Wann schauen diese Vorreiter das erste Mal entsetzt zurück, um festzustellen, dass niemand ihnen gefolgt ist? Die Grünen ziehen rote Linien beim Brennelemente-Kauf, als wäre der Winter 22/23 der letzte Winter der Geschichte.
Seit 20 Jahren gibt es eine neue Trendsportart in Deutschland, das Vorreiten. Auf breiter Front wird vorgeritten, egal ob es die grandiose Energiewende ist, die erfolgreiche Integration von Flüchtlingen, die lebensrettende Effizienz der Coronamaßnahmen, sogar bei der Weltführung – überall sind die deutschen Vorreiter am Horizont zu sehen. Es wird auf hohem Ross vorgeritten, es werden statt Peitschen große Worte geschwungen und die staunende Welt kann nur noch hinterherreiten.
Um die Vorreiterrolle Deutschlands in der Energiepolitik ist es allerdings sehr still geworden. Es lohnt sich, mal ein paar Jahre zurückzuschauen und die Jubelmeldungen nachzulesen, mit denen grüne Politiker aller Parteien und grüne Journalisten aller Haupt-Medien die Gehirne der gutgläubigen Bürger verkleisterten. Aus allen Kanälen tönte es: Merkel hat gesagt, „…dass Deutschland weltweit Vorreiter im Strommarkt ist. Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen“. Darauf ein dreifaches Helau!
Prognosen sind schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. So mancher Professor hat sich schon lächerlich gemacht, wenn er seine Wunschvorstellungen als Wissenschaft verkauft hat. So z.B. Prof. Dr. Schaltegger vom hochtrabend klingenden Centre for Sustainability Management (CSM), Leuphana Universität Lüneburg im Jahre 2013: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland ist ohne Zweifel bereits jetzt eine Erfolgsgeschichte.“ Prognosen sind gefährlich, wenn sie Zeiträume betreffen, welche für die Betroffenen erlebbar sind und die Protagonisten womöglich zur Verantwortung gezogen werden können für den Unfug, den sie verzapft haben. Doch so weit sind wir noch nicht, dazu ist es noch nicht schlimm genug. Aber wir sind auf dem Wege dorthin.
Die Deutschen haben es fast geschafft
Jetzt haben es die Deutschen auf ihrem Lieblingsvorreitergebiet schon fast geschafft. Die Zeit des erlebbaren Erfolgs der Energiewende ist gekommen. Die Realität hat die fest verschlossene Tür von Bullerbü eingetreten, und die vielen empört weggeleugneten Tatsachen sind über die Vorreiter hereingebrochen. Das große Framen hat begonnen: Stromsperre heißt jetzt „erzeugungsoptimiertes Lastmanagement“ und Blackout heißt „stundenhafte Strommängellage“. Die vielgepriesene Zeit der Versorgung mit ausschließlich erneuerbarer Energie und ihren absehbaren Folgen ist in greifbare Nähe gerückt. Der Energiewende-Protagonistenfrack saust mit Grundeis. Und die Vorreiter schauen nach 10 Jahren der Euphorie entsetzt das erste Mal zurück und müssen feststellen, dass niemand ihnen gefolgt ist, sondern sich die Anderen über sie lustig machen: „Deutschland: Die dümmste Energiepolitik der Welt“.
Die Vorreiter plumpsen vom hohen Ross und stehen bedeppert in ihrer kalten Wohnung mit einem Waschlappen in der Hand unter der Dusche, hoffend, dass niemand den Kaltwasserhahn aufdreht. Einige pfeifen im Wald und schwingen weiter große Reden, darauf vertrauend, dass die anderen Leute unter Amnesie leiden werden, wenn der große Dunkelflauten-Katzenjammer kommt.
Die Einzigen, die den unüberhörbaren Knall überhaupt noch nicht gehört haben, sind die Grünen in ihrem Parteitagstunnel, allen voran der immergrüne Wirtschaftsminister. Die scheinen allen Ernstes zu glauben, dass Deutschlands Energieprobleme im nächsten Herbst gelöst sein werden. Die Hinrichtung der letzten drei Kernkraftwerke wird daher nur um drei Monate verschoben. Die Grünen ziehen rote Linien beim Brennelemente-Kauf, als wäre der Winter 22/23 der letzte Winter der Geschichte. Und als wären sie allein an der Macht. Jetzt hat sogar die heilige Greta bei ihnen verschissen.
Robert Habeck hat über die Kernkraftwerke in der Einsatzreserve Folgendes gesagt: „Sie werden einsatzbereit gehalten, Kühlkreisläufe werden nicht unterbrochen und Sicherheitschecks werden weiter durchgeführt, das Personal wird auch gehalten. Aber sie produzieren keinen Strom mehr.“ Er scheint immer noch zu glauben, dass nicht pleitegeht, wer nicht produziert.
