Babyboomer-Typus in Medien, Politik und Kultur verliehen wird.“
(S. 31)                                                                                                                                        

Oder: „Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass der größte Teil deutscher Eliten das vorherrschende Narrativ einer globalen, multikulturellen, pazifistischen, ökologischen und weiblichen Gesellschaft bedient und befördert.“ (S. 33)

„Babyboomer, respektive Kriegsenkel, wurden zum Träger des linksgrünen Ideals; sie waren die guten Menschen mit großem Herzen, welche die Willkommenskultur und die multikulturelle Gesellschaft unterstützten.“ (S. 53)

„Leitprinzipien der Wiedergutmacher“ sind (S. 15): „Moral vor Recht, Legende vor Wahrheit, Feminismus vor Maskulinität, Konformität vor Charakter, Gesinnung vor Verantwortung, Bekenntnis vor Handlung, Selbstverleugnung vor Selbstbehauptung, Gefühl vor Ratio, Feigheit vor Mut.“

Vernunft-Bekenntnis hat seinen Preis

Ungers Buch ist im wahrhaft Kant’schen Sinne aufklärerisch, weil er den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Er erkennt (S. 89): „Selbstverständlich ließen sich mit obigen Unsummen [die für Flüchtlinge bereitgestellt werden], die sich Jahr für Jahr fortsetzen werden, sämtliche Probleme der deutschen Rentner und Arbeitslosen im Handumdrehen lösen.“

Ein anderer Babyboomer namens Heiko Maas (Jahrgang 1966), der als Autor eine „Strategie gegen Rechts“ entwickelt hat, ist in seiner intellektuellen Entwicklung noch nicht so weit und verharrt im Zustand der Unmündigkeit. Am 6. Oktober 2016 verkündet er in völliger Unbedarftheit bei „Maybrit Illner“, dass durch die Unterstützung der Flüchtlinge mit Milliardenbeträgen niemandem etwas weggenommen wurde. Glücklicherweise ließ die angemessene Reaktion auf diese Albernheit nicht lange auf sich warten: „Für den diesjährigen Nobelpreis in der Kategorie Wirtschaft hat die schwedische Jury überraschend den deutschen Justizminister Heiko Maas ausgezeichnet. Maas wird für seine bahnbrechenden Erkenntnisse bei der Lösung ökonomischer Verteilungsfragen geehrt, die er erst unlängst in der TV-Show Maybritt (sic) Illner mit den einfachen, wie genialen Worten zusammenfasste: ‚Die Milliarden für die Integration wurden in diesem Land erwirtschaftet und wurden niemanden weggenommen.‘“ Es spricht für die guten Manieren von Raymond Unger, dass er dies dem seinerzeitigen Bundesminister der Justiz nicht unter die Nase reibt.

Gleichwohl hat sein Bekenntnis zur Vernunft ihren Preis: „Ich werde den Blick in den Augen von langjährigen Freunden niemals vergessen, als sie mich erstmalig als ‚Unmensch‘ wahrgenommen haben“ (S. 85). Er warnt deshalb fairerweise ähnlich Denkende vor den Folgen (S. 197): „Wenn beispielsweise ein alleinstehender ostdeutscher Arbeitsloser darauf hinweist, dass er zum Leben weniger in der Tasche hat als eine frisch zugereiste syrische Großfamilie, die schnell auf einige tausend Euro Zuwendung kommt, hat er gleich eine ganze Reihe von Tabus gebrochen. Medial werden derartige Äußerungen mit einem ganzen Arsenal moralischer, äußerst populistischer Entrüstungen eingehegt. Eine Mahnung an alle, die sich mit dem Gedanken tragen, Ähnliches zu äußern.“

Die deutsche Leichtgläubigkeit

Doch gegen das Verdikt linksgrüner Ideologen und Vertreter der Political Correctness ist schwer anzukommen: „Obgleich sachlich einwandfrei, gilt selbst die Binsenweisheit, dass ein funktionierender Sozialstaat einen Nationalstaat voraussetzt, als Beleg für rechte Gesinnung“ (S. 77). Denn die Parole der Wiedergutmacher lautet: „No Border – No Nation“ (S. 290). Dabei hatte der Liedermacher Wolf Biermann schon 2006 erkannt:

