Man könnte ein Riesenfass damit aufmachen: die FAZ im Dezember 2019: „Aus der Sicht von Werner Schipmann, Bundesfachreferent des Bundesverbands privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe, behindern die ‚nach wie vor verbreitet vorhandenen korporatistischen Strukturen‘ zwischen Politik, Verwaltungen und Wohlfahrtsverbänden und die damit verbundenen einseitigen Privilegien für gemeinnützige Organisationen einen im Interesse der Bürger notwendigen Wettbewerb auf den Feldern der Sozialen Arbeit.“
Wie zutreffend das mit den „korporatistischen Strukturen“ zwischen Politik und Wohlfahrtsverbänden ist, dokumentiert die aktuell von der Hessenschau aufgedeckte Unverschämtheit im Rahmen der Causa AWO:
„Sozialdezernentin Birkenfeld belog Presse und Parlament“, heißt es dort. Es geht um ihre irreführenden Angaben zur Frage, warum sich die Stadt von der AWO als Betreiberin von Flüchtlingsheimen getrennt hatte. „Mehrere Medien und das Stadtparlament bekamen vom Sozialdezernat Angaben, die die wahren Vorgänge vertuschen sollten ... Die irreführende Darstellung der Vorgänge habe Birkenfeld in einer so genannten Sprachregelung mit der AWO vereinbart. Man habe das Ansehen der Arbeiterwohlfahrt in der Öffentlichkeit nicht beschädigen wollen. Und das sei rechtlich in Ordnung gewesen, findet das Sozialdezernat ... 'Wenn die Öffentlichkeit bewusst in die Irre geführt wurde, dann ist das Lüge'“, so Rechtswissenschaftler Rusen Cikar: Auch eine Sprachregelung eröffne kein Recht auf Lüge.
Ordnungsgemäß, nicht wahrheitsgemäß
Ein Kommentar der Hessenschau dazu:
„Dass die Frankfurter Sozialdezernentin sich mit der AWO zur Verschwiegenheit über deren krumme Geschäfte einigte, ist bedenklich und höhlt das Vertrauen in Politik aus ... Noch schlimmer ist, dass die Stadträtin sich überhaupt keiner Schuld bewusst ist. Kein Wort des Bedauerns ist ihr bisher über die Lippen gekommen. Stattdessen erklärt die CDU-Politikerin trotzig ..., immer ordnungsgemäß informiert zu haben. Wohlgemerkt: Ordnungsgemäß, nicht wahrheitsgemäß. Sie beruft sich auf eine mit der Arbeiterwohlfahrt vereinbarte Sprachregelung ... wie kann sich Birkenfeld auf so eine Vereinbarung einlassen? Sie hat, um es zuzuspitzen, sich mit mutmaßlichen Betrügern dazu verabredet, den Frankfurter Bürgern die Wahrheit zu verheimlichen ... Es ist bedenklich, wenn Birkenfeld angibt, solche Sprachregelungen seien üblich, das Rechtsamt der Stadt habe dagegen nichts einzuwenden.“ Effekt: „Traue keiner einzigen offiziellen Auskunft mehr, denn sie könnte das Produkt einer geheimen Sprachregelung sein. So wird auch das letzte Vertrauen in Politik zertrümmert.“
Beim „System AWO“ rückt auch eine bekanntere Politikerin in den Blick: Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern (MV) und Vorsitzende der dort ansässigen SPD, AWO-Mitglied, vormals Bundesfamilienministerin in Berlin. Der Nordkurier zitiert Ex-Wohlfahrts-Manager Peter Olijnyk aus dem AWO-Untersuchungsausschuss:
„Ich kann mich nicht erinnern, dass das Land für gewährte Fördermittel Verwendungsnachweise gefordert hat … Im Pflegebereich war es ein Leichtes, Bundes- und Landesmittel zu bekommen.” Das habe „politische Sprengkraft – nähren sie doch den von vielen Ausschussmitgliedern gehegten Verdacht, dass über viele Jahre Steuergelder vom Sozialministerium in Schwerin mehr oder weniger unkontrolliert in die Kassen der Wohlfahrt geflossen seien. Und nach einem internen Schlüssel unter Awo, DRK, Caritas und Co. verteilt worden waren.“
Steuerfinanziert und doch intransparent
Das Machtkartell der großen Wohlfahrtsverbände und ihrer politischen Lobby scheint unangreifbar zu sein. Allein ein Blick nach Hamburg zeigt: Träger des dortigen Flüchtlingszentrums sind in gemeinschaftlicher Absprache „die Hamburger Landesverbände der Arbeiterwohlfahrt und des Deutschen Roten Kreuzes sowie der Caritasverband für das Erzbistum Hamburg“. Wer wollte sich damit schon anlegen, um kleineren privaten Vereinen mehr Chancen im Feld der Sozialen Arbeit zu ermöglichen? Dabei hat die Monopolkommission dies 2012 erneut als „Problem der Wettbewerbspolitik“ erkannt, zumindest bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe:
„Die Monopolkommission hat sich zuletzt in ihrem XII. Hauptgutachten 1996/1997 (‚Marktöffnung umfassend verwirklichen‘) mit der Stellung der Freien Wohlfahrtspflege im sozialen Versicherungssystem beschäftigt und im Zuge dessen neokorporatistische Strukturen kritisiert, die sich als ‚bilaterales Kartell‘ darstellten. Für eine Öffnung dieser damals vielfach weitgehend geschlossenen Strukturen der Wohlfahrtspflege forderte die Monopolkommission im Wesentlichen die konsequente Anwendung des GWB als Reformhebel, des Weiteren eine Nichtdiskriminierung anderer Leistungserbringer und einen ungehinderten Marktzugang, eine Reform des Gemeinnützigkeitsprivilegs auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung bei einer reinen Orientierung am Förderungszweck sowie eine Subjektförderung anstelle der bislang überwiegend praktizierten Objektförderung … Privilegien weniger großer etablierter Anbieter wie der Liga der Spitzenverbände zulasten Dritter be- oder gar verhindern den Wettbewerb. Daraus können negative Folgen wie Überbürokratisierung, geringe Innovationen oder mangelndes Kostenbewusstsein in der Kinder- und Jugendhilfe entstehen.“
Auch das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten sei nur durch eine „Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten“ und Methoden gewährleistet. Außerdem: „Das Leistungssystem der Kinder- und Jugendhilfe ist zu einem Großteil steuerfinanziert und dennoch von Intransparenz geprägt.“ Immerhin will man in MV nun ein Transparenzgesetz auf den Weg bringen.
Der Bericht der Monopolkommission geht auch auf das „Institutionelle Wettbewerbshemmnis: Der Jugendhilfeausschuss“ ein. Jedenfalls habe laut FAZ die Politik immer noch nicht für ausreichende Änderungen auf der gesetzlichen Ebene gesorgt. „Der Gesetzgeber müsse die Ungleichbehandlungen beenden und für faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen in den Leistungsfeldern der Sozialhilfe wie auch der Kinder- und Jugendhilfe sorgen“, so Schipmann zur FAZ. Eher noch geht wohl die Kuh aufs Glatteis.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.