Manfred Haferburg / 14.07.2022 / 12:00 / Foto: Mateussf / 105 / Seite ausdrucken

Die Verächtlichmachung

Die strafbare „Öffentliche Herabwürdigung“ aus DDR-Zeiten feiert als „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ fröhliche Auferstehung. Dabei fallen mir ein paar eklatante Beispiel-Phänomenbereiche ein, in denen die Protagonisten den Rechtsstaat massiv diskreditieren.

Es gibt sie wieder, die „Verächtlichmachung“ aus DDR-Diktaturzeiten. Sie heißt jetzt „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ und wurde von der Innenministerin Faeser und dem Chef des Verfassungsschutzes Haldenwang offiziell als „neuer Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Innerhalb dieses Bereichs wurde ein bundesweites Sammelbeobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" erstellt.

Was in der DDR als „Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung“ (§220) und Staatsfeindliche Hetze (§106) unter Strafe stand, feiert als verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates fröhliche Auferstehung. Der Verfassungsschutzchef Haldenwang definiert dieses Gummidelikt so:

Er (der „Phänomenbereich“) ist eine notwendige Reaktion auf neue Kräfte, die Verfassungsgrundsätze außer Geltung setzen wollen, unseren Rechtsstaat durch Schmähungen massiv diskreditieren und danach trachten, seine Funktionsfähigkeit zu unterminieren… Denn die staatsfeindliche Haltung vieler Protagonisten ist der eigentliche Kern ihrer Motivation…“. 

Es lohnt, diese Rede zu lesen. Erst habe ich gedacht, sie stammt aus dem Archiv einer anderen Zeit, von der ich hoffte, dass sie vorbei ist. Irgendwas muss ich verpasst haben: Der Verfassungsschutz soll offenbar nicht mehr die Verfassung schützen, sondern den Staat. Müsste er dann nicht eher Staatsschutz heißen?

Mir fallen da, ohne groß nachdenken zu müssen, ein paar eklatante Beispiel-Phänomenbereiche ein, in denen die Protagonisten den Rechtsstaat massiv diskreditieren und seine Funktionsfähigkeit unterminieren:

Eine Verteidigungsministerin, die im Bundestag über die großen Rohre von Waffen faselt und mit Sohn in einem der letzten flugfähigen Hubschrauber ins Wochenende zur Insel der Reichen und Schönen flattert.

Ein Finanzminister, der nicht die Sensibilität besitzt, zu bemerken, dass es nicht in eine multiple Krise passt – nämlich eine Energie/Inflation/Kriegskrise, in der viele Bürger nicht wissen, wie sie ihre Gasrechnung oder Lebensmittel bezahlen sollen –, es auf der Insel der Reichen und Schönen hochzeitsmäßig mit 140 Gästen tagelang so richtig krachen zu lassen, um dann im Porsche mit seiner Schönen davonzudüsen. Bei dieser Hochzeit wächst im Übrigen zusammen, was in diesem Land schon lange zusammengehört: Der Minister heiratet die Journalistin. Ich wünsche dem Brautpaar trotzdem viel Glück, sie werden es womöglich im Winter brauchen.

300 Euro mehr für die MdBs, 3 Euro mehr für Hartzer

Ein Oppositionsführer, der im Privatflugzeug zu der Prominentenhochzeit auf die Insel der Reichen und Schönen jettet und der vergessen hat, dass die von ihm kritisierte Energie-Misere, in der sich das Land befindet, durch seine Partei wesentlich mitverursacht wurde. Er hat vollkommen vergessen, dass es seine Parteivorsitzende war, die trickreich dafür sorgte, dass über 50 gut funktionierende Kraftwerke verschrottet wurden, um den Grünen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er hat vergessen, dass es für diese Person 11 Minuten Standing Ovations auf seinem Parteitag gab und niemand wagte, aufzumucken. Er möchte jetzt lieber nach vorne schauen, sagt er, und stimmt mit seiner Fraktion für den Weiterbetrieb der letzten drei Kernkraftwerke, die Merkel von den 17 übriggelassen hat.

Ein Wirtschaftsminister, der den Bürgern empfiehlt, nur kurz zu duschen und die Heizung runterzudrehen, um dann mit seinem Ministergehalt von ungefähr 25.000 Euro im Monat zu prahlen: 

„Ich verdiene im Moment auch super viel Geld. Ob das gerechtfertigt ist oder nicht, will ich dahinstehen lassen, doch kann ich es jedenfalls im Moment nicht ausgeben, weil ich den ganzen Tag rumgefahren werde.” 

Ein Bundestag, der mitten in der Energiekrise, deren Auswirkungen für die Bürger katastrophal sein können, mit überwältigender Mehrheit das Festhalten an der Stilllegung der letzten Kernkraftwerke beschließt, um dann zwei Monate in die Sommerferien zu verschwinden. Ein Bundestag, der sich die Diäten von monatlich über 10.000 Euro plus diverse Vergünstigungen und Zusatzeinkommen um 300 Euro erhöht, während er für das gleiche Jahr folgende Hartz-4-Erhöhung beschließt: „Für Alleinstehende liegt der Hartz-IV-Regelsatz ab dem 1. Januar 2022 bei 449 Euro statt vorher 446 Euro“. 