„Der schwärmerische Respekt vor dem Fremdländischen ist nur Bequemlichkeit und Hochmut. Ich sehe im Multi-Kulti-Geschwärme meiner alternativen Zeitgenossen die seitenverkehrte Version des Rassendünkels von gestern.“ Kurt Schumacher hatte es noch drastischer und bündig so ausgedrückt: „Kommunisten sind rotlackierte Faschisten.“

Schon Napoleon I. urteilte über die Deutschen: „Es gibt kein gutmütigeres, aber auch kein leichtgläubigeres Volk als das deutsche. Keine Lüge kann grob genug ersonnen werden, die Deutschen glauben sie. Um eine Parole, die man ihnen gab, verfolgen sie ihre Landsleute mit größerer Erbitterung als ihre wirklichen Feinde.“

Ähnlich unverblümt hat Sir Winston Churchill, weitsichtiger Europäer britischer Herkunft, Zigarren-, Champagner- und Whisky-Liebhaber, Nobelpreisträger für Literatur (1953), die Deutschen charakterisiert: „entweder sie liegen dir zu Füßen oder sie hängen dir an der Kehle“ (“the Germans are either at your throat or at your feet“).

Dabei ist das, was auf der rechten Seite produziert wird, nichts weiter als Hass und Hetze, während vergleichbare Äußerungen aus der Mitte (nach dem Muster von Stanislav Tillich, einem weiteren Babyboomer: „Das sind keine Menschen ...“) oder gar von links stets durch pure Humanität gekennzeichnet sind. Unger liefert ein paar Beispiele (S. 81 f.):

Nicht-Wahrnehmung des eigenen Schattens

„Es ist schon wichtig klar zu sagen: Nicht die Ausländer sind das Problem. Sondern die Sachsen“ (Jakob Augstein).

„Ohne die deutsche Einheit hätte die Welt wohl nie bestaunen dürfen, was es für spektakulär ignorante Asoziale in Sachsen gibt“ (Jan Böhmermann).

„Tschechien, wie wär’s: Wir nehmen euren Atommüll, ihr nehmt Sachsen“ (Ansgar Mayer als Kommunikationsdirektor des Erzbistums Köln am 24. September 2017. „Zum 31. Dezember 2017 schied Ansgar Mayer auf eigenen Wunsch als Mediendirektor beim Erzbistum Köln aus“, schreibt Wikipedia). Als mal jemand aus dem rechten Lager die Integrationsbeauftragte Aydan Saliha Özoğuz „in Anatolien entsorgen“ wollte, gab es einen „Aufstand der Anständigen“, die bei der Äußerung von Mayer vermutlich gerade im Urlaub waren.

Ungers Fazit (S. 82): „Die Liste ließe sich fortsetzen. Dabei ist der Vorgang ein Musterbeispiel für die Nicht-Wahrnehmung des eigenen Schattens [eine wunderbare Formulierung, die man sich merken sollte]: Ausgerechnet die Tugendwächter für differenzierte Betrachtungsweise und Sprache, die sich gegen kollektive Anschuldigungen aussprechen, sofern es um Zuwanderer, Minderheiten und Muslime geht, verunglimpfen hier völlig pauschal und unzulässig Ostdeutsche bzw. Sachsen.“

Unger benennt zwei Quellen, die den Wiedergutmachern den „ideologischen Unterbau“ lieferten:

„Seit jeher war die Frankfurter Schule [Horkheimer, Adorno, Habermas] der Meinung, man müsse dem Menschentier erklären, was es zu wollen hat, nämlich Diversität, Multikulturalität, Promiskuität und Säkularität“ (S. 222).

