Gastautor / 25.05.2025 / 12:00 / Foto: achgut.com / 15 / Seite ausdrucken

Artikeltyp:Meinung

Die Verlockung, beim Radetzky-Marsch mitzuklatschen

Von Peter Nawroth.

Peter Nawroth beschreibt in seinem heute erscheinenden Buch „Nackte Medizin“ (Achgut Edition), wie der vollständig verstandene, vollkommen durchschaute Mensch zum reinen Verfügungsobjekt der Medizin-Wissenschaft verkommt.

Unser Gehirn hat eine seltsame Eigenart. Wie die Zuhörer beim Neujahrskonzert klatschen wir im Takt mit, sobald wir hören: „Die Wissenschaft sagt uns …“. Warum glauben wir, anstatt über die Aussagen einer Studie selbst nachzudenken? Diese Eigenart des Gehirns macht uns verwundbar. Wir folgen lieber einer ideologiegeprägten Fata Morgana, als dass wir nach der Beweisbarkeit und den Fakten fragen.

Jeder kennt ihn, den im Revolutionsjahr 1848 von Johann Strauss komponierten Radetzky-Marsch. Man weiß, wie man im Takt mitklatschen muss. Man braucht nicht nachzudenken: Das gemeinsame Klatschen erzeugt freudige Gemeinschaft.

„Radetzkymarsch“ lautet der Titel eines Romans von Joseph Roth. Mit gekonnten Strichen zeichnet er das Bild eines Epochenwandels, dem die Aushöhlung der alten Epoche voranging. Joseph Roth erzählt von drei Generationen:
• der ersten, die in der Epoche ihren mit Sinn erfüllten Platz fand;
• der zweiten, die diesen Platz beibehielt, doch die Sinnstiftung zugunsten der gefühlten Zugehörigkeit aufgab;
• der dritten, die in der Leere einer ausgehöhlten, nicht mehr sinnstiftenden Epoche keinen Sinn sah, sich im Nichts der mangelnden Bildung dem Trinken und Spielen hingab und auf den Krieg wartete.

Alle klatschen mit, ohne nachzudenken

Der Krieg ließ so lange auf sich warten wie der Tod des Kaisers Franz Joseph I. Als er endlich ausbrach, suchte das Mitglied der dritten Generation absichtlich seinen Tod bei einer militärischen Aktion, die so leer und sinnlos war wie sein ganzes Leben. Ein großartiger Roman, der verdeutlicht, dass unser Gehirn lieber eine gigantische Fata Morgana als Realität akzeptiert, als eigenständig nachzudenken.

Heute befinden wir uns am Ende der Epoche der Wissenschaftlichkeit, da der Umgang mit Wissenschaft verändert wurde. Momentan erklingen die ersten Takte des Radetzky-Marsches wie in Joseph Roths Roman beschrieben: Niemand merkt es. Niemand will es wahrhaben. Alle klatschen mit, ohne nachzudenken. Nur wenige, die klug nachdenken, erkennen, wie kaputt ein Großteil der in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Wissenschaft der Medizin ist und dass andere Wissenschaftsbereiche von ihr in den Abwärtssog gezogen werden. Die erzeugte Fata Morgana hilft zu verschleiern, dass Ideologien und Glauben das Handeln bestimmen und etliche Forscher, vor allem aus den Gebieten der Risikoberechnung, allen oben aufgeführten Versuchungen erlegen sind.

Wie im Roman von Joseph Roth gibt es unter diesen Forschern, die als Geisterfahrer die öffentliche Gesundheitsdebatte bestimmen, auch keinen Versuch, das Problem der schwindenden Wissenschaftlichkeit zu beheben. Wer beim sonntäglichen Konzert der Militärkapelle beim Radetzky-Marsch das Gehirn abschaltet, um bei der eingänglichen Melodie mitzuklatschen, wird unfähig, den Untergang aufzuhalten. Und da alle gemeinsam klatschen, werden die wenigen, die klug argumentieren, nicht gehört und aus der Gruppe der glaubwürdigen Wissenschaftler ausgeschlossen.

Entwicklung zu einer den Menschen bevormundenden Disziplin

Aber noch ist der Epochenuntergang nicht unumkehrbar. Die Wissenschaftlichkeit ist noch nicht gänzlich zerstört. Es bedarf nur der Besinnung auf Wesentliches, um die gefährdete Wissenschaftlichkeit wieder in die richtige Richtung zu lenken.

