Der 30-jährige Hamidullah M. aus Afghanistan tötete im April 2017 in Prien am Chiemsee in Bayern die 38-jährige Farimah S. – auch sie Afghanin – mit 16 Messerstichen. Die Mutter von drei Kindern musste sterben, weil sie zum Christentum übergetreten war. Aus Frust soll der Afghane die Frau ermordet haben, weil sie es geschafft hatte, sich zu integrieren. Er hingegen sollte abgeschoben werden.
Die Bluttat ist nur die Spitze eines Eisbergs. Konvertiten werden von ihren Landsleuten verfolgt und schikaniert. Die Wut muslimischer Geflüchteter auf christliche Geflüchtete dokumentierte bereits 2015 das internationale Hilfswerk für verfolgte Christen „Open Doors“. Laut dieser Studie sind tausende aus Syrien und dem Irak geflohene Christen in deutschen Flüchtlingsheimen Gewalt ausgesetzt. Von Diskriminierung über Körperverletzung bis hin zu sexuellen Übergriffen und Todesdrohungen.
Der evangelische Berliner Pfarrer Gottfried Martens zeigte sich „fassungslos, dass man weiter am Paradigma des Einzelfalles festhält“. Laut Volker Baumann von der „Aktion für verfolgte Christen und Notleidende“ werden in Deutschland bis zu 40.000 Flüchtlinge aufgrund ihrer religiösen Überzeugung drangsaliert. Aus dem Nahen Osten geflohene oder vertriebene Christen treffen in deutschen Flüchtlingsunterkünften auf muslimische Fundamentalisten, vor denen sie geflohen sind.
Anzeichen der Verrohung
Der Hilferuf verhallte. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sagte vor einigen Tagen der „Frankfurter Allgemeinen Woche“, er sei besorgt über die Zunahme von Hasskriminalität gegen Christen in Deutschland. Der Erzbischof rief zu „höchster Wachsamkeit“ auf. „Leider lassen sich quer durch die Gesellschaft Anzeichen der Verrohung beobachten.“ Es gebe „Radikalisierungstendenzen unter bestimmten Gruppen der Muslime und es gibt sie auch in anderen Sektoren der Gesellschaft. Das bringt Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das friedliche Miteinander mit sich.“
Das Bundeskriminalamt bestätigt die erzbischöflichen Warnungen. 2017 gab es 100 bekannt gewordene gezielte Angriffe auf Christen und christliche Symbole. Darunter ein Tötungsdelikt, neun Körperverletzungen und ein Fall von Brandstiftung. Erzbischof Schick geht davon aus, dass unter den Flüchtlingen aus dem Nahen Osten zweifellos manche seien, die „die freiheitliche Ordnung unseres Landes nicht verstehen oder nicht akzeptieren, auch welche, die nicht als Flüchtlinge, sondern als Terroristen gekommen sind“.
Die Christen aus dem Nahen Osten haben sich gut in die deutsche Gesellschaft eingegliedert. Schon seit den 1960er Jahren. Damals holte die deutsche Industrie türkische Hilfsarbeiter ins Land. Mit diesen Arbeitsmigranten kamen auch Christen aus Ost-Anatolien, Armenier und Assyrer; sie nennen sich Aramäer und werden auch Chaldäer genannt. Sie flohen vor der Unterdrückung durch den türkischen Staat.
Kaum noch Christen in Anatolien
Das Nato-Mitgliedsland war als Außenposten der westlichen Wertegemeinschaft aber nie westlichen Werten verpflichtet. Erbarmungslos verfolgte der türkische Staat seine „anderen“ Staatsbürger. Die Zahl der Aramäer in Deutschland soll inzwischen etwa 100.000 Personen betragen, in Ost-Anatolien hingegen gibt es kaum noch Christen. Die westlichen Partner der damals sich laizistisch gebenden Türkei schauten trotz der Menschenrechtsverletzungen diplomatisch weg.
Die Verbündeten waren und sind aber Helfer der türkischen Politik. Bereits im Ersten Weltkrieg half das deutsche Kaiserreich den jungtürkischen Revolutionären um Kemal Atatürk, das Militärwesen zu modernisieren. Deutsche Generäle wie Kolmar Freiherr von der Goltz und Otto Liman von Sanders reorganisierten die türkische Armee. Mit Hilfe weiter Teile der türkischen Bevölkerung sowie kurdischer Söldner wurden etwa 1,5 Millionen Armenier in den Tod getrieben. Von der Goltz und von Sanders sind als deutsche Generäle mitverantwortlich für den Völkermord der Jung-Türken an den Armeniern.
Gabriele Yonan von der Gesellschaft für bedrohte Völker hat die Mitschuld des deutschen Kaiserreichs am Massenmord an den Armeniern genau dokumentiert. An der Kumpanei mit der Türkei hielt auch die BRD fest. Bundesdeutsche Politiker hielten sich mit Kritik an der Vertreibung der Christen aus der östlichen Türkei zurück. Man schaute ganz einfach weg.
