Michael Miersch / 01.12.2006 / 13:33 / 0 / Seite ausdrucken

Die unpolitischen Parteien

Kolumne von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT am 01.12.2006

Die vorderen Teile der Wochenmagazine lesen wir immer seltener. Auch die ersten beiden Seiten der großen Tageszeitungen überspringen wir häufig. Wenn wir ir-gendwo auf ein Politiker-Interview stoßen, blättern wir um - mit dem Gefühl nichts Wichtiges zu versäumen. Sonntags meiden wir Nachrichtensendungen, weil sie größtenteils aus Sprechblasen bestehen, die Politiker von sich gegeben haben, um in am nachrichtenarmen Wochenende ins Radio oder ins Fernsehen zu kommen. Größere Bildungslücken sind dadurch bisher nicht entstanden. Immer weniger Men-schen in unserem Freundeskreis fühlen sich einer Partei zugehörig. Die meisten wählen mal diese und mal jene, und begründen es mit dem jeweils „kleineren Übel“.

Unser Mikrokosmos entspricht also dem großen Trend.  Die Erosion der Volkspartei-en ist im vollen Gange. Jahr für Jahr treten Zehtausende aus. Das Durchschnittsalter der verbleibenden Mitglieder steigt rapide. In der CDU liegt es mittlerweile bei 55,3 Jahren. Da könnten wir beide noch als knackige Nachwuchspolitiker durchgehen. Dennoch bleiben wir lieber Senior-Kolumnisten, denn unsere Erfahrungen mit der Parteien-Kultur sind nicht gerade inspirierend.

Der Journalistenberuf bringt es mit sich,  dass wir zwangsläufig von Zeit zu Zeit auf Parteitage oder ähnliche Veranstaltungen geraten. Dort merkt der Außenstehende schnell: Er betritt ein sehr spezielles Biotop, das besondere Lebensformen hervor-bringt. Als erstes fällt auf, dass die meisten Anwesenden sehr ähnlich wirken – so wie bei keiner anderen Art von Versammlung. Egal ob Aktionäre, Zahnärzte oder Angler:  Jede andere Gruppe wirkt in der Masse bunter und vielfältiger. Offenbar sind in Parteien Kräfte am Werk, die einen bestimmten Typus hervorbringen. Leute, die einen unwillkürlich an jene Mitschüler erinnern, die sich freiwillig zum Tafeldienst meldeten.

Dieses Klonhafte wurde in den letzten Jahren immer augenfälliger. Schon in den Jungendorganisationen begegnen einem die typischen Parteiwesen in so großer Zahl, dass man manchmal glaubt, es gäbe einen geheimen Ort, wo man sie züchtet. Wahrscheinlich ist es aber wie mit den Zeitschriften am Kiosk. Die sehen auch immer ähnlicher aus, seit die nicht mehr aus einer Idee geboren werden, sondern von Mar-ketingexperten als Werbeumfeld konzipiert. Genauso ist es wohl bei der Herstellung dieses besonderen Menschentypus. Wenn man Überzeugungen entfernt und die Leerstelle mit Umfrageergebnissen füllt, kommen eben Sigmar Gabriel oder Jürgen Rüttgers dabei heraus. Wenn trotzdem mal einer durchflutscht, der nicht umfrage-süchtig und medienhörig ist, wird er glatt geschliffen. Fraktionspeitsche und Karriere-Zuckerbrot machen aus fast jedem Individuum auf Dauer einen Replikanten.

Es gab mal eine Zeit, da gaben Parteien Orientierung bei Suche nach einer besse-ren Zukunft. Das haben sie lange aufgegeben. Ihre Betriebsamkeit erschöpft sich darin, gesellschaftliche Trends zunächst zu ignorieren, dann hilflos zuzusehen und schließlich mit viel Getöse anzuerkennen, das es nun ist wie es ist. Nichts was die Welt in jüngerer Vergangenheit bewegte, hatte irgendetwas mit Parteiprogrammen zu tun. Meistens waren es technische Neuerungen, die das Leben veränderten. Aber auch soziale Umwälzungen fanden ohne Parteien statt. Die deutsche Revolution von 1989 war ein völlig ungeplanter Bürgeraufstand. Als die Sache erledigt war, gingen die Bürger wieder nach hause und ließen keine Organisation zurück.

Die Volksparteien werden ihr weiteres Schrumpfen nicht durch PR-Kampagnen ver-hindert können. Sie irren fundamental: Nicht die Menschen, die ihnen weglaufen, werden unpolitisch. Sie selbst sind es geworden. Sie haben jeden Anspruch auf Ges-taltung aufgegeben. Mut- und ideenlos kann jedoch jeder für sich allein sein, dazu braucht niemand eine Partei.

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