Also ich weiss nicht, ob es früher so wesentlich anders war. Sicher, die stärkste Partei guckte eine Persönlichkeit aus, die zum Bundespräsidenten berufen oder zumindest geeignet schien. Derjenige war dann mal mehr oder weniger eine akzeptierte Respektperson in der politischen Landschaft und bei jenen “draussen im Lande”. Heute - in der wenig rot-goldenen Abenddämmerung der Ära Merkel - hat halt ein politisches Leichtgewicht wie Siegmar Gabriel das Heft des Handelns in die Hand genommen. Es dürfte weniger an der Person selbst liegen, wenn diese Personalie heute entweder mit Desinteresse, Gleichgültigkeit oder gar Ablehnung des “politischen Establishments” verbunden wird, sondern mit einer scheinbar stärker werdenden poltischen Legitimationskrise. Ob Gauck oder Steinmeier Bundespräsident ist, dürfte jenen, welche die Berliner Demokratie insgesamt für auf einem bedenklichen Weg halten, ziemlich egal sein. Gleiches gilt auch für die Frage, ob Schulz “Kanzler kann” oder Angela Merkel weiterhin im Amt bleibt. Denn die politischen Gemeinsamkeiten der Beiden, von deren ernsthaften poltischen Zielen kann und mag man nicht reden, überwiegen klar die Gegensätze - eine “irgendwie sozialdemokratisch” gefärbte, entideologisierte, letzlich beliebige Tagespolitik, scheinbar ohne mittel- oder langfristige Ziele (“auf Sicht fahren”) ohne eine Vorstellung von Deutschland in 10-15 Jahren. Wer will, wer braucht so etwas? Geht es nicht auch anders? Soll Politik nicht gestalten anstatt permanent in einer Art Krisenmodus zu reagieren? Aber wo ist heutzutage das hierfür nötige politische Personal zu finden? Steinmeier ist etablierter Teil des politischen Betriebes, als solcher “verläßlich” und nicht unsympathisch. Zweifel, ob es ihm gelingen kann, in Zeiten wie diesen der Präsident aller Bürger zu sein, bleiben aber.
Ich habe mir die Übertragung der Bundespräsidentenwahl in der ARD angeschaut. Ich habe die Übertragung als bisweilen peinliche Hofbericherstattung wahrgenommen und empfand sie als eine Aneinanderreihung von Selbstgefälligkeiten. Es wirkte alles sehr entrückt.
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