Auch wenn Friedrich Merz wahrscheinlich der nächste Kanzler werden wird, eine neue Ära, nach der viele Deutsche verlangen, wird er nicht einläuten. Dabei hätte er es tun können.
Olaf Scholz wurde bekanntlich 2021 nicht Kanzler, weil er die Bevölkerung begeisterte und für eine wirkliche Politikwende nach der lähmenden Merkel-Ära stand, sondern weil die Alternative, ein Armin Laschet, als noch merkeliger, noch langweiliger und noch mehr nach Kontinuität aussah. Dazu wurde Laschet von den Medien trotz seiner Merkel-Nähe niedergeschrieben, wogegen Scholz hochgejubelt wurde, ähnlich substanzlos wie vorher schon Martin Schulz. Statt einer rheinischen Frohnatur wollten die Leute angeblich jetzt den nüchternen hanseatischen Macher, der Scholz nie war. Er konnte es in der SPD auch nur so weit bringen, weil er umgeben war von noch geringeren Talenten.
Die Zeichen stehen auf Wechsel nach der Ampel, die Merkel-Politik im Turbo weitergeführt hat, aber es fehlt die Person, die den Wechsel bringen wird. Auch Friedrich Merz wird diesen nicht bringen. Wenn er wahrscheinlich Kanzler wird, wird er dies nicht werden, weil er die Menschen begeistert, sondern weil er das kleinere Übel ist gegenüber Scholz und Habeck, die als Regierende grandios gescheitert sind. Er mag noch so oft rhetorisch stark und vollmundig im Bundestag den Politikwechsel verkünden oder gelegentlich das aussprechen, was den Menschen unter den Nägeln brennt: Wegen seines ständigen Zurückruderns, Lavierens und Blinkens nach links wird er nicht als Mann des Wechsels und der neuen Zeit gesehen, sondern als ein Vertreter der unbeliebten Eliten, die für Bevormundung und Stillstand stehen.
Was Merkel noch immer half, das Anbiedern an den medialen Mainstream, um dann mit der Rentnergeneration die Wahlen zu gewinnen, wird immer wirkungsloser. Die alten Medien verlieren mit ihrem neuen Volkserziehungsanspruch mehr und mehr an Glaubwürdigkeit. Daher ist es für Merz eher kontraproduktiv, bei Caren Miosga oder Maybritt Illner Punkte gewinnen zu wollen.
Nun ist die CDU eine schon sehr in die Jahre gekommene Partei und wird gerade nicht mit Experimenten und Wechsel assoziiert, sondern mit Beständigkeit. Was viele Deutsche allerdings wollen, ist Wechsel ohne Revolution und ohne einen disruptiven und vielleicht unberechenbaren Typen wie Trump, sondern eher etwas, wie vor einigen Jahren in Österreich Sebastian Kurz war. Wenn auch politisch schon wieder verglüht, war er doch für eine Weile sehr erfolgreich damit, eine etablierte, langweilige und sehr angegraute Partei umzukrempeln, umzuetikettieren und auf sich auszurichteten: Aus der ÖVP wurde bekanntlich Liste Sebastian Kurz.
Der Traum von Optionen nach rechts und links
Kurz konnte dies auch nur machen, weil er seine neue, dezidiert rechte, aber beliebte und europaweit akzeptierte Politik auch mit einer neuen Koalitionsoption möglich machte, nämlich mit der FPÖ, anstatt mit der ausgelaugten Dauerkoalition mit der SPÖ weiterzumachen. Als die FPÖ dann zeitweise verbrannt war, konnte Kurz sogar mit den Grünen regieren, ohne sich von diesen treiben zu lassen, im Gegenteil, die Grünen mussten damals die Kröten schlucken, nicht die ÖVP, weil sie nach links und rechts offen war. Merz hingegen hat sich die Option, ohne SPD oder Grüne zu regieren, durch seine Nibelungentreue zur Brandmauer selbst verbaut.
Merz ist zwar nicht ein jugendlicher Sebastian Kurz, aber das musste kein Nachteil sein, galt er doch vielen durch seine lange Abwesenheit von der Politik und seinen Abstand zu Merkel als genügend geläutert. Auch sonst hatte Merz eigentlich das, was der CDU zu einem richtigen Sieg (und 30 Prozent sind kein Sieg für eine Partei, die mal 40+ hatte, selbst bei einer wesentlich besseren SPD als heute) verhelfen könnte: Er erscheint konservativ genug, um die CDU-Stammwähler zu begeistern, aber war nie so rechts, dass er die Fraktion der sogenannten Herz-Jesu-Marxisten verprellt hätte.
Er ist erdverbunden und katholisch und trotzdem weltmännisch und mit internationaler Erfahrung; er versteht die Wirtschaft und war nie Berufspolitiker; er strahlt eine gewisse strenge Autorität aus, um nicht wie Laschet oder Kurt Beck zur Witzfigur gemacht werden zu können. All das prädestinierte ihn in den Augen vieler Christdemokraten wie keinen Anderen, die Abkehr der Partei von Merkel zu repräsentieren. Dafür wurde er von der Basis gewählt. Die Sehnsucht in der von Merkel-Kritikern entleerten CDU nach einem Neubeginn war so groß, dass ein has been, der vor über 20 Jahren mal ein eher konservativer und damals noch junger CDU-Fraktionsvorsitzender war, auf den Schild gehoben wurde.
Merz schuldet Merkel keine Loyalität oder Dank: Sie beseitigte ihn als Fraktionsvorsitzenden, sie sorgte dafür, dass er mehrmals trotz des Willens der Basis gegen Merkel-Apparatschiks, die schon fast wieder vergessen sind, die Kandidatur um den CDU-Vorsitz verlor. Dass er es trotzdem weiter versuchte und am Ende doch siegte, wäre eine erstaunliche Erzählung von Durchsetzungskraft und Comeback gewesen. Merz hatte nach seinem Aufstieg genug Momentum, um Klarschiff zu machen, seine Getreuen zu belohnen und die Gegner zu vertreiben, wie Trump es beispielsweise tut. Merz konnte oder wollte es nicht, er machte mit den Merkelianern weiter, distanzierte sich nie öffentlich von Merkel und ihrer Politik, lediglich Carsten Linnemann war ein kleiner Versuch, ein Stückchen personelle und inhaltliche Erneuerung zu zeigen. Aber das war viel zu wenig, und jetzt ist es zu spät. Retten muss die CDU ein Anderer, wenn sie denn noch gerettet werden will und sich nicht in die Illusionen der aktuellen Schein-Stärke flüchtet.
Sebastian Biehl, Jahrgang 1974, arbeitet als Nachrichtenredakteur für die Achse des Guten und lebt, nach vielen Jahren im Ausland, seit 2019 mit seiner Familie in Berlin. Vor Kurzem erschien von ihm „Ein Volk sucht seinen Platz. Die Geschichte von Orania und dem Freiheitsstreben der Afrikaaner.“ Dieses kann hier oder hier bestellt werden.