Ein Berliner Senat, der das Autofahren in der Stadt verunmöglichen will und seinen Senatoren  gleichzeitig  jetzt auch die Nutzung des dicken Dienstwagens für den Auslandsurlaub gestattet.

Herr Haldenwang hätte mit den offiziellen Stellen gut zu tun

Ein Altbundespräsident, der sich gern als „Bürgerpräsident, der von unten kam“ bezeichnete, und nun im Fernsehinterview vergisst, dass er einen „Ehrensold“ von mehr als 200.000 Euro plus 385.000 Euro für Personal und Bürokosten bezieht und dem nichts Besseres einfällt, als den Bürgern vorzuschlagenWir können auch einmal frieren für die Freiheit und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger an Lebensglück und Lebensfreude haben.“ Wer ist „wir“, bitte sehr?

Eine FDP-Fraktion, die am 7. Juli 2022, mitten in einer veritablen Energiekrise im Bundestag, nahezu geschlossen gegen eine Laufzeitverlängerung der letzten drei Kernkraftwerke stimmt (0 ja, 74 nein, 5 Enthaltung, 13 nicht abgegeben) um öffentlichkeitswirksam vier Tage später als Fraktion eine Verlängerung der Laufzeiten für die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland vorzuschlagen. „Die Politik muss angesichts des zu befürchtenden Gasmangels alles dafür tun, gut durch den Winter zu kommen", sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Lukas Köhler der „Welt".

Diese Reihe könnte beliebig fortgesetzt werden. Für Herrn Haldenwang gibt es viel zu tun, um den Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates umfassend aufzuklären und zu verhindern. Ich fürchte nur, die genannten Delikte waren nicht gemeint, als der neue Phänomenbereich aus der Taufe gehoben wurde, sondern eher Regierungskritiker, sogenannte Querdenker, Energiewendekritiker und Gendermuffel. Auch einschlägig Vorbestrafte wie mich.

Zur Verächtlichmachung zählte schon ein politischer Witz

Ich gebe es offen zu: Ich habe unter anderem schon wegen Verächtlichmachung „gesessen“. Meine Verbrechen waren Republikflucht in schwerem Fall (nicht unter drei Jahren) und Verächtlichmachung von staatlichen Einrichtungen oder Funktionären (bis zu zwei Jahren). Bei der Republikflucht war es ein schwerer Fall, weil ich das Verbrechen zusammen mit meiner Partnerin – sozusagen als Gruppe – begangen habe. Es war wohl die Retourkutsche der Stasi, die sich darüber geärgert hat, dass sie nur mich erwischt haben und sie es über die Grenze geschafft hat.

Bei der Verächtlichmachung war es so, dass ich im Stasi-Verhör in Hohenschönhausen irgendwann kein Blatt vor den Mund genommen habe. Die Untersuchungshaft im Haftkrankenhaus Hohenschönhausen dauerte mehrere Monate, da sagt man im täglichen Verhör so einiges. Und ein paar deftige politische Witze hatte ich auch erzählt. 

Ein wohlmeinender Leser hat mir mitgeteilt, dass ich auf einer Liste der Antifa stehe, auf der die 250 größten Menschenfeinde stehen, die zur Rettung von Vielen „aus der Gesellschaft entnommen werden sollen“. Der Begriff „Aus der Herde/Stall entnommen werden“ stammt aus der Veterinärmedizin und bezieht sich auf das Aussortieren und Töten von Tieren. Ich soll da in sehr guter Gesellschaft sein – Politiker, Prominente, Journalisten, Ärzte – zwei Tatort-Stars, Profisportler, ein Regisseur und sogar ein Comedian.  Ich habe diese Liste nie gesehen. 

Den menschenfreundlichen Listen-Verfassern möchte ich nur eines mitteilen: Ich habe mir nicht in der DDR, nicht mal im Gefängnis, das Maul verbieten lassen. Deshalb gedenke ich jetzt schon gar nicht, dies zu tun.

Die ganze Geschichte meiner Verächtlichmachung findet der Leser in meinem autobiografischen Roman „Wohn-Haft“ (209 Bewertungen 4,8 von 5)

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Leserpost

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A.Schröder / 14.07.2022

Im einem sind sich damaliger und heutiger Staat ähnlich, gleiche Handlungen zu gleichen Ereignissen. Der Untergang steht bevor. Das ich das noch erleben darf, zweimal den Staat gegen die Wand. Herr Haferburg, lassen wir dem Ochs und Esel seinen Lauf.

Fred Berger / 14.07.2022

Standhaft bleiben und Rückgrat beweisen, brauche ich Ihnen nicht zuzurufen, lieber Herr Haferburg. Habe Ihr Buch gelesen und empfehle es wärmstens meinem Umfeld. Hut ab vor Ihrer Lebensleistung und Offenheit.

