Gunter Weißgerber / 21.01.2020 / 12:00 / Foto: Olaf Kosinsky / 26 / Seite ausdrucken

Die Thüringer Parlamentsentwerter

Wenn es keine Regierung mit eigener Mehrheit gibt, haben die Parlamentsabgeordneten größere Gestaltungsmöglichkeiten, weil es nahezu immer auf jede Stimme ankommt. In Thüringen hätten CDU und FDP genau darauf setzen und gegen die regierenden Wahlverlierer auch einen eigenen Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt in ein Rennen mit offenem Ausgang schicken können. Stattdessen haben lieber alle Parteien vorher Absprachen getroffen, damit die Stimmen der AfD-Mandatsträger keine Wirkung entfalten können. So schwächt man die AfD allerdings nicht, sondern stärkt sie nur und auch – was viel schlimmer ist – den Verdruss an der deutschen Demokratie.

Am 29. Oktober 2019 wählten die Thüringer einen neuen Landtag, in dessen Ergebnis die seit 2014 im Amt befindliche Linke/SPD/Grüne-Landesregierung (RRG) die Mehrheit verfehlte und abgewählt wurde. Eine klare Mehrheit hätte eine Koalition aus CDU und AfD, die jedoch von der CDU abgelehnt wird. Offensichtlich bleibt es damit bei der bisherigen RRG-Koalition, die nun als Minderheitskoalition auf jeweils mindestens vier zusätzliche Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen ist.

Genau genommen, wird RRG nichts, überhaupt nichts mehr beschließen können, was nicht durch einzelne CDU-, FDP- oder AfD-Abgeordnete mitgetragen wird. Der am 15. Januar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellte RRG-Koalitionsvertrag ist deshalb eine Luftnummer – jedenfalls solange es die ominösen vier zusätzlichen Stimmen aus der Opposition nicht gibt.

Das genau wäre nun die Stunde des Parlaments. Wäre, wenn es nicht Vorgespräche zwischen dem Minderheits-Ministerpräsidenten in spe Bodo Ramelow und den Spitzen von CDU und FDP gegeben hätte! Altbundespräsident Gauck und Alt-MP Althaus gaben – frei nach Walter Ulbricht – die Linie vor: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten!

Vorparlamentarische Mauschelei

Für die Leser, die den Politikbetrieb nicht von innen kennen, eine kurze Erläuterung zum regelgerechten parlamentarischen Ablauf: Anträge, Initiativen, Entscheidungsvorlagen und vieles mehr entstehen in den einzelnen Fraktionen oder in der Regierung und werden nach Diskussion und Beschluss gemäß der Geschäftsordnung des Landtages an das Parlament gegeben. Damit bekommen sämtliche Landtagsabgeordnete und die Exekutive den gleichen Kenntnisstand und können die Vorgänge in ihren Gremien beraten, eigene Anträge zum Thema beschließen und dem Landtag zukommen lassen. Sobald die Vorlagen auf der Tagesordnung des Landtages stehen und beraten werden, bringen alle Fraktionen mittels ihrer jeweiligen zur Sache sprechenden Redner ihre Ansichten zum Gegenstand inklusive ihrer dazu gehörigen eigenen Anträge ein. Die erste Diskussionsrunde im Landtag, erste Lesung genannt, beschließt die Weiterleitung zur Beratung in die Fachausschüsse. Die Themen bleiben damit in der Hand der Abgeordneten aller Fraktionen. In den Ausschüssen wird alles diskutiert, Änderungsmöglichkeiten innerhalb der Ausschüsse gibt es bis zur zweiten Lesung im Landtag. Selbst in der zweiten Lesung sind Änderungen immer möglich. Das alles wissen Mike Mohring und Thomas Kemmerich.

Was bewog nun Mike Mohring und Thomas Kemmerich zur Teilnahme an einem Vorgespräch zur parlamentarischen Arbeit im Thüringer Landtag? War es Eitelkeit, war es Naivität? Wollten sie dem Minderheits-MP in spe die Einhaltung der Geschäftsordnung des Landtages zusagen? Oder handelten sie bewusst vorparlamentarisch? Einigungen über Schwerpunkte zwischen dem Herrscher und Teilen der Opposition vor der Einbeziehung des Landtages erinnern an die „Nationale Front“ der DDR und an Wilhelm Zwo: „Ich kenne keine Parteien mehr“.     

