Ein staatlich finanziertes Institut schickt deutschen Verwaltungsgerichten unaufgefordert eine de facto Formulierungshilfe für eventuelle Urteile gegen Beamte, die wegen AfD-Mitgliedschaft aus dem Staatsdienst entfernt werden sollen.
Vor einigen Tagen bekamen deutsche Verwaltungsgerichte eine ganz besondere Postsendung. Im Anschreiben des Deutschen Instituts für Menschenrechte an die Verwaltungsrichter hieß es: „wir freuen uns, Ihnen anliegend unsere Publikation ‚Rassistische und rechts-extreme Positionierungen im Dienste des Staates? Warum ein Eintreten für die AfD mit der verfassungsrechtlichen Treuepflicht nicht vereinbar ist‘ zu überreichen.“
Hinter der Publikation verbirgt sich eine auch online abrufbare 58-seitige Broschüre, vom Institut als "Analyse" deklariert. Verfasser ist Dr. jur. Hendrik Cremer, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte vorgestellt wird. Hätte das Werk einen etwas unparteilicheren Titel, würde sich wahrscheinlich niemand daran stören, schließlich handelt es sich bei dem Absender ja auf den ersten Blick um eine seriöse Institution. So wie es sich selbst vorstellt, wird kein Zweifel daran geweckt:
"Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands. Es ist gemäß den Pariser Prinzipien der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status).
Zu den Aufgaben des Instituts gehören Politikberatung, Menschenrechtsbildung, Information und Dokumentation, anwendungsorientierte Forschung zu menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen. Es wird vom Deutschen Bundestag finanziert."
Hehre Aufgaben. Nur zu welchem der aufgezählten Aufgabenbereiche gehört es, wenn dieses vom deutschen Steuerzahler finanzierte Institut unaufgefordert an deutsche Verwaltungsrichter Handreichungen dazu verschickt, wie man das Engagement eines Beamten für die AfD zu einem Grund erklären kann, seine Laufbahn zu beenden und ihn zu entlassen? Ist das die „anwendungsorientierte Forschung", die das Institut betreibt? Offenbar hatten die adressierten Gerichte ja keine entsprechenden Gutachten bei Dr. Cremer angefordert.
Erinnerung an den Radikalenerlass
Aber statt zu viel in den Titel der Broschüre hineinzuinterpretieren, lohnt es sich, einen Blick in Dr. Cremers Werk zu werfen. Wenn es darum geht, Beamten wegen der Mitgliedschaft in einer vielleicht radikalen, aber legalen Partei den Beamtenstatus zu entziehen, dann erinnern sich Ältere vielleicht noch an den seinerzeit hochumstrittenen Radikalenerlass aus dem Jahre 1972. Ebenfalls begründet mit dem Ansinnen, Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen, wurden in den folgenden Jahren 3,5 Millionen Beamte, Anwärter und Bewerber überprüft und beispielsweise 1.250 überwiegend als linksextrem bewertete Lehrer und Hochschullehrer nicht eingestellt, sowie rund 260 Personen entlassen, heißt es dazu bei Wikipedia.
Es gab etliche Klagen gegen den Erlass, bis der Fall endgültig vom Europäischen Gerichtshof entschieden wurde. Daran erinnert natürlich auch Dr. Cremer:
"Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat 1995 in diesem Zusammenhang in einem Fall eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Deutschland festgestellt. Der EGMR hatte mit einer Mehrheit von zehn zu neun Stimmen entschieden, dass die Entfernung einer Beamtin aus dem Dienst – einer Lehrerin auf Lebenszeit, die der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) angehörte – gegen das Recht auf Meinungsfreiheit und das Recht auf Vereinigungsfreiheit verstoße.
Dabei betont die Entscheidung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, dass der Beamtin weder im schulischen noch im außerschulischen Bereich verfassungsfeindliche Äußerungen oder verfassungsfeindliche Handlungen vorgeworfen werden konnten, und berücksichtigt unter anderem auch, dass die DKP nicht verboten war."
Soweit, so klar. Doch die Adressaten von Dr. Cremers Werk sollen nun nicht auf die Idee kommen, dass das, was einst für Linke galt, heute auch für Rechte gelten müsse.
