Mein Lieblings-Stuss-Satz lautet: „Nichts wird mehr so sein, wie es war.“ Es ist kein neuer Stuss, aber er hat sich mit dem Corona-Virus pandemisch ausgebreitet. Leitartikler, Zukunftsforscher, schreibende Hausfrauen und Virologen teilen uns mit: „Nichts wird mehr so sein, wie es war.“ Meine Reaktion: Wirklich? Nichts? Wird auch mein Frühstück nicht mehr so sein, wie es war? Und mein Sofa? Und mein Garten? Und mein Spaziergang im Wald?
Also, was ist? Sicher, Corona wird dies und das verändern. Ist ja schon dabei. Zum Beispiel legt die SPD wieder zu, und die Grünen müssen ein paar Federn lassen. Das Virus erinnert die Leute eben daran, dass die Grünen ein Wohlstandsprodukt sind. In der Krise hat man es lieber etwas bodenständiger. Darum auch das Erstarken der Unionsparteien. Aber zeichnet sich da schon die postcoronale Zukunft der Parteienlandschaft ab? Oder werden nach Corona die Parteien wieder auf ihr vormaliges Niveau zurück pendeln? Dann könnte der Stuss-Satz gelten: „Alles wird wieder so sein, wie es war.“ Und wäre natürlich auch falsch.
Politische Theoretiker erhoffen oder fürchten, dass Corona dem einstmals real existierenden Sozialismus eine neue Chance geben wird, da wir uns so brav an rabiate staatliche Eingriffe gewöhnt haben. Das Kollektiv als Gegenentwurf zum social distancing. Das wäre eine deutliche Veränderung. Der Staat als Muskelprotz. Allerdings hat sich der Staat auch vor Corona schon in immer mehr private Belange hineingefressen wie eine überdimensionierte Mutation von Loriots nimmersatter Steinlaus.
Es kann aber auch sein, dass – im Gegenteil – der Kapitalismus nach der Corona-Zwangspause in einen Rausch des Nachholbedarfs verfällt, und noch freier und wilder wuchern wird als zuvor. Das wäre auch eine dramatische Veränderung. Capitalism for future. Doch wer will ausschließen, dass sich viel weniger tun wird, als man heute meint? Das Element der Trägheit wird jenseits der Physik gerne unterschätzt.
Oma und Opa in Zukunft häufiger besuchen?
Und was ist mit der Globalisierung? Corona hat die Schwächen einer Just-in-Time-Weltwirtschaft entlarvt. Wird es also eine Rückbesinnung auf Nähe, Heimat und Vorratshaltung geben? Kann sein, es würde aber eine Menge kosten. Darum ist es auch möglich, dass der Weg aus der Corona-Wirtschaftskrise über eine noch straffere und kostengünstigere Globalität führen wird.
Im gesellschaftlichen Bereich wird hier und da ein Umdenken herbeigesehnt: Corona hat gezeigt, wie wichtig soziale Kontakte für das Wohlbefinden sind. Wird man also Oma und Opa in Zukunft häufiger besuchen und einladen? Vielleicht. Es kann aber auch sein, dass das schlechte Gewissen der generationsübergreifenden Vernachlässigung nicht lange vorhält und die Großeltern bald wieder nur an Ostern und Weihnachten aufgesucht werden.
Wer die Einsamkeit des Home Office erlebt hat, wird nach der Entwarnung womöglich mit vorher selten empfundener Begeisterung ins Büro eilen und die Kantinen-Gemeinschaft wie nie zuvor genießen. Andererseits: Wer die Bequemlichkeit des Heimbüros genossen hat, wird womöglich versuchen, den Esstisch weiter als work place zu nutzen und das Zentralbüro nur noch in dringenden Fällen besuchsweise betreten. Da diese Arbeitsweise kostengünstig sein kann, ist es denkbar, dass mancher Arbeitgeber dabei gerne mitspielt. So oder so – eine Veränderung. Es sei denn, man knüpft einfach da wieder an, wo man aufgehört hat.
Kurz und gut: Manches wird bleiben, wie es ist, und manches wird sich verändern. Und in welche Richtung sich was verändern wird, ist noch lange nicht ausgemacht. So meldet die Süddeutsche Zeitung korrekt: „Corona kann den Immobilien-Boom stoppen. Oder es kommt ganz anders.“ Genau so ist es. Man könnte auch sagen: Kräht der Gockel auf dem Mist, dann ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist.“
Kluge Politiker formulieren ihre Visionen von der Post-Corona-Welt darum auch vorsichtiger. Oder breiter. Hier sei nur das Beispiel unseres erlesensten Formulierers, Frank-Walter Steinmeier genannt. Der Bundespräsident sagt in seiner TV-Ansprache: „Die Welt danach wird eine andere sein.“ Das ist eine klassische Aussage von edler Einfalt und schlichter Größe.
Die Welt reagiert, wie der Mensch – unterschiedlich
Zwei Fragen drängen sich auf: Was ist der Vater dieses Gedanken? Furcht? Hoffnung? Die Hoffnung auf eine bessere Welt? Die Angst vor einer schlechteren Welt? Oder beides? Und die zweite Frage: Wie anders wird sie denn sein, die andere Welt? Ganz anders? Oder nur ein bisschen anders?
Wie hat sie sich zum Beispiel nach der Attacke auf das World Trade Center verändert? Spürbar. Nach dem good bye der Briten? Geht so. Nach dem jämmerlichen deutschen Abschneiden bei der letzten Fußball-Weltmeisterschaft? Kein bisschen. Die Welt reagiert, wie der Mensch – unterschiedlich. Und selbst im Ernstfall von Manhattan ist sie im Großen und Ganzen die Welt geblieben, die wir kennen. Die ganz andere Welt ist irgendwo draußen im All.
Was aber, wenn uns nach Corona tatsächlich eine völlig veränderte Welt erwarten würde? Dann käme der amerikanische Baseball-Philosoph Lawrence (Yogi) Berra posthum groß heraus mit seiner Aussage: „Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.“