Mike Mohring und Thomas Kemmerich hatten es in der Hand, den Landtag und die Abgeordneten aufzuwerten und dabei ihre eigene unabhängige öffentliche Stellung deutlich zu machen. Ohne Eigenständigkeit keine nachhaltige Wahrnehmung. Das müssten die beiden Kollegen wissen. Für große Teile der Bevölkerung begannen Ramelow, Mohring und Kemmerich die jetzige Legislatur mit Mauschelei. Spätere Diskussionen im Landtag werden diesen Eindruck nicht verwischen können. Die Möchtegern-Siegfriede gegen die AfD taten ihr Bestes, den von ihnen bekämpften Drachen weiter zu füttern und auf Touren zu bringen. Sie entwerten das Parlament und bestärken Aversionen. Sie sind durchgefallen. CDU und FDP sind die kleinen Freunde von Linksaußen. Genau danach schmeckt das. Mit 1989 hat das nichts mehr zu tun.

Mohring und Kemmerich könnten im Februar selbst antreten. Sie haben nichts zu verlieren. Minderheits-Ministerpräsidenten könnten sie auch werden. Es fehlt ihnen an Courage und Selbstständigkeit. Es wird eine geheime Abstimmung im Februar. Niemand weiß wirklich, wer von wem die Stimme bekommt. Ramelow weiß auch nicht, ob er von Sozialisten der AfD mitgewählt wird. Warum sollen sich Kemmerich und Mohring eine Scham antun, die Ramelow mit seinen MfS-Butlern nicht kennt?

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Sabine Schönfelder / 22.01.2020

Herr@Böhnki, daß SIE Grimms Märchen ins Spiel brachten, diese Gedächtnislücke, lasse ich Ihnen altersbedingt auch durchgehen. Wer freiwillig Ramelow wählt, Herr Böhnki, als Selbstständiger, der hat es nicht besser verdient. Aber es gilt: Freies Land für freie Bürger. Unter dem Begriff ´konservativˋ subsumiere ich allerdings gänzlich andere Vorstellungen. Das Bläschen von dem Sie sprachen, so denke ich, befindet sich in Ihrem eigenen Kopf. Ich bin kein Höcke-Fan, aber Politik kann sich nicht einfach über den Wählerwillen hinwegsetzen und eine Partei systematisch beschimpfen und dabei sämtliche demokratischen Grundregeln verletzen. Übrigens sind SED-Linke ein trauriger Restbestand eines Unrechtsstaates, einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit aber ist jeder Menge Willkür. Vielleicht haben Sie sich unbewußt einfach daran gewöhnt.

Matthias Böhnki / 21.01.2020

@HeikoEngel: Es gab nur eine Möglichkeit Rot-Rot-Grün zu verhindern - und dies ging nur über die FDP.  Die Truppe ist mit nicht einmal 100Stimmen über die 5%-Hürde getaumelt. Diese 100 Stimmen bei der CDU oder AfD hätten bei denen ein Plus im Promille-Bereich ergeben, dafür aber Rot-Rot-Grün in der Mehrheit gegenüber CDU/AfD. So waren die Realitäten am 27.10.2019 frühs 8.00Uhr. Das war das, was realistisch machbar war, ob es einem gefiel oder nicht. Jetzt muß RRG bei den anderen um schönes Wetter bitten. Immerhin etwas. Vielleicht führt das in einer strittigen Frage im Bundesrat zu einer Enthaltung, vielleicht kann so für unsere thüringischen Bauern eine grüne Umweltministerin verhindert werden, wer weiß. Alles Kleinvieh, mehr ist aber nicht zu machen. Eine AfD ohne Höcke hätte 30% eingefahren. Herr Höcke ist in Thüringen die personifizierte Hürde für quantitatives und qualitatives Wachstum der AfD. Beleg dafür sind viele Unterhaltungen mit Menschen, denen die Verhältnisse im Land genauso wie mir das große Kotzen erzeugen. Aber nicht mit Höcke, mit dem bekommt man nie Mehrheiten .Das ist so und daran ändert sich auch nichts, da kann man hier quaken wie man will.