Wir müssen den Teufelskreis durchbrechen:
• Die durch Wissenschaftler zerstörte Wissenschaftlichkeit fördert Fake News und Populismus.
• Der Zusammenbruch der Wissenschaftlichkeit in der Medizin führt zum Drang, sofort irgendwelche anstatt wohlüberlegte Lösungen zu präsentieren: Handeln, nicht Denken ist angesagt.
• Statt Verbesserungen für Menschen zu erreichen, wird ein Teilbereich der Medizin zum gesellschaftlich relevanten Player und interessiert sich nicht für die Gesundheit der Mitbürger, da der Ruf der Politik stärker ist.
• Dem Ruf nach klaren Aussagen folgt der Ruf nach starken Führern.
• Die missbrauchte Wissenschaft wird zum Totengräber einer zur Vielfältigkeit und Offenheit fähigen Gesellschaft.

Wie kann es sein, dass die Wissenschaftlichkeit zerstört wird und sie ihre korrigierende Wirkmacht auf unser Miteinander verliert, wenn an die Botschaft der Wissenschaft so fest geglaubt wird wie nie zuvor und die Ergebnisse der Wissenschaft als Argument für politisches und medizinisches Handeln so intensiv genutzt werden wie nie zuvor?

Die Antwort ist einfach: weil ein Großteil dessen, was uns als Ergebnis der Forschung angeboten wird, eine Fehlinterpretation oder sogar ein bewusster Missbrauch der Forschung ist! Die wirkliche Zeitenwende, die wir beim lauten Klatschen nicht bemerken, ist der neue Turm von Babel: der vollständig verstandene, vollkommen durchschaute Mensch im gläsernen Gewand. Die Zeitenwende wird möglich, wenn der Glaube an die Messbarkeit des Schicksals die Achtung vor dem Geheimnis jedes einzelnen Menschen übertüncht. Der gläserne Mensch wird zum Verfügungsobjekt desjenigen, der meint, ihn zu verstehen. Die Zeitenwende kennzeichnet den Übergang von Teilbereichen der Medizin von einer Menschen in Not helfenden Disziplin zu einer Menschen bevormundenden Disziplin. Diese ideologisierte Medizin soll bloßgestellt und von des „Kaisers neuen Kleidern“ der Ideologie befreit werden.

Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch „Nackte Medizin – Bloßstellung einer ideologisierten Wissenschaft“, das sie hier im Achgut-Shop bestellen können.

 

Prof. em. Dr. Dr. h.c. Peter Nawroth war Ärztlicher Direktor der Inneren Medizin I und Klinischen Chemie an der Universität Heidelberg. Er war Stellver­tretender Leitender Ärztlicher Direktor und kommissarischer Leitender Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender, Präsident nationaler und internationaler Kongresse, Mitglied etlicher Fachgesellschaften und ist Mitglied der Leopoldina. Durch diese Tätigkeiten hat er einen ungewöhnlich tiefen Einblick in die Medizin und Überblick über die Medizin. Sein Anliegen ist die Offenlegung der Ideologisierung und des Missbrauchs der Medizin zum Nutzen von Allen, nur nicht den Patienten.

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Dietmar Herrmann / 25.05.2025

Zum Thema der absichtsvollen Fehlinterpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse: kürzlich wurde euphorisch gemeldet, die MRNA- Impfung stimuliere und trainiere unser Immunsystem, eine höchst erfreuliche Wirkung über den reinen Impfeffekt hinaus. Bei bekanntermaßen ärmlicher Impfimmunität (um den Preis horrender Nebenwirkungen) besteht der immunologische Effekt in einer potentiellen Aktivierung von Onkogenen mit nachfolgendem Turbokrebs. Das letzte was Medizin tun sollte, ist ein Eingriff in das noch weitgehend unverstandene Immunsystem. Trotzdem werden dem Medizinlaien hier eine nicht vorhandene Kompetenz und Benefit suggeriert, um ihn im Gleichschritt marschieren zu lassen. Herdentrieb und Denkfaulheit, die Freude an Unterordnung und Beflissenheit in dieser Position machen es Karlatanen leicht.

Th. Gerbert / 25.05.2025

@Petra Wilhelmi Sie schrieben: “Wieso wurde z.B. Dr. Fuellmich oder Prof Bhakdi vom Staat kriminalisiert, nur weil sie sich gegen die GG-widrigen Coronamaßnahmen mit Aufklärung wandten?” Werte Frau Wilhelmi, Herr Dr. Fuellmich wurde aus meiner Sicht zu Recht wegen Veruntreuung von Geldern verurteilt. Er ist Jurist, und er hätte es m.M. nach besser wissen können und müssen, selbst wenn man ihm die von ihm vorgetragene “edle Absicht” glauben mag, wie dies seine Anhänger tun. Ob seine Anwälte tatsächlich den Prozess absichtlich verschleppt haben, wie das Gericht meint, so dass fünf Monate Untersuchungshaft nicht angerechnet wurden, sei dahingestellt. (Für mich ergeben sich aus dem Urteil vor allem Fragen hinsichtlich der Verhältnisses zwischen Delikten im Bereich des Eigentums und Delikten, bei denen Menschen zu Schaden kommen, und zwar ggfs. auch dauerhaft, wie z.B. teilweise bei schwerer Körperverletzung und Vergewaltigungen. Für letztere scheint das Strafmaß in den vergangenen Jahren noch weiter gesunken zu sein, obwohl man doch heutzutage sogar viel mehr über die Langzeitschäden bei Opfern weiß als früher.) Auch zu der von Herrn Dr. Fuellmich versprochenen Sammelklage habe ich Fragen. Das ganze betrifft ein Thema, was mich seit einiger Zeit beschäftigt: warum werden in der kritischen, ‘alternativen’ Szene oft alle Protagonisten als gleichermaßen seriös eingeschätzt, die z.B. gegen die Corona-Maßnahmen gekämpft haben? Die gleiche Frage stelle ich mir aber auch bei anderen Themen. Manche Leute werden in der Szene für Interviews, Talkshows und Vorträge etc. ‘herumgereicht’ und gefeiert, obwohl aus meiner Sicht hier und da kritischere Nachfragen und kritischere Beurteilungen notwendig wären, anstatt im Gleichtakt Applaus zu spenden. Wobei wir wieder beim Radetzky-Marsch wären.

