Henryk M. Broder / 13.06.2021 / 12:00 / Foto: Stefan Klinkigt / 85 / Seite ausdrucken

Die Welt als Wille und Vorstellung

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat am vergangenen Montag das getan, was er am besten kann und am liebsten macht: Sechs Bürger – drei Frauen und drei Männer, die sich im Klima-, Natur- und Umweltschutz engagieren – je ein Bundesverdienstkreuz verliehen.

Unter den Geehrten, die der Präsident in seinen Amtssitz, das Ende des 18. Jahrhunderts als Sommerresidenz für einen preußischen Fürsten erbaute Schloss Bellevue, eingeladen hatte, waren eine Regenwaldschützerin aus Bayern, eine Fledermausexpertin aus Thüringen und der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung, der zusammen mit seiner Frau Kinder- und Jugendbücher schreibt, bis jetzt 160 Titel, „die in bis zu 29 Sprachen übersetzt wurden“ (Wikipedia).

Business as usual, könnte man sagen, reine Routine, bei der nur die Namen auf den Urkunden ausgewechselt wurden. Wenn der Präsident den eher banalen Anlass nicht genutzt hätte, um eine Botschaft an die Welt zu richten. Es müsse einen „grundlegenden Wandel in allen Lebensbereichen“ geben, der globale Ausstoß von Treibhausgasen müsse „jetzt“ gesenkt werden, „nicht irgendwann später“. Die Menschen in Deutschland, Europa und überall in der Welt müssten schon heute Verantwortung übernehmen, „um den jungen und den kommenden Generationen morgen ein gutes und selbstbestimmtes Leben auf unserem Planeten zu ermöglichen“. 

Mach den Park auf, Frank-Walter!

Nun könnte der Präsident „schon heute“ mit gutem Beispiel vorangehen und einen grundlegenden Wandel in allen Lebensbereichen einläuten, indem er den Park rund um das Schloss Bellevue für Obdachlose öffnet, die im nahegelegenen Tiergarten campieren und von einem selbstbestimmten Leben auf unserem Planeten nicht einmal zu träumen wagen, derweil der Bundespräsident Bundesverdienstkreuze an Menschen verteilt, die den Regenwald und die Fledermäuse retten. 

Das Handbuch zu dieser Art von praktizierter Menschlichkeit ist – was für ein Zufall! – beinahe so alt wie das Schloss Bellevue: Arthur Schopenhauers Opus magnum „Die Welt als Wille und Vorstellung“, 1819 erschienen und in den folgenden 40 Jahren laufend fortgeschrieben. Wem die Lektüre des zweibändigen Originals nebst einer voluminösen Vorrede zur dritten Auflage zu mühsam ist, dem sei die Kurzfassung von Pippi Langstrumpf empfohlen: „Ich mach mir die Weltwie sie mir gefällt.“

Vermutlich ist es dem Bundespräsidenten nicht bewusst, wieviel Schopenhauer in ihm drinsteckt. Man muss ihm freilich zugutehalten, dass er auch keinen Widerspruch darin gesehen hat, Donald Trump einen „Hassprediger“ zu nennen und den iranischen Mullahs zum Jahrestag der islamischen Revolution zu gratulieren. So, wie der amtierende Außenminister Heiko Maas, ohne zu erröten, behauptet, er sei „wegen Auschwitz in die Politik“ gegangen, also um ein zweites Auschwitz zu verhüten.  

Doppelmoral, Heuchelei und Verlogenheit

Man muss befürchten, dass er es wörtlich meint – Auschwitz oder Oswiecim in Polen, eine Autostunde westlich von Krakau, und nicht das Auschwitz, das die iranischen Mullahs im Sinn haben, wenn sie an Israel denken.

Doppelmoral, Heuchelei und Verlogenheit gab und gibt es überall. Aber in Deutschland gehört sie zur Staatsräson. Einerseits ist man gegen „jeden Antisemitismus“, andererseits möchte man die Antisemiten nicht verprellen. Weder die im fernen Teheran noch die vor der eigenen Haustür. Der Berliner Innensenator Andreas Geisel nannte die Teilnehmer einer aus dem Ruder gelaufenen Anti-Israel-Demo im bunten und weltoffenen Bezirk Neukölln, bei der antisemitische Parolen gerufen und über 90 Polizisten verletzt wurden, „erlebnisorientierte arabischstämmige Jugendliche und junge Männer“. Und das war nicht etwa verharmlosend gemeint, auf keinen Fall, sondern dem Bekenntnis „Ich mach mir die Weltwie sie mir gefällt“ geschuldet.  

