Gastautor / 18.09.2019 / 16:00 / Foto: Ali Utlu / 30 / Seite ausdrucken

Rettung für atheistische Flüchtlinge

Von Ali Utlu.

Das Wasser dringt durch mehrere Löcher. Worood Zuhair sitzt dicht gedrängt auf einem Schlauchboot fernab der Küste auf dem Mittelmeer. Sie ist auf der Flucht. Schon zum zweiten Mal. Mit dabei ist ihre Schwester Zinah, die mit ihren vier kleinen Kindern geflohen ist. Worood selbst ist querschnittgelähmt. Sie versuchte, in ihrer Heimat ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Zudem kritisierte sie den Islam. Das konnte die Familie, die in Kerbela, der heiligen Stadt der Schiiten, lebt, nicht akzeptieren. Ihr eigener Bruder prügelte sie so heftig, dass ihre Wirbel zerstört wurden, und seitdem ist ihr Rückenmark schwer geschädigt.

Als das Boot die griechische Küste erreicht, fühlt sie sich wie in einer anderen Welt. Frauen laufen selbstbewusst und unverschleiert durch die Straßen. Endlich Sicherheit! Eigentlich war sie in die Türkei geflohen, um ihr Leben und das Leben ihrer kleinen Schwester zu retten. Zinah wurde mit 13 Jahren zwangsverheiratet und bekam mit 14 ihr erstes Kind. Beide sind Ex-Musliminnen. Doch ihr Bruder und zwei Cousins reisten ihnen nach einiger Zeit hinterher, um die „Ehre“ der Familie wieder herzustellen. Das heißt, sie wollen sie zurück nach Kerbela bringen und sie dort den Preis für ihren Ungehorsam zahlen lassen. Hierher, nach Griechenland, können ihr Bruder und die Cousins nicht hinterher reisen.

Bald nach ihrer Landung werden Worood, Zinah und die Kinder nach Portugal transportiert, wo sie das Asylverfahren durchlaufen sollen. Dort kommen sie in die Obhut einer katholischen Schwesternorganisation. Sowohl Worood als auch Zinah können kein Vertrauen zu den Frauen, die sie betreuen, aufbauen, da sie ein tiefes Misstrauen gegen religiöse Menschen haben. Alte Ängste und Panikattacken plagen die traumatisierten Schwestern, was zu Konflikten mit den Betreuerinnen führt. Schließlich wird Worood im Alter von 28 Jahren in einem Pflegeheim für alte Menschen untergebracht, da sie wegen ihrer gesundheitlichen Situation nicht in einer normalen Unterkunft betreut werden könne.

Unter einer Armee Zombies

Worood ist verzweifelt. Der einzige Grund, der sie daran hinderte, ihrem Leben ein Ende zu setzen, ist, dass sie ihrem Bruder, ihren männlichen Verwandten und auch der gesamten religiös verblendeten Gesellschaft diesen Triumph nicht gönnen will. Zinah sieht, wie ihre Kinder der katholischen Erziehung der Schwestern ausgesetzt sind. Sie muss ertragen, dass sie von einem religiösen System in das andere wechselt. Zinah ist Mitte zwanzig, Mutter von Kindern zwischen 13 und 2 Jahren, hilflos und überfordert.

Worood ist auf der verzweifelten Suche nach einem Strohhalm, einem Funken Hoffnung. So stößt sie eines Tages in den arabisch-atheistischen sozialen Netzwerken auf die Aktivistin Rana Ahmad aus Saudi-Arabien, die nun in Deutschland lebt. Rana versuchte seit geraumer Zeit mit Hilfe einiger Humanisten, atheistischen Geflüchteten zu helfen. Worood sieht ihre Chance und flieht aus Portugal. Zwei Tage reist sie im Zug bis nach Deutschland, wo sie von Rana am Bahnhof abgeholt wird. Rana und ihre Helfer schaffen es, dass Worood in Deutschland bleiben kann. Dies ist der Beginn einer Organisation, die seit drei Jahren existiert: der Säkularen Flüchtlingshilfe e.V. (Atheist Refugee Relief).

Bis heute hat der Verein etwa 80 Menschen direkt geholfen, und täglich werden E-Mails aus aller Welt bearbeitet, von Menschen, die isoliert und in großer Gefahr in ihren Heimatländern leben und verzweifelt nach einem Ausweg suchen. Worood Zuhair beschreibt die Abkehr vom Islam so, als ob man auf einmal aufwache und merkt, dass man unter einer Armee Zombies lebt. Danach ist das Leben nicht mehr dasselbe. Man ist fremd in der eigenen Heimat. Man kann niemandem mehr vertrauen, denn falls es auffällt, dass man kein Muslim mehr ist, kann das schwere Konsequenzen nach sich ziehen. So kann man in 13 muslimischen Ländern hingerichtet werden, wenn man seinen islamischen Glauben verlässt.