Giftgas gegen Kurden
Es kam noch schlimmer. Deutsche Rüstungsfirmen lieferten ungeniert dem Regime von Saddam Hussein Rüstungsgüter. Während des iranisch-irakischen Krieges 1987 beschuldigte die Gesellschaft für bedrohte Völker die deutschen Firmen Karl Kolb und Pilot Plant, die irakische Giftgas-Industrie aufgebaut zu haben. Saddam Hussein setzte dieses Giftgas gegen die aufständischen Kurden im Nord-Irak ein. Zwischen 70.000 und 150.000 kurdische sowie assyrisch-aramäische christliche Dorfbewohner fielen dem deutschen Giftgas zum Opfer. Im Gegenzug spendete Deutschland großzügig Medikamente für die Überlebenden der Giftgas-Angriffe. Von wegen: „Nie wieder“.
Nach der US-Intervention im Irak und dem Sturz von Saddam Hussein verbesserte sich kurzfristig die Lage der christlichen Minderheit. In der autonomen kurdischen Region im Nord-Irak blühten die assyrischen Gemeinden auf. Das Tauwetter hielt nicht lange an. Nachdem der Islamische Staat ein Drittel des Irak besetzt und 200.000 Assyrer sowie andere Christen vertrieben hatte, zerbrach die letzte Hochburg der Aramäer. Die Dagebliebenen wurden gefoltert und getötet. Die vertriebenen Christen möchten gerne in ihre Heimat zurückkehren, aber viele ihrer sunnitisch-islamischen Nachbarn hatten sich dem Islamischen Staat angeschlossen. Eine Rückkehr ist deshalb nicht wahrscheinlich, auch wenn der IS inzwischen aufgeben musste.
Mehrere Wellen der Verfolgung haben die orientalischen Christen dezimiert. Bereits im Mittelalter verschwanden die nestorianischen Diözesen östlich von Persien. Im späten 19. sowie im frühen 20. Jahrhundert haben osmanische und kurdische Verbände die meisten Siedlungen orientalischer Christen im heutigen nördlichen Iran und der östlichen Türkei vernichtet. Zwischen 1980 und 2010 hat die Entstehung von theokratischen Regierungen und gewalttätigen Milizen die urbanen Gemeinden von Teheran, Bagdad, Mossul, Basra und der östlichen Türkei dezimiert.
Das letzte Kapitel
Seit 2011 werden die Überreste der Armenier, Griechen, Maroniten und Assyrer eliminiert, so in der Ebene von Ninive im Irak, in Aleppo, Damaskus, al Qamishli, Hassake und Homs in Syrien. Gleichzeitig werden die verbliebenen vorchristlichen Religionen von Mesopotamien und Persien, die Mandäer und Yeziden, ebenso aus diesen Orten vertrieben.
In den vergangenen Jahren wurden Assyrer, Armenier, Mandäer und Yeziden im Irak massakriert oder massenhaft vertrieben. In Bagdad und Basra begannen 2003 massive Bombardements von zivilen christlichen und schiitischen Zielen. 2005 haben gezielte Morde die meisten Assyrer aus Basra in die Flucht getrieben. 2007 mussten zehntausende Yeziden den Irak verlassen. Schätzungen zufolge wurden etwa 400.000 Christen aus dem Irak vertrieben, dazu etwa 70.000 Kurden.
2010 sind weitere Assyrer nach Bombenanschlägen auf die katholische Maria-Erlösungs-Kirche und christliche Wohngebiete aus Bagdad geflohen. Seit 2011 sind die meisten Armenier, Assyrer und Griechen aus Aleppo, Homs und Maloula sowie aus Damaskus und al-Qamishli geflohen, als die „Freie Syrische Armee“ und ihr Verbündeter Jabhat al-Nusra (der syrische Ableger von al-Qaida) den Dschihad gegen alle Nicht-Sunniten im Land verkündet hat, weil sie sich gegen die von den Golfstaaten und der Türkei unterstütze Revolution gestellt hätten. Die Hälfte der syrischen Christen ist auf der Flucht, so wie die Hälfte der Armenier und Assyrer seit 2008 aus dem Irak geflohen ist.
Das letzte Kapitel hat jetzt die islamische Türkei – lange Zeit Waffenlieferant der Terrororganisation Islamischer Staat – aufgeschlagen. Im Visier des Angriffskrieges des türkischen Staatspräsidenten Erdogan befinden sich in der Enklave von Afrin in Nord-Syrien nicht nur die Kurden, sondern auch deren christliche Verbündete. In Afrin und im restlichen von den Kurden kontrollierten Nord-Syrien suchten viele christliche Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien Zuflucht. Diese Region will der Islamist Erdogan mit deutschen Leopard-Panzern plattwalzen.
Viele Flucht-Alternativen, wenn überhaupt, haben die in Afrin eingeschlossenen Christen nicht. Eine Option wäre Deutschland, Nato-Partner der kriegsführenden Türkei.