Wolfgang Richter / 25.05.2025

“Mitglied etlicher Fachgesellschaften und ist Mitglied der Leopoldina.” - Alles “Truppen”, die zB die politisch ausgerufenen “Corona-Pandemie-Maßnahmen” propagierten und Kritiker, auch aus “der Wissenschaft”, wie dem Bereich der Medizin, nach allen Regeln der Kunst diffamierten, teilweise gesellschaftlich und wirtschaftlich an deren Ruin mitwirkten. Den Namen Nawroth habe ich in der Riege der “Widerspruchsgeister” nicht erinnerlich.

Sam Lowry / 25.05.2025

Wenn ich die Zuschauer in doitschen Comedy-Sendungen sehe, dann könnte ich meinen Monitor einfach so zertrümmern… zum Radetzky-Marsch. Punkt.

Hans-Joachim Gille / 25.05.2025

@Lars Tragl ... Gut geschrieben. Im Prinzip können wir die Virologie den Hasen geben. Damit geht aber das bezahlte Lebensmodell dieser Unwissenschaftler flöten. Es gibt nur auf Rechnern Viren, sonst nicht. Diese Nummer zieht sich durch die ganze Gesellschaft. Astronomie ist zugegebenermaßen spannend, aber völlig nutzlos.

Karl-Heinz Böhnke / 25.05.2025

Wir sitzen alle in Platons Höhle, wobei nur wenige von uns wissen und wissen wollen, daß die Schatten an der gegenüberliegenden Wand nicht die Wirklichkeit sind, sondern das richtige Leben im Licht vorm Eingang stattfindet. Dieses zu betreten und zu ergründen, also Wissen zu erringen, um das pure Glauben zu durch Prüfen zu bestätigen, trauen sich nur diejenigen, welche den Drang haben, der Wahrheit näher zu kommen, und den Mut, Wünsche und Hoffnungen vielleicht dabei fallen lassen zu müssen. Stattdessen suchen die drinnen verbleibenden nach dem nächstbesten Händchen, sich widerstandlos und selig führen zu lassen, was sie dann hochmütig macht, wissende Rückkehrer als Lügner wieder herauszuschmeißen. Sie sind zu besessenen Sprachrohren und Werkzeugen geworden als vorübergehende teilweise Geisteskranke, die ihren Mangel vollständig auf andere projizieren müssen, um mit den Qualen ihrer Verirrung fertig zu werden.

Thomas Szabó / 25.05.2025

Eine Zeitenwende wie um 1900 ist ein viel beschriebenes Phänomen. Ich habe auch den Eindruck, dass die “Eliten” ihren Lebenssinn verloren haben und deshalb den “Krieg” herbei sehnen. Wie Habeck mit dem Vaterland nichts anfangen kann, können sie mit der westlichen Zivilisation nichts mehr anfangen. Die westliche Wohlstandsgesellschaft, für sie eine ausgehöhlte, nicht mehr sinnstiftende Epoche. Sie posaunen die großen Transformation heraus: “bis zur Unkenntlichkeit”. Aus lauter Langeweile fangen sie noch den 3 Weltkrieg an. Ihre Begeisterung erinnert an 1914. Das “reinigende Stahlgewitter” wurde mit Jubel begrüßt. Mit Stechschritt, Trompeten, Hurra, flatternden Fahnen in den Fleischwolf. ✦ Ich kann mir das nur theoretisch vorstellen, denn ich stifte mir meinen Lebenssinn tagtäglich neu. Nur weil diese abgestumpften “Eliten” nichts mit sich selber anfangen können, heißt das nicht, dass wir Normalbürger ihren Nihilismus teilen müssen! Wer keinen Sinn findet ist nur stumpfsinnig, oberflächlich. Sie sollen nur sich selber auslöschen.

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