Zinah hat es nicht geschafft

Und selbst in Ländern, wo die Strafen nicht so drastisch sind, ist es speziell für Frauen sehr gefährlich, sich von der Religion loszusagen. Denn dies geht meist auch mit dem Verlangen nach einem selbstbestimmten Leben einher. Das endet allzu oft in einem sogenannten „Ehren“-Mord. Auch in Ländern wie Bangladesch, die eine laizistische Verfassung haben, ist es lebensgefährlich, den Islam zu kritisieren. So wurden dort viele säkulare Aktivisten auf offener Straße von Islamisten enthauptet. Man kann sich die psychischen Belastungen vorstellen, die diese Menschen aushalten müssen, wenn sie in einer solch feindlichen Umgebung Tag für Tag leben müssen. Daher ist es besonders wichtig, dass sie hier eine Gemeinschaft vorfinden, der sie vertrauen können und die so denken wie sie. Viele haben durch die Zeiten der Isolation Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen und dergleichen entwickelt. 

Die meisten von ihnen wollen hier ein Leben in Ruhe und Freiheit, ohne Angst und Lügen führen. Die Säkulare Flüchtlingshilfe kümmert sich darum, dass sie für ihre Familien möglichst unauffindbar bleiben, damit sie in Sicherheit sind. Doch einige entschließen sich, auch von Deutschland aus weiterhin für die Freiheit und den Humanismus zu kämpfen. So wie Worood, die sich für die Frauen in islamischen Gesellschaften engagiert und gegen die sogenannten „Ehren“-Morde in muslimischen Familien und deren Duldung durch den Staat und die Öffentlichkeit einsetzt.

Für Deutschland ist dieser Einsatz ein großer Gewinn. So hat die Säkulare Flüchtlingshilfe durch sie erfahren, dass schiitische Milizen aus dem Irak eine Rockergang mit dem Namen „Al Salam 313“ gegründet haben. Anschließend hatte die Hilfsorganisation die Presse informiert. Bei diesen Milizen handelt es sich um militärisch ausgebildete religiöse Truppen, die dem Prediger Al Sadr unterstehen. Im Juni konnte die Flüchtlingshilfe bei einer Einladung ins EU-Parlament auf diese Gefahr hinweisen.

Worood hat es trotz ihres politischen Engagements geschafft, eine Wohnung zu beziehen und befindet sich nun in der Berufsvorbereitung, damit die studierte Biologin bald wieder ihren Beruf ausüben kann. Zinah hatte leider keine Organisation, die ihre Bedürfnisse erkannte und sie unterstützte. Da sie ebenfalls einen Fluchtversuch nach Deutschland probierte, aber zurückgeschickt wurde, wurden ihr ihre Sozialleistungen in Portugal gestrichen. Da sie so nicht mehr für ihr Kinder sorgen konnte, wurden sie ihr weggenommen.

Ali Utlu, Ex-Muslim und Atheist, ist in Deutschland geboren und lebt in Köln. In seinem Blog alicologne.de und auf Twitter (@AliCologne) schreibt er vor allem über den Islam, Islamkritik und die Türkei.

Foto: Ali Utlu

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Morphou Katachiotou / 18.09.2019

statt denen zu helfen die tatsächlich auf der Flucht sind,und um Leib und Leben bangen müssen,helfen wir deren Peinigern…wie frustrierend muss das für die Opfer sein,im deutschen Flüchtlingsheim wieder von den gleichen(meist männlichen) Typen verfolgt und bedroht zu werden.Frauen und Kinder zuerst…Warum gilt das plötzlich nicht mehr???

Karla Kuhn / 18.09.2019

Das ist eine traurige Geschichte. WARUM hört man von der KGE nich! den enthusiastischen Ausruf, “Wir bekommmen Menschen geschenkt?”  Wahrscheilich lassen diese WIRKLICH traumatisierten Menschen sich nicht so erfolgreich medial vermarkten, wie Millionen Flüchtlinge, von denen ein Teil iIlegal nach Deutschland kommt und ein Teil hier in Deutschland vom Mord über Vergewaltigung zu Sozialbetrügereien zum Teil auch noch Verständnis ernten.  HIER könnte Merkel mal Empathie beweisen und diesen Menschen helfen aber wahrscheinlich muß sie doch die gesamte Welt retten, da bleibt keine Zeit für die paar Menschen, die wirklich Hilfe brauchen !! UND was ist mir den “AKTIVISTEN”, den LINKEN, GRÜNEN und der SPD,  die versuchen ABSCHIEBUNGEN zu verhindern ?? Naja, bei Abschiebungen wird anscheinend die Presse informiert, damit auch ja die “PÖSEN POLIZISTEN” hinterher öffentlich niedergemacht werden können. Es ist wirklich nur noch zum k…..!!