Die deutsche Bundesregierung beschäftigt etwa 26.000 Mitarbeiter. Da sollte es doch eigentlich an Fachkompetenz nicht mangeln. Robert Habeck führt zwei zusammengelegte Ministerien – Wirtschaft und Klimaschutz. Ein Blick auf das Organigramm dieses Monsterministeriums lohnt – wenn Sie über eine Großprojektionsfläche verfügen. Habeck ist Gebieter über vier Staatssekretäre, drei parlamentarische Staatssekretäre (allesamt von den Grünen), 130 hochbezahlte Bereichsleiter, hunderte persönliche Referenten und 2.200 Beamte.
Ist da kein Einziger dabei, der dem Wirtschaftsminister mal die Wirkung von „Gesetzen“ oder ein paar Grundzüge eines Kernreaktors für die Funktionsweise der „Kernkraftwerkseinsatzreserve“ im Falle einer „stundenhaften Strommangellage“ erklären könnte? Nein?
Eine Erklärung in leichter Sprache
Also opfere ich mich und erkläre den 2.200 BMWi-Männinnen und Mannen in einfacher Sprache, was sie jetzt unbedingt zur korrekten Ausführung ihrer Profession hinsichtlich der Energiepolitik wissen müssen. (Der Service ist kostenlos. Achse-Patenschaften sind als Kompensation hochwillkommen.)
Gesetze
- Gesetze sind aufgeschriebene Vorschriften, die von der Regierung erlassen werden und an die jedermann (außer die Regierung) sich halten muss.
- Wer sich als Nicht-Regierungsmitglied nicht an die Gesetze hält, kommt ins Kaschott.
- Manche Gesetze haben seltsame Namen, wie „Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG – 44 Seiten)“ oder „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ (27 Seiten), die beschreiben, was mit dem Gesetz irgendwie erreicht werden soll.
- Mit dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz sollen böse Kohlekraftwerke verschrottet werden.
- Mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz soll aufgehört werden, böse Kohlekraftwerke zu verschrotten.
Beide Gesetze sind gleichzeitig in Kraft. Liebe Grüne vom BMWi, merkt Ihr was? Fällt Euch was auf?
Kernkraftwerkseinsatzreserve
- Kernkraftwerke sind böse. Sagt der Jürgen.
- Kernkraftwerke sollen alle verschrottet werden, am besten in die Luft gesprengt. Vom Kretschmann.
- Ist das Kernkraftwerk in Lingen noch böser als die anderen beiden in Philippsburg und Isar? Ich frage für einen Freund.
- Im kommenden Winter wird es manchmal kalt, dann braucht man die Kernkraftwerke für die Heizlüfter.
- Deshalb sollen vielleicht… womöglich… leider… zwei der drei Kernkraftwerke drei Monate später verschrottet werden. Aber neuen Brennstoff für den längeren Betrieb darf man nicht kaufen. Sagen der Jürgen und die Ricarda.
- Ohne neuen Brennstoff kann ein Kernkraftwerk nur noch ganz wenig Strom machen und ist auch nicht mehr regelbar. Dann verstopfen die Netze. Sagt der Omid.
Für die im Ministerium erkläre ich mal die Begriffe „Reaktivitätsreserve“ und „Xenonvergiftung“.
- Reaktivitätsreserve ist, wenn noch genug Brennstoff im Reaktor zum Strom machen vorhanden ist.
- Xenonvergiftung ist, wenn nach dem Runterfahren des Reaktors ohne Reaktivitätsreserve der Reaktor ein paar Tage nicht mehr angefahren werden kann, weil das Xenon die Neutronen frisst und erst satt sein muss.
- Deshalb weiß keiner so richtig, wie die zwei Kernkraftwerke die Kernkraftwerkseinsatzreserve ab 1. Januar denn machen sollen: einfach böse weiter Strom machen oder doch sicherheitshalber abgeschaltet auf die stundenhafte Mängellage warten?
- Wenn sie abgeschaltet warten, sollen sie dann heiß in Reserve bleiben oder mit abgekühltem Reaktor warten?
- Wenn sie heiß in Reserve bleiben, dann könnten sie eigentlich auch weiter Strom machen. Das soll aber nicht sein, weil sonst der Jürgen und die Ricarda ärgerlich werden.
- Wenn sie mit abgekühltem Reaktor auf die stundenhafte Strommängellage warten, dann dauert es ein paar Tage, bis sie heiß sind und Strom machen können. Dann ist die stundenhafte Strommängellage aber schon wieder vorbei.
- Oder der Strom ist ganz ausgefallen und wir haben Blackout. Dann machen wir Kerzen an.
Der Jürgen und die Ricarda sagen dann: „Siehste, Kernkraftwerke sind doch böse“. Der Robert und der Christian sagen dann: „Das war der böse Putin“. Der Friedrich sagt dann: „Die Ampel trägt die volle Verantwortung für den bösen Mist.“ Dann entschuldigt er sich bei den Grünen und verurteilt das Verhalten der AfD.
Dann lobt die Tagesschau den Jürgen, die Ricarda, den Robert, den Omid und die Annalena. Dann steigen sie alle auf ihre Rösser und reiten wieder voran. Und dann ist Wahl und sie werden wiedergewählt.