Die Vertreibung aus dem Wolkenkuckucksheim

Wenn Politiker aus allen Wolken fallen, weil etwas längst Absehbares geschieht, handelt es sich um das Wolkenkuckucksheim-Syndrom. Man liebt sein Wolkenkuckucksheim wohl auch aus Angst, man könne ins Ungewisse stürzen. Was in der Regel dann auch geschieht.

Kann man einen Vergleich zwischen der Ukraine und Afghanistan ziehen? Einen ganz bestimmt: mal wieder Flüchtlinge. Der mit Abstand größere ukrainische Flüchtlingsstrom wurde von russischen Soldaten in Marsch gesetzt. Der afghanische ist kleiner, weil diese Leute vom Westen mir nichts, dir nichts im Stich gelassen wurden und viele es nicht mehr raus aus dem Hexenkessel schaffen. Aber es gibt noch eine andere, wie ich finde, interessante Parallele: In beiden Szenarien waren westliche Politiker bass erstaunt über die Geschehnisse, die jeder nicht ganz Erblindete hätte kommen sehen. Man kann von einer freiwilligen Erblindung sprechen.

Nach zwanzig Jahren vergeblichen Kampfeinsatzes in Afghanistan fiel den Verantwortlichen sozusagen über Nacht auf: Das bringt nichts. Wir müssen da raus. Plötzlich waren die Augen weit aufgerissen, nach dem sie so lange weit geschlossen waren. Und dann ging es holterdiepolter. 

Acht Jahre nachdem Putin die Krim heim in sein Reich geholt und einen Bürgerkrieg im Osten der Ukraine angezettelt hat, wurde vor allem die deutsche Politik-Elite vom Schock der Erkenntnis erwischt: Dieser Mann im Kreml ist wohl doch nicht so vertrauenswürdig, wie man es sich eingeredet hat. Und nun wissen wir – holterdiepolter – plötzlich nicht mehr, wo wir unser Gas herkriegen.

Bleiben wir einen Moment beim Gas. Denn es zeigt, welch merkwürdiger Mechanismus am Werk ist, wenn Politiker aus allen Wolken fallen, weil etwas längst Absehbares geschieht. Es ist das Wolkenkuckucksheim-Syndrom. Man liebt, wenn man sie erst einmal bezogen hat, seine Wolkenkuckucksbleibe, und mag sie einfach nicht mehr verlassen. Wohl auch aus Angst, man könne ins Ungewisse stürzen. Was in der Regel dann auch geschieht.

Die deutsche Freundlichkeit, auf nichts vorbereitet zu sein 

Das Mantra, die Entwicklung von Nord Stream 2 sei eine reine Geschäftsentscheidung, war von Baubeginn an reiner Stuss. Nord Stream 2 war keine Sekunde eine reine Business-Angelegenheit. Die Pipeline war von Beginn an hochpolitisch. Andere wussten das, vor allem die Amerikaner, die uns natürlich gerne mehr von ihrem Gas verkauft hätten. Jetzt können sie es, dank Putin und dank der deutschen Freundlichkeit, auf nichts vorbereitet zu sein. Weil man Putin für einen ganz normalen Geschäftspartner hielt. Oder so tat als ob.

Da waren natürlich auch die grundehrlichen Putin-Versteher mit am Werk. Die hängen über das Geografische hinaus an einer besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Russland. Drei Viertel im Westen, aber mit einem kräftigen Fuß in Russland. Die gibt es – wie stets bei irrtümlichen Annahmen – sowohl links und als auch rechts. Dabei ist es nun mal die Realität: Solange Russland von einem expansionssüchtigen Diktator regiert wird, sollte man die Abhängigkeiten ganz vorsichtig und lieber nur mit einem herantastenden Zeh betreiben. Und schauen, ob man sich da nicht ein paar Brandblasen holen kann.

Das andere ist die Überzeugung: Gute Geschäfte stechen als Trumpf die Politik. Das liegt ja auch nahe: Welcher Depp fängt schon mit politischen Schweinereien an, wenn es doch viel bequemer und lukrativer ist, friedlich den gegenseitigen Handel und Wandel zu pflegen? Schön und wünschenswert wäre es. Leider ist es so, dass die Politik immer wieder doch das Business schlägt. Wenn die Lust, bei einem Nachbarn einzumarschieren, allzu quälend wird, dann sagt sich der Feldherr, der sich für den Größten aller Zeiten hält: Lieber sollen die Panzer rollen als der Rubel. Eine immer wieder bittere Erkenntnis für jeden, der ganz und gar auf die Friedens-Power der globalen Geschäfte baut. Die gibt es, und sie klappt oft, aber nicht immer.

