Ralf Schuler / 04.08.2013 / 22:24 / 6 / Seite ausdrucken

Die weltweite Massenkommunikation erzwingt die weltweite Massenüberwachung

Warum durchsuchen amerikanische Dienste das komplette Internet nach verdächtigen Daten? Weil sie es können!

Schön, dass es diesmal die anderen trifft. Bisher waren es meist Konservative, Lebensschützer und Ethik-Idealisten, die mit ansehen mussten, dass das Machbare immer auch gemacht wird. Jetzt stehen Fortschrittler, Web-Euphoriker und Computer-Nerds plötzlich vor den Trümmern ihres Glaubens an das Gute im Netz. Doch der NSA-Ungeist will partout nicht zurück in die Flasche. Snowden, Jahrgang 2013.

Denn die banale Wahrheit ist: In die digitale Welt kann man die analoge Privatsphäre nicht mitnehmen. Zum einen gibt das technisch Mögliche auch die Anspruchshaltung vor, zum anderen kann auf die „Stärke des Rechts“ (Merkel) nur setzen, wer dessen Einhaltung auch überprüfen und durchsetzen kann. Weil aber im Web 2.1 niemand mehr mit Krokodil-Klemmen an Hubdreh-Relais in Schaltschränken herumwerkeln muss, weil Server-Inhalte von jedem Punkt der Welt aus durchsucht werden und Speichermedien mit geringstem Aufwand fast endlose Kopien ziehen können, ist Datenschutz nach deutschem Gusto eine Illusion.

Selbst wenn man wollte (was weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb getan haben), man könnte den weltweiten Datenstrom gar nicht darauf hin kontrollieren, dass nicht illegal kontrolliert wird. Noch weniger könnte man die USA oder irgendeinen anderen Staat mit Server-Standort zwingen, Regeln durchzusetzen, die dieser nicht will. Dass entscheidende Argument dafür, dass auch in Zukunft das Web nach der Schleppnetz-Methode durchforscht wird, ist aber: Alles andere wäre völlig sinnlos. In Zeiten nahezu unbegrenzter Schnellball-Kommunikation per Mail, SMS, über soziale Netzwerke und Foren kann man im Sinne von Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung entweder versuchen, alles zu überwachen oder man lässt es ganz.

Die klassische Variante: Verdächtige Person, Antrag auf Richterbeschluss zum Überwachen, richterliche Genehmigung, Anonymisierungsschutz für Kontaktpersonen, die nicht unter Verdacht stehen… – ein solches Vorgehen wäre ein Witz, wenn man vorhat, tatsächlich Netzwerke aufzudecken oder gar Planungen von Anschlägen im Voraus zu vereiteln. Kurz: Die weltweite Massenkommunikation erzwingt geradezu die weltweite Massenüberwachung. Kleiner Trost: Die schiere Datenmenge, die so gewonnen wird, ist sinnvoll nutzbar nur im Umfeld eines Verdachts. Bei keinem Dienst der Welt würden die Kapazitäten ausreichen, mit all diesen Daten Gesinnungsschnüffelei, Manipulation oder gar gezielten Zugriff nach Art der Stasi zu praktizieren.

All das will man in dieser Deutlichkeit den Bürgern freilich nicht sagen, und es ist schon interessant zu beobachten, auf welche raffinierten Nebengleise die politische Debatte deshalb immer wieder geführt wird: Datenaustausch geschieht nach Recht und Gesetz (Pofalla, Merkel) – stimmt! Deutsche Dienste dürfen Ausländer komplett überwachen (weil diese keine Grundrechteträger im Sinne des deutschen Rechts sind), US-Dienste dürfen ebenfalls fremde Staatsbürger ausspähen, am Ende tauschen die Dienste ihre Informationen aus. Alles überwacht und alles korrekt. Weil alle Beteiligten es so wollen. Nur das gemütliche Verständnis von Privatsphäre vieler Bürger hält mit den Innovationsschüben der Kommunikationstechnik eben nicht mit. Da wird noch von unbeobachtetem Chatten und Surfen geträumt, obwohl längst die Analyse-Algorithmen zahlloser Online-Datenhändler still mitlaufen.