"Für die in dieser Analyse zu beleuchtende Frage, ob Beamt*innen, die für eine nicht verbotene Partei eintreten, die sich durch rassistische und rechtsextreme Positionen auszeichnet, aus dem Staatsdienst zu entlassen sind, lassen sich aus der Entscheidung jedoch keine grundsätzlichen Schlüsse ziehen.
Der Gerichtshof stellt in seiner Entscheidung nicht in Frage, dass die Vertragsstaaten befugt sind, Beamt*innen eine Pflicht zur politischen Zurückhaltung aufzuerlegen und außerdem befugt sind, von ihren Beamt*innen die Treue zu den grundlegenden Verfassungsgrundsätzen zu verlangen. Aus der Entscheidung kann auch nicht geschlussfolgert werden, dass der Gerichtshof es für grundsätzlich unzulässig erachtet, aus der Mitgliedschaft in einer Partei die Verletzung der beamtenrechtlichen Verpflichtung zum Eintreten für die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuleiten, die mit der Entlassung aus dem Staatsdienst sanktioniert werden kann. Der Entscheidung lässt sich vielmehr entnehmen, dass Deutschland in dem Verfahren aus Sicht des EGMR nicht ausreichend darlegen konnte, warum die Klägerin durch ihre Mitgliedschaft und Tätigkeiten für die DKP gegen grundlegende Verfassungsgrundsätze verstoßen habe."
Selektiver Einsatz von Verfassungsschutz-Erkenntnissen?
Erwartungsgemäß beschreibt Cremer ausführlich, dass die AfD natürlich viel schlimmer ist: rechtsextrem, rassistisch, völkisch etc.
Nun muss man die AfD nicht mögen, und in dieser Partei, wie in manch anderen auch, gibt es Menschen, die man sich nicht als Staatsdiener wünscht. Doch wenn hier Richtern eine Rechts-Argumentation anempfohlen wird, mit der sich Beamte wegen Verbindungen zur AfD aus dem Amt entfernen ließen, geht es anscheinend nicht so sehr um den Schutz des Staatsdienstes vor Verfassungsfeinden, sondern um die Vorbereitung einer Neuauflage eines anders einäugigen Radikalenerlasses.
So sei "nicht etwa entscheidend darauf abzustellen ist, ob die verbeamtete Person für eine Partei eintritt, die vom Verfassungsschutz im Sinne der Verfassungsschutzgesetze als „extremistische Bestrebung“ und damit als verfassungsfeindliches Beobachtungsobjekt identifiziert wurde. Der Begriff der „extremistischen Bestrebung“ im Sinne der Verfassungsschutzgesetze ist kein Begriff des Disziplinarrechts. Das Disziplinarrecht sieht keine Verknüpfung mit den Verfassungsschutzgesetzen in Bund und Ländern und mit den Feststellungen des Verfassungsschutzes vor. Erkenntnisse des Verfassungsschutzes können zur Begründung eines Dienstvergehens herangezogen werden, rechtlich entscheidend sind sie aber nicht."
Das mag formal nicht falsch sein, ist doch aber auch so zu verstehen, dass Erkenntnisse des Verfassungsschutzes belastend eingesetzt werden, aber ignoriert werden können, wenn sie entlastend sein sollten.
Anstelle der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sollten die Richter wohl lieber auf die seitenlangen Herleitungen von Dr. Cremer vertrauen (vielleicht auch verweisen), nach denen die AfD eine rassistische und rechtsextreme Partei ist. Als Postitionspapier eines engagierten Juristen wäre das ja vollkommen in Ordnung. Doch wenn ein bundesfinanziertes Institut mit seiner Reputation solches an Gerichte verschickt, dann soll damit die Urteilsfindung beeinflusst werden. Einige Absätze lesen sich sogar so, als wären sie ein Angebot, sie gegebenenfalls schnell in eine entsprechende Urteilsbegründung zu kopieren. Letzteres kann natürlich auch ganz unbeabsichtigt daran liegen, dass der Verfasser der Broschüre nun einmal Jurist ist.
