Weil die USA nicht mehr zahlen, kann die Führung der Organisation zeitweise nicht mehr so überzeugend in der Weltenlenker-Rolle auftreten, wie sie es seit der Corona-Zeit gewohnt war. Aber die WHO muss nicht lange sparen.
In seiner Eröffnungsrede bei einer Informationsveranstaltung zum Haushalt der Weltgesundheitsorganisation kündigte Generalsekretär Tedros Adhanom Ghebreyesus am 22. April eine Neuausrichtung der WHO an. Grund dafür: Der WHO fehlt Geld. Wörtlich sagte Tedros: „Die Weigerung der USA, ihre Beiträge für 2024 und 2025 zu zahlen, sowie die Kürzungen der öffentlichen Entwicklungshilfe durch einige andere Länder bedeuten, dass wir für den Zweijahreszeitraum 2026–27 mit einer Finanzierungslücke zwischen 560 und 650 Millionen US-Dollar konfrontiert sind. Das ist die Realität, mit der wir konfrontiert sind und die uns zu Priorisierungen und Umstrukturierungen, zu einer neuen Organisation und zum Abbau von Personal zwingt – wobei wir dies als Chance für einen Wandel in der Organisation sehen.“
Die Lage wäre jedoch noch viel schlimmer, wenn die Mitgliedstaaten nicht zugestimmt hätten, ihre Beiträge schrittweise auf 50 Prozent des WHO-Budgets anzuheben. Ohne diese Erhöhung hätten sich die festen Beiträge für den laufenden Zweijahreszeitraum auf 746 Millionen US-Dollar belaufen. So erwartet die WHO nun für 2026/27 feste Beiträge in Höhe von 1,07 Milliarden US-Dollar, selbst ohne den Beitrag der USA. Mit anderen Worten: Die WHO ist um 320 Millionen US-Dollar besser gestellt, als sie es ohne die Erhöhung der festen Beiträge wäre. Wenn die Mitgliedstaaten der nächsten Erhöhung zustimmen, werden die Beiträge im kommenden Zweijahreszeitraum ohne die USA höher sein als 2022/23 mit den USA.
Dennoch lasse der plötzliche Einkommensrückgang der WHO keine andere Wahl, als den Umfang ihrer Arbeit sowie ihren Personalbestand zu reduzieren. Die derzeitige Struktur mit 11 Abteilungen und 76 Referaten könne nicht aufrecht erhalten werden. Stattdessen soll die neue Hauptquartierstruktur auf drei Kernsäulen basieren: Gesundheitsförderung inklusive Krankheitsprävention und -bekämpfung; Gesundheitssysteme sowie Gesundheitsnotfallvorsorge und -reaktion. Im Bereich Gesundheitsförderung soll die Arbeit zu spezifischen Gesundheitsthemen in einer einzigen Abteilung gebündelt werden und dadurch einen ganzheitlichen Ansatz bieten, der von der Prävention bis zur Palliativversorgung und allem dazwischen reicht. Die Abteilung Gesundheitssysteme soll die Arbeit zu den klassischen „Bausteinen“ von Gesundheitssystemen abdecken. Und die Abteilung für Gesundheitsnotfallvorsorge und -reaktion werde genau das tun, was ihr Name sagt.
Abbau in der obersten Führungsebene?
Diese drei Fachabteilungen sollen vom Büro des Chefwissenschaftlers unterstützt werden. Die Abteilung für Geschäftsbetrieb und Compliance (Regelkonformität) werde die traditionellen Unternehmensfunktionen mit dem Auftrag zur kontinuierlichen Verbesserung übernehmen. Schließlich werde das Büro des Generaldirektors mehrere Unternehmensfunktionen wie Rechenschaftspflicht, Governance, Rechtsangelegenheiten und Außenbeziehungen überwachen. Optionen für die Stelle des stellvertretenden Generaldirektors werden noch geprüft.
Die Zahl der Führungskräfte in der Zentrale soll von zwölf auf sieben, die Zahl der Abteilungen von 76 auf 34 reduziert werden. Die Regionalbüros seien noch dabei, ihre Strukturen, die an die Zentrale angepasst werden, fertigzustellen. Tedros betont, dass diese neue Struktur noch keineswegs das Ende des Veränderungsprozesses darstelle. Sie gebe jedoch einen Rahmen für die nächsten Entscheidungen vor. Die Finanzierungslücke von 560 Millionen US-Dollar entspreche etwa 25 Prozent der Personalkosten im laufenden Zweijahreszeitraum. Dies bedeute jedoch nicht zwangsläufig einen Abbau von 25 Prozent der Stellen. Wie viele Stellen genau wegfallen werden, hänge von vielen Faktoren ab, darunter die Besoldungsgruppe und der Dienstort, da einige Funktionen in andere geografische Regionen verlagert werden sollen. Die größten Auswirkungen werden vermutlich am Hauptsitz zu spüren sein. Hier werde mit einem Abbau in der obersten Führungsebene begonnen.
Aber auch alle Regionalbüros werden in unterschiedlichem Maße betroffen sein. Auf Länderebene seien die geringsten Auswirkungen zu erwarten. Der Prozess der Umstrukturierung wird von vier Ausschüssen geleitet: einem „Ad-hoc-Prüfungsausschuss“, einem „Versetzungsausschuss“, einem „Auswahlausschuss“ und einem „Ausschuss für Transparenz und Fairness“. Außerdem soll eine Reihe von Dienstleistungen angeboten werden, um die Mitarbeiter während dieses Prozesses zu unterstützen, etwa bei der beruflichen Neuorientierung und der psychischen Gesundheit. Auch ein zentrales Informationsportal für die Mitarbeiter soll eingerichtet werden. O-Ton Tedros: „Wir werden uns von einer beträchtlichen Anzahl von Kollegen verabschieden, aber wir werden dies auf humane Weise und mit Freundlichkeit und Würde tun. Wir haben einen wichtigen Meilenstein auf unserem Weg erreicht, aber wir haben noch einen langen Weg vor uns.“
Tatsächlich bräuchten viele Länder gerade jetzt die Unterstützung der WHO mehr denn je. Insbesondere in den Entwicklungsländern seien die Auswirkungen der plötzlichen Kürzung der USAID-Mittel gravierend. Viele Länder sähen die Einstellung der Hilfen aber auch als Chance, um inländische Ressourcen zu mobilisieren und unabhängier zu werden. Der Schwerpunkt der WHO müsse nun auf der Konsolidierung ihrer Kernaufgaben und der Sicherung der Zukunft der Organisation liegen. Und Tedros beschließt seine Ansprache mit den Worten: „Wir sind davon überzeugt, dass die WHO durch diese Maßnahme gestärkt und handlungsfähiger hervorgehen wird.“
Auch wenn Tedros sich optimistisch gibt, geht aus seinen Aussagen hervor, wie stark der finanzielle Einschnitt offenbar wirklich ist: Die WHO ist ohne die Unterstützung der USA eindeutig weniger einflussreich als bisher.
Quelle:
Tedros Rede auf der WHO-Webseite
Martina Binnig lebt in Köln und arbeitet u.a. als Musikwissenschaftlerin (Historische Musikwissenschaft). Außerdem ist sie als freie Journalistin tätig.