Die schleichende Bargeldabschaffung und die Einführung digitaler Zentralbankwährungen sowie Identitäten ermöglichen eine direkte Verhaltenssteuerung der Menschen.
Heutzutage sträuben sich immer mehr Menschen dagegen, von oben herab „transformiert" zu werden. Die Politik steht deshalb vor dem Problem, dass ihr zunehmend die Gefolgschaft aufgekündigt wird. Statt sich zu fragen, warum Klimapolitik und andere Agenden bei den Menschen reaktionären „Hass“ oder „Ressentiments" auslösen, erzwingt man die Vorhaben zunehmend auf autoritäre und sogar totalitäre Weise.
Ein Beispiel für diese Entwicklung lieferte der thüringische CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt. Er forderte die Einführung von verwirkbaren Lizenzen für die Teilnahme an Social-Media-Kanälen. Vermutlich sollen derlei Lizenzen mit digitalen Identitäten verknüpft werden. „Gefährdern" des öffentlichen Meinungsklimas sollen sie jedenfalls schnell entzogen werden. Das würde in der digitalen Sphäre einen kontrollierten Raum schaffen, der keinen freien Austausch mündiger Bürger mehr vorsieht.
Die derzeit für jedermann bemerkbare, schleichende Bargeldabschaffung schafft ebenfalls die Voraussetzung für eine neue digitale öffentliche Infrastruktur. Als Kernbestand dieser Infrastruktur zeichnen sich digitale Zentralbankwährungen ab. Die Technokratie eines Niemandslandes entsteht, in dem es erst gar nicht auf die Zustimmung der Menschen ankommt.
CBDCs
Digitale Zentralbankwährungen – englisch: Central Banking Digital Currencies, abgekürzt CBDCs – werden momentan weltweit auf allen Kontinenten vorangetrieben. (1) Sie unterscheiden sich grundsätzlich vom Bargeld. Anders als Bargeld werden CBDCs als Medium nämlich von einer digitalen öffentlichen Infrastruktur abhängen, in der der tatsächliche Vollzug des Wechsels der Geldeinheiten nicht mehr allein nach Maßgabe der unmittelbaren Marktbeteiligten erfolgt. Die Transaktion kann vielmehr von staatlich verordneten Bedingungen abhängig gemacht werden, die in Echtzeit verifiziert werden. Bargeld ermöglicht es den Menschen bislang, auch gesetzlich verbotene Transaktionen zu vollziehen. Das gilt sogar für den Fall, dass drakonische staatliche Sanktionen zeitnah absehbar sind. Bargeld ist nämlich ein universelles Tauschmittel und als Gegenstand unabhängig von Konditionen. Ob es seinen Besitzer wechselt, hängt nur vom Einvernehmen der Marktakteure ab.
Geld überwindet die Umständlichkeit einer auf Tauschhandel basierenden Gesellschaft. Es ist dadurch entstanden, dass nach und nach allgemeingültige Zertifizierungen von durch Dienst- oder Warenleistung gegenüber bestimmten Parteien erworbenen Forderungen in Umlauf kamen. Der Inhaber von Geld nimmt eine von einer Gläubigerposition abgeleitete Stellung ein. Diese verleiht ihm insoweit eine Unabhängigkeit und stellt ihm ein Mittel zur freien Gestaltung seines Lebens zur Verfügung. Ein Inhaber von Bargeld ist unabhängig von einer elektronischen, technischen oder digitalen Infrastruktur. Er kann seine Verfügungsgewalt auch im Falle eines Ausfalls dieser Infrastruktur oder einer gegen seine Person verhängten Sperre aufrechterhalten. Mit der weltweiten Einführung der CBDCs, die den Prozess der schleichenden Abschaffung des Bargeldes krönen, ist damit Schluss. CBDCs laufen darauf hinaus, dass man nicht mehr Eigentümer des Geldes ist, sondern zum Eigentum des Geldes und seiner Programmierer wird. Über dieses ausschließlich digitale Geld wird man nicht mehr frei verfügen können. Die Konditionen, unter denen man darüber bestimmen kann, können extern von jener Zentralbank vorgeschrieben werden, in deren Währungsgebiet man sich befindet und bei der man seine CBDCs hält.