Alternativlos und wehe, wer das anders sieht

Und dann ist da noch eine andere Sache. Es ist der politische Glaube an eine Alternativlosigkeit. Ist einmal eine Parole ausgegeben, dann will man nicht mehr nach links und nach rechts schauen. Und die, die es gerne täten, trauen sich nicht. Oder sie werden abgekanzelt. Nord Stream 2? Alternativlos und wehe, wer das anders sieht. Atomausstieg, obwohl wir die modernsten Meiler hatten? Alternativlos, und wehe, wer das anders sieht. Putin wird schon nicht, auch wenn er schon ein paarmal hat? Alternativlos, und wehe, wer das anders sieht. Wir verteidigen unsere Freiheit auch nach zwanzig Jahren noch am Hindukusch? Alternativlos, und wehe, wer das anders sieht.

Und jetzt müssen wir unsere oder zumindest die Freiheit der Ukrainer vor unserer Haustür verteidigen, was deutlich mehr Sinn ergibt. Robert Habeck muss bei arabischen Scheichs einen artigen Diener machen und die feministische Außenpolitik seiner Parteifreundin Annalena Baerbock hintanstellen, weil wir die Scheichs oder die Emire mehr denn je brauchen. Und er muss mit verantwortungsschwerer Miene uns lieben Landsleuten verklickern, dass wir noch nicht sofort, aber vielleicht in naher Zukunft kalt duschen müssen. 

Das mit der kalten Dusche werden wir schon aushalten. Was nur schwer auszuhalten ist, dass angeblich weitblickende Politiker von einer kalten Dusche zu nächsten stolpern, weil sie immer wieder nach dem Motto handeln, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Kann es aber und tut es auch.

Foto: Illustration Rudolf Wildermann

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Leserpost

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Arne Ausländer / 02.04.2022

@Terence B. Pickens: Die “von Ukrainern ermordeten 13.000 bis 14.000 Russen” sind die Gesamtheit der Opfer auf allen Seiten, je etwa ein Drittel Kämpfer beider Seiten und der Rest Zivilisten. Allenfalls bei letzteren könnte man von Mord sprechen… falls man nicht Putins Talking Point nachplappern will. Falls.—Und Schröder war auf dem “besten Weg”, in Irak mitzumachen. Nur wollte er noch dringender die bevorstehende Wahl gewinnen - daher seine Friedfertigkeit. Der Einsatz von deutschen AWACS und BND gegen den Irak war seinerzeit noch den Medien zu entnehmen, scheint heute aber vergessen zu sein.—Aber man kämpft wohl besser gegen Windmühlenflügel als gegen die omnipräsenten Talking Points aus Ost und West…

Andreas Huber / 02.04.2022

Es ist keine “deutsche Freundlichkeit, auf nichts vorbereitet zu sein”. Die Deutschen haben nur eine extrem gut funktionierende Politik. Da diese die organisierte Verantwortungslosigkeit ist, bereiten sich in einem solchen Millieu nur Streber und Spiesser vor. Und von beidem ist die Politik (nicht nur in Deutschland) seit langer, langer Zeit gesäubert.

Gert Friederichs / 02.04.2022

Das war mal wieder ein Beitrag der Marke: Ich habe eine bestimmte Brille auf und die Scheuklappen rechts und links decken alles Unangenehme weitgehend ab. Lieber Herr Bonhorst, nehmen sie die Dinger mal ab und schauen sich die transatlantische Gemeinschaft insb. in Hinblick auf deren Werte etwas genauer an. Zitat: “Und jetzt müssen wir unsere oder zumindest die Freiheit der Ukrainer vor unserer Haustür verteidigen.” Was soll denn dieser Schwachsinn??? Wir müssen da rein gar nichts, sollten da überhaupt nichts! Ab und zu muss man halt auch solchen Blödsinn auf Achgut erleiden, es gibt meist bessere Beiträge. Deswegen werde ich auch weiter dabei bleiben. Besonders erwähnen und loben möchte ich da Herrn G. Frank und seine Corona-Analysen!

Uta Buhr / 02.04.2022

Werner @rning:  Danke für Ihren erfrischend realistischen Kommentar! Tja, die Realität hat diese Dumpfbacken, die so gern Politik spielen, ohne dieses Handwerk zu verstehen, auf dem falschen Fuß erwischt. Nu is nix mehr mit Spielen in der Sandkiste. Jetzt, nachdem der pater familias, vulgo Papa, nicht mehr zur Verfügung steht und alle kleinen und großen Fehler bereinigt,  müsste eigentlich gehandelt werden. So wie jeder den Kinderschuhen Entwachsener es täte. Bei dieser Auswahl infantiler Politdarsteller Fehlanzeige. Ich höre von allen Seiten, die Jungen könnten einem leid tun wegen deren unsicherer Zukunft. Mir tun die aber gar nicht leid. Im Gegenteil.  Ich möchte noch erleben, wie die sich mit den neuen, sehr wenig komfortablen Lebensbedingungen arrangieren, wenn dieser Pleitestaat nicht mehr der Lage ist, ihre Apanagen zu schultern. Tja, was Hänschen nicht gelernt, lernt Hans nimmermehr. So isses nu mal im wahren Leben.