PS: Konsequenterweise müsste der deutsche Datenschutzbeauftragte übrigens regelmäßig Protest gegen das abendliche Fernsehprogramm einlegen: Wenn Garcia („Criminal Minds“) oder McGee („Navy CIS“) mit ein wenig Tastatur-Geklapper intimste Daten, Bewegungsprofile und private Lebensdaten von Verdächtigen durchscannen, müsste das dem engagierten Privatmann auf dem heimischen Sofa eigentlich ein Graus sein. Bislang ist von Protesten in dieser Richtung allerdings nichts bekannt. Das passiert erst, wenn im deutschen „Tatort“ das Etikett einer Bierflasche zu sehen ist oder ein Ermittler unangeschnallt Auto fährt…

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Leserpost

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Martin Focke / 06.08.2013

“Sturm im Wasserglas”?! Ein Staat, der noch bzw. schon wieder die Kommunisten im Bundestag duldet, DARF nicht nur kontrolliert, er MUSS kontrolliert werden ! Die Amis haben ihre Erfahrungen mit den Kommunisten. Wir in Deutschland eigentlich auch…..

Gerhard Sponsel Lemvig / 05.08.2013

Zeiten der Erinnerung ! Als das Ministerium für Staatsicherheit (MfS), mit ihren lebenden Datenabgreifern, mit so schöne Namen wie IM-Notar, das eigene Volk bis auf das Etagenklo in den paradiesischen Plattenbausiedlungen ausgehorcht hat, da haben sich nur wenige in der BRD empört und den Schutz der Privatsphäre der Bewohner des Arbeiter und Bauernstaates nachdrücklich gefordert. Von den Mitgliedern des kommunistischen Bund Westdeutschland in der BRD,  wie die Herrn Kretschmann, Oppermann oder Trettin konnte man damals eine Empörung nicht erwarten.  Dafür empören sie sich nun über die Arbeit des amerikanischen Geheimdienst. Geheimdienste sollten tranzparenter werden ! Amerika hat die Macht, also zeigen wir ihnen unsere moralischen Überlegenheit. Erinnert irgendwie an die Zeiten der 1933er Jahre ! Der Überlegenheitswahn des deutschen Gutmenschentum macht langsam Angst.

Herbert Manninger / 05.08.2013

Da von der linken PC abweichende Meinungen im Internet vermehrt geahndet werden, erscheint mir die Aufregung über diese aufdeckte Massenüberwachung sehr scheinheilig. Linksgrüne Blog-Blockwarte sammeln längst nicht nur - im Verbund mit der willfährigen Justiz werden nicht genehme Inkorrekte (zB.Islamkritiker) strafrechtlich belangt. Entscheidend wäre also die Wahrung der absoluten Meinungsfreiheit, egal was so an Datenmüll über eine Person angehäuft wird.

Ralf Kaiser / 05.08.2013

Ein menschlicher Schlapphut - neurotisch oder nicht - ist immer noch in der Lage, Telefonate und Briefe halbwegs vernünftig zu sichten. Hat ein Überwachungsprogramm aber nur die Fehlerquote meines PC-Betriebssystems, wird es gelegentlich brave Mitbürger als höchst verdächtig ausspucken. Ein Zahlendreher bei einer IP-Adresse verschafft dem braven Familienvater eine Hausdurchsuchung und monatelangen Pädophilie-Verdacht. Weiter: Bei uns ist alles bis ins Detail durchgeregelt, geboten oder verboten. Ich begehe täglich gefühlte hundert Rechtsverstöße. Egal, welche Behörden mein Leben durchleuchten - sie gieren danach, ihren Irrsinn durchzusetzen und sie werden werden mit Sicherheit fündig werden. Beides zusammen ergibt nun ein “Grundrauschen” der Sorge: Irgendwann wird dich ein durchgeknallter Rasterfahndungs-Algorithmus auf die Liste setzen und dann werden sie an allen Ecken fündig: Die übersehene Metallklammer in der Biomülltonne, der noch nicht vorhandenen Rauchmelder, die Kopie der DVD, das nicht eingetragene Zubehörteil am Auto, ... das tägliche Aufrufen von achgut ;-) ... In einem “normalen Staat” konnte ich bisher darauf hoffen, als halbwegs braver Bürger unbesorgt und unbehelligt mein Leben zu führen. In einem Willkürstaat musste ich permanent damit rechnen, dass es an der Haustür klingelt. Diese Grenze scheint sich aufzulösen.