Und: „Inzwischen hat die 68er-Generation ihren Marsch durch die Institutionen schon lange erfolgreich absolviert. Als Lehrer, Professoren, Politiker, Journalisten, Herausgeber und Intendanten haben sie dafür gesorgt, dass die Nachfolgegeneration der späten Babyboomer ganz in ihrem politisch korrekten Sinn erzogen werden konnte“ (S. 33).

Zynische Flüchtlingspolitik

Demgegenüber demonstriert Unger seine politisch-intellektuelle Unabhängigkeit gegenüber dem Mainstream an zwei Beispielen, die jeder alphabetisierte Zeitgenosse nachvollziehen kann:

Zu der allgegenwärtigen Klage über Fachkräftemangel, der nur durch Zuwanderung abgefangen werden könne, bemerkt er (S. 334):

In Bezug auf Europa ließen sich ... viele Probleme, sofern sie denn überhaupt bestehen, allein durch innereuropäische Verteilungen regeln, wenn man an die hohe Jugendarbeitslosigkeit der südlichen Länder und den Arbeitsbedarf des Nordens denkt. Laut der aktuellen Quoten vom Januar 2018 lag die Arbeitslosigkeit der europäischen Jugend in Griechenland bei 45%, Spanien 35,5%, Italien 32,8%, Kroatien 25%, Zypern 23,1%, Frankreich 21,6%, Portugal 21,4%.

Und zur Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt rechnet er vor (S. 335):

Das durchschnittliche Bildungsniveau der Zuwanderer liegt bei einem Fünftklässler. Fachleute kalkulieren allein 2–3 Jahre, ehe die deutsche Sprache soweit beherrscht wird, dass nachgeschult werden kann. Um auf Mittlere-Reife-Niveau zu gelangen werden weitere 4–5 Jahre benötigt. Erst danach kann eine Ausbildung beginnen, die nochmals 3 Jahre dauert. Insgesamt rechnen Experten mit ca. 11 Jahren an Nachschulung und Ausbildung bis ein Zuwanderer den hohen Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes gerecht werden kann. Bis dahin müssen seine Ausbildungen, und natürlich er selbst, vom deutschen Steuerzahler finanziert werden. Das Durchschnittsalter der Zuwanderer wird mit 25 angegeben, wenn alles optimal läuft, könnte er also frühestens mit 36 Jahren beginnen zu arbeiten. Bis dahin hat er natürlich längst Frau und Kinder, die zusätzlich alimentiert werden müssen. Es ist schlichtweg zynisch, jedwedes Renten-, Demografie- oder Arbeitsmarktproblem ausgerechnet mit Kulturfremden, beinahe Analphabeten beheben zu wollen.

Kirche nahm Aufklärung vorweg?

Albert Einstein wird folgende Aussage zugeschrieben: „Ein Abend, an dem sich alle Anwesenden völlig einig sind, ist ein verlorener Abend.“ Ähnlich verhält es sich mit einem Buch, das ich gelesen habe. Und so finden sich auch in den „Wiedergutmachern“ Positionen, hinter die ich mindestens ein Fragezeichen setzen möchte.

Einer davon möchte ich etwas mehr Raum widmen. Unger hält „die zeitgenössische Vorstellung, die Aufklärung habe gegen und trotz der Kirche stattgefunden, schlichtweg für falsch. Mit der zentralen Figur des Jesus von Nazareth trug das Christentum von jeher den Keim der Aufklärung in sich“ (S. 383). Der zweite Satz, dem ich vorbehaltlos zustimme, zeigt, dass Unger hier „Christentum“ und „Kirche“ gleichsetzt. Dabei steht er unmittelbar vor der richtigen Erkenntnis, ohne dies freilich zu bemerken. Er erklärt völlig richtig, dass in dem berühmten Jesus-Satz „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, mit dem der Heiland klarstellt, „dass Religion und Staat zweierlei Paar Schuhe sein sollten“, die römisch-katholische Kirche nicht der Religion, sondern dem Staat zugeordnet werden muss.