Klaus Biskaborn / 21.01.2020

Wir sollten uns nicht auf Herrn Böhnkis seltsame Ansichten einschiessen, er kommt aus seiner ideologischen Einbahnstraße nicht heraus. Ich denke er hat persönliche Vorteile wenn er Herrn Ramelow lobpreist und in die Hetze gegen die AfD einstimmt, das muss man wohl oder übel respektieren. Trotzdem meine uneingeschränkte Unterstützung der hier geäußerten Ansichten von Frau Schönfelder und Herrn Engel, die scheinen mir den Realitäten deutlich eher zu entsprechen.

Eugen Richter / 21.01.2020

Verdruss an der Demokratie gibt es nicht in nennenswerter Ausprägung. Aber erheblicher Verdruss gegen heutige Politiker, MSM und deren Vasallen. Das ist schon ein Unterschied.

Matthias Böhnki / 21.01.2020

@SabineSchoenfelder: Ich lasse Ihnen Ihre persönlichen Ausfälligkeiten altersbedingt mal durchgehen. Aber, es wäre besser für Sie, Sie würden aus Ihrer Blase herauskommen. Eine Blase ist eine Blase ist eine Blase- - egal, in welcher politischen Richtung diese zu verorten ist. Wenn Sie aus Thüringen kommen, dann nennen Sie mir außer dem Fakt, daß Ramelow am Saalfelder Bahnhof mit Teddys gewunken hat, einen landespolitischen Fakt, der Ramelow dermaßen desavouiert, daß man stattdessen AfD wählen sollte. Wenn Sie nicht aus Thüringen kommen, dann schweigen Sie einfach. Das ich als konservativ denkender Selbständiger Ramelow zumindest nicht in die Pfanne hauen kann, liegt daran, daß die Vorstellungen von linker Politik unter Ramelow offensichtlich nicht den Ihren entsprechen. Er hat nämlich einiges besser gemacht als seine CDU-Vorgänger-Regierung und vieles nicht schlechter. Deshalb hat auch Mohring so sehr große Schwierigkeiten, irgendetwas zu finden, mit dem er Ramelow in Seite fahren kann. Und das Höcke etwas besser machen würde…, ehrlich? Da glauben Sie dran ? Echt jetzt? Na dann gute Besserung. Eine AfD unter Lucke wäre jetzt regierungskompatibel, unter Höcke und Parteispitzenkollegen, ebenjene, welche in Berlin in den ersten Reihen sitzen , was soll da herauskommen? Tut mir leid, das ist einfach nur eine intellektuelle Beleidigung. Können Sie anders sehen, deswegen ja: gute Besserung.

Sirius Bellt / 21.01.2020

@ Sabine Schönfelder. Treffer! Chapeau.

Heiko Engel / 21.01.2020

@Lieber Herr Böhnki, mögen Sie meine Irritationen verstehen, ob Ihrer vordergründigen Wahlentscheidung. Wie auch immer die ausfiel; es ist Ihr Recht. Aber, bei allem Respekt, die FDP ist eine schwierig zu wählende Partei bei den Zuständen in Thüringen. Da haben Sie der Sache Entwicklung in Thüringen doch nicht so wirklich gedient.  Zur Hamburger Bürgerschaftswahl 2012 habe ich Suding gewählt. Die FDP wollte wieder in die Bürgerschaft und Suding machte auf einem Wahlplakat eine wunderbare Figur im Frisennerz mi ihrem hübschen Po. DAS sind substantiierte Gründe FDP zu wählen. Aber es ist auch der einzige Grund. So ein schöner Po - die Partei ist leider nur Stroh ! Geruhsamen Abend.

Günter H. Probst / 21.01.2020

Oder haben die Stalinisten Teile der verschwundenen SED-Millionen politisch gewinnbringend eingesetzt?

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