Marcel Seiler / 02.04.2022

Unsere Mediendemokratie funktioniert wie ein Spiegelkabinett: Die Politiker, schon um gewählt zu werden, spiegeln die Weltsicht der Wähler, und die, sich von “den Autoritäten” bestätigt fühlend, spiegeln die Weltsicht der Politiker. Und umgekehrt. Beide Seiten fühlen sich dabei unglaublich wohl und auch falsche Weltbilder sind so sehr stabil. Das ist die Tragik unserer Mediendemokratie.

Peter Sax / 02.04.2022

Herr Bohnhorst hat m.E. sicherlich recht mit seiner Diagnose. Meines Erachtens gehören alle, die so willfährig diesen Weg mitgegangen und sogar forciert haben, vor einen Untersuchungsausschuss gestellt. Dazu gehört sicherlich auch der derzeitige Bundespräsident und auch die Kanzlerin, jetzt auf ihrer Datscha alle Vorteile genießend.

Gudrun Meyer / 02.04.2022

Vor einigen Tagen kam eine Nachricht, die Putins Aggression in einem anderen Licht erscheinen lassen könnte: im Staatsfunk wurde schwach indirekt erwähnt, dass die 2 Laptops von Hunter Biden, die kurz vor der US-Wahl 2020 in einem Ramschladen auftauchten, wohl doch echt sind. Wenn das für jede Mail auf diesen Laptops gilt, war Hunter Biden in Geschäfte involviert, die sich um mindestens ein Biowaffen-Labor in der Ukraine drehten. Möglicherweise - mehr noch nicht -  ist das nicht nur oder gar keine russische Propaganda, sondern eine Tatsache, gegen die ein wirtschaftlich schwaches, erpressbares Land wie die Ukraine nichts zu unternehmen wagte (Joe Biden hatte Selenski bereits Jahre früher erpresst: wenn ein Korruptionsverfahren gegen Hunter Biden laufen sollte, müsste die Ukraine auf einen dringend nötigen Kredit verzichten. Es gelang nicht, den Fall ganz totzuschweigen, aber die dt. Medien drehten die Erpressung Trump an). Natürlich ging der dt. Qualitätssender nicht auf die weitaus wichtigste Frage ein, nämlich die, ob alles auf den beiden Laptops echt ist, und wenn ja, ob Putins Krieg gegen die Ukraine tatsächlich auf Zündler zurückgeht, die in der Ukraine hochgefährliche Krankheitserreger züchten und manipulieren. Wenn man dem dt. Fernsehen glauben könnte, wäre das Problem an der Sache nur, dass jetzt “die Rechten” in den USA triumphieren. Aber ob Ukraine oder Deutschland, ob ein mögliches Biolabor oder die “Impf"pflicht (über die so diskutiert wird, als gäbe es sie nicht, die in D aber schon seit gut 2 Wochen “einrichtungsbezogen” gilt), das einzige Problem, das es laut dt. Staatsjournos gibt, sieht so aus, dass irgendetwas “den Rechten nützt”.

Helmut Scheid / 02.04.2022

Lieber Herr Bonhorst dass der Putin, der noch 1999 u. 2001, meine ich in Erinnerung zu haben, standing Ovations durch seine Rede im Bundestag “erzeugte”, jetzt von ihnen zum Diktator “umbenannt” wird kann ich so nicht nachempfinden. Dann ist der ehemalige Präsident Obama, der den Nobelpreis erhalten hat ein Mörder, denn unter seiner “Führung” wurden “Drohnen” nach Afghanistan zum Töten ferngsteuert mit Joysticks von Ramstein aus losgeschickt. Tausende Menschen wurden getötet, meist Unschuldige. Die Nato federführend gesteuert durch den “Industriellen/militärischen Komplex” der USA und daneben viele NGO`s (z.B. George Soros und Konsorten) hat die Ukraine mit Beratern und Waffen beliefert, dass einem schlecht wird. Natürlich ist Putin “völlig daneben” mit seinem völlig unnötigen Krieg, ein Monster aber die größte Schuld daran trägt die Nato mit ihren “Vorrücken” bis 300Meter an die russische Grenze, trotz versprechen im “2+4 Vertrag 1990” dies nicht zu tun! Mitschuld an Putins “ausflippen” tragen die Natostaaten, machen wir uns doch nichts vor…..........Irak, Syrien, Jugoslawien, Jemen, Libyen etc. lassen grüßen

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