Vera Lengsfeld / 25.06.2019 / 16:00 / Foto: Armin Kübelbeck / 63 / Seite ausdrucken

Freude unschöner Götterfunken

Vor dreißig Jahren stand Leipzig im Zentrum der Friedlichen Revolution, die das Ende der SED-Diktatur herbeiführte und die Überwindung der Spaltung Deutschlands ermöglichte. Von hier gingen die Montagsdemonstrationen aus, die sich wie ein Buschbrand über die ganze DDR ausbreiteten und schließlich zum Fall der Mauer und freien Volkskammerwahlen führten. 

Wegen ihrer überragenden Rolle sollte Leipzig sogar der Titel „Heldenstadt“ zuerkannt werden, jedenfalls war das der vielbeachtete Vorschlag des Schriftstellers Christoph Hein. Nun geht ausgerechnet von Leipzig eine ungeheure Geschichtsklitterung aus, eine Verhöhnung der Friedlichen Revolution.

Wie die Leipziger Volkszeitung bereits im Mai unter der Rubrik „Sonderthemen“ meldete, planen die Leipziger Philharmoniker ein Gedenkkonzert zur Friedlichen Revolution in der Peterskirche. Der Titel der Veranstaltung lautet: „Freiheit, schöner Götterfunken“.

Ausgerechnet am 9. Oktober, dem Jahrestag der großen Montagsdemonstration, die der Beginn des Endes der SED-Diktatur bedeutete, soll mit der Neunten Sinfonie von Beethoven das Werk erklingen, das Leonard Bernstein mit dem neuen Text „Freiheit, schöner Götterfunken“ 1989 in Berlin zum Fall der Berliner Mauer aufführte. Was als „respektvolle Würdigung für die vielen Tausend, die seinerzeit in Leipzig mutig auf die Straße gegangen sind“, angekündigt wurde, gerät durch den engagierten Festredner Gregor Gysi allerdings zu einer Verhöhnung der Demonstranten.

Arbeitsgruppe zur Sicherung des Parteivermögens

Die Leipziger und alle anderen Demonstranten in der ganzen DDR sind gegen die Herrschaft der SED auf die Straße gegangen. Es war Gregor Gysi, der die Mauerschützenpartei vor dem verdienten Untergang rettete. Beim letzten SED-Parteitag, der am 8. Dezember 1989 stattfand, war die Mehrheit der Delegierten, gepeinigt von Scham und Reue, entschlossen, die Partei aufzulösen.

Der damalige Partei- und Regierungschef Hans Modrow, drohte mit seinem Versuch, die Auflösung zu verhindern, zu scheitern. Da trat der bis dato fast unbekannte Rechtsanwalt Gregor Gysi, laut Feststellung des Bundestags-Immunitätsausschusses von 1998 erwiesener Mitarbeiter der Staatssicherheit, ans Mikrofon. Er überzeugt die Genossen, ihre Entscheidung zu überdenken, denn dann wären auch das Vermögen und die Parteistrukturen verloren, was „unabsehbare Folgen“, besonders für den kommenden Wahlkampf hätte. 

Nach dieser Rede wird Gysi zum Parteivorsitzenden der SED gewählt. Eine seiner ersten Amtshandlungen ist die Gründung einer Arbeitsgruppe zur Sicherung des Parteivermögens. In der Legislaturperiode 1994-1998 recherchierte der Bundestags-Untersuchungsausschuss geschätzten 24 Mrd. DM verschwundenem DDR-Vermögen hinterher. Alle PDS-Funktionäre, die vom Ausschuss vernommen wurden, verweigerten die Aussage mit der identischen Erklärung, sie würden sich der Strafverfolgung aussetzen, wenn sie ihr Wissen preisgeben würden. Seitdem wird nicht mehr nachgefragt. 

Die SED noch dreimal umbenannt

Außerdem verpasste Gysi der Partei den Zusatznamen PDS, Partei des Demokratischen Sozialismus. Seitdem ist die SED noch dreimal umbenannt worden und immer noch unter uns. Gysi ist nicht mehr ihr Vorsitzender, aber im Programm hat sie noch den „Systemwechsel“, also die Abschaffung der Demokratie.