Théodore Joyeux / 14.07.2022

Das “Verächtlichmachen” geschieht ja auch zunächst in Artikeln der dafür abgerichteten und bezahlten Hass- und Hetzreden-Schreiberinnen wie die aus der WELT. Sie hat folgende hate-speech Artikel verfasst:” Wie Neonazis und Verschwörungsideologen Energiekrise und Inflation für sich nutzen” Dann folgt eine “Story” aus dem Osten: “Versuch einer neuen Massenmobilisierung: Mit Warnungen vor einem „Energie-Lockdown“ heizen Rechtsextreme und Vordenker aus dem „Querdenker“-Milieu Abstiegsängste an – und instrumentalisieren Frust über steigende Preise. Dabei nutzen sie Nutzwerke aus der Zeit der Corona-Proteste. Vom „sozialen Sprengstoff“ als Folge der Energiekrise ist dieser Tage oft die Rede. Welche Sprengkraft er haben kann, hat der Geschäftsführer einer Wohnungsgenossenschaft in Sachsen erlebt. Nachdem Falk Kühn-Meisegeier Ende Juni in einem Schreiben an Mieter angekündigt hatte, die Warmwasserzufuhr in ihren Wohnungen auf feste Zeiträume zu limitieren, mobilisierte die rechtsextreme Partei Freie Sachsen auf ihrem Telegram-Kanal gegen das Vorhaben.„Warmwasser abgestellt: Schande von Dippoldiswalde ist neue Eskalationsstufe im Kampf gegen die eigenen Bürger!“ empörte man sich und wähnte einen „Vorgeschmack auf den kommenden Energielockdown“. Doch es blieb nicht bei Schuldzuweisungen im Internet.”[es folgt der übrige Text hinter der Bezahlsperre]. Also wenn jetzt die friedlichen Demonstranten, die sich gegen die Massentötungen und schwerste Verletzungen wenden, die in Deutschland unter dem Euphemismus “Impfnebenwirkungen” vertuscht werden, dann handelt es sich da nach der WELT um “Nazis” und “Rechtsextreme” . Darüber hinaus rechfertigt diese Hass- und Hetzreden-Schreiberei mit der Formulierung: “und instrumentalisieren Frust über steigende Preise” ein die arbeitenden Steuerzahler erniedrigende, menschenverachtende und äußerst brutalisierte Energie-Entzugspolitik der bekennenden Sekte der Kernenergiegegner.

Thorsten Gutmann / 14.07.2022

Lieber Herr Haferburg, ich kann mich noch gut an die Zeiten erinnern, als der Abfall abgeholt, d.h. der Mist, der Unrat, der Schrott noch ... entsorgt wurde. Heute müssen wir eigentlich schon dankbar sein, wenn die Müllmänner erst gar nicht vorfahren würden. Aber so ist das nun mal, es muß sich alles ändern, damit es so bleibt, wie es nie gewesen ist.

Birgit Hofmann / 14.07.2022

Tja, dekadente Fürstenhochzeit, Versailler Hofstaat, äh, Bundestag soll es natürlich heissen, Ich dachte immer, schlimmer als unter Merkel kann es nicht werden, aber schlimmer geht immer. ‘Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen ‘, zumindest sinnbildlich.

Steffen Lindner / 14.07.2022

Man kann den Beispielen noch weitere hinzufügen . Zum einen die rückgängig gemachte korrekte Wahl eines Ministerpräsidenten in Thüringen, ; noch mehr aber die Komödie, die Politik und Medien bei der Wahl zum EU-Parlament aufgeführt hatten. Da wurden den Wählern vorab zwei „ Spitzenkandidaten „ ( Timmermans aus den NL und Manfred Weber , CSU) präsentiert; sogar ein sogenanntes Fernsehduell wurde inszeniert-nur um dann hinterher den Wählern sinngemäß „ April! April!“ zuzurufen, nachdem Macron und Merkel im üblichen Gemauschel Ursula v.d. Leyen als Kommissionspräsidentin und Frau Lagarde im Tausch als Chefin der EZB installierten. U.v.d.L. stand nicht mal auf den Wahlzetteln! Schlimmer kann man doch das gesamte demokratische System nicht delegitimieren, indem man den Bürgern sprichwörtlich den „ Stinkefinger“  zeigt. Aber dann bei den folgenden Wahlen die sinkende Beteiligung als „ Gefahr für die Demokratie „ bejammern…

T. Schneegaß / 14.07.2022

Meine Hochachtung für Ihre Biographie, Herr Haferburg. Die Ehre, auf der Liste der roten Faschisten zu stehen, haben Sie sich redlich verdient, dort lernt man die Besten kennen, die dieses System noch hat. Weil es gerade so gut passt: ein eklatantes Beispiel-Phänomenbereich ist ganz sicherlich auch die “Delegitimierung” der deutschen Russland/Ukraine-Politik. Nach der Sommerpause kommt dann das zweite Haupt-Phänomenbereich wieder dazu. Dann sind auch alle IM der Stasi aus dem Urlaub zurück und wieder einsatzfähig.

Wilfried Cremer / 14.07.2022

Lieber Herr Haferburg, wer sich selbst verächtlich macht, indem er CO2 und Viren einspannt, um getarnt als Menschenfreund sein Faschoschwein heraushängen zu lassen, braucht natürlich auch die Instrumente eines Unrechtstaates.

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