Julian Merrill / 05.08.2013

Man kann das nicht ändern, es geht nichts, es MUSS so sein - Yes we can’t! Wenn es das Wort Resignation nicht schon gebe, musste man es für den Artikel hier erfinden. So wird eine Demokratie hergeschenkt. Und völlig an den Haaren herbeigezogen ist das alles auch noch. Irgendwer muss diese Daten auswerten oder nicht? Man braucht dafür gigantische Rechenzentren. Im Augenblick ist es so, dass die Geheimdienste freie Hand haben, es gibt null Kontrolle. Kontrolle ist aber in einer Demokratie sehr wohl möglich. Und Verschlüsselung ist auch möglich. Zu sagen, das geht nicht, ist einfach nicht richtig. Das hier ist auch richtig: “Die klassische Variante: Verdächtige Person, Antrag auf Richterbeschluss zum Überwachen, richterliche Genehmigung, Anonymisierungsschutz für Kontaktpersonen, die nicht unter Verdacht stehen… – ein solches Vorgehen wäre ein Witz, wenn man vorhat, tatsächlich Netzwerke aufzudecken oder gar Planungen von Anschlägen im Voraus zu vereiteln.” Warum denn? Das hat doch lange funtioniert, oder? “In Zeiten nahezu unbegrenzter Schnellball-Kommunikation per Mail, SMS, über soziale Netzwerke und Foren kann man im Sinne von Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung entweder versuchen, alles zu überwachen oder man lässt es ganz.” Ernsthaft: Dann besser gar nicht. Dann sollen halt Netzwerke im Netz halt frei KOMMUNIZIEREN können… Uiiiii! Sie reden miteinander, sie tauschen Ideen aus! So geht die Welt unter! Mal so gefragt: Wie gefährlich ist das wirklich? :) Seit wann glaubt eigentlich der Mensch, dass Kommunikation gestoppt werden kann? Oder dass sie gestoppt werden muss? Das haben bisher nur totalitäre Regime geglaubt. Meinst du wirklich, wenn alles im Netz kontrolliert wird, dass es dann keine Kriminalität mehr gibt? Nein, oder? Was bringt das dann, Facebook überwachen? Ist Kriminalität irgendwie gesunken in den letzten Jahren oder so? Hat man da was gemerkt? Bringt die Netzüberwachung jetzt überhaupt noch was, wenn man schon weiß, dass das Netz überwacht wird? Dann werden sie halt anders kommnunizieren, oder? Dann werden sie reden und wir können nicht mithören - oh GOTT! Wovon geht eigentlich die Gefahr in dieser Welt aus? Woher kommen Probleme? Warum handeln manche Menschen so, wie sie handeln? Wie kann man das anders bekämpfen? Es gibt so viele Möglichkeiten ... und du schmeißt einfach die Hände hoch und sagst: Na gut! Dann wird halt jeder Bürger überwacht! Das gibt es halt die totalitäre Kontrolle! Und die Kontrolleure kontrolliert aber niemand! Und das geht bestimmt gut aus!

Mona Rieboldt / 04.08.2013

Ich habe auch noch nicht gehört, dass sich SPD und Grüne dagegen ausgesprochen haben, die “Anlass unabhängige”!! Speicherung aller Telefon- und mail-Daten der Deutschen sechs Monate zu speichern. Ist dieses “Anlass unabhängig” mit dem Grundgesetz vereinbar? Darüber wird gar nicht gesprochen, lieber schimpft man mal wieder über die USA, da kann man seinem Anti-Amerikanismus freien Lauf lassen.

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