Neue Einäugigkeit?
Allerdings spricht er Richter und Behördenleiter auch direkt an, um ihnen eventuelle Skrupel oder Argumente gegen eine Entlassung von AfD-affinen Beamten auszureden:
"Es mag möglicherweise bei den zuständigen Behördenleitungen oder Gerichten Auffassungen geben, die sich von der Überlegung leiten lassen, dass sich die AfD als Opfer inszenieren könnte, wenn Personen, die für sie eintreten, deswegen aus dem Staatsdienst entlassen würden. Solchen Überlegungen wäre nicht nur entgegenzuhalten, dass Parteien wie die AfD immer Gründe finden werden, sich als Opfer zu inszenieren. Dies ist Bestandteil ihrer Strategie und ihres Selbstverständnisses. Es sollte aber vor allem klar sein, dass solche Überlegungen zur Opfererzählung der AfD im Rahmen der Anwendung des Disziplinarrechts keinen Raum haben.
Unabhängig davon, wieviel Zuspruch und Wirkungsmacht die AfD hat, ist es wichtig, dass die jeweiligen Dienstvorgesetzten und zuständigen staatlichen Stellen aktiv werden und disziplinarrechtliche Maßnahmen einleiten, sofern sie von Beamt*innen erfahren, die für die AfD eintreten."
Nun muss sich die AfD an dieser Stelle nicht als Opfer inszenieren, denn wenn Beamte bei einem Engagement für die Partei ernste Probleme mit dem Dienstherrn bekommen können, dürfte das die Mitgliedschaft ausdünnen, denn gerade in Polizei und Bundeswehr, aber auch in der Justiz und einst unter Hochschulprofessoren hat die AfD ja so manches Mitglied gewinnen können. Deren kollektiver Abgang würde die Partei nicht nur personell schwächen, sondern auch inhaltlich verschieben. Die meisten beamteten AfD-Mitglieder dürften eher nicht zu den Radikalen in der Partei gehören. Schaffen es die interessierten Innenpolitiker, AfD-Mitglieder aus dem Beamtenstand zu entfernen, sorgen sie automatisch für ein größeres Gewicht der Radikalen in der Partei. Sie könnten dann deren Radikalisierung beklagen und mit selbiger ihr Vorgehen gegen die AfD legitimieren.
Doch zurück zur Broschüre aus dem Institut. Natürlich – Herr Dr. Cremer ist schließlich Jurist – fehlt es auch dort nicht an dem Hinweis, dass selbstverständlich immer im Einzelfall entschieden wird und der der AfD-Nähe beschuldigte Beamte auch angehört werden müsse. Im unwahrscheinlichen Fall, man hätte es mit einem AfD-Mitglied zu tun, das sich nachweislich aktiv für die Änderung des Parteiprogramms einsetze, könne das Dienstverhältnis ja auch erhalten bleiben, schreibt er.
Bei all solch relativierenden Zeilen, es bleibt der Eindruck, hier soll bei Gericht für Urteile in eine bestimmte Richtung geworben werden. Dabei ist derzeit von einer Verfahrenswelle gegen Beamte wegen AfD-Nähe noch gar nichts bekannt. Ist das also – wie schon erwähnt – die Vorbereitung auf eine Art neuen Radikalenerlass mit anderer Einäugigkeit? Zu den letzten Reden der Bundesinnenministerin würde das passen.
Und wie sollen nun die angeschriebenen Gerichte auf die ungebetene Urteilsfindungs-Hilfe vom staatlich finanzierten Institut reagieren? Im Anschreiben der Sendung an die Gerichte schreibt Dr. Cremer: „Wir hoffen, dass die Publikation dazu beitragen kann, Sie in Ihrer Arbeit zu unterstützen". Es hat schon mehr als ein Geschmäckle, wenn Verwaltungsgerichte, die über staatliche Entscheidungen zu urteilen haben, von einem staatlich finanzierten Institut unaufgefordert Empfehlungen für künftige Urteile zugeschickt bekommen. Das ist – egal worum es geht und zurückhaltendst formuliert – eines Rechtsstaats unwürdig.