Andreas Rühl / 18.09.2019

Nun, ich will nicht unken: aber irgendwie beschleicht mich der Verdacht, dass das “tiefe Misstrauen gegen religiöse Menschen”, das Frau Wodroo empfunden hat, ein wenig konstruiert ist. Es macht doch einen Unterschied, ob man von gewaltätigen Männern aus “religiösen” Gründen zum Krüppel geprügelt wird oder sich Nonnen um einen kümmern. Wer hat je davon gehört, dass Nonnen Frauen krankenhausreif geprügelt haben? Frau Wodroo also war in Portugal in sicheren und guten Händen. Ihre “Flucht” nach Deutschland mithin eine illegale Einreise, eine Straftat. Humanitäre Gründe sehe ich nicht einmal in weitester Ferne, das hieße nämlich, Portugal - ein EU Mitglied - zu unterstellen, es gehe inhuman mit Asylbewerbern um. Ich sehe auch keine Asylgründe, denn Frau Wodroo wurde nicht politisch verfolgt. So sehr ich das Anliegen unterstütze, religionsfernen Menschen, oder sagen wir eher: Menschen, die im Sinne dieser sogenannten Religion von Ihren Männern und Söhnen und sonstiger Anverwandtschaft geprügelt und mit dem Tode bedroht werden, für eine Weile Schutz und Heimstatt zu bieten, so stark bezweifle ich, dass es sich dabei um Atheisten handelt. Zu Atheisten wurden diese Menschen, weil nur so es möglich ist, überhaupt einen Asylantrag zu stellen, wenn man aus einem Land kommt, in dem der Staat Atheisten verfolgt. Aber hier geht es doch gar nicht um staatliche Verfolgung, sondern das ganz normale Schicksal, in einem falschen Land und in eine falsche Gesellschaft geboren und mit der falschen Verwandtschaft gesegnet zu sein. Das trifft auf 90% aller Frauen in muslimischen Ländern zu und auf viele Frauen auch bei uns. Das bedeutet im Ergebnis, dass Millionen muslimischer Frauen, indem sie sich zu Atheisten erklären, auf Asyl hoffen können. Für diese Millionen ist aber kein Platz, weil sich das weder sozialrechtlich, noch finanziell darstellen, noch der Bevölkerung vermitteln lässt. Kurzum: Im Einzelfall ist humanitäres Handeln angesagt, organisiert führt es in die Katastrophe.

Dr. Gerhard Giesemann / 18.09.2019

Man KANN nicht auf musl. Atheisten eingehen, weil mit den paar Hanseln keine größeren Geschäfte winken. Deshalb müssen wir auch die Verfolger, also die Sunniten massenhaft hier als “Flüchtenden” aufnehmen, und keine genau von denen Verfolgte, also Christen, Jesiden, Juden - public relations eben. Und nun kommen auch noch die Atheisten daher, na so was. Versaut die ganze Performance, porca miseria.

Rico Martin / 18.09.2019

Geschweige denn auf die massenhafte Verfolgun und Tötung von Christen! Vor allem in muslimischen Ländern.

Thomas Schade / 18.09.2019

“Zinah sieht, wie ihre Kinder der katholischen Erziehung der Schwestern ausgesetzt sind. Sie muss ertragen, dass sie von einem religiösen System in das andere wechselt.” Was haben diese katholischen Schwestern konkret getan? Was musste beim Wechsel von einem ins andere religiöse System ertragen werden?

Rolf Mainz / 18.09.2019

“Für Deutschland ist dieser Einsatz ein großer Gewinn.” Das ist doch eine recht limitierte Betrachtungsweise. Letztlich ist jede Beschäftigung mit derart archaischen Strukturen vertane Zeit - Zeit, die im Hinblick auf eine zukunftsgerichtete Perspektive des Landes fehlen wird.

Ilona G. Grimm / 18.09.2019

Um aus Islamistan geflüchetete Christen kümmert sich erst recht keiner - außer Muslimen, die Christsein nicht gut finden.

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