Es ist interessant, dass die Programmierbarkeit der CBDC in den Massenmedien totgeschwiegen wird. Dabei bestätigen unmissverständliche Aussagen von Wissenschaftlern und Geldfunktionären diese Kerneigenschaft von CBDC. Beispielsweise sagte Augustin Carstens, Chef der als Schnittstelle sämtlicher Zentralbanken weltweit dienenden Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), bei einem Seminar des IWF am 19. Oktober 2020, dass CBDCs den Zentralbanken sowohl „absolute Kontrolle“ über die Verwendung des CBDC als auch die Technologie zur Durchsetzung dieser Kontrolle geben. Carstens sagte: „Wir neigen dazu, die Äquivalenz mit Bargeld herzustellen, und da gibt es einen großen Unterschied. Beim Bargeld wissen wir beispielsweise nicht, wer heute einen 100-Dollar-Schein verwendet. [...] Ein wesentlicher Unterschied zu einem CBDC besteht darin, dass die Zentralbank die absolute Kontrolle über die Regeln und Vorschriften hat, die die Verwendung dieses Ausdrucks der Zentralbankhaftung bestimmen, und wir werden außerdem über die Technologie verfügen, um dies durchzusetzen.“ Carstens selbst hielt diesen Aspekt nicht ohne Grund für „äußerst wichtig". Warum wird dieser „äußert wichtige" Aspekt nicht in den Massenmedien thematisiert? Warum werden gleichgerichtete Äußerungen etwa von hochrangigen Vertretern aus China (2) oder Russland (3) nicht in den Vordergrund gestellt?
Digitale ID und öffentliche digitale Infrastruktur
Die Programmierbarkeit von CBDC ist nur möglich, wenn die davon betroffenen ökonomischen Transaktionen im Rahmen einer umfassenden digitalen Infrastruktur – die auch tatsächlich Digital Public Infrastructure genannt wird – ablaufen. In diese Digital Public Infrastructure müssen alle Verkäufer und Käufer über eine unverwechselbare digitale Identität unentrinnbar eingeschlossen sein. Dabei darf keine Ausweichmöglichkeit in eine Parallelwirtschaft bestehen. Die BIZ wies im Jahr 2021 ebenfalls darauf hin: „Die Identifizierung auf einer bestimmten Ebene ist [...] von zentraler Bedeutung bei der Gestaltung von CBDCs. Dies erfordert ein kontobasiertes und letztlich an eine digitale Identität gebundenes CBDC.“
Die BIZ sagt, dass für das Funktionieren der CBDC alle möglichen „Informationen aus nationalen Registern und anderen öffentlichen und privaten Quellen, wie z. B. Bildungsbescheinigungen, Steuer- und Sozialleistungsunterlagen, Grundbuchämtern usw." genutzt werden müssten. CBDCs sind, wie gesagt, im Unterschied zu Bargeld von einer Digitalinfrastruktur abhängig. In dieser sind Geld-Transaktionen nicht nur digital rückverfolgbar, sondern auch steuerbar. Damit CBDCs funktionieren, müssen letztlich das Verhalten der Menschen, ihre örtliche Position, ihr Status und andere persönliche Attribute in Echtzeit erfasst werden können. Nur so kann nämlich das Vorliegen der programmierten Bedingungen im Moment der Transaktion verifiziert werden.
Erst dann kann das „Geld" vom digital registrierten Käufer auf den digital registrierten Verkäufer überhaupt technisch übertragen werden. Dabei müssen sämtliche gehandelten Waren und Dienstleistungen ebenfalls im Vorhinein digital registriert sein. Das Geld kann auf verschiedenste Weise programmiert werden. Der unverwechselbare Inhaber der durchnummerierten Digital-ID wird mit seinem individuellen Verhalten digital erfasst. Erfüllt er die programmierten Bedingungen nicht, kann er bestimmte Produkte oder Dienstleistungen nicht mehr oder nur in begrenztem Umfang oder nur innerhalb eines bestimmten geographischen Radius erwerben. Dreh- und Angelpunkt wird hier jene digitale ID sein, die anfangs scheinbar freiwillig und noch nicht verpflichtend ist, ohne die es aber nach und nach in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen unmöglich wird, am dortigen Leben teilzunehmen.