Für die Philharmonie Leipzig sei es „eine Ehre“, dass Gregor Gysi an diesem historischen Datum die Festrede hält, ließ die Philharmonie die Leipziger Volkszeitung wissen. Gysi gelte in Politik, Wissenschaft und Medien seit vielen Jahren als kompetenter Meinungsführer und sei ein gefragter Autor und Interviewpartner, lautete die Begründung. Zu seiner Rolle als letzter Parteichef der SED und Retter des von der SED zusammengerafften Vermögens, kein Wort. Natürlich auch nichts zu seiner fragwürdigen Rolle als Anwalt von Oppositionellen in der DDR. 

Die angebliche Ehrung der mutigen Demonstranten ist angesichts dieser Fakten eine Verhöhnung. Die Leipziger Philharmonie täte gut daran, auf diesen Skandal zu verzichten.

Foto: Armin Kübelbeck CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

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Anke Zimmermann / 26.06.2019

Freude schöner Götterfunken, die Europa-Hymne, nie als solche komponiert. Europa - das neue Babylon, hier werden Türme nicht erbaut, die woanders schon eingestürzt wurden. speachverwirrungen!! Endsozialisierung zur göttlichen (Der Gotteswahn, Horst Eberhard Richter, the one and only Friedensnobell-Preisträger) Individualisierung. Bei Gelegenheit eine kurze Fabian Society - Recherche, im Sinne der Aufklärung. Ja, wir zahlen GEZ, doch recherchieren, müssen wir selbst.

Walter Knoch / 25.06.2019

“Die einzige Konstante in diesem Lande sei der Faschismus von links und von rechts”, schreibt eine Frau Sybille. Man kann die hanebüchene Ignoranz nicht mehr (hören) lesen. In diesem Lande gab es nie einen Faschismus. Es gab 1000 kurze Jahre (viel zu lange Jahr’ warn’s gewesen) einen Nationalsozialismus - einen Nationalen Sozialismus. Von links gab es den Kommunismus - und gibt es den Kommunismus - , der Millionen von Menschen Gefängnis, Folter und Tod gebracht hat immer noch - in Deutschland und anderswo. Der Faschismus war eine Sache des Linkssozialisten Mussolini, eines Italieners in Italien. Kommunisten haben den Faschismus als politischen Kampfbegriff eingeführt - gegen die Sozialfaschisten alias die Sozialdemokraten. Dass ein in der Wolle gefärbter Kommunist wie Gysi zur Ikone werden konnte, ist ein Skandalon, dass an vorderster Front unsere Öffentlich Rechtlichen zu “verantworten” haben. Und es ist mitnichten eine Petitesse, dass ein solcher Mensch als Festredner gedungen wird, ihm Raum geboten wird, um noch einmal die Opfer seiner totalitären Ideologie zu verhöhnen, sie, bildlich gesprochen, ins Gesicht zu schlagen. —- Was soll man schon halten von einem Land, in dem auf Kirchentagen Kommunisten die Podien füllen, ohne dass sich ein Aufschrei erhebt? Ein guter Weg ist ein anderer. Die vielen Gysis, die der alten Ideologie die Stange halten, dürfen sich tatsächlich die Hände reiben. Sie sind in dieser Republik salonfähig geworden.

Gert Köppe / 25.06.2019

@Helge-Rainer Decke: Mein Glückwunsch, Herr Decke! Sie haben erneut Ihren begrenzten Horizont “erfolgreich” zur Schau gestellt. Jede X-beliebige Suchmaschine hätte Ihnen gezeigt das es die Leipziger Philharmoniker tatsächlich gibt. Dafür hätten Sie noch nicht mal Google gebraucht. Ist immer wieder erstaunlich, das Leute, die zwar keine Ahnung haben, aber meinen gleich auf mehreren Foren, wie Sie selbst schreiben, ihren “Senf” dazu geben zu müssen. Die Leipziger brauchen auch keinen “Festredner” aus der Partei gegen die sie damals demonstriert haben. Beim Gewandhausorchester unter Kurt Masur hätte es solch einen “Fehltritt” sicher nicht gegeben.