Das Religiöse ist reine Fassade, das Fundament ist nichts weiter als Macht. Zwar verfügt die Kirche heute nicht mehr über eigene Streitkräfte und ist auch nicht mehr in der Lage, Häretiker (wie Johannes Hus und Giordano Bruno und viele andere) verbrennen zu lassen. Ihre Haltung zum Zölibat und zum Ausschluss von Frauen vom Priesteramt sowie ihre wirtschaftliche Betätigung lassen jedoch keinen Zweifel daran, worum es der Kirche bis in unsere Tage geht: um Macht und zwar um männliche Macht.

Dabei zeigt sie die gleiche Doppelmoral, wie wir sie von allen weltlichen Herrschern in Ost und West kennen (vgl. z.B. „Katholische Pax-Bank investiert in Kondome“). Aus dem Nachlass einer (katholischen) Tante meiner Frau habe ich P. Franz Tischlers „Illustriertes Hausbuch für christliche Familien“ vor dem Sperrmüll gerettet (wo es freilich hinein gehört hätte), dessen zweiter Band in zehnter (vermehrter und verbesserter) Auflage 1946 mit kirchlicher Druckerlaubnis vom 10. Februar 1913, also mehr als 150 Jahre nach Kants berühmtem Aufsatz von 1784, erschienen ist.

Rettung oder Zerstörung?

Zuvor schon hatte „Unser Hl. Vater Papst Pius X. ... das Illustrierte Hausbuch für christliche Familien von P. Franz Tischler ... mit väterlichem Wohlwollen entgegenzunehmen geruht.“

In diesem Werk heißt es über die christliche Frau (S. 744):

„Die Gattin muß dem Mann in allem, was recht und billig ist, unterwürfig sein und ihm mit Achtung und Ehrfurcht begegnen. 1. Daß die Frau ihrem Mann als Oberhaupt anerkenne und ihm willfährig gehorche, fordert schon die natürliche Ordnung. Das männliche Geschlecht steht in gewissem Sinn höher da als das weibliche. Adam, unser Stammvater, kam unmittelbar aus der Hand Gottes, während Eva aus einer Rippe Adams gebaut wurde.“

Soviel zum Thema Aufklärung und Kirche.

Ungeachtet derartiger und weiterer Meinungsunterschiede bleibt die Lektüre der „Wiedergutmacher“ ein Gewinn, dessen wahrer Umfang sich eventuell erst nach einiger Zeit herausstellt, wenn sich die dabei gewonnenen Eindrücke „gesetzt“ haben. Deshalb möchte ich an das Ende dieser Betrachtung das „Lebensmotto“ (nach dem gnostischen Thomas-Evangelium) von Raymond Unger setzen (S. 368 f.):

„Wenn du hervorbringst, was in dir ist, wird dich, was du hervorbringst, erretten. Bringst du nicht hervor, was in dir ist, wird dich, was du nicht hervorbringst, zerstören.“

Was in ihm als Intellektueller ist, der seiner gesellschaftlichen Verpflichtung gerecht werden möchte und tatsächlich auch gerecht wird, hat Unger in diesem Buch hervorgebracht. Was in ihm als Künstler ist, hat er in seinen Bildern hervorgebracht, die man hier sehen kann. Einen seiner Vorträge kann man hier anhören.  

 

„Die Wiedergutmacher. Das Nachkriegstrauma und die Flüchtlingsdebatte“ von Raymond Unger, 2018, München: Europa-Verlag, hier bestellbar.        

Foto: RU

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Volker Kleinophorst / 17.11.2019

„Leitprinzipien der Wiedergutmacher“ sind (S. 15): „Moral vor Recht, Legende vor Wahrheit, Feminismus vor Maskulinität, Konformität vor Charakter, Gesinnung vor Verantwortung, Bekenntnis vor Handlung, Selbstverleugnung vor Selbstbehauptung, Gefühl vor Ratio, Feigheit vor Mut.“. In einem Wort: Sozialismus. Der Triumph der (Doppel-)Moral über den Verstand.

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