Konkreter Alltag mit CBDC
Es soll im Folgenden ruhig einmal auf drastische Weise das totalitäre Potenzial digitaler Zentralbankwährungen in einem zukünftigen Alltag ausgemalt werden, in dem das Bargeld verschwunden ist und sich CBDCs und digitale IDs weitgehend etabliert haben. Die ID wird an eine digitale Wallet (eine digitale Brieftasche) gekoppelt. Damit sollen alle Transaktionen, Käufe und Geschäfte mit dem digitalen Geld abgewickelt werden. Jede Ausgabe oder Einnahme jedes Cents kann dabei kontrolliert und überwacht, nachverfolgt und zentral gespeichert werden. Und auf der Grundlage individuellen Verhaltens oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen kann jede Ausgabe oder Einnahme nicht nur begrenzt, sondern gar komplett unterbunden werden. Das gilt theoretisch selbst für das Taschengeld für die eigenen Kinder.
Auf diese Weise wird auch hierzulande das in China in bestimmten Testregionen erfolgreich erprobte Sozialpunktesystem möglich. Wer sich nicht konform verhält, z.B. sich nicht „impfen" lassen will, im Internet „Desinformationen" verbreitet, zu viel CO2 ausstößt oder was auch immer, wird dann wohl nicht gleich verhungern. Er kann aber so einige Dinge nicht mehr tun, kann bestimmte Produkte nicht mehr kaufen oder bestimmte Dienstleistungen nicht mehr in Anspruch nehmen oder nicht mehr mit dem Bus oder der Bahn fahren, nicht mehr reisen, nicht mehr tanken, nicht mehr zu Veranstaltungen oder in eine Gaststätte gehen. Er bekommt im Moment seines Fehlverhaltens seine Sanktion und die Konsequenzen zu spüren.
Von einer Sekunde zur nächsten kann die digitale Brieftasche abgeschaltet werden. Dann ist man ist völlig mittellos – egal, welches Vermögen sich zuvor auf der digitalen Wallet befand. Man kann sich dann auch nirgendwo etwas leihen. Transaktionen von anderen digitalen Brieftaschen, z.B. von Freunden oder seiner Familie, die einem helfen wollen, werden einfach geblockt. Man kann dann möglicherweise keine Miete mehr zahlen, keinen Strom, kein oder kein bestimmtes Essen. Man kann gar nichts mehr kaufen oder nur in sehr begrenzten Mengen. Man ist von einer auf die andere Sekunde existenziell vernichtet. Das digitale Geld kann so programmiert werden, dass z.B. ein erhaltener Lohn – oder ein sogenanntes universelles Grundeinkommen – nach einigen Tagen einfach verfällt, z.B. bis zum Ersten des nächsten Monats. Man kann sich also nicht mehr auf der Grundlage eigener Sparsamkeit eine persönliche Unabhängigkeit aufbauen.
Uhrwerk Orange
Im Roman „Uhrwerk Orange" von Anthony Burgess ist es dem Protagonisten Alex nach einem durchlaufenen Konditionierungsprogramm unmöglich geworden, bestimmte kriminelle Handlungen zu begehen. In den CBDCs ist die Tendenz, das individuelle Verhalten direkt zu steuern, ebenfalls angelegt. Es besteht nun nicht einmal mehr die Möglichkeit, staatlichen Verboten zuwider zu handeln. Schließlich könnte im Rahmen des Klima-Regimes beispielsweise der Kauf von Fleisch schon rein technisch unterbunden werden, wenn man durch seine Nachfrage bereits einen zu hohen CO2-Ausstoß verursachen würde und somit sein individuelles CO2-Konto aufgebraucht hat. Ähnlich verhält es sich bei den auf EU-Ebene vorangetriebenen Vorhaben, nach dem künftige Elektroautos beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen automatisch einhalten sollen.