Regina Weber / 25.06.2019

Mein damals 23 jähriger Schwager war am 9.10.1989 gerade auf dem Dresdener Hauptbahnhof angekommen.Er hatte seine Oma besucht. Plötzlich wurde er hinterrücks von Polizisten überwältigt, auf einen LkW geworfen und in ein Lager gesperrt. Dort wurde er geschlagen. Nach vier Tagen durfte er nach Hause. Seine Familie hatte bis dahin kein Lebenszeichen von ihm. Er war als junger Mann eben zur falschen Zeit am falschen Ort. In dieser Zeit, als das DDR Volk gegen die SED Diktatur aufbegehrte und der Machtapparat jeden verdächtigte und um sich biss. Möchte Herr Gysi in seiner Leipziger Gedenkrede im Oktober über das verübte Unrecht seiner eigenen Partei berichten?

Uta-Marie Assmann / 25.06.2019

Si tacuisses, Helge-Rainer Decke - Sie wären zwar auch dann kein Philosoph geblieben. So aber haben Sie jeden eventuellen Zweifel an Ihrer Ignoranz zerstreut.

Frank Mertes / 25.06.2019

Womöglich heißt es dann in der offiziellen Geschichtsschreibung bald, das Ende der DDR wurde durch mutige Proteste von SED-Genossen unter der Leitung des Genossen Gysi eingeleitet. Sie vertrieben damit die faschistische AfD von der Macht und bereiteten der Genossin Merkel den Weg als Kanzlerin, Wunderbar!

Karla Kuhn / 25.06.2019

Paul G. Weber,  WARUM und FÜR WAS sollten die DDR Bürger DANKE sagen ?? Daß sie von vielen Seiten gleich nach der Wende reihenweise über den Tischgezogen wurden von etlichen windigen Geschäftemachern aber auch von etlichen Politikern, die wahrscheinlich meinten, die “Ossis, die seltsame Rasse”, war eingesperrt, die müssen doch bissel zurückgeblieben sein ??  Und dann gab es noch diejenigen im Westen, die in der DDR immer den großen Maxe gespielt haben aber zu Hause meistens nichts auf die Reihe gebracht haben. Und noch etwas.  Nach dem Krieg waren die Amis zuerst in Sachsen, weil aber die Russen, die eigentlich Bayern bekommen sollten es aber nicht wollten, weil sie selber genug Agrar Land hatten aber Sachsen zu dieser Zeit ein hoch industriell entwickelt Land war und die Russen durch den Krieg am meisten gelitten hatten,  haben nach der Aufteilung Sachsen und die anderen Osttdeutschen Länder erhalten. Ich weiß nicht woher Sie ihre “Weisheit” nehmen, daß wir “Ossis” nur reisen wollten, Die Menschen wollten ganz einfch nur FREIHEIT auf der ganzen Linie. Ich finde es schade, daß Sie leider NIE das “Glück” hatten “GAST” im “GELBEN ELEND” in Bautzen zu sein.  Herr Decke, der liebe Gott möge IhnenIhren Glauben erhalten. Es gab Häftlingsfreikäufe, die von den Anwälten Vogel und Stange eingefädelt wurden. Und dann gab es die “LINIENTREUEN”, von denen etliche als STASI Spitzel Denunzianten in den Westen geschleust wurden. Ob Gysi da involviert war, weiß ich nicht. Der Mann interessiert mich nicht.

Bernd Fischer / 25.06.2019

@Decke: Es ist schon immer so gewesen im täglichen Leben, das man sich erst einmal schlau machen sollte, bevor man unqualifiziert “rumprustet”...rumschnauft” und ein wenig “rumgepoltert"wird. Suchmaschinen sind ihnen wohl völlig unbekannt. Gehören sie noch der “alten verbiesterten westdeutschen linken Generation an “, die im Jahr 30 der Einheit immer noch unter dem Phantomschmerz leidet, das der angeblich bessere deutsche Staat verschwunden ist? Ich bin zu zufrieden das der Spitzelstaat verschwunden ist.  

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