In keinem Land der Welt käme eine Partei, die ernst genommen werden möchte, auf die Idee, eine unerfahrene und weitgehend ahnungslose, politisch pubertierende junge Frau zur Anwärterin auf den Posten des Regierungschefs – pardon: der Regierungschefin – zu ernennen, in Deutschland ist es passiert. Und nun werden die Folgen sichtbar. Die Kandidatin muss ihren Lebenslauf, den sie kräftig geschönt hatte, alle paar Tage korrigieren. Die Halbwertszeit der jeweils letzten Fassung wird immer kürzer. Ihre Selbsteinschätzung – „Ich komme aus dem Völkerrecht“ – gehört heute schon zum Pointenschatz der Berliner Republik.

Das mag für einen Platz neben Schopenhauer in der Hall of Fame nicht reichen, Aber für ein Plätzchen zu Füßen von Pippi Langstrumpf ist es mehr als genug.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche.

Foto: Stefan Klinkigt

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Leserpost

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Hans-Peter Dollhopf / 13.06.2021

Herr Broder, bekanntlich ist die nahende Klimakatastrophe eine todernste Angelegenheit. Da muss jeder Handgriff hundertprozentig sitzen. Ein Fehler und das war’s dann! Das ausgewählte Personal zur Rettung der Welt vor dem Wundbrand muss allerhöchsten Standards entsprechen, weil we have no Planet B, verdammt noch ma. Warum würden die Grünchen dem Annalenchen nach all dem Bock-Mist, den Abrechnungsfehlern beim Einkommen, der Sumpfigkeit im Lebenslauf, ihrer unterkomplexen sprachlichen Ausdrucksfähigkeit auf Teufel komm raus die Leitung des Kernkraftwerkes Tschernobyl in den Schoß legen? Was ist von solchen einer Klimaretterpartei zu halten? Die der Menschheit ALLES abverlangt, ihrem zur Rettung auserkorenen eigenen Spitzenpersonal aber NICHTS? Hahaha.

Werner Arning / 13.06.2021

Ich finde die Villa Kunterbunt für Anna-Lena und andere Grün innen viel angemessener als den Bundestag. Nicht, dass der Bundestag so viel seriöser wäre als die Villa Kunterbunt. Aber in der Villa Kunterbunt geht es lustiger zu. Auch lustiger als in der Villa Hammerschmidt. Obwohl? Nein, lustiger als in der Villa Hammerschmidt ist es bei Pippi nicht. In der Villa Hammerschmidt wird viel gelacht.

Hans Buschmann / 13.06.2021

„Gesunder Menschenverstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber kein Grad von Bildung den gesunden Menschenverstand.“ arthur-schopenhauer

Heribert Glumener / 13.06.2021

Die Baerbock wird’s nicht. Was der Hadmut Danisch mit seiner Lebenslaufanalyse da losgetreten hat, wird sie noch bis September verfolgen. Außerdem steht die „Qualitätspresse“ nur noch zu ca. 90 % zu Baerbock – und die fehlenden 10 % schmerzen! Noch etwas: die geht neuerdings auf wie ein Hefeteig. Augen wie Schlitze, erkennbar aufgedunsenes Gesicht. Dazu ihr aktueller Fluch „Sch….“ – bei der Frau läuft es auf Niederlage hinaus. Young leaderIN im Sinne der Taktgeber in Davos und andernorts? Satz mit x, wird wohl nix. Ich setze auf den Karnevalsclown. Er ist kein ganz schlechter Kerl. Aber zu einer Entmerkelfizierung wird er nicht in der Lage sein.

Charles Brûler / 13.06.2021

Bezüglich “Wille und Vorstellung” vermute ich, dass bequeme Politiker wie Steinmeier gerne “Hoffnung” auf was auch immer verbreiten. Auf das die Bürger dafür dann schneller rudern müssen.

Charles Brûler / 13.06.2021

Ich habe eine Idee, wie ein „grundlegenden Wandel in allen Lebensbereichen“ aussehen könnte. Das Volk stimmt über die Reden und Aussagen von Politiker ab. Und wenn der Daumen nach unten zeigt, müssen die jeweiligen Politiker ihren “Ausstoß” begrenzen.

Günter H. Probst / 13.06.2021

Die Bundesversammlung abschaffen und vor Bellevue zur Abschreckkung eine lebensechte Statue von FWS aufstellen. Verunsichert bin ich über die 1,5 fehlenden Prozente bei den Maoisten für ACAB; käme beim Volkskongreß nie vor,

Dieter Kief / 13.06.2021

Rainer Niersberger, den Broder’schen Schopenhauer dürfen Sie getrost durch die homöopathische Brille ansehen.

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