Es kommt nun gar nicht mehr darauf an, ob man staatliche Vorgaben respektiert, die Autorität des Regelsetzers anerkennt oder die Legitimität der Vorgaben akzeptiert. Ein freies und demokratisches Gemeinwesen hingegen erzwingt die Einhaltung seiner Normen nicht willkürlich. Ein freies Gemeinwesen erzeugt seine Normen vielmehr in einem Prozess eines breiten, gleichberechtigten, sowohl privat als auch öffentlich ausgetragenen Interessenaustausches in Form zwangloser Verständigung. Alle Bürger finden sich in einem derartigen Gemeinwesen mehr oder weniger wieder und erkennen auch die Autorität der politischen Führung im Großen und Ganzen an.
Stattdessen wird heute nach und nach eine Infrastruktur aufgebaut, die subjektive Entscheidungsfreiheit bereits technisch ausschließt. Diese Änderungen werden von einer Politik forciert, deren Legitimität und Autorität in den Augen wachsender Teile der Bevölkerung gegen Null tendieren. Totale Kontrolle und Verhaltenssteuerung ersetzen die bislang benötigte Legitimation und Autorität als Grundlage subjektiven Respekts für gesellschaftliche Normen.
Kai Rogusch ist Jurist und Redakteur bei „Novo-Argumente“. Er lebt in Frankfurt am Main. Mehr von Kai Rogusch lesen Sie in seinem Buch „Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“.
Anmerkungen:
(1) Weltweit steckt jedes Währungsgebiet in einer der global vorher vereinbarten vier Entwicklungs-Phasen: Stufe 1: Research (Vorbereitung); Stufe 2.: Proof of Concept (Erste Testphase); Stufe 3: Pilot (Letzter Test/Live-Einsatz); Stufe 4: Launches (Einführung). Im Oktober 2021 startete etwa die Europäische Zentralbank (EZB) eine Untersuchungsphase, um den Einsatz eines digitalen Euro zu prüfen. Nachdem die Währungshüter diese Etappe hinter sich gelassen hatten, begann am 1. November 2023 eine zweijährige Vorbereitungsphase. In diesem Zeitraum will die EZB unter anderem ein Regelwerk für den digitalen Euro fertigstellen sowie Anbieter auswählen, die mit der technischen Umsetzung beauftragt werden sollen. Nach Abschluss der Vorbereitungsphase soll der EZB-Rat am Ende des Jahres 2025 über die Einführung der CBDC entscheiden.
(2) Im Oktober 2022 erklärte der stellvertretende geschäftsführende Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und ehemalige stellvertretende Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Bo Li, in Washington D.C., wie CBDCs programmiert werden könnten: „CBDC können es Regierungsbehörden und Akteuren des Privatsektors ermöglichen, Programme zu erstellen – intelligente Verträge zu erstellen –, um gezielte politische Funktionen zu ermöglichen . [...] Zum Beispiel Sozialhilfe; zum Beispiel Verbrauchsgutscheine; zum Beispiel Lebensmittelmarken.” Weiter sagte Bo Li: „Durch die Programmierung von CBDC kann dieses Geld genau darauf ausgerichtet werden, welche Art von Menschen es besitzen und für welchen Zweck dieses Geld verwendet werden kann.“
(3) Der stellvertretende Gouverneur der russischen Zentralbank, Alexey Zabotkin, erklärte bei der Cybersicherheitsschulung Cyber Polygon im Jahr 2021, dass der digitale Rubel einerseits eine bessere Rückverfolgbarkeit von Zahlungen und Geldflüssen ermöglichen würde. Andererseits wäre es möglich, „Bedingungen für zulässige Nutzungsbedingungen einer bestimmten Währungseinheit festzulegen.” Ausdrücklich sagte er: „Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihren Kindern etwas Geld in digitalen Rubeln geben und sie dann beispielsweise für den Kauf von Junkfood einschränken”. Dies könne man sich bei Hunderten anderer Anwendungsfälle ausdenken. CBDCs können mittels Verfallsdaten, aller möglichen Zweckbestimmungen, die diesem Geld den Charakter eines Gutscheins verleihen, und örtlichem Radius determiniert werden.